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Gesammelte Gedichte
Maria Janitschek

Vierte Auflage
München 1910

Gedichte
 

Des Großen Schicksal
Gomorrha
Pfingstgedanken
Winter
Der erste Kuß
Judäas Herkunft
Abschied
Irrtum
Das größte Leid
Vorabend
Der stolzen Fraue Glück und Elend
In Weiß
Die Kranke
Die alte Jungfer
Nächtiges Elend
 
Trost
Klein Asra
Fiebertraum
Zu spät
Davids Werbung
Die Neugierige
Lebenszweck

 

Des Großen Schicksal


Sturm, hast du ein Heim?
Tau, hast du eine Hütte?
Sterne, dürft ihr ruhen?

Am grauen Abend
Sagte Er leise:
"Die Vögel haben ihre Nester,
Die Füchse ihre Höhlen,
Nur der Menschensohn hat nichts,
Um sein Haupt darauf zu betten." — —


Gomorrha

Das Feuer schleicht in den Gassen
Mit leisem Raubtiertritt,
Die schönen Töchter, die blassen,
Vernehmen nicht seinen Schritt.

Sie ruhn auf weichen Fellen,
Müd' von Gelagen und Tanz,
Vom Trank aus verbot'nen Quellen,
Von wilder Opfer Glanz.

Sie träumen von dunklen Freuden,
Von heimlicher Harfen Klang,
Von königlichem Vergeuden
Und lachendem Überschwang.

Sie träumen von — Cherubsflügeln —
Da stoßen die Wächter ins Horn,
Rot über Straßen und Hügeln
Lodert Jehovas Zorn. — —


Pfingstgedanken

Sucht nicht nach stolzen Worten für das Hohe,
Das stillste Gleichnis gibt sein treures Bild,
Nicht in des Blitzes greller Flammenlohe,
Im sanften Säuseln kam Jehova mild.

Ein Arbeitsmann im Kittel rauh und schlicht,
Schuf Christus seinen großen Geistesbau,
Nicht Gold ist's, das die Heldenstirn umflicht,
Nur junger Lorbeer aus der Frühlingsau.

Nicht stolzem Wissen ward das Paradies,
Die Einfalt führt zu ihm, der Kinderglaube,
Nicht zeptertragend, nicht im gold'nen Vlies,
Erschien der Geist, er kam als schlichte Taube.


Winter

Halt ich sacht auf weißem Felde,
Märchen sinnend, stillerlauschten,
Ist's, als ob zu meinen Häupten
Nahe Flügelschläge rauschten

Ist es mir, als ob der Schneewind
Warme Blütendüfte brächte,
Blumenduft von tausend Beeten,
Aus der Glutpracht fremder Nächte.

Behend eil' ich in den Garten,
Wo die Bäume silbern stehn,
Um in zitterndem Erwarten
Nach den Zweigen aufzuseh'n.

Streif den Schnee von ihnen zärtlich
Der sie in sein Weiß versteckt,
Und erblick, o lieblich Wunder!
Junge Äuglein, schlafbedeckt.

Frühling! Nach des Sommers Abschied
Nah'st du schon mit leisen Küssen,
Und es gibt gar keinen Winter,
Und kein kaltes Sterben müssen.


Streift den Schnee nur von den Dingen,
Drunter grünen neue Triebe,
Und ihr spürt des Lebens Jugend
Und die Urkraft seiner Liebe. — — — —

Der erste Kuß

Triumphierend lag die gold'ne Landschaft,
Triumphierend lächelte der Himmel,
Triumphierend jauchzten die Geschöpfe.

Fluren dufteten und Ströme schäumten,
Alle Schwingen hatten sich entfaltet,
Aus den Larven drangen junge Leben,
Blumen trieben aus den Kirchhofsgräbern.

Welches Glück war denn herabgekommen,
Daß solch Festgejubel plötzlich herrschte?
War der Tod gestorben? Nein, noch Schöneres
War gescheh'n: Der Frühling war geboren.

