| Unbewußt
 
 Manchem sollt' ich Antwort geben,
 Was zum Liede mich bewegt?
 Ob es werde durch das Leben
 Oder tiefer angeregt?
 
 Ja, wer das mit Worten sagte,
 Dies Woher und dies Warum!
 Wenn ich je mich d'rum befragte,
 Blieb ich vor mir selber stumm.
 
 Oft des Abends, wie mir's üblich,
 Wenn ich sinne still allein,
 Überrascht es mich gar lieblich
 Auf dem trauten Kämmerlein.
 
 Meine Sorgen, sie verringern,
 Meine Leiden schwinden dann:
 Rührt es mit den Rosenfingern
 Meiner Seele Saiten an.
 
 Wenn ich oft am Morgen flüchte
 In die freie Gotteswelt,
 Fühl' ich wie vom Wunderlichte
 Meinen Busen rasch erhellt.
 
 Tränen kommen, Worte stocken,
 Rings die Welt um mich verschwimmt,
 Bis des Herzens Silberglocken
 Sich zum Liede sanft gestimmt.
 
 Oftmals wenn ich so am Tage
 Diesen sah und Jene sprach,
 Ruft's mit einem Zauberschlage
 Plötzlich meine Seele wach.
 
 Töne gleiten und erklingen,
 Ach, ich weiß es selbst nicht wie?
 Doch sie lauten und sie singen
 Über Den und über Die.
 
 Wer so zaubrisch mich beglückte,
 Wie es kam und wo und wann?
 Seltsam, daß ich, der Entzückte,
 Nie mir das erklären kann.
 
 Wie ein Kind mit Rosenwangen
 Und mit süßem Liebeskuß,
 Das ich glühend heiß umfangen
 Und für ewig lieben muß:
 
 Also kommt es mir entgegen
 Und verschwindet rätselvoll,
 Daß mir dieser Liebessegen
 Ein Geheimnis bleiben soll.
 
 Die Boten
 
 Der Dichter weilet still daheim,
 Er schickt als Boten Lied und Reim,
 Die ziehen fort in's weite Land;
 Er aber, der sie ausgesandt,
 Er sitzt zu Haus und sinnt und zagt:
 Was wohl die Welt von ihnen sagt?
 
 Die Boten aber wandern fort,
 Sie fliegen schnell nach Süd und Nord
 In eigentümlich bunter Tracht,
 Von mannigfalt'ger Kraft und Macht,
 Von Einem Herzen, reichgeschmückt,
 An tausend Herzen ausgeschickt.
 
 Hier pocht der Ein' an ein Gemüt,
 Worin ein Liebeleben blüht:
 "Tu auf den Rosenkelch, o Herz,
 Ich bin beschieden, deinen Schmerz
 Dir zu enträtseln, klar und rein,
 Und Dolmetsch deiner Lust zu sein."
 
 Ein Andrer tritt zum frohen Mahl,
 Er sieht den reichgeschmückten Saal:
 "Gebt mir auch einen Becher Wein,
 Weiß ich doch fröhlich auch zu sein:
 Mein Liederfüllhorn schütt' ich aus,
 Und Liederduft erfüllt das Haus!"
 
 Ein Dritter naht dem trüben Mann,
 Auf dem der Leiden schwerer Bann:
 "Mich sendet Einer, der dir gleich,
 Der so wie du an Schmerzen reich;
 Die Leidenden versteh'n sich schnell:
 Schlag' ein, du trauriger Gesell!"
 
 So zieh'n sie Alle her und hin,
 Sie suchen Herz, sie suchen Sinn;
 Ein Jeder ist ein Ton der Lust,
 Das Echo einer reichen Brust,
 Ein treuer Spiegel, der dem Geist
 Den Abglanz der Empfindung weis't.
 
 Der Dichter aber weilt daheim,
 Als Boten sandt' er Lied und Reim,
 Die zogen fort in's weite Land;
 Er aber, der sie ausgesandt,
 Er sitzt zu Haus und sinnt und zagt:
 Was wohl die Welt von ihnen sagt?
 
