| Des 
				Bettlers Lied
 
 Hab' 
				Flicken nur, kein ganzes Kleid,
 Hab' Sorgen stets, kein halbes Leid,
 Doch mag ich nicht zu Grabe gehn,
 Die Sonne scheint zu froh und schön,
 Wenn sie es gar so ehrlich meint,
 Mir auf den breiten Rücken scheint,
 Weiß nicht, was ich drum gäbe,
 Weil ich nur lebe!
 
 Sitz' Sonntags vor der Kirchentür,
 Da spenden Jung' und Alte mir,
 Manch Kinderköpfchen, spielzerzaust,
 Drückt mir das Pätschchen in die Faust
 Und schaut mit großem frischen Blick
 Nach mein'm "Vergelt es Gott" zurück.
 Der Herr viel Glück ihm gebe,
 Weil ich nur lebe!
 
 Dann kehr' ich in der Schenke ein
 Und trink' mein Gläschen goldnen Wein
 Und spielt es durch die Adern leis',
 Da klingt in mir die alte Weis' –
 Da schleich' ich mich zum Waldeshang,
 Vergess all Sorg und jeden Bang;
 Mein Lied ich froh erhebe,
 Weil ich nur lebe!
 
 Da 
				kriecht die Ameis übers Blatt,
 So hurtig, seh' sie niemals matt,
 Da schlagt der Fink, da glitzt der Tau,
 Dort drüben singt des Försters Frau, –
 Nun blinkt durchs Laub der Abendstern,
 Grau winkt das Dörflein in der Fern',
 Wüßt' nicht, daß sich's begäbe,
 Wenn ich nicht lebe!
 
 Die Lieb' ein Traum
 
 Tief im Walde sitzen zwei,
 Leis' umrauschet von den Bäumen,
 Und es sprudelt hell der Quell
 Und sie flüstern, kosen, träumen.
 
 Weh', du süßer Liebestraum,
 Wenn wir dein erwachen,
 Wie es auch geschäh' – o weh –
 Ob mit Weinen oder Lachen!
 
 Volksweise
 (April 1882)
 
 I.
 
 Was ist es mit dem Leben
 Doch für 'ne arge Not,
 Muß leiden und muß sterben
 Zuletzt den bittern Tod.
 
 Kam ich doch auf die Erden
 Ganz ohne Wunsch und Will',
 Ich weiß es nicht von wannen,
 Und kenn' nicht Zweck noch Ziel.
 
 Es tritt die bunten Auen
 Nur einmal unser Fuß,
 Für kurze Zeit nur tauschen
 Wir Händedruck und Gruß.
 
 Und was uns auch von Freuden
 Und Leiden zugewandt,
 Das mehret und das mindert
 Sich unter Menschenhand.
 
 Drum lasset uns in Freundschaft
 Einander recht verstehn
 Die kurze Strecke Weges,
 Die wir zusammen gehn.
 
 II.
 
 Wie vieler deiner Freuden
 Hab' ich umsonst geharrt,
 Wie wenig deiner Leiden
 Hast du mir, Welt, erspart!
 
 Die einen wie die andern
 Ich hätt' sie gern gemißt,
 Weil doch ein planlos' Wandern
 Das arme Leben ist.
 
 Und ruhen wir am Ziele
 Im tiefen Erdenschoß,
 Dann gleichen ihre Spiele,
 Wer darbte, wer genoß.
 
 Verderbet nicht den einen
 Der Freuden frohen Schein
 Und seht ihr andre weinen,
 Verschärfet nicht die Pein.
 
 Daß keine wehmutreiche
 Erinn'rung euch betrübt,
 Und man an euch die gleiche
 Geduld und Treue übt!
 
 Ich sinn' der alten 
				Fabel nach
 (April 1882)
 
 Ich sinn' der alten Fabel nach,
 Die ernsthaft uns belehret,
 Daß alles, was gewesen war,
 Dereinstens wiederkehret.
 