"Frühling", dachte Iris, durch die gold'ne
Erdreichduftige Wärme langsam wandelnd,
"Menschen, weshalb preist ihr nur den Frühling?" - - -

Sie verstand ihn nicht, die Königstochter.
Knospen gleich schlief ihre junge Seele,
Still behütet von der Hand des Vaters.

Sommer kam und ging.
                                  Die Wintertage
Wichen neuem Lenzen. Leise raunte
Vor sich hin die junge Königstochter:
"Menschen, weshalb preist ihr nur den Frühling?"

Und sie trat hinaus aus hoch umschloss'nen
Palmengärten, eilte durch die Felder,
Durch die blumenfrohen, bunten Wiesen,
Wo sich junge Gräser zärtlich küßten.

Sinnend hing ihr stilles Aug' an diesen,
Sah hinaus in lichtdurchscheinte Weiten,
Sah die Schwalben tanzen durch den Äther,
Und sie schüttelte die hellen Locken.

Einmal aber war's so märchenselig
Draußen in der gold'nen Frühlingsstimmung,
War's so schön wie nie.
                                    Die Glocken sangen
In den Dörfern rings, als wär' es Sonntag.

Winde läuteten die frommen Glocken,
Junge, übermütige Frühlingswinde,
Alle Menschen falteten die Hände,
Und die Blumen senkten ihre Häupter.

In dem knospenroten Tannenwald
Stand die Königstochter und sie lauschte
Jenen Tönen und zum erstenmale
Klang ihr ahnungsvolles Herz mit ihnen.

Da berührte sie ein warmer Odem,
Und ein Jünglingsarm schlang zärtlich-schüchtern
Sich um ihren Leib.
                              "Phylander!"
                                                   "Iris!
Kannst du heute zürnen, heute! heute!
Hör die Glocken, sieh die Himmelsschlüssel
Die das Paradies uns öffnen, glänzen,
Sieh der tausend Purpurflügel Tanz,
Frühling, Frühling ist's, o Iris, Frühling" - - -

Und er neigte sich auf ihre Lippen
Tief herab. Die junge Königstochter
Sah mit großen Augen in den Himmel,
Hörte ferne, selige Glockenklänge. - - -
- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -

"Bist so bleich, mein Kind," sprach mild der König,
Doch ein tiefer, strahlend-froher Blick,
Traf ihn aus den dunklen Jungfraunaugen.
"Niemals war ich noch so froh, mein Vater."

Öfter ging sie hin zum Walde, öfter
Saß sie einsam dort viel' lange Tage,
Saß im Lenz, im Sommer, aber niemals
Nahte jene Stunde neu verkörpert.

Mondlicht sah sie wandeln zu den Dörfern,
Wo die Glocken einst so selig klangen,
Mondlicht sah sie Himmelsschlüssel suchen,
Nimmer fand sie den zu i h r e m Himmel.

Große Trauer ging da durch die Lande,
Iris, sie, die holde Königstochter,
War erkrankt an einem schweren Leide,
Das kein einziger Arzt zu bannen wußte.

Jeder Morgen sah sie schwächer werden,
Einer Säule weißem Rauches glich sie,
Die ein Windhauch jäh verflüchtigen konnte.

Eines Abends trat der Arzt zum König,
Und er sprach nichts als das Wörtchen: "Heute!"
"Heute!" rief der König und er stürzte
Auf die Knie vor seinem kranken Kinde.

"Iris, Liebling, sage, gibt’s auf Erden
Nichts Erschaff'nes, das dich deinem Vater
Wieder gäbe? Wunder möcht' ich wirken!" - - -

Da erhob sie ihre müden Augen
Sanft zu ihm und leiser Schimmer färbte
Ihre alabasterbleichen Züge.

"Wunder möchtest du aus Liebe wirken?
Nun, so wirke sie. Im Frühling küßte
Mich Pylander, zürne nicht, der Hirte.
Nur sein Kuß gibt mich dem Leben wieder." - - -

Wortlos schlug der Königsgreis die Hände
Vor das Angesicht, dann ging er langsam
Von dem Bette seiner blassen Tochter,
Um den braunen Hirten aufzusuchen.
- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -

Frühling war's. Auf sonnigen Wiesen spielten
Junge Blumen, wiegten gold'ne Falter
Sich im Blau. Die knospenroten Wälder
Glichen einem weiten Brautgemache.