 Dichten
 
 Die ihr prüfet was wir dichten,
 Seht vorerst in eure Brust,
 Um euch früher selbst zu richten,
 Eure Qual und eure Lust;
 Überblickt die feinen Fäden,
 Die das arme Herz umreih'n,
 Und dann dächt' ich, fiele Jedem
 Mitgefühl und Milde ein.
 
 Legt die Schmerzen eures Lebens
 Auf die Waage des Gefühls,
 Jeden Mißgriff eures Strebens,
 Jede Niete eures Spiels,
 All' die Stunden, die der Kummer
 Euch mit stillem Hohn geraubt,
 All' die Nächte, da der Schlummer
 Floh das qualenmüde Haupt.
 
 Dann ermeßt die Seligkeiten,
 Die das Glück euch zugedacht:
 Alle die Vergangenheiten,
 Die euch reizend angelacht,
 Jede Lieb', der ihr begegnet,
 Jede Tat, die euch erhob,
 Jeden Blick, der euch gesegnet,
 Jedes wohlverdiente Lob.
 
 Was an euch vorbeigegangen
 Ist ein Leben reich und bunt,
 Und doch niemals noch entklangen
 Lieder eurem stummen Mund; —
 Aber reicher ist das Leben
 Einer vollen Dichterbrust,
 Weil es Lieder ihr gegeben
 Und Gesang für Leid und Lust.
 
 Ihm hat Alles Glanz und Tiefe,
 Schöner wird der Schmerz durch ihn,
 Und des Lebens Hieroglyphe,
 Wie entdeutet er sie kühn!
 Wie er Kunst und Leben fühlte,
 Was er liebte und was nicht,
 Was er in der Welt erzielte,
 Alles sagt euch sein Gedicht.
 
 Das Gedicht ist eine Blume:
 Reißt ihr sie aus ihrem Beet,
 Aus dem Lebensheiligtume,
 Wo sie knospet, blüht und steht,
 So verliert sie ihre Farbe,
 Hauchet aus den süßen Duft,
 Und die samenreiche Narbe,
 Sie verwelkt in fremder Lust.
 
 Das Gedicht ist wie ein Spiegel:
 Rein und treulich ist das Glas;
 Aber überweht vom Flügel
 Trüben Odems, wird er blaß;
 Die Gestalten alle fließen
 In einander ohne Halt,
 Und die eignen Züge grüßen
 Euch wie fremde trüb und kalt.
 
 Aber wenn die Lieder leisen
 Nachklang fanden im Gemüt,
 Wenn, statt Fehler nachzuweisen,
 Ihr für ihren Sinn erglüht,
 Wenn ihr freundlich, strenge Richter,
 Sie empfangt als Freundesgruß,
 Ei, wie glücklich da der Dichter
 In der Seele werden muß!
 
 In der Seele! denn entflammet
 Wird sie so zu neuem Klang,
 Solchem schönen Drang entstammet
 Bald ein zweiter, dritter Sang.
 Wir ergründen und wir finden —
 Ach, ich weiß es selbst nicht was?
 Doch es ist ein süß Empfinden
 Und ein stiller Jubel das!
 
 Liedesstufen
 
 Wenn der Jüngling geht an's Dichten,
 Ist das Herz ihm übervoll,
 Und er weiß nicht, was berichten,
 Was er von sich sagen soll?
 
 In sich selbst ist er versunken,
 Die Erfahrung ist ihm fremd,
 Und von sich singt er nun trunken,
 Halb im Ernste, halb verschämt.
 
 Doch das eigne junge Leben
 Ist zu arm an Tat und Kraft,
 D'rum muß Poesie verweben
 Dem Gefühl die Leidenschaft.
 
 Seiner Seele Kraftgebilde
 Hüllt ein Trauerschleier ein,
 Immer muß die Qual, die wilde,
 Und die Pein zu Handen sein.
 
 Seiner Dichtung Luftgestalten
 Fließen nächtig grau in grau,
 Ohne klar sich zu entfalten
 In ein wolkenloses Blau.
 
 Unter Schlacken fließt der Goldquell,
 Ändern kann es nur die Zeit,
 Die die Edelerze, goldhell,
 Endlich allen Schlamms befreit.
 
