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Du sollst nicht stehlen
Gedichtesammlung

 

Aus Schlesien
Frühling
Anna Marie
Der ungarische Geiger
Neue Götter und alte Leiden

 
Du sollst nicht stehlen!
Auf Reisen

 

Aus Schlesien


Die Reiche kutschieret in die Bäder,
Jagt schwängerndes Wasser ins Geäder:
Sie möchte Kinder gebären,
               Und küßt den heiligen Rock.
Es kauert die Arme verlassen zu Hause,
Bei nüchternem Trank und magerem Schmause,
Und brütet in Mutterzähren,
               Und hat ein ganzes Schock.

Ein Leineweber im dürftigen Städtchen,
Der war geschlagen mit Buben und Mädchen.
Hat sich für Reiche bemühet,
               Blieb arm zu jeder Frist.
Was weiter? Es ist die alte Geschichte
Vom angezündeten Kerzenlichte,
Das Anderen willig glühet,
               Und selbst im Sterben ist.


Es sprach das lüsterne Weib zum Gemahle:
"O Klaus! Kartoffeln in der Schale —
Ein Gläschen Wein zum Schmause —
               Wie brennt mein Herz darauf,"
Es sprach der Mann: "Du kindische Liese,
Wir leben ja nicht im Paradiese;
Uns fehlt das Brot im Hause,
               Das Letzte zehrten wir auf.

Doch Gott verläßt ja nimmer die Frommen!
Als meine Schwester den Spinner genommen,
Sie buck und barg zwei Brote
               In ihrem Kämmerlein:
Man sagt, dann fehlt es nimmer und nimmer
An Brot im Haus, für des Kindes Gewimmer,
Geh, wasche Dir die Pfote,
               Und hole das Futter herein."

Sie tat es; sie lief auf nackten Sohlen
Mit ihren Bälgen das Brot zu holen;
Hart wars wie Straßenpflaster,
               Drei Monde war es alt —
Sie tätens mit lauem Wasser begießen,
Es aufzulockern und rasch zu genießen;
               Doch beteten erst die Faster —
Solch Mahl wird ja nicht kalt.


Er sprach zu seinen Mädchen und Knaben:
"Einst las ich vom Fugger, der ist begraben!
Oft borgte von ihm der Kaiser
              Wohl Gold und Edelgestein.
Einst lud er den spanischen Karl zum Essen,
Und als sie die Sorgen beim Becher vergessen,
               Warf er in die zimtenen Reiser
Des Kaisers Wechsel hinein.

Das war ein herrlicher Mann, o Kinder!
Ein Weber wie ich, nicht mehr, noch minder.
Man gab ihm Adel und Wappen,
               Der Würden mehr und mehr.
Er half den Armen von Not und Schande,
Gab Brot und Geld und Wintergewande,
Ging selbst in gewöhnlichen Lappen —
               Doch das ist lange her.


Frühling

Der Winter läßt die Welt
          mit schwermutvoller Regung,
Sie folgt dem neuen Geist
          beglückender Bewegung.
Kaum sproßt der erste Flaum
          des Gartens schlankem Sohn,
Da trägt er stolz das Haupt
          und träumt von Früchten schon.

Es wandert ungestüm
          das Gras ins Reich des Lichts,
Ein neubegierig Kind,
          das frohen Angesichts
Vom engen Hüttlein schied,
          und auf der ersten Fahrt,
Die fremde Pracht bestaunt,
          die rings sich offenbart.
Daß es noch Sorgen gibt,
          noch Trug und blindes Wüten,
Der Schöpfer merkt es nicht,
          er liebt und spielt mit Blüten!
Das Lämmerwölkchen zieht,
          der Falter gaukelt lose,
Braut ist die Nachtigall
          und Mutter wird die Rose.


Beneidenswert, der nun
          in frischer Wanderlust,
Das Alpenröslein küßt,
          und nimmt an seine Brust;
In lauschigen Wäldern hört
          der Vögel Liebeszanken,
An stolzen Bäumen mißt
          die wachsenden Gedanken;
Die ernste Heide sucht,
          in Wunderhöhlen dringt,
Von uns, die Mißgeschick
          fest an die Scholle zwingt,
Das freie Weltmeer grüßt
          mit lautem Jubelschalle,
In seiner Flut genest
          und selig ist für Alle.

