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Gesammelte Werke
Hugo von Hofmannsthal

Band 1 Gedichte
©Frankfurt a.M. 1979

Die Gedichte 1891-1898
 

Kleine Blumen
Was ist die Welt
Den Pessimisten
Frage
"Sunt animae rerum"
Fronleichnam
Siehst du die Stadt
Sturmnacht
Verse, auf Banknote geschrieben
Gülnare
Gedankenspuk
Verheißung
Denkmal-Legende
Sünde des Lebens
Vorgefühl

Kleine Blumen


Kleine Blumen, kleine Lieder,
Heller Klang und bunte Pracht,
Blumen, die ich nicht gezogen,
Lieder, die ich nicht erdacht: —
Und ich selber hätte nichts,
Dir zu bringen, Dir zu danken,
Sollte heute, heute schweigen?
Ach, was mein war, die Gedanken,
Sind ja längst, schon längst Dein Eigen.


Was ist die Welt?

Was ist die Welt? Ein ewiges Gedicht,
Daraus der Geist der Gottheit strahlt und glüht,
Daraus der Wein der Weisheit schäumt und sprüht,
Daraus der Laut der Liebe zu uns spricht

Und jedes Menschen wechselndes Gemüt,
Ein Strahl ists, der aus dieser Sonne bricht,
Ein Vers, der sich an tausend andre flicht,
Der unbemerkt verhallt, verlischt, verblüht.

Und doch auch eine Welt für sich allein,
Voll süß-geheimer, nievernommner Töne,
Begabt mit eigner, unentweihter Schöne,

Und keines Andern Nachhall, Widerschein.
Und wenn du gar zu lesen drin verstündest,
Ein Buch, das du im Leben nicht ergründest.


Den Pessimisten

Solang uns Liebe lockt mit Lust und Plagen,
Solang Begeistrung wechselt und Verzagen,
Solange wird auf Erden nicht die Zeit,
Die schreckliche, die dichterlose tagen:
Solang in tausend Formen Schönheit blüht,
Schlägt auch ein Herz, zu singen und zu sagen,
Solang das Leid, das ew'ge, uns umflicht,
Solange werden wir's in Tönen klagen,
Und es erlischt erst dann der letzte Traum,
Wenn er das letzte Herz zu Gott getragen!


Frage

Merkst du denn nicht, wie meine Lippen beben?
Kannst du nicht lesen diese bleichen Züge,
Nicht fühlen, daß mein Lächeln Qual und Lüge,
Wenn meine Blicke forschend dich umschweben?

Sehnst du dich nicht nach einem Hauch von Leben,
Nach einem heißen Arm, dich fortzutragen
Aus diesem Sumpf von öden, leeren Tagen,
Um den die bleichen, irren Lichter weben?

So las ich falsch in deinem Aug, dem tiefen?
Kein heimlich Sehnen sah ich heiß dort funkeln?
Es birgt zu deiner Seele keine Pforte

Dein feuchter Blick? Die Wünsche, die dort schliefen,
Wie stille Rosen in der Flut, der dunkeln,
Sind, wie dein Plaudern: seellos ... Worte, Worte?


"Sunt animae rerum"
                 
Thomas von Aquino

Ein gutes Wort mußt du im Herzen tragen,
Und seinen Wert enthüllt dir eine Stunde:
Stets dringt dein Aug nicht nach des Meeres Grunde,
An trüben tiefer als an hellen Tagen.


Zuweilen gibt ein lichter Blick dir Kunde
Von Herzen, die in toten Dingen schlagen,
Und wenn du nur verstehest recht zu fragen,
Erfährst du manches auch aus stummem Munde.

Drum flieh aus deinem Selbst, dem starren, kalten,
Des Weltalls Seele dafür einzutauschen,
Laß dir des Lebens wogende Gewalten,

Genuß und Qualen, durch die Seele rauschen,
Und kannst du eine Melodie erlauschen,
So strebe, ihren Nachhall festzuhalten!


Fronleichnam

Von Glockenschall, von Weihrauchduft umflossen,
Durchwogt die Straßen festliches Gepränge
Und lockt ringsum ein froh bewegt Gedränge
An alle Fenster, — deines bleibt geschlossen.

