weiter
 

Aphorismen
von 1808-1860

 

Moral ein Maulkorb für den Willen; Logik ein Steigriemen für den Geist.
1808
☼☼☼
Mit Monarchen ist's wie mit der Sonne: die Menschen, die ihr am nächsten sind,
sind auch die schwärzesten.
1808-1810
☼☼☼
Sich selbst kennen ist bei einem selbst mittelmäßigen Verstande nicht so schwer, als
manche Leute sagen; aber im Leben dem gemäß handeln, was man von sich erkannt hat,
ist ebenso schwer, als die Praxis in allen Dingen, gegen die Theorie betrachtet.
1811

☼☼☼

Warum das Vergangene uns so lieblich dünkt? Aus demselben Grunde, warum eine
Graswiese mit Blumen aus der Entfernung ein Blumenbeet scheint.
1817
☼☼☼
Man hat so viel über die Gründe gesagt und geschrieben, warum die Schauspieler, obwohl so
häufig gehätschelt und geschmeichelt, doch im allgemeinen der eigentlichen bürgerlichen Achtung
entbehren? Sollte nicht der Hauptgrund dieser Erscheinung in dem indignierenden Gefühle liegen,
jemanden zu sehen, der das Tiefste seines Gemütes, die edelsten Empfindungen, Gefühle, die wir
im Innersten hegen und jedem Fremden verschließen möchten, offen und ohne Hülle dem
Ungebildeten, Rohen für – Geld hingibt? Es geht beim Gemüte, wie beim Körper. Beide haben Teile,
die nicht entblößt sein wollen, wenigstens der Neugierde nicht.
1816
☼☼☼
Jemandem große Verbindlichkeiten schuldig sein, hat nichts Unangenehmes, denn die Dankbarkeit
ist eine süße Pflicht; nur kleine Verpflichtungen sind quälend.
1817
☼☼☼
Von allen Tugenden die schwerste und seltenste ist die Gerechtigkeit.
Man findet zehn Großmütige gegen einen Gerechten.
1817

☼☼☼
Man ist nie eifersüchtiger, als wenn man in der Liebe anfängt, zu erkalten. Man traut dann der
Geliebten nicht mehr, weil man dunkel fühlt, wie wenig einem selbst mehr zu trauen ist.
1818

☼☼☼
Der Geist des Menschen und der Gang der Welt ist sich unter allen Umständen und zu allen
Zeiten so gleich, daß selten ein Wahres ganz neu und selten ein Neues ganz wahr sein wird.
1819
☼☼☼
Die auf dem Ozean des menschlichen Wissens rudern wollen, kommen nicht weit, und die,
die Segel aufziehen, verschlägt der Sturm.
1819
☼☼☼
In die Zukunft schauen, ist schwer; in die Vergangenheit rein zurückblicken, noch schwerer.
Ich sage: rein, d. h. ohne von dem, was in der Zwischenzeit sich begeben oder
herausgestellt hat, etwas in den Rückblick mit einzumischen.
1819

☼☼☼
Wir sind gegen keine Fehler an andern intoleranter, als welche die Karikatur unsrer eigenen sind.
1819

☼☼☼
Warum die Orientalen vorzugsweise Rätsel lieben? Weil sie weniger denken, als wir, und es ihnen
daher wohltut, die Denkkraft manchmal aufzuregen, ohne sie zu ermüden. Es ist eine Kommotion
des Verstandes, wenn er lang geruht hat.
1819

☼☼☼
Ohne Ahnung vom Übersinnlichen wäre der Mensch allerdings Tier; eine Überzeugung
davon aber ist nur für den Toren möglich und nur für den Entarteten notwendig.