 Zwar wiederkehrt nach langer Frist,
 Nach vierzigtausend Jahren,
 Dann aber auch genau, wie wir's
 Das erste Mal erfahren.
 
 Nun ist mir so, als hätt' ich dich
 In einem frühern Leben,
 Unholdes Liebchen, schon gesehn
 Und mich dir ganz ergeben.
 
 Und du, du hättest alle Treu'
 Und Lieb', die ich empfunden,
 Mit herbem Spotte mir gelohnt
 Und tiefen Herzenswunden.
 
 Mir 
				tönt, ach, so vertraut und doch
 Ernüchternd deine Sprache,
 Mich höhnt, wie einmal schon gehört,
 Die silberhelle Lache.
 
 Ich liebend ohne Hoffnung und
 Du herzlos ohne Reue,
 Es ist als wie ein altes Spiel,
 Das wiederkehrt aufs neue.
 
 Ein altes Spiel – wir können dreist
 Die Wiederholung wagen,
 Du bist im Quälen wohlgeschult
 Und ich für das Ertragen.
 
 Und überläuft's mir oft das Herz
 So bang und maienfröstlich,
 Dann deucht mir – albern wie sie ist –
 Die alte Fabel tröstlich!
 
 Scheiden
 
 Wer in hilflosem Jammer
 Sein Liebstes sterben sieht,
 Der weiß nicht, welche Klammer
 Ihn noch zur Erde zieht.
 
 Sie weinte, als sie bange
 Auf ewig Abschied gab,
 Die Träne rann die Wange
 Der Toten sanft herab.
 
 O Trän' aus liebem Auge
 In bittrer Scheidestund',
 O Träne, trübe Lauge
 Du brennst das Herz mir wund!
 
 Nichts beut dem kranken Herzen
 Als weher Trost sich dar,
 Daß es das letzte Schmerzen,
 Die letzte Träne war.
 
 In trüber Zeit
 
 Wenn du dich ins Ärgste fandest
 – Ärgstes ist: geboren werden –
 Find dich ruhig auch ins andre,
 Minder Arge auf der Erden.
 Sterben rechnet man als Schlimmstes,
 Dem man nicht entrinnen kann;
 Höchst vernünftig ist's, du nimmst es,
 Wie es tritt an dich heran.
 
 Damit freilich hat das Leben
 Und was drum und dran ein Ende,
 Du jedoch sei still ergeben,
 Wo's dich träfe, wo's dich fände;
 Ob nach viel', nach wenig' Jahren,
 Einmal droht das eisern' Muß,
 Ob und was du auch erfahren,
 Kurz ist aller Weisheit Schluß:
 
 Daß 
				durch Wasserflut und Brände
 Alles Siechtums grause Plagen
 Noch der Mensch zurecht sich fände,
 Ohne um sein Los zu klagen.
 Allen Jammer, der durchzittert
 Bange Herzen ohne Ruh',
 Was die Welt vergällt, verbittert,
 Fügt der Mensch dem Menschen zu!
 
 Nicht die Bosheit ist's, die niedre,
 Die am Ärgsten dich bedrücket,
 Nein, die Dummheit ist's, die biedre,
 Die dir sacht das Herz zerstücket;
 Stetig wirket sie gelassen
 Und sie wirkt sich niemals aus,
 Jagst du heut sie von den Gassen,
 Dringt sie morgen dir ins Haus.
 
 Hoffe: daß 's zum Bessern treibe!
 Fürchte: vielleicht wird's auch schlimmer!
 Aber, daß es besser bleibe,
 Darauf hoffe nie und nimmer.
 Lerne grollend dich bescheiden,
 Dummheit ruht zu keiner Frist,
 Kluge nützen nur die Zeiten,
 Wo sie etwas schläfrig ist.
 
 Was ins Leben Edle riefen,
 Kann sie dauernd nicht ertragen,
 Wie die Brunnen aus den Tiefen
 Einstens in der Sündflut Tagen
 Plötzlich sich ergossen hatten
 Aller Höhen, aller Ort,
 Spült auch sie die reifen Saaten
 Samt der Bodenkrume fort.
 