So hab auch ich der Träume bunte Menge,
Der Seele Inhalt, vor dir ausgegossen:
Du merktests kaum, da schwieg ich scheu-verdrossen,
Und leis verweht der Wind die leisen Klänge.


Nimm dich in acht: ein Tag ist schnell entschwunden,
Und leer und öde liegt die Straße wieder;
Nimm dich in acht: mir ahnt, es kommen Stunden,

Da du ersehnest die verschmähten Lieder:
Heut tönt dir, unbegehrt, vielstimmiger Reigen,
Wenn einst du sein begehrst, wird er dir schweigen.


Siehst du die Stadt

Siehst du die Stadt, wie sie da drüben ruht,
Sich flüsternd schmieget in das Kleid der Nacht?
Es gießt der Mond der Silberseide Flut
Auf sie herab in zauberischer Pracht.

Der laue Nachtwind weht ihr Atmen her,
So geisterhaft, verlöschend leisen Klang:
Sie weint im Traum, sie atmet tief und schwer,
Sie lispelt, rätselvoll, verlockend bang.

Die dunkle Stadt, sie schläft im Herzen mein
Mit Glanz und Glut, mit qualvoll bunter Pracht:
Doch schmeichelnd schwebt um dich ihr Widerschein,
Gedämpft zum Flüstern, gleitend durch die Nacht.


Sturmnacht

Die Sturmnacht hat uns vermählt
In Brausen und Toben und Bangen:
Was unsre Seelen sich lange verhehlt,
Da ists uns aufgegangen.

Ich las so tief in deinem Blick
Beim Strahl vom Wetterleuchten:
Ich las darin mein flammend Glück,
In seinem Glanz, dem feuchten.

Es warf der Wind dein duftges Haar
Mir spielend um Stirn und Wangen,
Es flüsterte lockend die Wellenschar
Von heißem tiefem Verlangen.

Die Lippen waren sich so nah,
Ich hielt dich fest umschlungen;
Mein Werben und dein stammelnd Ja,
Die hat der Wind verschlungen.


Verse, auf eine Banknote geschrieben

Was ihr so Stimmung nennt, das kenn ich nicht
Und schweige still, wenn einer davon spricht.
Kann sein, daß es ein Frühlingswogen gibt,
Wo Vers an Vers und Bild an Bild sich flicht,
Wenns tief im Herzen glüht und schäumt und liebt —
Mir ward es nie so gut. Wie Schaum zerstiebt


Im Sonnenlicht mir jede Traumgestalt,
Ein dumpfes Beben bleibt von der Gewalt
Der Melodie, die ich im Traum gehört;
Sie selber ist verloren und verhallt,
Der Duft verweht, der Farbenschmelz zerstört,
Und ich vom Suchen matt, enttäuscht, verstört.

Doch manchmal, ohne Wunsch, Gedanke, Ziel,
Im Alltagstreiben, mitten im Gewühl
Der Großstadt, aus dem tausendstimmgen Chor,
Dem wirren Chaos, schlägt es an mein Ohr
Wie Märchenklang, waldduftig, nächtigkühl,
Und Bilder seh ich, nie geahnt zuvor.

Das Nichts, der Klang, der Duft, er wird zum Keim,
Zum Lied, geziert mit flimmernd buntem Reim,
Das ein paar Tage im Gedächtnis glüht —
Mit einem Strauß am Fenstersims verblüht
In meines Mädchens duftig engem Heim —
Beim Wein in einem Trinkspruch flüchtig sprüht —


So faß ich der Begeistrung scheues Pfand
Und halt es fest, zuweilen bunten Tand,
Ein wertlos Spielzeug, manchmal – selten – mehr,
Und schreibs, wo immer, an der Zeitung Rand,
Auf eine leere Seite im Homer,
In einen Brief – (es wiegt ja selten schwer) —

Ich schrieb auch schon auf eine Gartenbank,
Auf einen Stein am Quell, daraus sie trank,
Auf bunte Schleifen buntre Verse schier,
Auf einer Birke Stamm, weißschimmernd, blank,
Und jüngst auf ein zerknittert Stück Papier
Mit trockner Inschrift, krauser Schnörkelzier:

Ein Fetzen Schuld, vom Staate aufgehäuft,
Wie's tausendfach durch aller Hände läuft,
Dem einen Brot, dem andern Lust verschafft,
Und jenem Wein, drin er den Gram ersäuft;
Gesucht mit jedes erster, letzter Kraft,
Mit List, in Arbeit, Qualen, Leidenschaft.