Langsam wandelte in weißen Schleiern
Aus den hochumschloss'nen Königsgärten
Iris, die dem Leben Neugewonnene.

Sachte tritt sie in den Wald, da grüßen
Ferne Glocken sanft, da neigt sich leise
Auf das Königskind ein hoher Jüngling.

"Iris! Frühling ist es! Lang geschmachtet
Hab' ich nach dem lieben Antlitz. Ehrfurcht
Hielt mich ab, auf's neue dir zu nahen. - - -

Frühling, Iris!" Und er beugt sich nieder
Zu den Rosen, die entgegenblühen
Seinem Munde. "Frühling, Iris ist es." - - -

Glocken läuten in den Tälern unten,
Himmelsschlüssel glänzen in den Wiesen,
Aber sie vernimmt kein Glockenläuten.

Ihre Augen sehen keinen Himmel
Denn sie sind geschlossen. Festgeschlossen
Ruhen alle Sinne, nur die Lippen
Küssen, trinken, nur die Lippen wachen. - - -

"War's wie damals?" fragte mild der Vater,
Als sie spät, im leisen Mondenglanze
In die hochumschloss'nen Palmengärten
Langsam mit gesenkter Stirne eintrat.

Weinend sank sie an die Brust des Edlen.
"Nein, mein Vater! Keinen Himmel sah ich,
Und ich hörte keine Glocken singen,
Nur sein Kuß erfüllte meine Sinne.

Vater, Vater! Kann es nimmer werden
So wie einstens." - - -
Heiße Kindersehnsucht
Schluchzte aus der Brust der Königstochter.

"So wie einstens!" - - -
Mondlicht rann hernieder,
Und das greise Männerhaupt sah träumend
In die dämmerhafte, weiße Helle.

"So wie einstens! Küssen und den Himmel
Spüren über sich und beten küssend,
Ist nur einmal möglich, liebe Tochter,
Wenn die Liebe küßt zum erstenmale." - - -
- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -

Bleich blieb Iris.
                             Sah den Hirten nimmer.
Träumen war ihr Leben, langsam Welken.
Kann ein Sterblicher wohl Erd' u n d Himmel
In der engen Brust zugleich umfangen?

Judäas Herkunft

Wo die Sonne purpurne Rosen flicht,
Um der Felsen ehernes Angesicht,
Wo der Schritt auf metallischem Boden klirrt,
Und der Löwe sich eine Löwin kürt.

Wo Wasser kostbar wie Fürstenblut,
Wo die Nacht voll Rätsel und heimlicher Glut,
Wo Engel verlangend zur Erde steigen,
Und schlanke Palmen im Samum sich neigen.

Da kommen sie her, geheimnisvoll.
Ihre Liebe ist brennend wie ihr Groll,
Das Feuer hat uns ihr Herd gegeben,
Ihr Stern wird die Erde überleben.

Abschied

Es war im Herbst.
                                Bestellt lag alles Land.
Wer noch auf Ernte hoffte, war ein Bettler.
Die Vögel saßen satt im braunen Laub,
Der Maulwurf hatte seinen Wintervorrat.

Nur Zwei, die hatten nicht geerntet.
                                                      Ach,
Sie waren ärmer, als die kleinsten Vögel,
Und ärmer, als des Maulwurfs blinde Brut.

Sie durften nicht einander angehören. — — —
— — — — — — — — — — — — — — — — —

Im Spätherbstschweigen zogen sie hinaus
Auf einen hohen Berg. Dort oben wollten
Sie Abschied nehmen, Abschied wohl für immer. —

Ein Kirchlein krönte jenes Berges Gipfel.
Die off'nen Türen zeigten leere Bänke,
Ein längst verlass'nes Schwalbennest, ein Bild
Vom Alter schwarz auf schmucklosem Altar.