 In die zweite Periode
 Tritt der Jüngling nun mit Lust,
 Wo der Liebe kühne Ode
 Neubeseligt seine Brust.
 
 Seiner Liebe engverwachsen
 Ist das All, und Welt und Zeit
 Drehn sich um die Zauberachsen
 Seiner Liebeseligkeit.
 
 Was an Schmerz zurückgeblieben,
 Wird der Liebe jetzt vereint,
 Weil von Allen, die da lieben,
 Jeder manchmal heimlich weint.
 
 Aber Lieder und Gedanken
 Sind bestimmter schon und klar;
 Denn nun ist kein irres Wanken
 Und das Ziel schon offenbar.
 
 Nur noch eine Umgestaltung,
 Daß es üb'rall werde Licht,
 Und dem Bilde fehlt die Haltung,
 Leben dem Gedichte nicht.
 
 Da durchzuckt mit tausend Strahlen
 Die Natur ihn und das All,
 Und es bricht zu tausendmalen
 Dieses Licht sein Herzkristall.
 
 Üb'rall ist nun and're Farbe,
 Alles hat den rechten Schein,
 Und sogar die Wundennarbe
 Muß zum edlen Schmuck sich weihn.
 
 Die begeisternden Ideen,
 Die der Schoß der Schöpfung trägt,
 Läßt er blühend auferstehen,
 Durch die Hoheit angeregt.
 
 Alles Halbe wird vollendet,
 Den Gebilden kommt die Ruh',
 Alles, was er strebet, wendet
 Sich der Lebenssonne zu.
 
 Denn es kann nur Dichter geben,
 Die Natur hat aufgesäugt,
 Weil der Poesie das Leben
 Erst die wahre Größe zeigt.
 
 Liederelemente
 
 Liederelemente geben
 Soll ich euch, den Laien, kund?
 Wie Talente Lieder weben,
 Sagen will ich's euch zur Stund'.
 Erst die Welt, sie ist dem Dichter
 Ein unschätzbar reicher Fund;
 Dann das Herz als stiller Richter,
 Und als ew'ger Liedergrund;
 Dann das Leben, bunten Schwalles
 Formet es den Liederbund, —
 Und besiegeln muß das Alles
 Der Geliebten weicher Mund.
 
 Die Erscheinung
 
 Nachts zur Stunde der Gespenster
 In dem kleinen Kämmerlein
 Pocht es leise an das Fenster,
 Und erfüllt's mit hellem Schein.
 
 Einsam sitzt der stille Dichter,
 Denkt und schreibt und sinnt und streicht:
 Sieh', da wird es plötzlich lichter,
 Und der Lampenschein erbleicht.
 
 Rosenwolkig hergetragen
 Steht vor ihm ein Zauberbild,
 Eine Göttin, wie in Sagen
 Schöner Vorzeit, reizumhüllt.
 
 Lorbeerkronen um die Stirne,
 Eine Lyra in der Hand,
 Doch den Mund, als ob sie zürne,
 Hält ein strenger Ernst umspannt.
 
 "Frommer Sohn," so spricht die Hehre,
 "Wend' empor den Blick zu mir:
 Eine trübe gute Lehre
 Bring' ich vom Parnasse dir.
 
 Armer Dulder, dessen Seele
 Mit den heißen Gluten ringt,
 Der die glänzendsten Juwele
 Aus dem Herzensschachte bringt;
 
 Der du mit dem kühn Errungnen
 Eine kalte Welt bedenkst,
 Der du mit dem schön Gelungnen
 Eine flache Zeit beschenkst:
 
 Gib es auf, dein edles Streben,
 Wandle schweigend deine Bahn, —
 Wer verstummt in solchem Leben,
 Der allein hat Recht getan.
 
 An den tausend Nationen
 Zieh' ich wirkend still vorbei,
 Und ich flechte Dichterkronen
 Um die Schläfe mancherlei.
 
 Soll ich all die Sängerkränze
 Nennen, die in alter Zeit,
 Die im schönen Dichterlenze
 Um die Stirnen ich gereiht?
 