 Im 
				Wonnemonat des Jahres 1884
 
 Zwei Schwestern
 (April 1882)
 
 Zum Traualtare geht die eine
 Mit stolzem Schritt, die Myrte in dem Haar;
 Die andere, die Unbegehrte,
 Verbirgt sich schüchtern in der Gäste Schar.
 
 Sie flüstert leise: "Arge Schwester,
 Du tust mit leichtem Fuß den schweren Gang
 Und deinen künft'gen Gatten nanntest
 Du, kecken Wortes, einen guten Fang.
 
 Und trägst die Myrte, trotz du nächtens
 Gar oftmal übermütig mein gelacht,
 Wenn du mir Dinge anvertrautest,
 Die stets zu tiefst erröten mich gemacht.
 
 Ich gönne dir dein Glück und wünsche,
 Euch beiden bleibe jede Reue fern,
 Doch wär' dein Braver mir beschieden,
 Ich kennte wahrlich keinen andern Herrn."
 
 Du armes Kind, du suchtest Liebe,
 Genuß vermied stets deinen dürft'gen Pfad,
 Indes die Leichte, Lock're, Lose
 Genuß gesucht und Lieb' gefunden hat!
 
 Das blinde Kind
 
 Es sitzt das Mädchen trüb im Leid,
 Es tastet an dem Schmuck die Hand,
 Sie streift das lichte Feierkleid,
 Des Farbenschein ihr unbekannt;
 Des Lichtes Quell ist ihr verstopft,
 Ihr Aug' kennt keiner Farbe Wahl,
 Es kennt nur Lust, die leise tropft,
 Kennt nur des Schmerzes wilden Schwall.
 
 Sie sitzt geschmückt wie eine Braut,
 Sie tastet an der Mutter Arm,
 Sie liebt der Stimme milden Laut,
 Den Odem, der sie streifet warm:
 "Zur Gnadenmutter innig fleh,
 O, klag der Himmlischen dein Leid:
 'Gib Heilige, daß ich dich seh'
 In aller deiner Herrlichkeit.' "
 
 Das Kind gehorsam falt' die Händ',
 Es faßt's die Sehnsucht nach dem Licht,
 Den Blick ins leere Nichts gewend't,
 Mit bebend leiser Stimm' sie spricht:
 "O Gnadenmutter, hold und rein,
 O gib dem Aug' des Sehens Gab'
 Und lasse das Geschaute sein
 So lieb, wie ich Gefühltes hab'!"
 
 Sie 
				blickt so angestrengt aus sich,
 Als wollt' sie selbst sich schau'n im Traum,
 Der Laut von ihren Lippen wich
 Und lautlos bleibt's im leeren Raum.
 Da plötzlich ruft's: "Ich seh' die Frau
 Mit goldner Krone mit dem Kind.
 Von meinem Auge weicht das Grau,
 Ich sehe, ich bin nicht mehr blind!
 
 O sprich, du stummes Bild zu mir,
 O sprich, ich fasse deine Hand;
 O laß der Freude Laut von dir,
 Nach Wort und Form nur bist bekannt.
 Doch spreche nicht, — wenn ungelenk'
 Des Schauens Kunst auch mir noch ist —
 Ich seh', das Auge spräch' und denk',
 Dein Aug', o Mutter, mich begrüßt!"
 
 Sie halten beide stumm sich lang,
 Als wenn sie ob des Sehens Lust
 Verlernt der Sprache süßen Klang,
 So voll des Dankes ist die Brust.
 Und als der Dank zum Laut sich preßt,
 Da klingt er ungebärdig wild,
 Doch falten sich die Hände fest
 Gelobend gar ein herrlich Bild.
 