Sie traten nicht in den geweihten Raum.
Auf welken Rosen ließen sie sich nieder
Und sah'n vor sich in eine Welt voll Ernst,
Voll schroffer Majestät, voll herber Größe.

So saßen lange, lange sie.
                                       Kein Laut.
Kein Windesweh'n war um sie her.
                                                 Es schlug
Indessen sie so ruhig beisammen saßen,
Nicht eine Blume ihre Augen auf.

Allmählich färbten sich die Berge purpurn
Vom Glanz der Abendröte angeglüht.
"Willst du nun gehn?"
                                  Sie sah ihn traurig an.
Er nickte und sie standen auf und gingen.

Die Nacht stieg aus dem weichen Baumgeäst,
Es wurde dunkler, dunkler.
                                         Steile Wege,
Die talwärts führten, gingen stumm die Beiden.

Nun suchte seine Hand die ihre nimmer.
Das Laub, das dürre unter ihren Schritten
Es sprach viel deutlicher als Händedrücke.

Es sagte: Seht, hier euer Los! Verwelken,
Vom Sturm entwurzelt und zertreten werden! — — —
Da blieb sie stehn und rief:
                                            "Ich kann nicht mehr!"

Er wandte wortlos sich nach ihr zurück
Und faßte sie und zog sie mit sich fort.
Wozu verweilen? Weiter, weiter, weiter! — —
Doch plötzlich gab's kein Weiter. — —
                                              Mit dem Stab
Nach vorwärts tastend, stieß er in die Luft
Ins Leere. — — — — — — — — — — — — —

In diesem Augenblicke, da der Tod
So nahe ihnen, daß sein dürrer Finger
Schon ihre Knie knicken machte, stieg
Vor ihnen auf ein wundersames Licht.

Ein Strahl, ein Aug, das durch das Dunkel glänzte,
Ein winzig Flämmchen und doch hell, als ob
Die Sonne einen Funken hier verloren.

Erleichtert atmeten die Bangen auf,
Nun sahen sie des Abgrund's Nacht vor sich,
Voll tiefen Schauers traten sie zurück,
Und folgten jenes Lichtes gold'nem Winken.

Vor ihnen schwebend leitete der Funke
Auf sichere Wege sie. Der Mann ergriff ihn. —
Es war ein kleiner Wurm! Und trug ihn sanft
Ins blätterdichte, schützende Laubgeäst.

Dann zog er stumm das Weib an seine Brust,
Und beide weinten heiß vor Weh und Glück
Und beide hofften auf den den Herrn der Wunder. —

Irrtum

Auf den Junigärten ruht Schneelicht des Mondes
Und hüllt sie in jungfräuliches Weiß,
Schneelicht des Mondes ruht auf ihnen
Und doch ist die Luft schwül und heiß.

Laß dich nicht täuschen von der bleichen Verklärung,
Unterm Weiß brennt der Rosen begierig Rot,
Und im blumenverhangenen, weichen Dickicht
Küssen sich Nachtigallen zu tot. — — —

Das größte Leid

Was ist das allerschwerste Leid
Das nicht verlöscht die Hand der Zeit?
Was ist das bitterste Verderben,
Noch bitt'rer als ein einsam Sterben?

Das ist: Wenn Lieb nach Liebe drängt
Und — Mitleid nur, statt ihr empfängt,
Das ist das allerschwerste Leid,
Das nicht verlöscht die Hand der Zeit.

Dein Mitleid, das beglückt mich nicht.
Nein! Liebe will ich, Sonnenlicht,
Nicht einer Lampe dürftigen Schein,
Nicht Honigwasser: Feuerwein.

O brennen sollst du, liebberauscht,
Dem Frühling hab ich's abgelauscht,
Wie der es tut mit seiner Erden,
Tu ich's mit dir, mein mußt du werden.