Gesegnet zieht er fort
          und selber Segen spendend.
Wo seine Kirche steht?
          wo seine Träne fällt!
Rasch an einzig Bild
          sein maßlos Glück verschwendend,
Ruft er: Du reicher Gott,
          was kostet Deine Welt?


Beglückt, der nun daheim
          an seinem trauten Herde,
Mit Weib und Kind begeht
          das Wiegenfest der Erde.

Vor wenig Wochen noch
          geknickt und finster brütend,
Sein bißchen Bürgerwohl
          haushälterisch behütend:
Als nahm er seinen Hut,
          und schloß die Türen leise,
Und stahl sich unvermißt
          aus einem lauten Kreise.
Hast Du den Blick belauscht
          des kinderlosen Mannes,
Wenn er bekümmert denkt
          des gottverhängten Bannes?
Wenn er dem Säugling folgt
mit engelhaftem Zug,


Den ein beseligt Weib
          an ihm vorübertrug?
So sah er traurig nach
          jedwedem Himmelstrost,
Den ihm die Götter nicht,
          die strengen zugelost.
Nun über Nacht so reich!
          nun mustert er begeistert
Sein eignes Herz, und schaut
          im klaren Spiegelbilde,
Was draußen die Natur
          im Großen schafft und meistert:
Genesung, Poesie,
          die Kraft verlobt der Milde,
Die Freiheit und den Fleiß,
          die Ahnung und das Leben,
Der Wunder höchstes auch:
          den Frieden bei dem Streben.

Hast einen Vater Du
          mit namenloser Güte,
Siehst bang auf seinem Haupt
          die weiße Kirchhofblüte,
Siehst, daß der Teure rasch
          verflackert und verdirbt,
Bist Du beneidenswert,
          wenn er im Lenze stirbt.


Da mahnet Dich kein Schnee
          stets an das Leichenlinnen,
Es stöhnt kein nackt Gezweig:
          o, daß mein Laub von hinnen!
Je reicher um das Grab
          sich wölbt das frische Moos,
Je reicher wächst der Trost
          um Dein gekränktes Los.
Beneidenswert, dem nun
          im schön geknüpften Reigen,
Wie Lerchen aus der Brust
          die jungen Lieder steigen.
Doch wen um diese Zeit,
          da die Natur genesen,
Die Liebe küßt, der bleibt
          vor Allen auserlesen.
Er herrscht ein milder Fürst
          im unbegrenzten Raum,
Ihm schmeicheln wonniglich
          das Leben und der Traum.


Du bist beklagenswert,
          Du nackter Sohn der Not,
Bekümmert klepperst Du
          nach Deinem schwarzen Brot.
Du pflückest nicht verjüngt
          die Unschuld der Gefühle,
Die früh Dir abgedorrt
          in Deiner Sorgen Schwüle.
Ein Lied aus Kinderzeit,
          — Du hast es halb vergessen —
Ist Dir des Frühlings Lust,
          ein Schatz, im Traum besessen.
Der Berges Majestät,
          des Gartens Herrlichkeiten,
Des Waldes grünes Haus,
          Du siehst es — wie im weiten.
Den Gassen mußt Du Dich,
          dem Markt gefangen geben,
In diesen Adern keucht
          Dein unglückselig Leben.


Ach, heißt es Leben noch,
          tagüber ohne Rast
Zu werben um ein Joch?
          sich sehnen nach der Last?
An Dir vorüber läuft
          zum Markt ein Knabe hin,
Den Käfig in der Hand,
          die Vögel zwitschern drin;
Mit nackten Sohlen rennt
          ein Kind von Haus zu Haus,
Ein Körbchen in der Hand,
          die Blumen sehn heraus.
Du siehst der Kinder Not,
          die gleich der Poesie,
Der Liebe gleich sich nährt
          von Duft und Melodie —
Und rufst erstaunt: O, Weib,
          Gott hat den Lenz gegeben!
Ich weiß es, klagt sie dumpf:
          Gott hat den Lenz geschickt!
Stets länger wird der Tag,
          den wir in Qual verleben,
Stets kürzer wird die Nacht,
          die segnend uns erquickt!


Anna Marie

Zertrümmert ist ihr Fensterlein,
Kein Meister will es verglasen;
Sie leimt davor ein weißes Blatt,
Der Regen schäumt und macht es satt,
Die Stürme blasen und rasen.