 Der Gnadenmutter sei geweiht —
 Ihr, die so himmlisch sanft und mild,
 Ihr, die erlöst sie aus dem Leid —
 Von eigner Hand ein kunstvoll Bild.
 Bei Tageslicht, bei Kerzenschein
 Mit greller Seide stickt das Kind,
 Und als das Bild im heil'gen Schrein —
 —   —   —   —   —   —   —   —
 Da war die Arme wieder blind!
 
 Beschauliches
 
 Ich hab' 
				erreicht das Ziel des Strebens
 
 Ich hab' erreicht das Ziel des Strebens
 Und senk' das Haupt in dem Erkennen:
 Wie wertlos alles Gut des Lebens,
 Wie ärmlich, was mir Glück benennen.
 Das Ringen ist's, das dich beglückt,
 Erfolg schon hat den Kranz zerrissen,
 So wie das Forschen nur entzückt
 Und nimmermehr das volle Wissen.
 
 Nur, was noch aussteht zu gewinnen,
 Nur, was im Leben wir verloren,
 Erscheinet groß vor unsern Sinnen:
 Zufrieden sind allein die Toren.
 Doch wer erlernt des Lebens Preise
 Zu weiten als ein eitles Nichts,
 Der fürchtet auch kein Ziel der Reise
 Und keine Tage des Gerichts.
 
 Selbstbetrachtung
 
 O, kannst du nicht in deinem Herzen
 Der Jugend frohe Glut bewahren?
 Vermagst du es nicht auszumerzen,
 Was dir gekommen mit den Jahren?
 Dereinstens hast du all dein Streben
 In Zeiten bittrer, herber Not
 Der heil'gen Kunst anheimgegeben,
 Was ringst du jetzt nach Lob und Brot?
 
 Es ist ein leidiges Gewöhnen
 An karg bemessenes Behagen,
 Um das du dich dem Kult des Schönen,
 Des ewig Hohen hast entschlagen.
 
 Du zündest ihm jetzt Räucherkerzen,
 Wo einst dein ganzes Herz geflammt,
 Du, einst Prophet mit warmem Herzen,
 Versiehst als lauer Pfaff dein Amt.
 
 Du formst den Gott in Brotgestalten,
 Erhebst und tröstest zur Genüge,
 Doch um den Glauben zu erhalten,
 Da sprichst du auch manch fromme Lüge.
 
 O, 
				raff dich auf und schaffe wieder,
 Wie einst in deiner goldnen Zeit,
 Wo noch der Born all deiner Lieder,
 Dir rein gesprudelt, unentweiht.
 
 Und wieder jene Pfade wandre,
 Vom Glauben an dein Selbst beglücket,
 Wohin du flüchtend, dich und andre
 Aus der Gemeinheit Bann entrücket.
 
 O, zeige, daß vom Druck der Jahre
 Dein Innerstes blieb unversehrt
 Und daß du, trotz der grauen Haare,
 Noch immer deiner Jugend wert.
 
 Das war die Zeit
 
 Du willst's, so sei der Schwur erneuert,
 Vergessen sei, was uns entzweit,
 Zu höchst und aber höchst beteuert
 Sei unsrer Liebe Innigkeit!
 Doch was vom sichern Port gesteuert
 Uns einst in hohe See voll Leid, —
 Das war die Zeit, mein Kind, die Zeit!
 
 Das 
				war ein eifrig Phrasensammeln,
 Um an des Fühlens Ewigkeit
 Den Glauben in uns aufzusammeln,
 Und doch, nach wen'ger Jahre Streit,
 So wie aus Kindermund ein Stammeln,
 Erschien die Überschwenglichkeit. —
 Das tat die Zeit, mein Kind, die Zeit!
 
 An Leib und Seele umgestalten
 Kann uns der Jahre Flüchtigkeit,
 Ei, hielten wir es noch im Alten,
 Dir stünd' die Träne nimmer weit,
 Du ziehst die Stirne nur in Falten
 Und deren Spur, sie macht sich breit, —
 Das tat die Zeit, mein Kind, die Zeit!
 