Vorabend

Sie hatten sich lieb, kein Mensch weiß w i e lieb,
Und mussten sich trennen. — — — — —

In der Fremde sitzt sie allein vorm Haus,
Mocht's daheim nicht länger ertragen,
Und sieht in die herbstkühle Welt hinaus
In stillem, totstillem Entsagen.

Da kommt durch die Luft ein tiefer Ton,
Als begänn die Sonne zu singen,
Die lautlosen Wälder klingen davon,
Der Magd will das Herz zerspringen.

Das ist der Pfarrglocke mahnender Mund,
Marientag ist morgen,
Das tut sie allen Frommen kund
Die sich im Herrn geborgen.

Und jetzt tönt's mit hellem Klang
Aus allen Dörfern drüben,
Es ist es hehrer Weihgesang,
Kein Turm ist stumm geblieben.

Es singt und klingt der eherne Chor,
Er singt und klingt so eigen,
Er trägt die müde Welt empor,
Will ihr den Sonntag zeigen.

Die Magd erhebt sich von der Bank
In tränenlosem Weinen,
Sie schleicht aufs Feld sich, müd und wank,
Ein Bild tät ihr erscheinen.

Wie heute war's — es ist ein Jahr —
Die Luft war voll Frohlocken,
Da hoben weich und wunderbar
Zu singen an die Glocken.

An s e i n e m Arme schritt sie still,
Und keines sprach zum andern,
Sie hatten zu sagen sich allzuviel,
Drum taten sie lieber wandern.

Durch Wälder dicht und golden braun,
Durch Täler gingen sie hin,
Auf hohem Berg in seligem Schau'n
Fand sie das Abendglüh'n.

Auch damals war Marientag
Als sie von ihm geschieden,
Und morgen ist Marientag,
O Herr, gib mir den Frieden!

Es ruft ihr wunderkrankes Herz
Zum Himmel um Erhören,
Den Wald durchklinget jubelnd Erz,
Wie Sang aus Engelchören.

Da schreit sie auf in weher Lust,
Was herber Stolz erklügelt,
Zerschmolzen ist's in ihrer Brust,
Sie eilt dahin beflügelt. — — —
— — — — — — — — — — — —

Sie kam zu ihm mit off'nem Haar
Und Wangen vom Wege warmen,
Ihre Augen leuchteten vollmondklar,
Sie starb in seinen Armen.

Der stolzen Fraue Glück und Elend

In stiller Nacht, im Spiegel eines Traumes,
Sah'n ihre Seelen sich zum erstenmal.
Dann, als das Schicksal sie zusammenführte,
Da glich ihr Finden einem Wiedersehen.

Sie liebte es, in leiser Sternennacht
Entleg'ner Pfade Schweigen aufzusuchen,
Im Schoß der schönen Zauberin Einsamkeit
Das Haupt zu betten, rätselhafter Tale,
Geheimen Zwiegespräch zu lauschen.
                                                     Einstmals
Begegnete auf mondbeglänzten Wassern
Ihr Boot dem seinen. Neidisch sah sie es
Hingleiten lautlos durch die weichen Fluten,
Nicht mehr allein gehörten ihr die Sterne,
Der Nacht geheime Wunder sah ein Zweiter.

"Ich lieb' was du liebst", gab er stolz zurück
Auf ihre Frage.
                       "Deshalb liebst du mich." — —
Er schwieg. Sie legte leise ihren Mund
Auf seinen.
                     Da entrang ein Schrei des Glückes
Sich seiner Brust. — — — — —
Kein Heute und kein Morgen kennen, fremd sein
Für alle, nur für e i n e Seele nicht,
Kein Sparen kennen, Gott die Fülle rauben,
Als Ich im Du vergeh'n, das ist die Liebe.