Ach, Anna Marie, sie kann nicht mehr
In Kranze die Röselein binden,
Denn ihre Schmach ist laut und groß:
Ein Knäblein wimmert in ihrem Schoß
Der Vater? Wer will ihn finden?

"Was trug sie das Lärvchen so stolz zur Schau?"
So eifert die Witwe hüben;
"Was trug sie die Blumen von Haus zu Haus?
Kam selber geknickt und zerpflückt heraus" —
So geifert die Jungfer drüben.

Sie hat ihn geliebt, den leichten Mann,
Nun lebt er im fernen Lande;
Dort ruht er an dieser und jener Brust,
Und liebelt und schwört — und hat die Lust
Die Mädchen haben die Schande.


O, dies geborstene Fensterlein,
Um das die Wetter grollen, —
Die Armut, die so ehrlich blieb —
Sie hätten dem frechen Ehrendieb
Zum Herzen sprechen sollen.

Es kam des geadelten Wechslers Frau
Mit einem Junker nieder.
Sie suchte die Amme mit reichem Gespinn,
Mit sorglichem Blick, mit Huld im Sinn
Und auf den Lippen die Lieder.

Nun, Anna Marie war jung und mild;
An Liedern wirds nicht fehlen:
Sie hat ja geliebt, drum kennt sie den Traum
Vom Feenpalast, vom singenden Baum
Und von den bezauberten Seelen.

Sie gibt ihr sprudelnd gesundes Blut
Dem kleinen durstigen Prasser;
Die Frucht von ihrem eigenen Leib
Erzieht ein ärmliches Bauernweib
Mit Schlägen und mit Wasser.


Der Junker gedeiht; die Mutter jauchzt,
In Tränen lächelt die Amme;
Sie kauft mit ihrem geringen Lohn
Das Hemd und das Kleid dem fernen Sohn,
Dem hingeopferten Lamme.

Und darf sie des Sonntags zum Kind heraus,
Den Säugling an den Brüsten;
Und sieht das bleiche verkümmerte Bild:
Dann ists ihr, ob die Himmlischen wild
Und ewig sie strafen müßten!

Sie streichelt und küsset mit zitternder Gier,
Und wecket auf den Kleinen —
Der kennt und will die Mutter nicht —
Ach, und an ihre traurige Pflicht
Mahnt sie des Junkers Weinen.

Die Wochen gehn, das Jahr ist um,
Und um ist ihre Pflege.
Man schreibt ihr ins Zeugnis: ehrlich und gut,
Man schenkt ihr einen verwitterten Hut —
Kann gehen ihrer Wege.


Ihr Kind ist tot. Nie will sie mehr
In Kränze die Röselein flechten.
Da kommt ein altes Weib daher:
"Mein Töchterchen, dienen ist gar so schwer
Was willst Du bei den Schlechten?"

"Ich hab ein niedliches Kämmerlein,
Hab Perlen für die Haare,
An Essen und Trinken fehlt es nie,
Die Lust ist groß!" — O Anna Marie,
Daß Gott Dich in Gnaden bewahre!


Der ungarische Geiger

"Schwarzer Hund mit Zottelhaaren,"
Ruft der Erste, "geige milder!" —
"Noten werbender Husaren,"
Ruft der Zweite, "geige wilder!" —
"Tusch und Ständchen! Meine Braune,"
Ruft der Dritte, "ging zu Bette!"
Rufen andre: "Weine, raune
Wie der Pfarrer in der Mette!"

Sieht der Geiger im Entsetzen
Die geballten Fäuste spielen:
Wem gefallen? Wen verletzen?
Wem gehorcht er von den Vielen?
Stemmt sich nicht dem tollen Wüten,
Gnade sieht die bange Miene,
Ach, nur hüten will er, hüten
Seine holde Violine.


Ist er doch von Gott gekettet
Ihr ein treugesinnter Gatte,
Nächtlich neben ihr gebettet
Auf verfaulter Binsenmatte.
Mit dem Mantel sie bedeckend
Halb verwittert, halb zerrissen,
Und sie hüllend und versteckend
In des Strohes warme Kissen.

Wenn in ihm ein Lied gereifet,
Mit des Abendglöckleins Tönen,
Wie er nach den Saiten greifet,
Nach den Pulsen seiner Schönen!
Wonnehauchend wird sie beben,
Wenn die heißen Fingerspitzen
Ihr das tiefentschlafne Leben
In der keuschen Brust erhitzen.