 Von der Wiege des Homeros
 Bis zu Tasso's frühem Grab,
 Was ich jedem Liederheros
 Für verdiente Preise gab?
 
 Und die andern Menschen ehrten
 Mein Gebot, weil sie gerührt
 Und bewundernd Jene hörten,
 Deren Stirn mein Kranz geziert.
 
 Deutschland nur hat mich verwiesen,
 Andern Völkern war's geneigt,
 Doch gehorsam hat gleich diesen
 Niemals es sich mir gezeigt.
 
 Zeiten sind vorbeigezogen,
 Wo es Götzen sich erbaut,
 Die mein Auge nie gewogen,
 Nie mit Lächeln hat geschaut.
 
 Doch noch öfter kamen Zeiten,
 Wo ich offen ward verhöhnt,
 Wo sie jenes Haupt entweihten,
 Das ich selbst mit Ruhm gekrönt.
 
 Was sie schön vollendet trafen
 Zerrten sie in Staub hinab,
 Oder spurlos ging's zum Hafen
 Zweifelhafter Zukunft ab. —
 
 Schweige, wie die andern Söhne,
 Die mir lieb geworden sind:
 Oder willst du deine Töne
 Ferner hauchen in den Wind?
 
 Oder willst du deinem Leben
 Jetzt verdingen mich als Magd?
 Nie wird dir die Muse geben,
 Was dein Glück dir hat versagt.
 
 Jagst du nach des Ruhmes Wolke?
 Willst du mir dein Streben weih'n?
 Und, ein Rätsel deinem Volke,
 Gar für toll gehalten sein?
 
 Ja vielleicht du überschattest
 So mit einem Lorbeerbaum
 Deinen Hügel: und doch hattest
 Lebend du zu leben kaum!
 
 Schweige! deine Taten weihe
 Einer andern, reichern Kunst,
 Und im Herzen nur erfreue
 Dich an meiner vollen Gunst.
 
 Lebe wohl im Weltgetümmel:
 Wenn beschlossen du den Lauf,
 Nimmt in ihren ew'gen Himmel
 Dich die treue Muse auf!"
 
 — Schnell verschwunden war die Milde,
 Die so tiefbewegend sprach,
 Und der Dichter sah dem Bilde
 Durch das düstre Dunkel nach.
 
 Die Großmutter
 
 Unter ihnen, die zum Frieden
 Jener Welt hinüberschieden,
 Die ich lang und still beweine,
 Wandelt auch die gute Eine:
 Mutter der, die mich geboren,
 Hatte mich sie auserkoren,
 Ihrer Liebe reichen Segen
 Auf mein junges Haupt zu legen.
 
 Freundlich sah sie auf mich nieder,
 Lief ich fröhlich hin und wieder;
 Spiele trieb ich, leichte, lose,
 Lehnt' ich still an ihrem Schoße, —
 Und nur manchmal ward sie trübe,
 Wenn ich mit begier'gem Triebe,
 Hingestreckt auf weichen Tüchern,
 Blättert' in den alten Büchern.
 
 "Laß mir," sprach sie, "Kind, die Sachen,
 Die dich doch nicht klüger machen;
 Reime sind es, glatte, feine,
 Kleiner, du verstehst noch keine!
 Mögst du niemals sie verstehen,
 Denn aus diesen Liedern wehen
 Töne, die Empfindung lügen
 Und ein Herz gar leicht betrügen."
 
 Ihr Gebetbuch dann mit Sinnen
 Nahm sie meist zur Hand, und drinnen
 Lag ein Blättchen, fast zerrieben,
 Kurze Zeilen, schön geschrieben;
 Sah sie nach dem Blatt im Buche,
 Griff sie bald auch nach dem Tuche,
 Ob der Träne, die vom blauen
 Auge wollte niedertauen.
 
 Nimmer wußt' ich, was sie meinte,
 Wenn ich damals mit ihr weinte;
 Und als längst die milde Gute
 Schon im ew'gen Frieden ruhte,
 Als ich selber zum Gesange
 Folgte unbewußtem Drange,
 Da gedacht' ich ihrer wieder
 Und der Träne — und der Lieder.
 