Am Abend eines gold'nen Junitages
Verwehte Blüten aus den Locken schüttelnd,
Rief jene Frau der Wonne sich bewußt,
Die sie ihm schenkte:
                                  "Wie, wenn plötzlich Sturm
Vom Himmel stürzte und mich dir entzög,
Vermöchtest du zu leben?" — — —
                                           Und er lächelnd:
"Welch' wunderliche Frage, laß mich sinnen,
Ich glaube: nein!"
                             "Du glaubst nur?"
                                                     "Aber Kind!"
Die Nachtigallen schwiegen bang, die Frau
Sah ihn beschwörend an.
                                     "Ich glaube: nein!"
"Vermöchtest du zu leben ohne mich?" — —
Darauf ein langer, sie liebkosender Blick
Voll wehen Vorwurfs: "Ja!"
                                 "Wie?"
                                   "Ja, ich könnt's!" — —

Der Mond verbirgt sich hinter Wolkenhügeln,
S'ist kühl geworden, kühl und still auf einmal.

Mit müden Schritten geht die Frau von dannen,
Doch plötzlich hält sie, läuft zurück und wirft sich
An seine Brust:
                        "Wer ist's, der mich des Szepters
Berauben will, wen liebst du mehr als mich?"
"Die Arbeit!" — — —
                   Schnee. Im leergeword'nen Garten
Auf nacktes Astwerk stürzt sich müd' der Winter
Und blickt ins Land hinaus. Mit steifen Flügeln
Bewegt sich lautlos hie und da ein Vöglein.
Es schweigt die Liebe.
                                 O du stolzgekrönte
Du demantharte, flammenzungige Liebe,
Du trotzige Streiterin, wirf endlich ab
Den schwerterblanken Harnisch deines Hochmuts,
Begehre nicht in heißem Ungestüm
Die ganze Lichtwelt eines Menschengeistes
Für dich! Ein Platz, ein kleiner Platz genügt
Im H e r z e n deines Liebsten. — — —
Sie schüttelte die zorngesträubten Locken.
"Nur Königin oder nichts."
                                         Sie floh verblutend.
Er schwieg in stolzem Trotz, er schwieg sich tot.

Von neuem kam der lange blaue Sommer.
Von neuem gaukelten im Gold der Lüfte
Entzückte Lerchen, bebten junge Blumen
Im Arm des Windes.
                                Aber ihre Kähne
Begegneten einander nimmermehr
Auf silbernen Gewässern. — — — —
                                    Und von neuem
Fiel eisiger Reif vom grauen Himmel nieder,
Verwischte Frost der Blumen letztes Lächeln.
Mit wunden Füßen zog die Frau dahin,
Von Land zu Land, von Stadt zu Stadt.
                                                Einst sank sie
An seinem Grabe nieder.
                                        "Dornenpfade
Will ich, die Stolzeste, in Demut gehen.
Nur eine Gnade sollst du Hehrer schenken
Der Büßerin: In meinem Todesstreit
O wolle dich auf gold'nem Fittig senken
Herab zu mir, aus Deiner Ewigkeit.
Zu Füßen meines Lagers stehe dann,
Reich' mir den Kranz, den Kranz aus lichten Myrten,
So rufe aus des Lebens dunklen Bann
An deine Brust, die Seele der Verirrten." — —

Auf ihrem Wege sah sie viele Türen
Geöffnet, die hinüberführten, viele.
Sie aber wollte harren, bis ihr Gott
Mit mächtigem Finger auftat seines Reiches
Geheimnisvolles Morgentor.
                                           Die Kraft,
Die — eine unsichtbare Feuersäule —
Natur in ihr entfacht, verlöschte endlich.
In fremden Land vor einer nieder'n Hütte
Brach leiderschöpft die müde Frau zusammen.
Mitleid gab ihr ein Stübchen, denn der Tod
Begann mit ungeduldigen Händen schon
An ihrem Kleid zu zerren.