Und wie von einem Geisterblitz erhellt,
Sah ich ein reich Gedränge, eine Welt.
Kristallklar lag der Menschen Sein vor mir,
Ich sah das Zauberreich, des Pforte fällt
Vor der verfluchten Formel hier,
Des Reichtums grenzlos, üppig Jagdrevier.

Der Bücher dacht ich, tiefer Weisheit schwer,
Entrungen aus des Lebens Qualenmeer,
Der Töne, aus der Sphären Tanz erlauscht,
Der Bilder Farbenglut, Gestaltenheer,
Der Becher Weins, daraus Begeistrung rauscht,
All' für das Zauberblättchen eingetauscht.

Der harten Arbeit untertän'ge Kraft,
Erlogner Liebe Kuß und Leidenschaft,
Die Jubelhymne und des Witzes Pfeil,
Was Kunst und was Natur im Wettkampf schafft,
Feil! alles feil! die Ehre selber feil!
Um einen Schein, geträumter Rechte Teil!


Und meiner Verse Schar, so tändelnd schal,
Auf diesem Freibrief grenzenloser Qual,
Sie schienen mir wie Bildwerk und Gezweig
Auf einer Klinge tödlich blankem Stahl. —

– – – – – – – – – – – – – – – – – –

 
Gülnare

                                      1.
Schimmernd gießt die Ampel Dämmerwogen um dich her,
Leise kommt der Orchideen Duft geflogen um dich her
Aus den bunten, schlanken Vasen; und der Spiegel streut die Strahlen,
Die er, wo der Schimmer hinfällt, aufgesogen, um dich her.
Auf dem Teppich, dir zu Füßen, spielt der Widerschein des Feuers,
Zeichnet tanzend helle Kreise, Flammenbogen um dich her;
Und die Uhr auf dem Kamine, die barocke, zierlich steife,
Tickt die Zeit, die süßverträumte, wohlgewogen um dich her.

                                      2.
Und die Melodie der Farben und der reichen Formen Reigen
Schlingt sich lautlos, schönheittrunken um dein Träumen und dein Schweigen.
Märchenhaft ist deine Schönheit, märchenhaft und fremd und blendend,
Wie die goldnen Arabesken, die sich funkelnd rings verzweigen,
Und sie schwebt auf lichten Wolken, erdenfremd und sorglos lächelnd,
Wie die Amoretten, die sich von der Decke niederneigen.
Nur die Liebe fehlt dem Märchen, die das Schönste doch im Märchen:
Laß es mich zu Ende dichten, gib dich, Märchen, mir zu eigen.

Gedankenspuk

"
Könnten wir die Historie loswerden"
                             
Friedrich Nietzsche

Vernichtunglodernd,
Tödlich leuchtend,
Lebenversengend
Glüht uns im Innern
Flammender Genius.
Aber es schützt uns
Vor dem Verglimmen
Kühlenden Unkrauts dichte Decke,
Die unser Herz feucht wuchernd umspinnt:
Gewohnheit und gedankenlose
Lust am Leben,
Und tröstende Lüge,
Und süßer Selbstbetrug,
Und trauliches Dämmern
Von heut auf morgen —
Wir tragen im Innern
Leuchtend die Charis,
Die strahlende Ahnung der Kunst.
Aber die Götter haben sie tückisch
Mit dem Hephästos vermählt:
Dem schmierigen Handwerk,
Der hinkenden Plage,
Der humpelnden, keuchenden Unzulänglichkeit.
Wir tragen im Innern
Den Träumer Hamlet, den Dänenprinzen,
Den schaurig klugen,
Den Künstler der Lebensverneinung,
Der den Schrei der Verzweiflung noch geistreich umrankt mit funkelndem Witz.
Aber bei ihm sitzt
In unserer Seele enger Zelle
Mit blödem Mönchsfleiß,
Und emsig das Leben bejahend,
Gräber schaufelnd der schmerzenden Wahrheit,
Gräber von Büchern, Worten, Staub,
Der eignen Beschränktheit in Ehren froh,
Ein lallender Kobold: der deutsche Professor —
Wir tragen im Innern den Faust, den Titanen,
Und Sganarelle, die Bedientenseele,
Den weinenden Werther – und Voltaire, den Zweifler,
Und des Propheten gellenden Wehruf
Und das Jauchzen schönheittrunkner Griechen:
Die Toten dreier Jahrtausende,
Ein Bacchanal von Gespenstern.
Von andern ersonnen, von andern gezeugt,
Fremde Parasiten,
Anempfunden,
Krank, vergiftet. —
Sie wimmern, sie fluchen, sie jauchzen, sie streiten:
Was wir reden, ist heisrer Widerhall
Ihres gellenden Chors.
Sie zanken wie taumelnde Zecher
Uns zur Qual!
Aber es eint sie die Orgie
Uns zur Qual!
Sie trinken aus unsrem Schädel
Jauchzend den Saft unsres Lebens —
Sie ranken sich erstickend,
Zischende Schlangen,
Um unser Bewußtsein —
Sie rütteln am ächzenden Baum unsres Glücks
Im Fiebersturm —
Sie schlagen mit knochigen Händen
An unsrer Seele bebende Saiten —
Sie tanzen uns zu Tode!
Ihr wirbelnder Reigen wühlt die Welle auf.
Die Lebenswelle, die Todeswelle,
Bis sie die Dämme brandend zersprenget
Und die Gespenster verschlinget
Und uns mit ihnen —
Und sich über unsre Qualen breitet
Ein schweigender, kühlender Mantel:
Nacht - - - – – –!