Birst die Saite schrill und schaurig,
Dann, wie bang ist seine Miene,
Dann, wie neigt er sich so traurig
Zu der teuren Violine:
O, sie schläft im stummen Harme,
In der Ohnmacht dumpfem Frieden,
Wie die Mutter, der im Arme
Das geliebte Kind verschieden.


Wie der Jude schleppt die alten
Buntgeflickten Trödelwaren;
Romas Kind die Gipsgestalten
Schaukelt auf den schwarzen Haaren,
Wie sein Murmeltierchen führend
Der verwaiste Savoyarde:
Zieht mit seiner Fidel, rührend,
Durch die Welt der braune Barde.

Seht, wie sie im tollen Sturme
Aus den Arm zum Schlage holen,
Ihren Sänger, gleich dem Wurme,
Treten mit den rauhen Sohlen!
Stemmt sich nicht dem blinden Wüten,
Gnade fleht die bange Miene,
Ach, nur hüten will er, hüten
Seine treue Violine.


Neue Götter und alte Leiden

1.
Auf unserer lieben Erden
Will Alles nun heilig und selig werden!
Wohin Du freudig siehst,
Wohin Du traurig ziehst und fliehst —
Allüberall die frommen Gebärden,
Und Predigtverdauende Herden!
Sie häuten neu den alten Glauben
An allen Enden und Ecken,
In allen Höhlen und Hecken,
Auf allen Märkten und Flecken.
Des heiligen Geistes Tauben,
Sie fliegen Dir zu jeder Stund
Schon völlig gebraten in den Mund.


2.
Es kehren in Schwärmen ein
In Frankfurt, am gelben Main
Unbärtige und bärtige Rabinen,
Mit hochgelahrten Mienen.
Seht, das Gerüst ist aufgeschlagen;
Kaum ists mit Worten zu singen und sagen,
Wie sich die Meister plagen.
Sie weisen mit großen und kleinen Besen
Das altergraue Judentum;
Ihr heiser erschriener Ruhm
Ist wörtlich in den Blättern zu lesen.
Zwar bleibt es nach wie vor beim Alten,
Doch sagt sich Jeder zufrieden und leise:
Ich habe die herrlichste Rede gehalten.

Des Abends ist Nathan der Weise!


3.
In Laurahütte — o duftiger Namen —
Es klingt darin ein volles Saitenspiel,
Ihr lieben Herrn und Damen;
Es klingt darin so viel, so viel
Von Schwärmerei und tiefem Gefühl.
In Schneidemühl —
Wie bohrt es und sägt es und hackt es,
Wie saust es und braust es und packt es
Mit diesem schneidenden Worte!
Dort hat man an heimlichem Orte
— Ja hört und schaut —
Die allerneueste Leiter gebaut
Zur himmlischen Pforte.
Sie krabbeln und klettern an den Sprossen,
Das hat die Römischen weidlich verdrossen.


4.
O, kohliges Halle an der Saale,
Dir ward ein Retter in deinen Nöten,
Wie wirst du hell mit Einem Male!
Ausbrachen die jungen Morgenröten
Lichtfreundlich im Land des Kaisers von Köthen.
Das Tröpflein Öl in den Kirchenlaternen,
Mit dem man bis zu dieser Frist
Den Weg gesucht zu den seligen Sternen —
Wie brennt es so dunkel, so trist
In diesen lichtbedürftigen Zeiten!
Man muß ein flackerndes Gas bereiten.
Zwar kommen die Wächter mit Eimern und Spritzen,
Doch wird das Löschen wenig nützen,
Bloß Lärmen gibt es und neue Pfützen.


5.
Ja, wenn ichs im Stillen so recht bedenke,
Und mich in den Geist der Zeit versenke:
Da sitzt vielleicht in ferner Schenke
Ein weiser jetzt noch unbekannter Mann,
Und brütet, was er brüten kann;
Und wärmt und pflegt
Vielleicht schon wieder ein neues Ei,
Das er in frommer Schwärmerei
In einen Winkel hingelegt.
Noch ist es jedem Blick verborgen;
Doch merket auf und habet Acht!
Wenn ihr an einem schönen Morgen
Nichts Böses ahnend auferwacht:
Da wird es piepen und gackern und singen
Bis zum Erbarmen schön,
Daß uns vom wonnigen Gestöhn
Bis an den jüngsten Tag die Ohren klingen.