 Nicht umzudeuten, nicht zu brechen.
 In dieses Lebens Wechselstreit
 Ist nur ein einziges Versprechen,
 Ist nur ein einz'ger heiliger Eid:
 Verheißet Nachsicht allen Schwächen
 Und schwört Erbarmen jedem Leid, —
 Das trifft zur Zeit, zu aller Zeit!
 
 O, schwöre nicht, verlang kein Schwören.
 Des Augenblickes Lieblichkeit
 Verhänge nicht mit Trauerflören.
 O, zwinge nicht in bangem Leid
 Auf jenen leisen Schritt zu hören,
 Mit dem sich naht und uns entzweit, —
 Wie einst, die Zeit, mein Kind, die Zeit!
 
 Im Innern gefestet
 (Dezember 1882)
 
 Wenn Jahre gehn und kommen,
 So nehme du in acht,
 Was sie dir wohl genommen,
 Was sie dir wohl gebracht.
 
 Was dir auch im Verlaufe
 Der Zeiten ward beschert,
 Nicht Gut, noch Glück es taufe,
 Gar trüglich ist sein Wert.
 
 Nicht grausam heiß das Leiden,
 Nicht Raub nenn den Verlust,
 Weiß still dich zu bescheiden
 Und trage, was du mußt.
 
 Nur der ist hochgemutet,
 Der gleich im Glück sich fühlt,
 Und wenn das Herz ihm blutet,
 Die Wunde keusch verhüllt.
 
 Das Glück, es will nicht währen,
 Das Leid bleibt nicht bestehn,
 Das ist: wie Tage kehren
 Und wie die Nächte gehn.
 
 Nur 
				das hast du genossen,
 Erstritten das allein,
 Was in die Seel' geschlossen
 Du dir zu tiefst hinein.
 
 Das einzig ist das Wahre,
 Was du in dir erfährst,
 Dem du, trotz Flucht der Jahre,
 In Treuen dich bewährst.
 
 Ob sie umdunkeln Schmerzen,
 Ob Freude sie erhellt,
 Du trägst in deinem Herzen
 Dann eine Friedenswelt.
 
 Wie Jahre gehn und kommen,
 Des haben sie nicht Macht,
 Davon wird nichts genommen,
 Dazu dir nichts gebracht!
 
 Weisung
 (November 1887)
 
 Ich stand vor manchem schon betroffen,
 Der Pinsel und Palette führt,
 Und dessen steifes, festes Hoffen
 Mich oft beinahe hätt' gerührt.
 Er zog ins Land, studierte immer
 Und wies mit freud'gem Hoffnungsschimmer
 Den Skizzen-Wust, den er erzielt,
 Und schien ihm etwas recht zu taugen,
 Da rief er mit verzückten Augen:
 "Das gäb' ein Bild!"
 
 Es mußte doch nicht sein das Wahre,
 Wie er die Sache nahm zur Hand,
 Er trieb es so durch viele Jahre,
 Nichts halfen Leute ihm und Land,
 Denn was er malte, konnte Laien
 Und Kenner nimmermehr entzweien,
 Weil keiner etwas darauf hielt;
 Und was er eifervollen Strebens
 Auch schuf die Tage seines Lebens,
 Gab nie ein Bild.
 
 Der 
				soll sich nicht mit Kunst belasten,
 Der die Natur wie jeder sieht,
 Er schleppt einen Photographenkasten,
 Der nur die Schulter schief ihm zieht:
 Wem irgend Großes noch gelungen,
 Der hat sich's selber abgerungen,
 Ob zart und mild, ob stark und wild!
 Hast du nur deinem Werke eben
 Aus eignem Ich was zugegeben.
 
 Wie klug, ihr Mütter!
 
 Wie klug, ihr Mütter!
 Ihr störet nicht
 Den Schlaf der Kleinen.
 Es heißet ja,
 Im Schlafe spielten
 Mit ihnen Engel.
 
