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Miramare, Gödöllö
November1885
 

Allerseelennacht
In Miramar

Es peitscht der Sturm die schwarzen Wolken
Am schwarzen Firmamente hin,
Dass sie sich keuchend drängen, folgen,
Dass sie wie rasend jagen, flieh'n.

Der Regen strömt in wilden Güssen
Und haut und geißelt den Orcan;
Als hätt' er ihn erwürgen müssen,
So packt ihn dieser wieder an.

Doch übertäubend Sturm und Regen,
Brüllt zwischendrein die wilde See,
Sie rollt voll Wut ihnen entgegen,
Sie zischt und geifert in die Höh'.

Und mitten in dem tollen Wüten,
Als sollt' die Welt heut' untergeh'n,
Als wollt' das Meer Dämonen brüten
Und alles aus den Fugen dreh'n,

Hebt sich in kalter, strenger Bleiche,
So todesernst, so todesstarr,
Gleich einer schönen Marmorleiche
Das hehre Schloss von Miramar.

Doch jetzt ertönt's wie laute Klage
Hinaus aufs weite Meer mit Macht;
Es schlägt zum Allerseelentage
Vom Turm herab die Mitternacht.

Und anfangs schlägt es jammernd, suchend,
doch Schlag um Schlag nimmt zu an Kraft;
Und jedem Mörder zwölfmal fluchend,
Schlägt's an bei Gott um Rechenschaft.

 

Zum Empfang der Kaiserin am 3. November 1885 waren Kaiser Franz Joseph und die jüngste Kaisertochter Marie
Valerie in die kaiserliche Privatresidenz in Ungarn, Schloß Gödöllö, gekommen. Wieder veranlaßte das Wiedersehen
mit ihrem kaiserlichen Gatten Elisabeth dazu, ihre gestorbene Liebe zu beklagen.

 



Schloss Gödöllö 1869



Die kaiserliche Familie in Gödöllö um 1870


Novemberphantasie
Gödöllö

Es lässt mein Geist dich auf der Erde,
Er ist der Lieb', des Kosens müd;
Ihm leuchtet eine and're Fährte,
die zwischen Sternen hin sich zieht.

Doch selbst in diesen lichten Höhen
Hält fragend er noch einmal an;
Noch einmal muss er rückwärts sehen,
War's Glück da unten, oder Wahn?

Nicht war es Irdischen beschieden,
Den freien Geist zu fesseln lang;
Am längsten hielt'st du ihn hinieden
Bis er empor sich wieder schwang!

Schon schien's, als hätt'st du ihn besessen,
Da schweift er frei ins Geisterreich;
Dir bleibt das Leben und Vergessen,
Die Erde gibt dir, was dir gleich.

Und auf vergang'ne Bilder nieder
Zieh' sorgsam dichten schwarzen Flor,
Dass nirgends sich Erinn'rung wieder
Hier oder dorten dräng' hervor.

Rauscht des Novemberwindes Klage
Durch dürres Eichenlaub daher,
Verschließ' dein Ohr der alten Sage,
Der längstverscholl'nen Wundermär!

Nur Coral-Nymph* mit dem Vertrauten,
Im Nebelgrau am Waldesrand,
Zwei stumme Zeugen sie, es schauten,
Wie ich dir meine Lieb' gestand.

*Das ist der Name eines kaiserlichen Reitpferdes

Nie jagen sie mehr Seit' an Seite
In leichtem Fluge mit uns hin,
Wo du bei hellem Meutegeläute
Manch' liebes Wort mir zugeschrie'n.

Weißt du noch jenen grünen Garten,
Die alte Mauer fasst ihn ein,
Wo wir um Mittag deiner harrten
Im gold'nen Maiensonnenschein?

Noch werfen mir dieselben Buchen,
Gleich Bildern der Vergangenheit,
Komm' ich zu ihnen Kühlung suchen,
Die Schatten jener alten Zeit.

Das Sommerhäuschen steht noch immer,
Doch sind die Jalousien zu;
Es störet Liebesflüstern nimmer
Dort drin die kühle Grabesruh.

Wo ist der Schlüssel hingekommen?
Ich sucht' ihn ewig nicht hervor,
Den du zu meinem Herz genommen,
Der ging dir längst schon in Verlor!

Denkst du noch jenes Zaubereilands?
Bei Nacht betrat's zuerst dein Fuß;
Es sandten dir vom Sommerhimmel
Die Sterne all' den Willkommgruß.