6.
Am wildesten ist hinterher das Weib,
Wie hinter allen neuen Moden;
Für ihre Seele braucht sie die Pagoden,
Wenn ihr der Buhle fehlt für ihren Leib.
O Zungenlust! O Zeitvertreib!
Hinz schrieb voreinst Hexameter und Oden,
Romane mit verliebten Episoden —
Nun träg und feist, an Witzen bankerott,
Kam ihm zur rechten Zeit der neue Gott.
Ist schleunig unter die Propheten gangen,
Ließ sich vom Volk auf Händen tragen,
Und zechte brav an heiteren Gelagen,
Und brauchte nicht, wie sonst, nach Geld zu langen.


7.
Wer Weib und Kind, ein Häuschen gar besitzt,
Drei Brausepülverchen das Blut zu stillen,
Der sagt sich klug: was hilft es itzt
Sich spießen lassen um der Freiheit willen?
Was hilft das volle Glas in der Rechten?
Das Zweckgelag? das Zungenfechten?
Was hilfts zur Kleinheit und Gemeinheit
Zu reden von der deutschen Einheit?

Für jeden Funken gibts ja flugs die Sprühe,
Zehn Wächter gibts für jeden Leu;
Sie gießen täglich neue Geschütze,
Und haben Gold wie Heu;
Und Zipfelmütze bleibet Zipfelmütze,
Ob man sie tricolor bemalt,
Und wöchentlich darin im Kränzchen prahlt.
Ach er genießt nun gern des Lebens Reste,
Im schwarzen Frack und weißer Weste;
Und aus dem warmen Neste
Verkündet er von Zeit zu Zeit
Des neuen Glaubens Herrlichkeit.
Wird er bewacht, nun um so besser:
Er weiß genau, man setzet nicht
An seinen lieben Hals das Messer,
Jedoch sein Name kriegt Gewicht.
Und sperrt man ihn noch obendrein
Zwei kurze Winterwochen ein —
Dann zeichnet ihn gewiß die Stadt
In ihrer Chronik auf das erste Blatt.


8.
Die Wäscherinnen stehn am Troge,
Und plätschern in der kalten Woge,
Die losgelassenen Zungen brausen.
Flugs wandeln sich die zarten Damenkrausen,
Die Kinderhemdchen auch in Religion!
Der alte Papst auf seinem heiligen Thron,
Der bleiche Ronge — sein verlorner Sohn,
Sie ahnen nicht, wie zu gemeinem Hohn
Die rohen Hände sie zerzausen.
Du streckst dich noch im süßen Morgenschlummer,
Da pochts an deinem Kämmerlein.
Es tänzelt der Barbier herein,
Der Kirchenstreit, der ist sein größter Kummer.
Er spricht und spricht und immer wird er wärmer;
Es zittert seine Hand in frommer Wut,
Und er vergießt dein schuldlos Taubenblut,
Der sonderbare Schwärmer.

9.
"Was willst du", rufet ihr entrüstet aus,
"Mit schlechtem Spott in diesen ernsten Stunden?
Sangst du nicht selber ungebunden
Das Lied vom Licht in Sturm und Nacht hinaus?"
Euch klaget an, doch nimmer mich!
Wer hielt im heißen Kampf? wer wich?
Bei meinem Banner bin ich stehn geblieben:
Was ich geliebt, ich kann es lieben
Bis ausgeströmt mein letztes, bestes Blut.
Nie hab ich bloß getändelt mit der Glut.
Ihr aber wandelt in die Nacht zurück,
Und spielet mit der Glut, und sorget minder,
Ihr Frommen, für das Erdenglück,
Als für das Himmelreich der Menschenkinder.
Bei Gott! es wäre nicht die größte Sünde,
Und bannen könntet ihr so manchen Schmerz,
Wenn öfter euer Herz
Als euer Tempel offen stünde!