 Muse mit der Rosenwange,
 Die mich aufrief zum Gesange,
 Sinke nieder an dem Grabe,
 D'ran ich oft geweinet habe;
 Still gelobe an dem Hügel,
 Nie zu leihen deinen Flügel
 Tönen, die Empfindung lügen
 Und ein Herz gar leicht betrügen.
 
 Tränen, falschem Sinn vergossen,
 Sind des Fluches Schmerzgenossen,
 Tränen, die man gutem weihte,
 Sind des höchsten Glücks Geleite:
 Kann mein Dichten und mein Sinnen
 Solche mir dereinst gewinnen,
 Wird Ihr Geist mich liebend segnen
 Und mir freundlich dort begegnen.
 
 An der Wiege
 
 In der Wiege liegt der Knabe,
 Wie ein stilles Engelbild,
 Von des Schlummers süßer Labe
 Ist sein blaues Aug' umhüllt.
 
 Sorgsam bei dem holden Kleinen
 Sitzt die Mutter jung und schön,
 Doch ihr Auge schien dem Weinen
 Manchmal nicht zu widersteh'n.
 
 Aber in der Ecke sinnend
 Steht der Vater stumm und still,
 Manches im Gemüt beginnend,
 Was er bald vollenden will.
 
 Lieder nach der alten Weise
 Sie beleben seinen Sinn,
 Und betrachtend tritt er leise
 Vor den kleinen Schläfer hin.
 
 "Segenvoller Himmelsfrieden,
 Der dein blaues Auge deckt,
 Sei er einst dir auch beschieden,
 Wenn der Lärm der Welt dich weckt.
 
 Frieden, wie ihn Seelen fühlen,
 Die im heißen Lebensstreit
 Wie in leichten Liebespielen
 Ihre Reinheit nie entweiht.
 
 Frieden, den ein Mann empfunden,
 Der sein rechtes Ziel gewann;
 Frieden, den ich nie gefunden,
 Und wohl nimmer finden kann.
 
 Mag der Himmel dir ersetzen
 Alles, was er mir geraubt,
 Und mit seinen besten Schätzen
 Segnen dein unschuldig Haupt.
 
 Aber ewig vorenthalten
 Sei dir, was er mir verlieh,
 Dieses eigene Gestalten,
 Diese Glut der Fantasie.
 
 Diese sengend heiße Flamme,
 Die die Seele mir verzehrt,
 Die gebannt vom Erdendamme,
 Nur nach Himmlischem begehrt.
 
 Bleibe fern dir dieses Streben,
 Dieser rätselhafte Drang,
 Fremde Seelen zu erheben,
 Was noch Keinem ganz gelang.
 
 Schwer ist's, Seelen sich gewinnen,
 Schwerer noch, verstanden sein:
 Denn die Kunst impft das Beginnen,
 Doch nicht die Vollendung ein.
 
 Herr, der mir du zu vererben
 Diese Qual beschlossen hast,
 Wolle nicht mein Kind verderben
 Durch so sehnsuchtschwere Last!
 
 Laß' Ein Opfer dir genügen,
 Das sich auserkor dein Blick:
 Lächle diesen Unschuldzügen
 Gnadenvoll ein bessres Glück!" —
 
 Als das Wort verklang, erwachte
 Leis' der Knab' aus seinem Schlaf,
 Und sein heit'res Auge lachte
 Fröhlich beiden, die es traf.
 
 Sorgsam nimmt die junge schöne
 Mutter ihn auf ihren Schoß,
 Und es ringt sich eine Träne
 Ihrem blauen Auge los.
 
 Die Tadler
 
 Menschen mußt' ich oft begegnen,
 Die das Dichterstreben tadeln,
 Die, statt diesen Drang zu segnen,
 Ihn durch bitt'res Wort entadeln;
 Und die schmerzlichsten Gefühle
 Übermannten mir die Seele,
 Sah ich, wie die Welt so Viele
 Um verdienten Kranz bestehle.
 
 Nein! sie können es nicht wissen,
 Was sie jenen, die da dichten,
 Statt vom Munde wegzuküssen,
 Durch so herben Spott vernichten!
 Nein! sie können es nicht glauben,
 Daß sie durch so harte Reden
 Herzen das Vertrauen rauben
 Und den Seelenwert befehden.
 