1820
☼☼☼
Wie groß sind die Fortschritte der Menschheit, wenn wir auf den Punkt sehen, von dem sie ausging;
und wie klein, betrachten wir den Punkt, wo sie hin will.
1820

☼☼☼
Wer Sittlichkeit zum alleinigen Zweck des Menschen macht, kommt mir vor wie einer, der
die Bestimmung einer Uhr darin fände: daß sie nicht falsch gehe. Das erste bei der Uhr aber
ist: daß sie gehe; das Nichtfalschgehen kommt dann erst als regulative Bestimmung hinzu.
Wenn das Nichtfehlen das Höchste bei Uhren wäre, so möchten die unaufgezogenen die
besten sein.
1820
☼☼☼
Jede poetische Feuersbrunst bringt, wie jede wirkliche, ihren eigenen Wind mit sich, der die
Flammen nicht selten weiter trägt, als man anfangs vermuten konnte.
1820-1821

☼☼☼
Man kann den Charakter eines Menschen nie besser kennen lernen, als an seinem Krankenbette,
sowie die Gesinnungen während seines Rausches: ich habe zwei der Hauptapostel des neuen
Katholizismus in diesen Zuständen gesehen und erschrak, daß man von daher Heil erwarte.
1821

☼☼☼
Wenn auch das Publikum nicht der oberste Richter in Kunstsachen ist, so ist es die Jury, die, ohne
die Gesetze zu kennen, mit schlichtem Sinn den Fall betrachtet und im allgemeinen sein: Schuldig
oder Nichtschuldig ausspricht.
Die Anwendung der Gesetze gehört dann freilich der Kritik.
1821

☼☼☼
Der Mann tut durch Untreue seiner Frau ein Unrecht, die Frau, indem sie untreu ist, dem
Mann einen Schimpf. Die Frau eines untreuen Mannes bedauert man, über den Mann einer
untreuen Frau spottet man. Schon hierin liegt genug von dem Unterschiede, der zwischen
beiden Geschlechtern in Bezug auf den Grad der Beleidigung obwaltet, die sie sich durch
Untreue zufügen.
1822

☼☼☼
In einem kalten Zeitalter zu leben, ist kein Unglück. Denn, indem man sich der Kälte entgegenstellt,
ergreift man notwendig das Entgegengesetzte: die Begeisterung.
Begeisterung aber ist die Mutter alles Großen. Unheilbringend ist aber eine falschbegeisterte Zeit,
denn um sich nicht mit fortreißen zu lassen, wird man auf die Kälte hingewiesen.
Kälte jedoch sichtet und scheidet, bringt aber nichts hervor.

1822
☼☼☼
Es ist mit der Gesundheit der Seele (Moralität) wie mit der des Leibes. Ohne beide ist ein
tüchtiges Leben nicht denkbar. Sie aber beide zum Zweck des Lebens machen ist eins so
widersinnig als das andere. Unter den Mitteln stehen sie obenan.
1822

☼☼☼
Mir schien es immer höchst lächerlich, wenn man ein Volk in seinen Bewegungen anklagte und tadelte.
Der Mensch ist ein selbständiges, freiwollendes und demgemäß handelndes Wesen höchstens dann,
wenn er allein ist.
Der Geist der Menge ist blind und aufs Notwendige gerichtet, wie die Kräfte der Natur.
Die mutige Begeisterung des Unkriegerischen in der Schlacht und der panische Schreck,
der auch die Tapfern ergreift, sind nur einzelne, aber sichere Belege hierzu.
Daher ist, was ein Volk tut, immer gut, wie diese Welt gewiß die beste ist, und wer über das,
was geschieht, sich ärgert, kommt mir ebenso töricht vor, als einer, dem nicht recht wäre,
daß das Feuer warm und Eis kalt macht.
1822

☼☼☼
Alle Unruhe im Menschen entspringt aus der Phantasie; denn selbst das Gewissen,
wenn es auch seinen Stoff aus dem moralischen Sinne zieht, nimmt doch wenigstens seine Form aus ihr.
1822

☼☼☼
Frauenzimmer haben in der Regel keinen Sinn für den Scherz, sie goutieren ihn nur,
wenn sie gerade in lustiger Stimmung sind.
1823