                                        Langsam glitten
Der Nacht geheimnisvolle Schwingen nieder,
Die Töne und die Menschen schliefen ein,
Und Stille wuchs im Dunkel.
                                        War's ein Windhauch,
Der über letzte Sommerblumen fuhr?
War's einer Menschenstimme schwaches Stammeln,
Das da im Dunkel hörbar kaum erklang?
"Nur eine Gnade sollst du Hehrer schenken
Der Büßerin: In meinem Todesstreit
O wolle dich auf gold'nem Fittig senken
Herab zu mir, aus Deiner Herrlichkeit.
Zu Häupten meines Lagers stehe dann,
Reich mir den Kranz, den Kranz aus lichten Myrten,
So rufe aus des Lebens dunklen Bann
An deine Brust, die Seele der Verirrten." — —

Da bersten wie zerspringend' Glas die Wände
Der engen Kammer und der Sternenhimmel
Die Freiheit Gottes, breitet golden sich
Der Sterbenden zu Häupten aus.
                                                 Ein Mann
Mit milden Zügen neigt sich zu ihr nieder.
"So fragelos und antwortunbedürftig,
Glückselig schon im Glauben, liebt die Liebe. —
Nun kennst du sie. Komm mit in meinen Frieden." — —
Und seine Lippen nehmen von den ihren
Die weiße Seele. — — — — —

In Weiß

Schneeblüten auf meinem dunklen Haar,
O Winter, wie bist du so wunderbar!

Die Stille schmiegt sich an dein Gewand,
Und küßt im Traum deine reine Hand.

O Winter, Herr der seligen Ruh',
Sage mir Winter, wie ging das zu?

Als ich Liebe suchte in schmerzlichem Ringen,
Da quoll mir die Lippe über vor Singen.

Da barst mir die Brust schier vor Melodien,
Um das zweite Herz zu mir zu zieh'n.

Nun, da mich traf der Liebe Speer,
Nun find' ich Lied und Sang nicht mehr.

Und meine Seele, ängstlich gar,
Schloß zitternd ihre Flügel Paar.

Winter, mein Bruder, verstehst du mich? — —
Winter, mein Bruder, streu Sterne auf mich!!! — —

Die Kranke

Durch mein Gärtlein von Rosen rot
Schwebt ein schneeweißer Falter.
Ist's der Tod?

Wie ein geheimnisvoller Gruß
Haucht es um meine Stirn.
Liebster, bist du's?

Vor den Augen wird's mir licht und weit, — — —
Mein Herz sagt leise: Amen!
Ich glaube — ich geh' in die Ewigkeit. — — —
— — — — — — — — — — — — — — —

Die alte Jungfer

Niemand zu Liebe, niemand zu Last,
Ist sie erloschen und verblaßt.

In ihrem Stübchen sann sie und sann
Bis ihr einsames Leben darüber verrann.

Keiner hat nach ihr die Hand ausgestreckt
Und die flügelgebundene Seele erweckt.

Keiner hat in der Sommernacht
Zu seligem Weinen sie gebracht.

Und doch flogen Locken auch ihr ums Gesicht,
Und ihre Augen glänzten jung und licht;

Und doch schlug auch ihr in verschwieg'ner Brust,
Die Sehnsucht nach Sonne und Frühlingslust.

Niemand zu Liebe, niemand zu Last,
So ist sie erloschen und verblaßt.

Nächtiges Elend

Das sind die singenden Nächte! — — —
Da wandelt durch meine Kammer
Tönender Schmerz,
Ein wildes, zerströmendes Schluchzen. —
Mein Herz
Kann nicht schlafen
Und weint. — — — — — — — — — — —

Setz' mich dann auf den Bettrand,
Und beginn zu singen,
Wie Mütter, die ihr Kindlein
Zum Schlummern bringen:
Schlafe mein Herz, schlafe,
Schlafe. — — — — — — — — — — — —
— — — — — — — — — — — — — — —

Trost

Der lichte Morgen schwebt hernieder still,
Ein Engel, der mit Kindern spielen will.

Er küßt die Erde, küßt die jungen Rosen,
Da ist die Luft erwarmt von seinem Kosen.

Da ist ein stilles Finden hingegangen
Durch alle Seelen die nach Frieden bangen.

O Herz, nun laß auch du dein bitt'res Weinen
Gott wird im Leide helfend dir erscheinen. —
— — — — — — — — — — — — — — — — —

Klein Asra
Eine Schmetterlings-Geschichte

Auf schneeweißen Schwingen wippend
Bewundern sie einand',
Und surren in leiser Sprache,
Zärtliche Worte galant.
Und unten blüh'n die Beete
In farbiger Junipracht,
Und junge Schwalben erzählen
Von des Sommers Zaubermacht.