 Nein! die Welt ist nicht so sündig,
 Edlem Werk sich zu verschließen,
 Längst sind alle Herzen mündig,
 Um es freudig zu begrüßen:
 Wolken sind es und nichts weiter,
 Die nur leicht vorüberschauern,
 Und ist erst der Himmel heiter,
 Wird zur Doppellust das Trauern.
 
 Mitleid wohnt in allen Kreisen,
 Mitgefühl in jeder Seele:
 Wollt ihr ab den Bettler weisen,
 Daß er sich im Jammer quäle? —
 Bettlern sind die Dichter ähnlich,
 Die um Herzen zu euch flehen,
 Und mit kaltem Wort gewöhnlich
 Statt mit diesen weitergehen.
 
 Aber gebt ihr, was er flehte,
 Mild dem Sohne der Kamöne,
 Perlt auf eurer Wangen Röte
 Der Empfindung Götterträne:
 Dann kann der Beglückte länger
 Nicht die Freude an sich halten,
 Und ihr seht den armen Sänger
 Sich gar herrlich umgestalten.
 
 Plötzlich steht er da als König,
 Strahlen, Blumen, Düfte, Sterne
 Sind ihm alle untertänig
 Und gehorchen ihm so gerne;
 Seinen Königsmantel kränzet
 Milder Perlen reiche Menge,
 Und auf seinem Scheitel glänzet
 Hell die Krone der Gesänge.
 
 Liederspiel
 
 Nicht sollt ihr dem Dichter zürnen,
 Wenn sein Lied nur loses Spiel;
 Glättet eure krausen Stirnen,
 Und erkennet sein Gefühl.
 Hält uns denn der Ernst nur munter?
 Manchmal wird das Leben bunter,
 Und im leichten Spiel mitunter
 Kommt man auch an's gute Ziel.
 
 Hört ihr doch die Bäche rauschen,
 Lispelnd zieht die Flut vorbei,
 Ihren Tönen still zu lauschen
 Gibt Vergnügen mancherlei.
 Können wir es denn ergründen
 Was die Wellen uns verkünden?
 Aber still zu denken finden
 Wir so manches doch dabei.
 
 Ruhig geht ihr selber schlafen,
 Erst in trübem Ernste wach,
 Landet ihr im Schlummerhafen
 Unter goldner Träume Dach;
 Rätselhafte Zauber steigen
 Auf vor euch in bunten Reigen,
 Und ihr denkt am Tag mit Schweigen
 Eurer Träume Spielen nach.
 
 Horchtet ihr dem schönen Schwane,
 Der, geküßt vom Wogenmund,
 Auf der Wellen Perlenplane
 Durch Gesang euch wurde kund?
 Singend schied er aus dem Leben:
 Aber diese Töne eben,
 Die wie Spiele euch umschweben,
 Haben schauderhaften Grund.
 
 Auch die Dichter, sie vermählen
 Oft dem leichtbewegten Lied
 Jenen tiefen Drang der Seelen,
 Der für das Erhab'ne glüht.
 Darum nicht die Außenseite,
 Die oft nur ein Zufall weihte,
 Sei es, die euch je verleite
 Zu verkennen das Gemüt.
 
 Bald erforscht ist das Geheime,
 Wenn's zu suchen euch gefiel:
 Wer es finden will, versäume
 Nicht das leichtgesteckte Ziel;
 Und nach losem Spiel und Necken
 Plötzlich hinter Blütenhecken
 Die Geliebte zu entdecken,
 Ist ein himmlisches Gefühl!
 
 Gleichnisse
 
 Es gleichen die Gedanken
 Dem Adler in den Lüften,
 Der zu den Sonnenschranken
 Aufsteigt von grünen Triften.
 
 Und sie, die pfeilgeschwinden,
 Sie fliegen gleicherweise,
 Bis sie ihr Ziel ergründen
 Im weiten Lebenskreise.
 