 Wenn sie dereinstens,
 Der Mutter Brust
 Entwöhnt, erwachen,
 Wer weiß es denn:
 Was für Dämonen
 Mit ihnen spielen?!
 
 Wie 
				klug, ihr Mütter!
 Ihr störet nicht
 Den Schlaf der Kleinen;
 Sie haben nur
 Für kurz die Eng'lein
 Zu Spielgenossen.
 
 Stimmungsbilder
 
 Die Ruine
 
 Was da versammelt für Herrlichkeit?
 Was hat da verblutet für Herzeleid?
 Da ward aller Lust, allem Leide gerecht
 Im Kommen und Gehen manch stolz' Geschlecht
 Vor alter Zeit!
 
 Die Mauern, die öden, sie ragen weit,
 Kein Hall mehr in ihnen von Lust noch Streit;
 Die Chronik erzählet wohl manche Mär',
 Die Steine verschweigen Nutz und Lehr'
 Aus alter Zeit.
 
 Und wenn dann dich, Wandrer, hinabgeleit't
 Die Wehmut ob menschlicher Nichtigkeit,
 Bedenke, wie wenig an Frist vergeht,
 So wird auch veröden die unsre Statt'
 Gleich alter Zeit!
 
 Der Ort, wo du liefest im Kinderpfad,
 Der Hain, wo du küßtest die erste Maid,
 Der Saal, der einst Zechern das Echo gab,
 Veröden, sowie auch dein Mal am Grab,
 Alt deine Zeit!
 
 Dann wallen wohl andre von Wegen weit
 Den Stätten zu unsrer Vergangenheit
 Und seufzen, wie einst wir, aus banger Brust:
 Wie sind wir der Sonne so kurz bewußt,
 Wie keine Zeit!
 
 Neujahrsgruß
 (Dezember 1883)
 
 Siehst du in steter Eil' verrauschen
 Im Zeitenstrome Jahr für Jahr,
 Nicht neig dein Ohr, um bang' zu lauschen
 Der Zukunft, die nie offenbar;
 Das Ärgste, was dir bleibt zu tauschen,
 Es birgt nicht Schrecken noch Gefahr, —
 Wenn weit vom Ziel dein Hoffen traf,
 So gibst du Traum für tiefen Schlaf.
 
 Die fromme Hoffnung unbestritten,
 Doch wär' dies Ärgste nicht so arg.
 Was einer hier auf Erd' gelitten,
 Was ihm das Leben Arges barg,
 Das lag des Wegs, den er durchschritten,
 Von seiner Wiege bis zum Sarg
 Und wenn auch nichts verklärt' sein Leid,
 Es starb mit ihm für alle Zeit.
 
 Mit frohem, freiem Herzensschlage
 Verlebe deines Daseins Frist,
 Bedenk, daß du nach alter Sage,
 Die hohe Weisheit in sich schließt,
 Schon seit dem letzten Schöpfungstage
 Der Herr dahier auf Erden bist,
 Und was geschieht, wirkst du allein,
 Verdienst, wie Schuld, o Mensch, sind dein!
 
 Frühling
 (1889)
 
 Wenn wir mit jedem neuen Jahre
 Sich schmücken sehen Wald und Flur,
 Beschleicht uns neidisches Empfinden
 Ob unsers Lebens flücht'ger Spur.
 
 Der Neid, daß uns kein Frühling wieder
 Will kehren nach der Jugend Tagen,
 Daß Bäumen gleich mit kahlen Ästen
 Wir winterlich zum Himmel ragen!
 
 Daß sich mit Blüten und mit Düften
 Allimmerdar der Lenz erneut,
 Indes das Schicksal auch nicht eine
 Der Blumen auf den Weg uns streut!
 
 Doch möchten wir uns nur bespiegeln
 Im tiefen Born des Selbsterkennens,
 Wir fänden selbst, als abgestorben,
 Uns wert des Fällens und Verbrennens.
 
 Es wäre auch in uns oft wieder
 Ein neuer Frühling aufgewacht,
 Wenn nicht der Herzen eis'ge Kälte
 Ihn rasch erstarren hätt' gemacht!
 
