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I.
Larenopfer 3

(1896)

 

Der letzte Sonnengruß
Kaiser Rudolf
Aus dem Dreißigjährigen Kriege
Bei den Ursulinen
Aus der Kinderzeit
Rabbi Löw
Die alte Uhr
Kämpfen
Siegen
Im Herbst
Der kleine "Drateník"
In der Vorstadt
Bei St. Heinrich
Mittelböhmische Landschaft
Das Heimatlied

Der letzte Sonnengruß
Zu einem Bilde des Benes Knüpfer

Die Sonne schmolz, die hehre,
ins weiße Meer so heiß.
Zwei Mönche saßen am Meere,
ein blonder und ein Greis.

Der sann: Geh ich einst rasten,
so friedlich mög es sein —
und jener: Des Ruhmes Glasten
sollt mir mein Sterben weihn.


Kaiser Rudolf

Hoch auf seiner Himmelswarte
über einer Sternenkarte
sitzt der Kaiser Rudolf dort,
forschend, ob der langerharrte
Flugstern, der die Weisen narrte,
streifen würde diesen Ort.

Und er fragt den Astrologen,
der am hohen Himmelsbogen
alle Wanderwege weiß:
"Wird von Unglück der betrogen,
den der Stern hineingezogen
in den unheilvollen Kreis?"

Und der Alte weicht ihm leise
aus: "Der Stern zieht seine Gleise,
Herr, im fernen Ätherreich!"
Und gen Süden sieht der Weise; —
und der Kaiser schaut die Kreise
seines Globen, ernst und bleich. —

Und von Süden kommt Verderben,
kommt Matthias. — Eilge Erben
lassen ihm nur den Hradschin;
und der Kaiser spricht im herben
Spott: "Mir bleibt nichts, als zu sterben,
denn schon bin ich tot für 'ihn'.

Alter! Laß den Blick uns heben!
du hast recht, die Sterne schweben
hoch ob allem Erdenbann;
aber — die nach ihnen streben,
knüpfen selbst ihr dunkles Leben
an die lichten Lose an! —"

Aus dem Dreißigjährigen Kriege
Kohlenskizzen in Callots Manier

1. Krieg

Finster ist die Welt geworden, —
darum Dörfer rasch entloht!
und die Welt ist grau; — drum rot
färbt sie durch das Morden!

Bauer! Bittest um dein Leben?
Nimm dirs! Aber bei uns bleib!
Herrgott hat dir Ochs und Weib
nur für uns gegeben.

Laß den Teufel Felder pflügen;
sieh, wir haben stets genung!
Vorwärts — einen Werbetrunk
aus den vollen Krügen!

2. Alea jacta est

". . . Tod oder Sold!"
Und jetzt die Trommel schnell
her. Auf das Trommelfell
Würfel gerollt.

So wird dem Lohn,
der unsre Streiche sucht.
Sieh, der Baum, reiche Frucht
trägt er doch schon!

Solltest schon längst
hängen dran, Kamerad!
Drum ists nicht jammerschad,
wenn du dann hängst!

3. Kriegsknechts-Sang

Lag auf einer Trommel nackt,
kaum zwei Spannen lang,
und der rauhe Trommeltakt
war mein Wiegensang.

Wild zu wettern taugte ich
damals schon im Zorn,
meine Milch, die saugte ich
aus dem Pulverhorn.

Damals taufte jeden gut
der Korp'ral; beim Schopf
nahm er ihn, goß Schwedenblut
heiß ihm übern Kopf.

4. Kriegsknechts-Rang

Bei uns gibts nicht Edelinge,
die was gelten durch ihr Blut,
jedes Rang ist jedes Klinge,
und sein Wappen ist der Mut.

Wer nur immer kühn sein Schwert
hält den Schild von Schande rein,
wer noch gestern unterm Heer zog,
Herzog kann er morgen sein.


5. Beim Kloster

Was gibts? — Eine Klosterpforte? —
Ei, Potz Blitz!
Eine Tür von dieser Sorte
renn ich ohne viele Worte
ein mit meiner Nasenspitz!

Auf das Tor ein fester Stempel . . .
Pfaffe, komm!
Jetzt heraus mit deinem Krempel,
paar Monstranzen zum Exempel
und paar Kelche: wir sind fromm.

Laß jetzt dein: Peccavi, pater. . .
Leucht zum Wein
uns mit deiner Nase, Frater,
dorten kannst du uns ein Rater,
und ein "Seelensorger" sein!

6. Ballade

Gestern zogen wilde Horden
durch das Dörfchen hin mit Morden,
und ein Mädchen sinnt jetzt still:
Ist der Liebste untreu worden,
weil er heut nicht kommen will? —
Draußen schrien die Dohlen.

Mädchen ging mit bleicher Wange
durch das Haus. — Sie harrte lange,
und des Nachts floh sie der Schlaf.
Und sie schlich hinaus zum Hange,
wo sie stets den Teuren traf.
Ängstlich schrien die Dohlen.

Und die Nacht war schwarz, die schwüle,
fern nur brannte eine Mühle . . .
Weinend wählt die matte Maid
sich gar weiches Kraut zum Pfühle
und entschlief in lauter Leid.
Schrieen noch die Dohlen?

