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VI.
Lied und Leben

 

Zwei Harfen
Der letzte Dichter
Kunstberuf
Einem Freunde
Goethe's Heimgang
Winterabend

Zwei Harfen


Durch der Seele Tiefen klingend
Weht in mir ein Harfenpaar,
Brausend tönt das Spiel der einen,
Das der andern sanft und klar;
Zwei der Kräfte, die sich hassen,
Geben ihnen Klang und Laut,
In den Saiten wettert diese,
Jene küßt sie leis' und traut.

Wie von Fels auf Felsbett stürzend
Wild der Katarakt erdröhnt,
Wie, wenn Donnerkeile rasen,
Dumpf es durch die Bergschlucht stöhnt,
Wie der Sturz der fessellosen
Schneelawin' im Tal verhallt,
Also mir die eine Harfe
Mir im Busen dröhnend schallt.

Doch wie über Rosenhaine
Zephir haucht den Morgenkuß,
Wie aus fernen, fernen Welten
Der Geliebten leiser Gruß,
Wie bei Nacht sich's still harmonisch
In Zypressenwipfeln regt,
Tönt der andern Harfe Lispeln,
Zart von milder Kraft bewegt.

Hätte doch die beiden Kräfte
Gleiches Streben hold vereint!
Unbesiegbar, unversöhnbar
Bleiben sie sich ewig feind;
Bis die letzte Sait' in Trümmer,
Jede Harf' in Staub zerbricht,
Dann befeinden sie sich nimmer,
Aber, ach, — sie tönen nicht!

Der letzte Dichter

Wann werdet ihr, Poeten,
Des Dichtens einmal müd'?
Wann wird einst ausgesungen
Das alte, ew'ge Lied?

Ist nicht schon längst zur Neige
Des Überflusses Horn?
Gepflückt nicht jede Blume,
Erschöpft nicht jeder Born? — —

So lang der Sonnenwagen
Im Azurgleis noch zieht,
Und nur Ein Menschenantlitz
Zu ihm empor noch sieht;

So lang der Himmel Stürme
Und Donnerkeile hegt,
Und bang vor ihrem Grimme
Ein Herz noch zitternd schlägt;

So lang nach Ungewittern
Ein Regenbogen sprüht,
Ein Busen noch dem Frieden
Und der Versöhnung glüht;

So lang die Nacht den Äther
Mit Sternensaat besät
Und noch Ein Mensch die Züge
Der goldnen Schrift versteht;

So lang der Mond noch leuchtet,
Ein Herz noch sehnt und fühlt;
So lang der Wald noch rauschet
Und einen Müden kühlt;

So lang noch Lenze grünen
Und Rosenlauben blühn,
So lang noch Wangen lächeln
Und Augen Freude sprühn;

So lang noch Gräber trauern
Mit den Zypressen dran,
So lang Ein Aug' noch weinen,
Ein Herz noch brechen kann:

So lange wallt auf Erden
Die Göttin Poesie,
Und mit ihr wandelt jubelnd
Wem sie die Weihe lieh.

Und singend einst und jubelnd
Durchs alte Erdenhaus
Zieht als der letzte Dichter
Der letzte Mensch hinaus. — —

Noch hält der Herr in Händen
Die Schöpfung, ungeknickt
Wie eine frische Blume
Auf die er lächelnd blickt.

Wenn diese Riesenblume
Dereinstens abgeblüht
Und Erden, Sonnenbälle
Als Blütenstaub versprüht:

Erst dann fragt, wenn zu fragen
Die Lust euch noch nicht mied,
Ob endlich ausgesungen
Das alte, ew'ge Lied?

Kunstberuf

Warnend sprechen Muselmanen:
Maler, malt kein Menschenbild,
Da in ihm, eh' ihr's mögt ahnen,
Plötzlich Seel' und Leben quillt!