 Mondnacht im Gebirge
 
 So stumm und reglos ruhen Berg und Tal
 In vollem Mondenlicht,
 Fern in den Lüften webet leiser Hall;
 Die Stille unterbricht
 Nur hurtiges Wassergerinne,
 Silbern schäumend;
 Es ist als ob die Welt
 Auf etwas sich besinne,
 Das ihr entfällt,
 Das unterdess'
 Sie wieder vergess',
 Weiter träumend.
 
 Doch nie und nimmer kommt die eine Nacht
 Im hellen Vollmondlicht,
 Wo sie, den Traum abschüttelnd, auferwacht,
 Wo sie ihr Schweigen bricht.
 Es mögen die Wasser versanden
 Und versiegen,
 Es mag der Menschen Herz
 In weher Sehnsucht Banden
 Vergehn vor Schmerz; —
 So vor wie nach,
 Sie bleibet gemach
 Und verschwiegen.
 
 So strecke dich denn auf das weiche Moos,
 Blick auf zum Himmelsraum
 Und wähne dich wie auf der Mutter Schoß
 Und träum ihn mit den Traum.
 Dann wird, was das dämmernde Weben
 Rings verklärte, —
 Die selbstvergessne Ruh, —
 Auch froh die Brust dir heben:
 "Wie schön bist du,
 Monderhellt,
 Herrliche Welt!
 Mutter Erde!"
 
 Die Spinnen und die 
				Fliegen
 Eine Fabel
 (März 1873)
 
 In einem Schlößchen, das verlassen
 Und darum halb verfallen stand,
 Herbergten in den öden Räumen
 Viel Dutzend Spinnen an der Wand.
 
 Gesundheithalber aber mochte
 Der letzte der Insassen hier,
 Zerbrochne Scheiben nicht vertragen,
 Und flickte alle mit Papier.
 
 Er schnitt dadurch den vielen Spinnen
 Der Nahrung Zufuhr gründlich ab,
 Von außen kam nicht eine Fliege,
 Wie es bald innen keine gab.
 
 Die netzewebende Gemeine
 Die wußte nicht, wie ihr geschah,
 Und war nach langem grimmen Fasten
 Dem bittern Hungertode nah'.
 
 Da ward für den, der Kraft noch fühlte,
 Die Selbsterhaltung zum Gesetz,
 Er lud beim Schwächern sich zu Gaste
 Und fraß ihn auf im eignen Netz.
 
 Doch als zu höchst die Not gestiegen,
 Da fügte sich, daß vor dem Schloß
 Ein muntrer Knab' vorbeigezogen,
 Den Langeweile just verdroß.
 
 Er raffte Kiesel auf vom Wege,
 Und nahm die Fenster sich zum Ziel,
 Nur wenig heile Scheiben blieben
 Nach diesem ritterlichen Spiel.
 
 Und durch die Lücken schwärmten Fliegen
 In Hülle und in Fülle ein,
 Die Spinnen sagten: "Gottes Güte
 Regierte sichtbarlich den Stein!"
 
 Sie falteten die Vorderbeine
 Und dankten ihm, der alle nährt,
 Und haben dann mit frommen Sinnen
 Die Fliegen reinlich aufgezehrt.
 
 Doch meinte deren Schwarm hinwieder —
 Der rings bestrickt vom Tod sich fand —
 Die Scheiben habe ausgebrochen
 Der Satan mit selbsteigner Hand.
 
 Entging den grimmen Stricken eine,
 Durch Gottes Huld hielt sie sich frei,
 Und ward sie dennoch aufgefressen,
 So meint sie, daß es Prüfung sei.
 
 Das gilt von Fliegen und von Spinnen,
 Die an Vernunft nicht überreich,
 Doch sind wir klugen Menschen ihnen,
 Gottlob, in keinem Punkte gleich.
 
