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Gedichte
Josef Pollhammer

Wien und Leipzig 1863
Hartleben's Verlags-Expedition

Wien Sommer'sche Buchdruckerei und Papierfabrik

I. Naturbilder
 

I'ns Gebirge
Freistätte
Der Reiher
Der Hirsch
An einem Windfall
Auf dem Gletscher
Sommerabend
Shiwa, der Zerstörer
Blümlein im Sande

 
Am Waldbach
Abendwolken
Mondnacht
Herbstabend

 

I'ns Gebirge


In's Gebirge will ich wallen,
Zu den Höhen will ich zieh'n!
Denn ich fühl' ein mächtig Drängen,
Aus der Menschenwelt zu flieh'n.

Droben in der Felsenwüste
Steht ein alter Fichtenbaum;
Unter seinem dunklen Schatten
Träum ich meinen liebsten Traum.

Wenn durch seine hohe Krone
Sanft der Hauch des Abends weht,
Schwebt vor meinem trunk'nen Auge
Eine Welt voll Majestät.

Und ich schaue, wie die Sonne
Glühend sinkt an Westens Rand,
Bis der gold'nen Strahlen letzter
Hinter lichten Wolken schwand;

Bis den Saum des Horizontes
Nur ein mattes Rot umkränzt,
Und der Sterne milder Schimmer
Freundlich über Felsen glänzt;

Und mir ist, als dürft' mein Leben
Mit der Sonne untergeh'n,
Und mein Glück in andern Welten
Herrlich wieder aufersteh'n.

Freistätte

Wenn ich trüb' und traurig bin,
Und die Seele will ermatten,
Wandr' ich nach des Waldes Schatten,
Nach des Waldes Ruhe hin

Weilend, wo in stolzem Prunk
Ragen grüne Riesenstämme,
Sink' ich unter Moos und Schwämme
An den halb zerfall'nen Strunk.

Keine Sonne dringt herein,
Um der Erde Tau zu schlürfen,
Nur die hohen Wipfel dürfen
Flimmern in des Tages Schein.

Munter wirbelnd, silberhell,
Rauscht der Bach zu meinen Füßen,
Und der Blumen Bilder grüßen
Zitternd aus dem klaren Quell.

Sanft erlischt der Sorge Glut
In der Lüfte kühlem Weben,
Und des Waldes stilles Leben
Senkt sich in das eig'ne Blut.

Der Reiher

Totenstill des Wassers Fläche,
Drauf vergilbte Blätter schwimmen;
Wie gedämpfte Klagestimmen
Tönt das Rauschen ferner Bäche.

Auch der Berg, der altersgraue,
Steht mit Nebeln tief behangen;
Vor der Flut scheint ihm zu bangen,
Daß sein eigen Bild er schaue.

Aufgeschreckt aus dunklen Klüften
Zischet durch's Gebüsch ein Reiher,
Schwebt noch flatternd überm Weiher,
Und verschwindet in den Lüften. —

Ob die Ahnung ihn durchbebte
Von der Seele Todesringen,
Und gedenkend seiner Schwingen
Plötzlich er zum Himmel strebte?

Der Hirsch

Weiße Felsen schau'n hernieder
In das waldbekränzte Tal;
Funkelnd stürzt der Wasserstrahl,
Und die Berge hallen wieder.

Wo im Grund die Fluten wühlen,
Hoch von Fichten überdeckt,
Hat ein Hirsch sich hingestreckt,
Seiner Zunge Glut zu kühlen.

Aus des Jägers Rohr gesendet,
Zischt die Kugel durch die Luft:
Einmal noch des Waldes Duft
Hascht das edle Tier und — endet.

Kind der Freiheit! — unverkümmert,
In des Daseins Vollgenuß, —
Fühlst du kaum den Todeskuß,
Der den schönen Bau zertrümmert!

An einem Windfall*

Öd' und schaurig ist der Ort! —
Rings nur Moder und Verderben!
Dieses riesenhafte Sterben
Drängt den Menschen mächtig fort! —

Plötzlich hör ich Liederklang; —
Und zwei Vöglein, munter hüpfend,
Durch die morschen Zweige schlüpfend,
Senken sich vom Felsenhang.

Ihrer frohen Wand'rung Ziel
Werden der Verwesung Räume;
Auf den Resten stolzer Bäume
Treiben sie der Liebe Spiel.

Und als wollten sie den Wert
Alles Erdenseins verhöhnen,
Singen sie mit vollern Tönen,
Wo der kalte Moder zehrt,

*Ein vom Sturme verwüsteter Waldteil.

Auf dem Gletscher

Milliarden Tropfen glänzen
Auf den grünen Eiskristallen,
Und sie zittern, und sie fallen,
Bis zur Quelle sie vereint
Brausen hin in Wirbeltänzen.

Und ich blick' empor vom Eise; —
Über ungemessnen Klüften
Zieht ein Aar in blauen Lüften
Angestrahlt vom Sonnengold
Langsam seine weiten Kreise.

Zu des Gletschers lichten Flächen
Späht sein scharfes Auge nieder,
Und es flattert sein Gefieder,
Schaut er seines Körpers Bild
In den Quellen, in den Bächen.

An der Wolken rotem Saume
Ist der Lüfte Fürst entschwunden,
Aber kühn und ungebunden
Fliegt ihm der Gedanke nach
Zu dem klaren Himmelsraume.

Mit dem Adler will er tauschen,
Dort, wo fern dem niedern Leben
Nur die gold'nen Strahlen weben,
Und durch's weite blaue Reich
Nur die eig'nen Flügel rauschen.

Sommerabend

Hörst du nicht die frohen Klänge,
Wie sie kommen, wie sie flieh'n?
Und die freundlichen Gesänge,
Die von Herz zu Herzen zieh'n?