Verheißung

Fühlst Du durch die Winternacht
Durch der kalten Sternlein Zittern
Durch der Eiskristalle Pracht
Wie sie flimmern und zersplittern,
Fühlst nicht nahen laue Mahnung,
Keimen leise Frühlingsahnung?

Drunten schläft der Frühlingsmorgen
Quillt in gährenden Gewalten
Und, ob heute noch verborgen,
Sprengt er rings das Eis in Spalten:
Und in wirbelnd lauem Wehen
Braust er denen, die's verstehen.

Hörst Du aus der Worte Hall,
Wie sie kühn und trotzig klettern
Und mit jugendlichem Prall
Klirrend eine Welt zerschmettern:
Hörst Du nicht die leise Mahnung,
Warmen Lebensfrühlings Ahnung?

Denkmal-Legende
Zum Grillparzer-Gedenktage
(15. Jänner 1891)

                                   1.

Der Mann sitzt dort am Weg schon lang, so lang;
Und ich bin so müd, und ich schliche so gern mich fort,
Und es hält mich sein Blick mit leisem, festem Zwang
Und mir ist, als müßt ich ihm sagen ein Wort — und mir fehlt das Wort!

Es dämmert. Draußen klirrt und rauscht die Stadt.
Die Steine qualmen. Es ist dumpf und schwül.
Der Werktag geht zur Neige, schlurfenden Schritts und matt.
Hier aber, im Garten, ists leer und feucht und kühl.

Jetzt steht er auf, der hagre alte Mann.
Nein, nein, noch nicht — Was schläft nur in den Augen,
Den müdverschleierten — mich hält ihr Bann —
Daß sie die Kraft mir aus der Seele saugen?

So dämmern Augen, die der Tod umschleiert,
Der langsame, der aus dem Leben quillt,
Indes das Lied der Welt Entsagung leiert
Und Ekel flutend durch die Seele schwillt.

So zucken Lippen, wenn die Seele schreit,
Nach einem Rausch, einem Glück, einem Glanz!
Und was in mir schläft, verklungen, weit, so weit,
Das regt sich erwachend in schmerzlichem Tanz.

So zucken Lippen, wenn zu oft betrogen
Mißtrauisch jedes Wort im Innern lauert,
Wenn, die einst flügelschlagend ausgeflogen,
Die Seele frierend jetzt zusammenkauert.

Setz dich zu ihm und hör dem Atmen zu,
Wie das gepreßt, verschüchtert durch die Brust ihm schleicht,
Doch stör ihn nicht, er sehnt sich so nach Ruh —
Und nah ihm leise, er mißtraut dir leicht. —

                                   2.

Kennt ihr den Mann? Nicht wahr, ihr kennt ihn nicht?
Den alten Mann mit seiner scheuen Pein,
Und doch trägt dies selbe vergrämte Gesicht
Der eure auch, gehauen aus weißem Stein.