☼☼☼
Alle diese Inseln im weiten Meere, wie klein ihre Oberfläche und wie unermeßlich ihre Festen vom
Spiegel des Wassers an bis zum Grunde des Meeres! In wie unermeßlichen Flächen und Krümmen,
in wie mannigfaltigen Formationen mögen sie sich hinziehen unter dem Meere, ungeheure Länder
und Regionen! Der Mensch nennt aber nur das Land, was für ihn sichtbar und bewohnbar über der
Oberfläche sich zeigt. Mir kommen diese Gipfelländer über dem Meere wie die Zeit vor, gegenüber
der Verhüllten, unermeßlichen Ewigkeit. Wenn man so viel Wasser auf der Karte sieht, so drängt
sich einem das Bild auf, das Land sei im Wasser; und im Grunde ist doch alles Land, nur daß das
Wasser die niedrigen Stellen bedeckt. O ihr armen Länder in der Tiefe der Wasser, Gott gebe, daß
ihr auch einmal die freudige Sonne erblickt; o ihr Menschen, vom Unglück überflutet, Gott schenke
euch einen freudigen Tag!
1824

☼☼☼
Ob es Klöster geben soll? – Solange das Zölibat besteht, d. h. solange das Wesen der katholischen
Geistlichkeit auf einem fortwährend exaltierten Zustand basiert ist, werden auch immer Anstalten
sein müssen, die, von der bürgerlichen und häuslichen Gesellschaft abgesondert, Pflanzschulen in
solcher, von der gewöhnlichen abweichenden, Sinnesart abgeben können.
1828

☼☼☼
In gewissen Ländern scheint man der Meinung: drei Esel machten zusammen einen
gescheiten Menschen aus. Das ist aber grundfalsch. Mehrere Esel in concreto geben den Esel
in abstracto, und das ist ein furchtbares Tier.
1834
☼☼☼
Wenn jemand meinte, die Bäume seien da, um den Himmel zu stützen,
so müßten sie ihm alle zu kurz vorkommen.
1834
☼☼☼
In der Kirche singen immer die am lautesten, die falsch singen.
1834

☼☼☼
Der Ungebildete sieht überall nur einzelnes, der Halbgebildete die Regel, der Gebildete die Ausnahme.
1834

☼☼☼
Von einem haben die sogenannten gebildeten Leute gewöhnlich keine Vorstellung: daß jemand den
zusammengesetzten und künstlichen Zustand, den sie Bildung nennen und der auch wirklich
Bildung ist, durchgemacht haben könne und auf der andern Seite wieder ins Einfache und
Natürliche herausgekommen sei. Ihnen scheint alles Schlichte: Unkultur.
1834

☼☼☼
Nachahmen oder anfeinden ist der Charakter der Menge.
1835

☼☼☼
Die Betrachtung tötet, weil sie die Persönlichkeit aufhebt; die Bemerkung erfrischt, denn sie
erregt und unterstützt die Tätigkeit. Mitten zwischen beiden durch wäre der wahre Weg.
1835

☼☼☼
Dilettanten genießen das Werk, Professoren zugleich den Meister.
1836

☼☼☼
Diese Schriftsteller, die nur über anderes sprechen, Schmarotzerpflanzen.
1836

☼☼☼
Mit der Gesundheit der Seele ist es, wie mit der des Körpers. Ohne Gesundheit keine ersprießliche
Tätigkeit; aber die Erhaltung der Gesundheit zum Geschäfte seines Lebens zu machen, ist die
Sache der müßigen Toren und Hypochondristen.
1837

☼☼☼
Niemand ist so sehr in Gefahr, stumpf zu werden, als der höchst Reizbare.
1837

☼☼☼
Die Ungebildeten haben das Unglück, das Schwere nicht zu verstehen, dagegen verstehen die Gebildeten
häufig das Leichte nicht, was ein noch viel größeres Unglück ist.
1838

☼☼☼
Um es in einem Berufe weit zu bringen, muß man nicht allein die Vorzüge, sondern auch die
Fehler desselben haben. Die ersten sind der Geist, die zweiten der Körper der Aufgabe.
1838

☼☼☼
Die aktiven Faktoren der Menschennatur sind die Neigungen und Leidenschaften;
ihr Übermaß zu hemmen, ist die Aufgabe des Sittlichen. Letzteres ist daher negativ und
kann als solches nicht der Zweck des Menschen sein.
1838