 Der Frömmste in seiner 
				Art
 (August 1878)
 
 Das war der Frömmste in seiner Art –
 Ich weiß nicht, wie er hieß, –
 Den hat der Teufel zur Höll' genarrt.
 Da war' das Paradies.
 
 Er schund und zwackte die Seele ihm
 Und quält' ihn windelweich,
 Und frug mit höllischem Spott und Grimm:
 "Ist's hübsch im Himmelreich?"
 
 Bescheiden flüstert der Frommen Zier:
 "Je nun, das Ding hat Welt,
 Doch frei gestanden, ich habe mir
 Das netter vorgestellt.
 
 Ich klopf' bei jeglichem Zwick und Zwack
 Demütig an die Brust,
 Und denk', es fehlt mir noch der Geschmack
 An solcher Himmelslust.
 
 Mir macht auch, trotz all des argen Scheins,
 Nicht Grübelei Verdruß,
 Da alles, besser wie unsereins,
 Der Herrgott wissen muß!" –
 
 Nun hat die Heiligen allesamt
 Die Kunde tief erschreckt,
 Daß eine Seel, die gar nicht verdammt,
 Im Höllenpfuhle steckt.
 
 Sie drängen vor und sie bitten für:
 "Erlös ihn aus der Pein,
 Und laß zur goldenen Himmelstür
 Die arme Seele ein!"
 
 "Ja," spricht der Herre, "wie ist mir nur?
 Wie komm' ich da zum Schluß?
 Hat meiner prangenden Erde Flur
 Betreten nie sein Fuß?
 
 Ist er wie blind denn vorbeigerannt –
 Gelockt nicht, noch erfreut, –
 An all der Pracht, die mit reicher Hand
 Ich dort umhergestreut?
 
 Und wenn ihm da noch der Unterscheid
 Von Lust und Qual gebricht,
 Je nun, da tut er mir selber leid,
 Doch helfen kann ich nicht.
 
 So mag er denn leiden ohne Grund,
 Bis es ihn selbst verdrießt.
 Einstweilen laßt mir den Esel unt',
 Bis daß er klüger ist!"
 
 Nach blutigen Wochen
 (Januar 1884)
 
 Wenn ihr mit starrendem Entsetzen schauet,
 Wie alle Schranken, die ihr aufgebauet,
 Die Fäuste blut'gen Frevels niederbrechen,
 Ohn' Furcht vor eurem Rasen, eurem Rachen,
 Dann rufet "Mord" ihr durch die stillen Gassen,
 Ihr wißt euch nicht zu sammeln, nicht zu lassen
 Und glaubt, der Zeiten letzter Tag beginnt!
 Seid ihr denn blind?
 
 So war's gewesen noch zu allen Zeiten,
 So wird es immer sein, so oft zu streiten
 Der Überfluß — der für die Hundert zehret
 Und diesen auch das Nötigste verwehret —
 Und Armut — die an ihren welken Brüsten
 Nicht nähret mehr als brennend' Nachgelüsten —
 Den letzten, heißergrimmten Kampf beginnt.
 Seid ihr denn blind?
 
 Ihr seht die wilde Jagd nach dem Genusse,
 Die Scharen knirschend unter ihrem Fuße,
 Und über dem Gewirre, dem Gehaste,
 Gleich einem Blitz, erlischt mit jähem Glaste,
 Wie einst in Romas götterlosen Tagen,
 Das heil'ge Pflichtgefühl, das ernst' Entsagen,
 Daß keiner sich darauf zurückbesinnt.
 Seid ihr denn blind?
 
 Was man von Lieb', der ihr berühmt euch heute,
 In dieser Zeiten dürft'ge Schollen streute,
 Das faßt sich zwischen zweien Fingerspitzen,
 Manch Korn bleibt noch an feuchter Pore sitzen, —
 Doch Haß, den streuet man mit vollen Händen!
 Was fraget ihr, wie solches Tun mag enden
 Und wie der finstre Dämon Macht gewinnt?
 Seid ihr denn blind?
 
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