Weh, als unberufne Väter
Klagt einst das Gebild euch an;
Mördern gleich, als Missetäter,
Steht vor Allahs Thron ihr dann!

Anders mag der Spruch auch klingen:
Dichter, schafft kein Gebild,
Dem ihr Seele nicht könnt bringen,
Das nicht ganz von Leben quillt!

Weh, als unberufne Väter
Klagt einst das Gebild euch an,
Und ihr steht als Übeltäter
Vor dem Thron der Muse dann!

Drum laß nie die Ros' entschweben
Aus des Nichtseins stiller Gruft,
Kannst du ihrem Kelch nicht geben
Seine Seele: Glut und Duft!

Soll sich Nachtigall aufschwingen,
Frag' erst: ob dein Hauch vermag
Ihre Kehle zu durchdringen
Ganz mit Nachtigallenschlag?

Banne zu der Himmel Wonne
Einen neuen Stern uns nicht,
Kann ihn nicht dein Herz als Sonne
Füllen ganz mit Sternenlicht!

Einem Freunde

1.
Glücklicher, dir ward gegeben
Gar ein schöner, großer Schmerz,
Für dein ganzes, reiches Leben,
Für dein ganzes, volles Herz!

Eine Sonnenblume deuten
Möcht' ich deinen tiefen Schmerz,
Die, all deine Tageszeiten
Grüßend, kreiset um dein Herz.

Wär's nur Unkraut kleiner Schmerzen,
Unmuts dürftig Dornenreis,
Spräch' ich: Reiß es aus dem Herzen,
Gib es allen Winden preis!

Spräche: Laß es nicht umstricken
Wuchernd deinen Lebenspfad,
Laß das Schlingkraut nicht erdrücken
Deine junge Rosensaat!

Doch es ward im Gartenraume,
Welchen sonst du nennst dein Herz,
Wohl zum höchsten, grünsten Baume
Dieser heil'ge, große Schmerz;

Eine Palme, der Gehege
Deines Gartens Kron' und Preis,
Und zu der sich alle Wege
Schlängeln schön zurück im Kreis!

Die ihr Haupt hoch in den Himmel,
Wurzeln tief zur Erde kehrt,
Daß du zweifelst, ob dem Himmel,
Ob der Erde sie gehört?

Hingestellt so zwischen beide
Als die schönste Mittlerin,
Wächst sie aus der Blumenheide
Wipfelnd in die Sterne hin.

Laß kein Blättlein ihr entwenden
Durch der Lüfte Schmeichelspiel!
Laß unheil'ge Hand nicht schänden
Ihres Stammes schlanken Kiel!

Halte fern die Epheuranken,
Welche Menschentrost drum schwellt,
Die den Baum nicht machen wanken,
Doch durch die sein Schaft entstellt!

Nicht bedarf's, ihn zu begießen,
Deiner Tränen köstlich Naß;
Früh- und Abendtaue fließen
Ja auf ihn ohn' Unterlaß.

Aus den stillen grünen Matten
Rag' er schweigend, hoch, allein!
Einst in seinem Abendschatten
Wird ein süßer Schlummer sein.

2.
Einst an jenem großen Tage,
Wenn wir treten allzumal
An des Ew'gen Hofgelage
In den offnen Himmelsaal:

Da wird bang manch Herz erzittern,
Scheu gesenkt so manch ein Blick;
Doch dein Herz das wird nicht zittern
Und nicht senken sich dein Blick.

Und dein Fuß, er wird nicht wanken,
Schreiten wirst du fest und grad,
Nicht wie Einer, der zu danken,
Nein, wie der zu fordern naht!

Wie im Fürstensaal der Arme
Stolzen Auges rings erblickt,
Daß mit seinem Schweiß und Harme
Sich die Majestät hier schmückt!

Wenn du zu des Ew'gen Füßen
Einen Blumenozean
Siehst in Farbenwogen sprießen,
Rufst du frei und kühn hinan:

"Herr von diesen Rosen eine
War schon einst als Knospe mein!
Arm ward ich, seit sie die deine,
Du nicht reicher, seit sie dein!"