"Und wenn du mir wirklich gut wärst" —
"O zweifle nicht an mir!"
"Dann flögst du mit mir zur Sonne
Weit fort, weit fort von hier.
Und wenn du mich wirklich liebtest"
Sie senkt die Flügel und schweigt.
"Dann müßt' ich sterben" raunt er,
Tief über sie geneigt. — — — — —

Die Rosen sah'n zwei Falter
Aufsteigen zum Morgenrot,
Und als sie nieder schwebten,
Da war der eine tot. — — — — —
— — — — — — — — — —— —

Fiebertraum

Die Sonne hat einen Schleier um,
Um wen sie wohl trauert?
Die Vögel alle sind ernst und stumm,
Die Blumen schauert.

Eine nahende Sintflut rauscht durch die Luft,
Wir müssen verderben,
Schon öffnet sich die Wolkengruft,
Ich will nicht sterben! — — —

Ich will nicht sterben! — — —
                                Die Sonne lacht,
Die Vögel singen heiter,
Ich bin aus schwerem Traum erwacht,
Ich lebe weiter! — — — — —

Zu spät

Seine Seele steht in Flammen!
Als die schmachtenden Blumenlippen empfingen
Den Tropfen Tau, als auf Silberschwingen
Mondlicht flog an der Erde Brust,
Und beide sich küßten in heimlicher Lust,
In der heiligen Juninacht
Ist seine Seele erwacht.

Die Stirne im Staube lag er vor mir,
Er lag vor mir, er lag vor mir.
Seine Hände umschlangen meinen Leib,
Seine Lippen flehten: Sei mein Weib!
In der heiligen Juninacht
Ist mein Elend erwacht. — — — —

Ich bin gefesselt in erzenen Banden,
Die Ewigkeit hat dabei gestanden,
Als ich gegeben mein laut Versprechen,
Selbst ein Gott vermag sein Wort nicht zu
                                         brechen. — — —
Heilige Juninacht!
Wie hast du mich stark gemacht!

Davids Werbung

Michal, Wunderschöne,
Laß mich seufzen nach dir,
Laß meinen Seufzer entschleiern
Dich, du Wunderschöne.

Tochter des kranken Löwen,
Noch sah ich nicht dein Antlitz,
Noch vernahm ich nicht deine Schritte,
Tochter des kranken Löwen.

Dämmerung voll von Geheimnis,
Noch glänzten mir nicht deine Sterne,
Noch kühlte mich nicht deine Kühle,
Dämmerung voll von Geheimnis.

Ahnst du, wer mir verraten
Deiner Schönheit zündende Zauber?
Deines Vaters Stimme war es,
Der im Traum deinen Namen aussprach.
— — — — — — — — — —— — — — — —

Die Neugierige

Meine törichte Seele, was hast du geseh'n?
Helle Scheine über deine Züge geh'n.
Heller Jubel jauchzt aus dir und Lust
Wie Pfingstgesang aus junger Brust.

Schlichst du in eines Künstlers Traum?
Sahst du Vögel sich küssen im Birnenbaum?
Hast du einen Sterbenden lächeln seh'n?
Sahst du — Morgenrot um Grüfte weh'n?

Mein töricht' Seelchen, was ist dir gescheh'n?
Mußt immer abenteuern geh'n?
Mußt immer mit durstigen Kinderlippen
An allen Kelchen Gottes nippen.

Lebenszweck

Von einem Fichtenzweig
Läßt sich ein Spinnlein gleiten
Und webt ein schillernd Netz.

In unbetret'nem Tal
Erblühet eine Rose
Und stirbt, in Duft verströmend.

Auf einem Schollchen Erde
Steh' ich, und singe kindlich
Mein kleines Lied dem Höchsten.

Und wenn der Abend kommt,
Dann haben treulich wir
Vollendet unser Tagewerk.