Durch dichtes Laub der hohen Bäume
Drang gastlich Lichterschein dir her;
Du schienst versetzt ins Land der Träume;
Und ferne rauscht' das große Meer.

Das große Meer weht' in den Erker
Die kühlen Brisen dir hinein,
Wo du gebannt im trauten Kerker,
Es sperrt' ja Liebe dich dort ein!

Ums hohe Fenster rankte Epheu,
Noch jetzt hält er am Schlosse fest,
Ach! nur mein Geist, er ward dir untreu
Dein Herz bot ihm kein bleibend' Nest.

Die Liebe führt in alle Länder,
Sie zog dich in die Normandie;**
Du warst im Geben ein Verschwender,
Und doch erschöpft' dein Herz sich nie!

**Eine Anspielung auf Elisabeths Reitunfall 1875 in
Sassetôt in der Normandie.


Nun folg' mir noch zu Maskenscherzen,
Was kümmert's uns, dass draußen kalt!
Wir tragen Sommer in dem Herzen;
Der Saal von tausend Lichtern strahlt.

Wie sich die bunten Masken drängen,
Welch' Summen, Toben, Lärmen, Schrei'n,
Wie sie zu tollen Walzerklängen,
Den Mücken gleich, sich dreh'n und freu'n.

Doch wir zwei wählten uns das Beste;
Wir saßen in den Wagen ein,
Der ward uns bald zum warmen Neste;
Und Dunkelheit hüllt' rings uns ein.

Ach! muss die Liebe denn erkalten,
Gibt's nichts, dass sie wohl fesseln mag?
Kein Band, den wilden Geist zu halten,
Zu binden seinen Flügelschlag?

Ich seh' dich reiten, ernst und traurig,
In Wintersnacht im tiefen Schnee;
Es bläst der Wind so eisig schaurig,
Dir ist so schwer zumut, so weh!

Im dunkeln Osten fahl verschwommen,
Da dämmert jetzt ein blasser Tag,
Mit Zentnerlast das Herz beklommen,
Trägst heimwärts du die bitt're Klag'.

Und während du im grauen Zwielicht
Vergleichst das gold'ne Einst und Jetzt;
Auf meinem Lager ruh' auch ich nicht
Und weine, dass ich dich verletzt.

Ich raufte mit des Schicksals Mächten,
Ich trat in offne Rebellion,
Ich wollt' mit ihnen schlagen, fechten,
Und sprach ihrem Gebieten Hohn.

Ich habe heiß um dich gerungen,
Ich wich nur Schritt um Schritt zurück;
Und dennoch wurde ich bezwungen;
In Schutt und Asche lag mein Glück.

In hellen Flammen steht die Brücke,
Die mich dereinst mit dir verband;
Nur einmal blickt mein Geist zurücke,
Eh' er auf ewig abgewandt.

Hab', armer Freund, dich wohl betrogen,
Als ich mich in dein Herze stahl,
Hätt' mich fast selbst dort festgelogen
Zu unsrer beiden Schmerz und Qual.

Du ahntest nichts von meinen Schwingen,
Was Schwingen hat, ist niemals treu;
Nie lässt sich in den Käfig zwingen,
Und wär' er golden auch, was frei.

Nicht ewig mag sich tändelnd gaukeln
Der Schmetterling am Blumenflor;
In blauen Lüften frei zu schaukeln,
Hebt er sich bald wieder empor.

Die Schwalbe ruht in keinem Lande;
Wo sie noch heute gern geweilt,
Da sprengt sie morgen schon die Bande,
Ist leichten Fluges fortgeeilt.

Selbst meine Möwe wechselt Stelle;
Sie folgt mit weißem Flügelschlag
Der schaumbekränzten Meereswelle
Und gleitet stolzen Schiffen nach.

Drum, denkst du dran, dich zu vermählen,
O Freund, befolge meinen Rat,
Schau' sorgsam d'rauf bei deinen Wählen,
Dass sie ja keine Flügel hat!

Dann kannst du ruhig ihr vertrauen,
Mit dir zu zieh'n im Ehejoch;
Auf ihre Treue Häuser bauen,
Es blüht solides Glück dir noch.

Nur staune nicht, wenn beim Verrichten
Nach altem Patriarchenbrauch
Der legitimen Ehepflichten
Dich streift ein eisigkalter Hauch.

Es ist der Geist der alten Liebe,
Der zieht mit leisem Flügelschlag
An deinem Herzen still vorüber,
Dass es dir schier erstarren mag.



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