10.
Ihr Herrn! ich bin fürwahr ein guter Christ,
— Obgleich ihr gern und viel zu sagen wißt
Vom Judentume meiner Ahnen —
Doch eure Bahnen sind nicht meine Bahnen!
Mein Glauben wächst im Freien wild,
Der blauen Blume gleich im Korngefild;
Ich zieh ihn nicht zur Augenlust
Des bibelfesten frömmelnden Gewimmels
Vor meinen Fenstern auf, an dürren Stecken;
Ich trag ihn nicht, ein Bräutigam des Himmels,
Ich trag ihn nicht wie alte Gecken
Als einen Strauß ausfordernd an der Brust.
Fürwahr, ich spotte nicht der Braven,
Der Schützen, die mit Pfeil und Bogen
Gen Wahn und Vorurteil gezogen,
Und scharfen Blicks ins Schwarze trafen;
Doch kann ich mir es nicht verhehlen:
Ich seh entrüstet zu dem wüsten Treiben,
Wie sich die holden Völkerseelen
Ins Jenseits nur den Freibrief schreiben,
Und Sklaven auf der Erde bleiben.


11.
Ersparet euch, geweihte Himmelsritter,
Das Volk mit Frömmigkeit zu letzen.
Sein Hirn ist wund vom Kreuzessplitter,
Und angefüllt mit ungenähten Fetzen —
Was Wunder, wenn der Wahnsinn es ergreift?
Schon seh ich, daß es wild die Messer schleift,
Der Bruder wird dem Bruder zum Entsetzen.
Ihr Herrn, die Fahrt im Land auf Gottes Kosten,
Dies Predigen im Westen und im Osten,
Erlaubt — mir scheints ein stilles Hetzen.
So streichelt man die Hunde mild,
Wenn man sie treiben will aufs schwarze Wild.
Ich will euch sagen was ins Ohr:
Die Hungersnot ist vor dem Tor,
Die Leute klagen nicht, sie jodeln und scherzen,
Und das ist schlimm! Ich kenne die Menschenherzen.
Wollt ihr, daß noch zu dieser Not
Ein Glaubenskrieg mit überreizten Nerven
In stille Hütten mag den Pechkranz werfen?
Dies blutige Licht, ihr nennt es Morgenrot?

12.
Der Schöpfer wird sich selber schon beschützen!
Was muß das Volk für ihn das Blut versprützen?
Noch gibt es viel zu tun auf Erden!
Muß nicht das Menschenrecht behütet werden,
An das mit starker Faust die Willkür tastet?
Gibts keine Herzen unsäglich belastet?
Sind alle Wunden der Geschichte vernarbt?
Lebt keiner mehr, der friert und darbt?
Gibts keine Tränen heiß und schwer
In diesem Leben zu trocknen mehr?
Ist wirklich schon das große Werk bestellt?
Und gibts so viel des Glücks in der Welt,
Daß ihr die Freudenfeuer zündet,
Daß ihr bacchantisch durch die Länder streift?
Und sind wir wirklich schon herangereift
Fürs Himmelreich, das ihr verkündet?


13.
"Was willst du?" rufet ihr entrüstet aus,
"Wir bauten hier und dort ein frommes Haus.
Wir stellen Lehrer, die mit weisen Bildern
Dem Volk die Menschen aller Zeiten schildern;
Wir haben hier und dort ein Stift
Und suchen die Verderbnis gern zu mildern;
Wir teilen aus die heilige Schrift,
Es soll der Mensch zum Tiere nicht verwildern."
Habt Dank, habt Dank! Gewiß, die armen Leute,
Sie werden nun dem Bösen nicht zur Beute;
Sie werden nimmer morden und stehlen,
Sie werden gereinigt von ihren Fehlen; —
Doch fürcht ich, müssen auf Kosten der Seelen
Die Leiber dem Hungertod erliegen!
Laßt immerhin bereit
Die Tauben des heiligen Geistes fliegen:
Nur muß der arme Mann von Zeit zu Zeit
Ein Stückchen irdisch Fleisch zur Speise kriegen.