Doch um ihn schimmert, den er tönend schuf,
Der marmorweißen Geisteskinder Chor,
Und seines Genius reichumkränzter Ruf
Schlägt tausendzüngig heut an jedes Ohr.

Das ist, was wahllos diese Welt verleiht,
Was tosend durch das Reich der Zeiten wallt;
Des Namens hallende Unsterblichkeit,
Wie Erz so unvergänglich und so kalt.

Der Name, den der Enkel sinnlos nennt,
Wie wir Vergangnes sinnlos mit uns tragen,
Der Formelwahn, der ehrt, was er nicht kennt:
Das könnt ihr geben, das könnt ihr versagen.

Doch was mich rührt und mich verwandt ergreift,
Wobei mir unbewußt die Tränen kamen,
Was dämmernd mir vertraut im Innern reift:
Das lebt, und wüßt auch keiner seinen Namen.

Aus unsern eignen Schmerzen sprichts uns an,
Mitleidend können wir auch mitverstehen:
Das ist mein Wort für jenen alten Mann:
Es lebt der Schmerz, der Marmor wird vergehen.

Sünde des Lebens

Wie die Lieder wirbelnd erklingen!
Wie sie fiedeln, zwitschern und singen!
Wie aus den Blicken die Funken springen!
Wie sich die Glücklichen liebend umschlingen!
Jauchzend und schrankenlos,
Sorglos, gedankenlos
Dreht sich der Reigen,
Der Lebensreigen. —
Ich muß schweigen,
Kann mich nicht freuen,
Mir ist so angst. —

Finster am Bergesrand
Wandelt die Wolke,
Hebt sich des Herren Hand
Dräuend dem Volke:
Und meine Augen, sie sehens alleine,
Und meine Sorgen verstehens alleine —
Es fiel auf mich in der schweigenden Nacht,
Und es läßt mich nicht los,
Wie dumpfer hallender Glockenlaut,
Es folgt mir durch die Frühlingspracht,
Ich hör es durch der Wellen Getos:
Ich habe den Frevel des Lebens geschaut!

Ich sah den Todeskeim, der aus dem Leben sprießt,
Das Meer von Schuld, das aus dem Leben fließt,
Ich sah die Fluten der Sünden branden,
Die wir ahnungslos begehen,
Weil wir andere nicht verstanden,
Weil uns andere nicht verstehen.

O flöge mein Wort von Haus zu Haus,
Dröhnend wie eherne Becken,
Gellend durch das Alltagsgebraus,
Die Welt aus dem Taumel zu wecken,
Mit bebendem Halle
Zu fragen euch alle:

Dichter im Lorbeerkranz,
Betrogner Betrüger,
Wärmt dich dein Ruhmesglanz,
Macht er dich klüger?!
Deuten willst du das dämmernde Leben,
Im Herzen erlösen das träumende Streben?

Kannst du denn noch verstehen,
Was du selber gestern gedacht,
Kannst du noch einmal fühlen
Den Traum der letzten Nacht?
Wenn deine Seele weinet,
Weißt du denn auch warum?
Dir ahnt und dünkt und scheinet, —
Oh, bleibe lieber stumm.

Denn was dein Geist, von Glut durchzuckt, gebar,
Eh du's gestaltet, ists schon nicht mehr wahr.
Es ward dir fremd, du kannst es nicht mehr halten,
Kennst nicht seine tötenden Gewalten:

Endlose Kreise
Ziehet das leise
Unsterbliche Wort,
Fort und fort.

Wie es tausendfach gedeutet
Irrlichtgleich die Welt verleitet,
Schmeichelnd die Seelen betöret,
Tobend die Seelen zerstöret,
Ewig seine Form vertauschend,
Durch die Zeiten vorwärtsrauschend,
Nachempfunden, nachgehallt,
Seellos wogt und weiterwallt,
Ewig unverstanden taumelt,
Ruh- und friedlos immerzu,
Deines Geists verfluchtes Kind,
Unsterblich wie du!

Gatte der jungen Frau,
Hast du es auch bedacht,
Als um dich liebelau
Rauschte die erste Nacht,
Als du sie glühend an dich drücktest,
Daß du vielleicht ihre Seele ersticktest?
Daß vielleicht, was in ihr schlief,
Nach einem Andern angstvoll rief,
Um den's ihr unbezwinglich bangte,
Nach dem ihr ganzes Sein verlangte?