Siehst du nicht die blauen Seen
Funkeln in der Sonne Strahl?
Fühlst du nicht die Lüfte wehen
Kühlend über Berg und Tal? —

So verweht ein großes Leben:
Mit des Lichtes hellster Pracht,
Mit des Geistes kühnstem Streben
Taucht es in die dunkle Nacht.

Shiwa, der Zerstörer

Leuchtwurm fliegt zur Blumenkrone,
D'rin sein Liebchen sich verborgen;
Durch das kleine Köpfchen zucken
Banger Liebe schwere Sorgen.

Blatt um Blatt bewegt er leise.
Schwimmt durch klare Taueswelle, —
Einsam trauernd in der Tiefe
Findet er die Lieblichhelle.

Und die volle blaue Blüte
Gleichet einem Weltenrunde;
Zweier Sterne Funkellichter
Schimmern sanft aus ihrem Grunde.

Sieh! da kommt der Mensch, das Auge
Fernem Ziele zugerichtet; —
Unter seinem rauhen Fuße
Liegt die schöne Welt vernichtet!

Blümlein im Sande

Es wollt' ein Blümlein wundervoll
Im Sand der Wüste blüh'n;
Der Stengel trieb, die Knospe schwoll,
Die Blätter wurden grün.

In Mittagsglut enthüllt' es sich,
Und strahlte hell und rot:
Ein leiser Wind den Sand durchstrich,
Da war das Blümlein tot.

So hebt das Schöne sich empor
Zum gold'nen Sonnenlicht:
Des Lebens Hauch, der Erde Flor
Gönn ihm die Blüte nicht.

Am Waldbach

Ich ging in stiller Nacht allein,
Wo brausend aus dem Felsenspalt
Beglänzt vom fahlen Mondenschein
Der Bach zum nahen Sturze wallt.

Da bog ein blütenschwerer Baum
Sich über auf den schmalen Steg; —
Und wandernd von dem grünen Saum
Streift' ich ein junges Zweiglein weg

Wohl schaut' ich, wie es tanzend fiel,
Und kreisend noch im Wirbel blieb,
Bis mit der Wellen klarem Spiel
Es fort zum tiefen Grunde trieb.

Mir war, als ob mit ihm zu Grab
Ein schönes junges Hoffen ging, —
Als sänke mir ein Glück hinab,
Das freundlich in mein Leben hing.

Abendwolken

Rosige Wolken
Im Abendschimmer,
Seid mir gegrüßt!
Ihr wandelt friedlich
Über den Bergen,
Und in den blauen
Himmlischen Fernen
Zieht ihr der golden
Strahlenden Sonne nach!
Hinauf zu euch
Schweben die Düfte
Der Frühlingsblumen! —
Es trägt ihr Hauch
Zum Himmel die letzten
Grüße der Erde! —
Und mit euch wandern
Gerne des Menschen
Ernste Gedanken:
Mächtig umfängt
Das Gemüt der Zauber
Schwindender Größe.
Es wechseln die Formen,
Sie fliehen und sinken
Am Horizonte;
Sie steigen empor
Zu leuchtenden Türmen,
Und gleichen der Berge
Schneeigen Spitzen,
Wenn auf Kristallen
Das Bild der Sonne sich
Tausendfach spiegelt. —
Rosige Wolken
Im Abendschimmer,
Seid mir gegrüßt!
Ihr sendet den Frieden,
Den Frieden der Nacht!
Den freundlichen Stern
Am Pole des Lebens,
Den der Erscheinung,
Den der Gefühle
Flüchtige Bilder
Leuchtend umschweben,
Bis in dem ewigen
Alles umschlingenden
Göttlichen Dasein
Unsere kleine
Menschliche Welt versinkt!

Mondnacht

Steig herauf, du silberner Mond, am Himmel!
Mein Gemüt besänftigend, wie du milde
Strahlend überkleidest mit deinem Lichte
Fluren und Wälder!

Sieh! der mächt'ge Felsen beginnt zu dämmern;
Seinen Gipfel säumet die Wolkenkrone,
Und im blauen Raume verglimmen tausend
Goldene Sterne.

Du bist glücklich, Felsen! in deinen Adern
Strömt kein Blut; — es sterben die Leidenschaft
Wenn zu dir sich heben in Sturmesdrang des
Menschen Gedanken!

Ziehen Frost und Gluten um deine Stirne,
Schlagen Blitze flammend in deine Seiten, —
Unter Eis und Gluten und Donner stehst du
Kalt und gefühllos!

Nur dem Silberballe, dem Mond entgegen
Hauchst du alle Düfte der Blumen und aus
Seinem Lichte sangst du geheime
Grüße Schönerer Welten!

Herbstabend

Nacht wird's; all' mein Sinnen, es folgt der Sonne,
Die am Felsrand plötzlich versank, und mit dem
Letzten Lichtstrahl küßte die hellen Blumen,
Sprießend am Abgrund.

So versank mein Glück, als zu luft'gen Höhen
Sich mein Geist hob, träumend in Seligkeiten,
Und die Sehnsucht rosige Blüten schaute,
Blüten der Liebe!

Kalter Tau liegt über den dunklen Bergen,
Alles drängt nach Ruhe; der Quell versiegt, und
In der Herbstluft fallen vergilbte Blätter
Zitternd zur Erde.

Alles drängt nach Ruhe; geheimnisvoll weht
Durch des Weltalls Raum die Verwesung, löschend
Jede Glut, die flammenden Hauches einst der
Gottheit entflossen.

Sie verlöscht auch tief in der Menschenseele
Lieb' und Freundschaft, stürmenden Drang nach Taten,
Und, ein Nachtflor, senkt um die matten Augen
Sich das Vergessen!