14.
Wer Gott in seinem Eingeweide trägt,
Der wird ihn schon nach seiner Art verehren!
Und wem er nicht im Herzen schlägt,
Der ist vielleicht für Heute zu bekehren,
Doch morgen ist er wieder starr und hohl.
Laßt ihn getrost zur Hölle fahren!
Ach, gut zu werden, läßt sich lehren wohl,
Doch nicht erlernen, nicht in tausend Jahren.
Wohl unter Hunderten ist Einer kaum,
Der niedertaucht bis an den Grund der Kunst,
Die Meisten schlürfen flüchtig nur den Schaum;
Es wird nur Wenigen die Gunst
Zu lieben mit dem allertiefsten Herzen:
Den Meisten ist es bloß ein eitles Scherzen,
Nur Turteltaubenspiel und Spatzenbrunst.
Ihr Herrn, so ist es mit dem hohen Meister!
Dem Pöbel ist er doch ein Götze nur.
Es wandeln seine Spur
Doch ohne Furcht, allein — die Geister.
Glaubt, wenn ihr glauben könnt und wollt,
Doch glaubt nicht, weil ihr glauben sollt!
 
15.
Sagt, was ist der Sonntag dem Volk? O war er ein Sonntag!
Aber er ist ihm der Karren allein, fortschleppend den Kehricht,
Den es die Woche hindurch im verpesteten Herzen gesammelt:
Tücke, Verleumdung, Betrug und namenlose Gemeinheit.

Endlich erscheint von Glocken begrüßt der erlösende Sonntag.
Siehe, da fegt es den lagernden Staub von Gewand und Bewußtsein,
Spielt zwölf Stunden den Leu in der struppigen Mähne des Hochmuts;
Sucht die Begier, die versteckte hervor und berauscht sich darinnen
Hastig und roh, wie der täppische Knecht im gestohlenen Weine,
Den er im Schranke verbirgt, bis ihn die Minute begünstigt.
Denn es bezeichnet genau den gewöhnlichen Menschen, den Fronknecht,
Daß er sich müht sechs Tage hindurch in verächtlicher Demut,
Jedes Erinnern an Recht und Natur tyrannisch zurückweist,
Dämpfend mit rechnendem Sinn des Gedankens göttlichen Wachstum.
Trinken läßt er das Herz von keiner erquickenden Freude,
Ehe der Festtag naht, den Gesetz und die Sitte der Väter
Friedlichen Christen zur Lust für Körper und Seele bestimmten.

Betzeit ists! Nun lerne Geduld, du hetzender Reiter!
Fuhrmann zügle das Roß in des Tempels Revieren! Es gelle
Kein entweihend Geräusch in der Andacht flüsternd Bekenntnis!
Rufet zu dir, du redlicher Arzt, ein bekümmerter Gatte:
Sollst ihm erretten das sterbende Weib — du fliegst in den Wagen —
Fort im Galopp — an der Kirche vorbei — du wagst es, Verruchter?
Trotzest dem ernsten Gesetz? Du wagst es, den Himmel zu stören,
Gibt er den Frommen Gehör um Zehn am geheiligten Sonntag?
Siehe, da lauert und späht ringsum der bewaffnete Friede,
Zügelt das rasche Gespann, blind wütet der rostige Säbel,
Strafeverkündigend hält er dich fest mit amtlicher Rohheit,
Während die Kranke verlischt des Erhalters vergebens gewärtig,
Und ihr entfesselter Geist auf törichte, menschliche Satzung
Lächelnd herniederblickt und voll von unsäglicher Wehmut.

Schwer hat die Welt euch versucht, drum hebt ihr die schwärmenden Augen
Gern zum Gekreuzigten auf, drum bettet ihr gern das Gewissen
Aufs trostflüsternde Blatt der ewig grünenden Bibel —
Wäret ihr wirklich fromm, dann brauchtet ihr nimmer zu frömmeln.

16.
Heraus, heraus,
Aus Deinem Schneckenhaus!
Du träge zaudernde Zeit,
Die Flügel sind für Dich bereit.

In andre Himmel schwinge Dich geschwind,
Geliebtes Menschenkind,
In schönere, als jene sind
Von denen deine falschen Propheten
Dir sagen und singen
In ihren erheuchelten Gebeten.

Du sollst nicht betteln, Du sollst erringen!

Laß Deinen Bruder nicht zum Raube
Der Willkür und des Elends werden:
Das sei allhier auf Erden
Der gute, der wahre, der einzige Glaube!

Gott wollte Dir des Herzens Reinheit gönnen,
Drum ging durch Blut und Feuer Deine Bahn;
Du aber hast Dich nimmer säubern können
Von Deinem Schlamm und Deinem kranken Wahn.
Du hörst nicht, was die Weltgeschichte spricht!
Ich seh Dich an den Felsen fest geschlagen,
Ich seh an Deiner Brust den Geier nagen,
Doch ein Prometheus bist Du nicht!