Eine Glorie siehst du wallen,
Die das Haupt des Ew'gen kränzt,
Aus den Morgenröten allen,
Die der Erde je geglänzt.

Ohne Scheu wirst du nun fragen:
"Herr, vom Lichtkranz, der dich ziert,
Hätte meinen Erdentagen
Nicht wohl auch ein Strahl gebührt?"

Harfen schlagen Engelchöre
Um des Allgewalt'gen Thron,
Und du rufst mit einer Zähre,
Furchtlos, doch im Schmerzenton:

"Herr es war zum Erdgeleite
Einer dieser Engel mein!
Du nahmst mir ihn von der Seite!
Hergewankt bin ich allein!"

Goethe's Heimgang

Süß mag das Aug' des Sterbenden sich schließen,
Der Freundestränen auf der Stirne fühlt,
Die drauf wie eine Todestaufe fließen,
Daß sich der bange Schweiß des Sterbens kühlt.

Doch Götterlos ist's, unbeweint zu scheiden,
Wenn man der Tränen und der Trauer wert!
Wozu soll eine Seele um sie leiden,
Wenn die Vollendung zu den Sternen fährt?

Ja, Götterlos ist's unbeweint zu scheiden!
Zu scheiden wie der Tag im Abendrot!
Er gab uns Wärme, Licht genug und Freuden,
Und zieht dahin, weil seine Zeit gebot!

Zu fallen wie ein Feld voll goldner Ähren,
Die schlank gewallt im grünen Jugendkleid,
Doch nun ihr lastend Haupt zur Erde kehren
Wer weint darob, daß es nun Erntezeit?

In Nacht zu sinken wie des Meeres Wogen,
Drauf Sonnenglanz, Goldwimpel, reiche Fracht,
Gesang und Schwäne tagesüber zogen!
Die Zeit ist um, ihr Recht will auch die Nacht!

Und zu zerstäuben wie die flücht'ge Wolke!
Sie hat Gedeihn geregnet auf die Flur,
Den Friedensbogen hell gezeigt dem Volke
Und löst sich nun in leuchtenden Azur.

So schied auch Er, der nun dahingegangen,
Der hohe Mann, der kräft'ge Dichtergreis,
Auf dessen Lipp', auf dessen bleichen Wangen
Der Kuß des Glücks noch jetzt verglühet leis. —

Ein kalter, starrer Arm, reglos gebeuget,
In dem die goldne Leier glanzvoll blitzt;
Ein greises Silberhaupt, im Tod geneiget,
Drauf immergrün der frische Lorbeer sitzt!

Sah dies mein Aug', nie konnt' es Tränen tauen!
Nein, stillbefriedigt, ruhig, glanzerhellt
Mußt' unabwendbar drauf es niederschauen, —
Fürwahr, durch eine Träne wär's entstellt!

Winterabend

Eisblumen, starr, kristallen an den Scheiben,
Wie ein Gehege vor der Sturmnacht Tosen,
Sie flüstern mir, indes sie Flimmer stäuben:
Wir sind die Geister schöner Frühlingsrosen!

Schneeflocken, wirbelnd hin mit weißem Glanze!
Es pochen leis' ans Fenster die versprühten,
Mir lispelnd flüchtig im Vorübertanze:
Wir sind die Geister duft'ger Frühlingsblüten!

Gefühle steigen auf in meiner Seele,
Wie beim Verklingen ferner Sterbeglocken,
Die bange Wehmutseufzer meiner Kehle
Und reiche Tränen meinem Aug' entlocken;

Sie aber singen sanft mir ins Gemüte:
Wir sind die sel'gen Geister deiner Lieben,
Mit denen du durchwallt des Frühlings Blüte,
Auf deren Grab nun diese Flocken stieben!