 Es gleichen die Gefühle
 Des Ozeans Delphinen,
 Die sich zum leisen Spiele
 In tiefer See erkühnen.
 
 So in der Seele Tiefen
 Ruh'n die Gefühle schweigend,
 Nur, wenn sie Zauber riefen,
 An's Licht der Sonne steigend.
 
 Doch ärmlich sind so Viele,
 Die da im Tun und Dichten
 Gedanken und Gefühle
 Bemüht sind abzusichten.
 
 Die da im Unterscheiden
 Sie von einander trennen,
 Und also nichts von beiden
 Gebrauchen einzeln können.
 
 Gefühle und Gedanken,
 Sie sollen sich vereinen,
 Und wie zwei Epheuranken
 An's Herz gewachsen scheinen.
 
 Das Herz, es ist der Boden,
 Drin beide Wurzel fassen,
 Und dem sie Gottes Odem
 Hat still entkeimen lassen.
 
 Der neue Paris
 
 Ich träumte einst vor Jahren
 Gar wunderbaren Traum,
 Und kannte die Gefahren
 Und seine Folgen kaum.
 
 Ich sah' drei schöne Feen,
 Mit Reiz und Glanz geschmückt,
 Wie keine ich gesehen,
 Zu meinem Heil geschickt.
 
 Gesandt, mich zu beglücken
 Und harrend meiner Wahl,
 Drei Fee'n, die zum Entzücken
 Umwandeln jede Qual.
 
 Mit reichem Edelsteine
 Geziert den schlanken Leib,
 So stand vor mir die Eine,
 Ein hehres Götterweib.
 
 Sie sprach: "Ich will dich segnen
 Mit Schätzen ohne Zahl,
 Und jedem Wunsch begegnen,
 Wenn mich trifft deine Wahl.
 
 Mit Ehren und Juwelen
 Bekrön' ich dein Geschick:
 Ich will es nicht verhehlen,
 Sie nennen mich — das Glück."
 
 Mit Augen feuerglühend,
 Im Haupte Rosenzier,
 So stand die Zweite blühend,
 Und sprach mit Huld zu mir:
 
 "Werd' ich von dir erkiesen,
 Dann juble selig auf,
 Zu Himmelsparadiesen
 Wird dann dein Erdenlauf.
 
 Was je dein Herz entzünden,
 Was freu'n kann deinen Sinn,
 Du sollst in mir es finden,
 Weil ich die — Liebe bin."
 
 Die Dritte, still bescheiden,
 Mit Augen, blau und mild,
 War schöner als die beiden
 Ein frommes Unschuldbild.
 
 Goldlockenkränze schmückten
 Des Nackens Silberschein,
 Die Augen aber blickten
 Mir tief in's Herz hinein.
 
 Sie sprach: "Du blonder Knabe,
 Ich fühl's, ich bin dir gut,
 Doch bring' ich keine Gabe,
 Und bin ein armes Blut.
 
 Mit Träumen und mit Bildern,
 Mit Glut und mit Gefühl
 Kann ich dein Los dir mildern,
 Und segnen dir dein Ziel.
 
 Doch will ich treu dich lieben,
 Und von dir weichen nie,
 Nun wähle nach Belieben:
 Ich bin die Poesie."
 
 Ich hatte sie verstanden,
 Die Wahl war mir nicht schwer,
 Die andern Zwei verschwanden,
 Ich sah sie nimmermehr.
 
 Sie hat sich treu bewiesen,
 Sie ist geblieben mein,
 Seit ich sie auserkiesen,
 Wie Paris aus den Drei'n.
 
 Doch ach, nicht abzuwehren
 Vermochte sie den Streit,
 Der mir dräut zu zerstören
 Das Herz seit jener Zeit.
 
 O Herz, in deinem Drange,
 Du bist das Ilium,
 Aus deinem Untergange
 Entsteht dein eigner Ruhm.
 
 Du hartbedrängtes, armes,
 Vergalt sie jemals dir,
 Was du des bittern Harmes
 Ertragen wegen ihr?
 
 Ach, wann erscheint der Friede,
 Der dich im Fall erhöht,
 Und wann der Möonide,
 Der ganz dein Los versteht!
 
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