Du sollst nicht stehlen!

1.
Mählich werden matt die Tänzer,
Und die Geigen sind verstummet;
Keine neckischen Masken schwätzen,
Und den Saal verläßt der Russe.

2.
Harrt der Diener ernst und stille,
Leuchtet seinem Herrn zu Bette,
Ordnet flink die seidenen Kissen,
Und entkleidet ihn behende.

3.
Schläft der Herr? O, nein! er höret
Immer noch die süßen Lieder;
Möchte wissen den Namen der Schönen,
Die sein stolzes Herz besiegte.

4.
In der Hand das blanke Messer,
Hohlen Blicks, gebäumten Haares,
In der Linken die Blendlaterne,
Schleicht der Diener in die Kammer.

5.
Lüpfet die Gardinen leise;
Ruht der Herr, als ob er träumte; —
"Fest und selig schlummert er weiter,"
Also spricht der Knecht getäuschet.

6.
Ängstlich öffnet er den Kasten —
Kramt und findet — schließt ihn hurtig
Schleicht mit niedergekämpftem Atem
Großen Schritts in seine Stube.

7.
Leise steigt der Herr vom Lager,
Zornig funkeln ihm die Augen,
Und er spannet den Hahn der Waffe
An der offnen Tür — und lauschet.

8.
In die Hand das Haupt gestützet,
Sitzt der Knecht an seinem Tische:
Schreibt ein Briefchen mit plumpen Zügen,
Tränen fallen schwer dazwischen.

9.
Nah und näher schleicht der Russe,
Milder schon, doch neubegierig;
Schaut ihm forschend über die Schulter;
Schreibt er wohl an seine Liebste?

10.
Nein! Er schrieb: "Du alter Vater,
Ja, ich muß, ich will Dir helfen!
Doch ich bin ja selbst ein Armer!
Willst Du, daß ich stehlen gehe?

11.
Nimm das Geld! Ich hab gestohlen!
Vater, bete zum Erlöser,
Daß er mir von seinem Throne
Einst Verzeihung senden möge!

12.
Schaffen will ich und verdienen,
Von der Streu den Schlummer hetzen,
Bis ich meinem braven Gebieter
Das Geraubte kann ersetzen."

13.
Gehn dem Herrn die Augen über,
Sagen will er: Wackrer Bursche,
Nimm die Freiheit und die Münzen —
Aber ihm versagt die Zunge.

14.
Nur die Hände legt er leise
Segnend auf das Haupt des Knechtes:
Aber der ist eine Leiche —
Und es brach sein Herz im Schrecken. —

Auf Reisen

Ich sprach im holden Mond der Maien,
Auf Reisen mag es lustig sein!
              Ich mochte das Liebste nicht leiden;
              Mit Freuden dacht ich ans Scheiden;
Fort in die weite Welt hinein,
Es wächst Genesung wild im Freien!

Was schmeichelnd mich von dannen quälte,
Ihr gönntet mirs, das junge Glück.
              Ich flog vom Wagen zu Schiffe,
              Ich stieg vom Tal zum Riffe;
Nur fort und vor und nie zurück! —
Doch als der Herbst die Blätter zählte?

Da wars, als ob er vor mir stünde,
Der deutsche Geist, mit feuchtem Blick!
              Er siechend? ich wieder genesen?
              Ich froh — er traurig gewesen?
Mein Glück, mir schien es Mißgeschick,
Schwer, wie des Vatermordes Sünde.

Da gab ich gern den Göttern wieder,
Ein satter Gott, den Müßiggang;
              Nahm schweigend den Schultern die Flügel,
               Und griff nach irdischem Zügel:
Nach Herzeleid und Kampf und Drang,
Und stieg, ein Mensch, zu Menschen nieder.

Ihr wißt es, schlummerlose Nächte,
Wie meine beste Träne rann
              Den atemlosen Knechten,
              Die mit dem Hunger fechten:
Ich sang das Lied vom armen Mann,
O, daß es Trost und Hilfe brächte!

Laß, Elend, laß den Herd der Brüder
Heil, endlich decke du den Tisch!
              Wann soll es auf der Erden
              O Gott, erträglich werden?
Ich bin an Sehnsucht doppelt frisch,
Drum an Geduld ein doppelt Müder.