Daß dein Umfangen vielleicht ein Zerbrechen,
Daß dein Recht vielleicht ein Verbrechen? —

Nimm dich in acht!
Seltsame Kreise
Spinnen sich leise
Aus klagenden Augen
Und sie saugen
An deinem Glück!
Einen Andern
Hätten die Kreise
Golden umgeben,
Kraft ihm entzündend,
Liebe verkündend;
Dich aber quälen sie,
Schweigend erzählen sie
Dir von Entbehrung,
Die du verschuldet hast,
Dir von Entehrung,
Die du geduldet hast,
Und von Wünschen, unerfüllbar,
Und von Sehnsucht, die unstillbar
Ihr betrognes Herz durchbebt,
Wie die Ahnung des Verlornen,
Die um blasse Kinderwangen
Und um frühverwelkte Blumen
Traurig und verklärend webt.

Reicher im goldnen Haus,
Fühlst du kein Schauern?
Dringt nicht ein Stimmgebraus
Dumpf durch die Mauern?
Die da draußen frierend lungern,
Dich zu berauschen, müssen sie hungern,
Ihre gierigen Blicke suchen dich,
Ihre blassen Lippen verfluchen dich,
Und ihr Hirn mit dumpfem, dröhnendem Schlag,
Das schmiedet, das schmiedet den kommenden Tag.

Priester, du willst die Seele erkennen,
Willst Gesundes vom Kranken trennen,
Irrt dein Sinn oder lügt dein Mund?
Was ist krank?! Was ist gesund?!

Richter, eh du den Stab gebrochen,
Hat keine Stimme in dir gesprochen:
Ist das Gute denn nicht schlecht?
Ist das Unrecht denn nicht Recht?

Mensch, eh du einen Glauben verwarfst,
Weißt du denn auch, ob du es darfst?
Wärest du tief genug nur gedrungen,
Wär dir derselbe Quell nicht entsprungen?

Keiner ahnet, was er verbricht,
Keiner die Schuld und keiner die Pflicht.
Darfst du leben, wenn jeder Schritt
Tausend fremde Leben zertritt,
Wenn du nicht denken kannst, nichts erspüren,
Ohne zu lügen, zu verführen!
Wenn dein bloßes Träumen Macht ist,
Wenn dein bloßes Leben Schlacht ist,
Dunkles Verderben dein dunkles Streben,
Dir selbst verborgen, so Nehmen wie Geben!

Darfst du sagen "Ich sehe"?
Dich rühmen "Ich verstehe"?
Dem Irrtum wehren,
Rätsel klären,
Du selber Rätsel,
Dir selber Rätsel,
Ewig ungelöst?!

Mensch!
Verlornes Licht im Raum,
Traum in einem tollen Traum,
Losgerissen und doch gekettet,
Vielleicht verdammt, vielleicht gerettet,
Vielleicht des Weltenwillens Ziel,
Vielleicht der Weltenlaune Spiel,
Vielleicht unvergänglich, vielleicht ein Spott,
Vielleicht ein Tier, vielleicht ein Gott.
– – – – – – – – – – – – – – –
Wohl mir, mein müder Geist
Wird wieder Staub,
Wird, wie der Weltlauf kreist,
Wurzel und Laub;
Wird sich keimenden Daseins freuen,
Frühlingstriebe still erneuen,
Saftige Früchte zur Erde streuen;
Freilich, sein spreitendes Dach zu belauben,
Wird er andern die Säfte rauben,
Andern stehlen Leben und Lust:
Wohl mir, er frevelt unbewußt!

Vorgefühl

Das ist der Frühling nicht allein,
Der durch die Bäume dränget
Und wie im Faß der junge Wein
Die Reifen fast zersprenget,

Der Frühling ist ja zart und kühl,
Ein mädchenhaftes Säumen,
Jetzt aber wogt es reif und schwül
Wie Julinächte träumen.

Es blinkt der See, es rauscht die Bucht,
Der Mond zieht laue Kreise,
Der Hauch der Nachtluft füllt die Frucht,
Das Gras erschauert leise.

Das ist der Frühling nicht allein,
Der weckt nicht solche Bilder
– – – – – – – – – – – – – – –