☼☼☼
Wenn man in neuester Zeit gar so viel Wesens von der Bewahrung der Nationalitäten macht, so
sollte man bedenken, daß, was die Nationen voneinander unterscheidet, mehr ihre Fehler als ihre
Vorzüge sind, – und, wenn Vorzüge, gerade ihr Hervortreten eine Übertreibung oder nicht gesunde
Mischung beurkundet.
1838

☼☼☼
Die Frömmelei des einen Teils der vornehmen Weiber fließt aus derselben Quelle, wie die
Koketterie des andern Teils: Müßiggang und Langeweile. Sie vertrödeln den Tag an der geistlichen
Toilette, wie die andern an der leiblichen. Der Beichtvater ist ihre Marchande de modes, die Beichte
ihr Ankleidspiegel, Kirchgänge ihre Rendezvous, Haß und Verfolgung Andersdenkender ihre
Eifersüchteleien und dépits amoureux.
1838

☼☼☼
Seit man nicht mehr in die Kirche geht, ist das Theater der einzige öffentliche Gottesdienst,
sowie die Literatur die Privatandacht.
1839

☼☼☼
Wenn man die Neigung der Menschen in neuester Zeit zur Immoralität und Gesetzlosigkeit
bemerkt, muß man darüber nicht zu sehr erschrecken und nicht vergessen, daß, wenn jeder die
Ungebundenheit für sich selbst in Anspruch nehmen möchte, er doch zugleich das Gebundensein
aller andern wünscht, so daß das Ganze ohne viel Änderung seinen Weg fortgeht und der Egoismus
die öffentliche Moral nicht mehr stört als erhält.
1839

☼☼☼
Das fürchterlichste Mittel gegen quälende Gedanken ist die Zerstreuung, sie führt zur Gedankenlosigkeit.
1844
☼☼☼
Auf die Masse soll und muß jeder Dichter wirken, mit der Masse nie.
1844

☼☼☼
Die Allopathie möchte die Arzneikunst in eine Wissenschaft verwandeln,
ie Homöopathie in ein Handwerk.
1844
☼☼☼
Die Homöopathie fehlt schon darin, daß sie die Tätigkeit des Körpers bei einer Krankheit rein als
das Bestreben ansieht, die Störung des Organismus zu entfernen. Sie ist aber zusammengesetzt
aus der Gegenwirkung gegen die Krankheit und aus der durch die Krankheit herbeigeführten Störung.
1844

☼☼☼
Die gescheiten und die dummen Leute erkennt man unter andern auch daraus, daß die Dummen
das verehren, was in ihrer eigenen Richtung liegt, die Gescheiten aber, was sie fühlen, daß ihnen abgeht.
1846
☼☼☼
Alexander Humboldt der Herder der Naturwissenschaften.
1849
☼☼☼
Die Naturgeschichte der deutschen Poesie von Gervinus.
1849
☼☼☼
Ich halte es mit der Gelehrsamkeit, wie die Fürsten mit der Verräterei.
Ich ehre die Gelehrsamkeit und verachte die Gelehrten,
die eben nichts als Gelehrte sind.
1849
☼☼☼
Es ist ein altes Volkssprüchlein in Österreich: die Tiroler hörten "den Schnalzer" erst im vierzigsten Jahre.
Wodurch man ausdrücken will, sie würden erst in diesem Lebensalter klug.
Ich weiß nicht, worauf dieser Vorwurf sich gründet, mir wenigstens sind die Tiroler immer so klug,
ja klüger vorgekommen, als die andern Leute. Gesetzt aber es wäre wahr,
so hört dagegen der deutsche Literat den "Schnalzer" erst im fünfzigsten Jahre.
1849

☼☼☼
Durchbildung ist ein sehr gutes neues Wort und zeigt an, daß ein Mensch so von Bildung durchdrungen ist,
daß, nach Austreibung alles Natürlichen, er sich als ein ausgespritztes anatomisches Präparat darstellt.
1856
☼☼☼
Den Berlinern merkt man ewig an, daß ihre Bildung von Franzosen und Juden ihren Anfang genommen hat.
1858
☼☼☼
Unser Erklären der Natur besteht darin, daß wir ein selten vorkommendes Unverständliches
auf ein oft vorkommendes, aber ebenso Unverständliches zurückführen.
1860



                                                                         nach oben