Spät erwacht sie. Nebel grauten
rings — soweit die Augen schauten . . .
Weh! — Was sie ein Kraut geglaubt,
ist das Haar an ihres Trauten
blutigem, zerschelltem Haupt. —
Schrecklich schrien die Dohlen.


7. Der Fenstersturz

"Naht Verrat mit leisem Schritte,
ungerächt, bei der Madonna,
bleibt er nicht! Nach alter Sitte
zu den Fenstern!" schrie Colonna.

"Schont den Popel! doch die andern,
jeder eine feige Natter,
aus den Fenstern laßt sie wandern!
Mitleid? — Werft ihn mit, den Platter!"

Bange hangt am Fensterstocke
Martinitz noch. — Da Geröchel:
Turn schwingt seine Degenglocke
und zerschmettert ihm die Knöchel.

Und zum nächsten: "Sag, wie heißt er,
Böhmens Herr? du sollst mirs deuten!"
"Graf von Turn!" — "Der Bürgermeister
lasse alle Glocken läuten!" —

8. Gold

"Dein Wams, Geliebter, ist voll Gold.
Wo hast das Gold du her?" —
"Da schaust du, Kind, das ist mein Sold,
kein Obrist hat wohl mehr!"

"Nein, das ist gutes, rotes Gold,
das kann dein Sold nicht sein!"
"Beim Spielen war das Glück mir hold,
und da ward alles mein!"

"Ist wirklich alles dein — das Gold,
gesteh, — und ists kein Trug?" —
"Nun, Würfel haben mit gerollt
und jetzt laß es genug!"

"Und gibst du mir auch von dem Gold?"
"Das weißt du!" — "Nein, du Schelm,
just auf der Stelle, sieh, ich wollt,
du füllst mir deinen Helm!"

"Es sei!" — "Wies durch die Finger bebt,
der Glanz gefällt mir gut! —
— — — — — —— — —— — —— — —— — —
— — — — — —— — —— — —— — —— — —
. . . Schau, was dir da am Finger klebt,
kam das vom Golde? — Blut!" —. . .


9. Szene

Du kniest am Markstein, Alter, sprich! —
Das ist kein Heilgenbild!"
"Kein Bild? — Ich bet. — Es faßte mich
das Schicksal gar so wild."

"Hast du kein Haus, hast du kein Land,
das deiner Hände braucht?"
"Das Land zerstampft, das Haus verbrannt,
sieh hin — gewiß — es raucht."

"Was bauts nicht wieder auf dein Sohn
und hilft dir aus der Not?"
"Mein Sohn zog in den Krieg davon,
jetzt ist er sicher tot." —

"Was streicht dir deines Haares Schnee
der Tochter Hand nicht, weich?" —
"Der bracht ein Troßbub Schand und Weh,
da sprang sie in den Teich." —

"So sieh mir ins Gesicht! — Und brach
das Herz dir auch vor Graus . . . ."
— — — — — —— — —— — —— — —— — —
"Ich kann nicht, Herr, ein Kriegsknecht stach
mir beide Augen aus."

10. Feuerlilie

Winters, ab die Äste krachten,
keine Bäche konnten frieren,
weil die Fluten Blutes ihren
Pulsschlag immer neu entfachten.

Als die Zeit kam, da die Blume
aufwacht und der Vogel flötet,
sprang die Lilie selbst gerötet
aus der todgedüngten Krume.


11. Beim Friedland

Heimgekehrt von Schlacht und Schlag
freut sich Obrist und Gemeiner;
denn jetzt hält der Wallensteiner
wieder seinen Hof zu Prag.

Just ließ frei den Turn er ziehn;
das war so von seinen Trümpfen
einer. — Drauf ward Nasenrümpfen
Mode . . . dort bei Hof zu Wien.

Laßt sie zetern. Friedlands Heer
muß nicht darben und nicht dürsten, —
und aus Knechten macht er Fürsten,
unser Herzog. — Wer kann mehr?

12. Frieden

Prag gebar die Mißgestalt
dieses Krieges, der voll Tücke
hauste. — Auf der Karlsbrücke
starb er, dreißig Jahre alt.

Endlich riß das Eisenstück
nur dem Acker eine Schramme,
und vom Kirchturm schlug die Flamme
in den trauten Herd zurück.


Bei den Ursulinen


Geh mittags zu den Ursulinen,
wenn man den Armen Speise trug,
da siehst du, wie in müde Mienen
die Not schrieb ihren Namenszug.

Da siehst du Stirnen, die schon frühe
des Schmerzes Eisenreif umschloß,
und Wangen, die der Dunst der Brühe
mit falscher Röte übergoß.

Du hörst, wie leisem Dankesworte
sich Fluch bald, bald Gebet gesellt:
so brandet an der Klosterpforte
das ganze Elend dieser Welt.

Aus der Kinderzeit

Sommertage auf der "Golka". . .
Ich, ein Kind noch. — Leise her,
aus dem Gasthaus klingt die Polka,
und die Luft ist sonnenschwer.

Sonntag ists. — Es liest Helene
lieb mir vor. — Im Lichtgeglänz
ziehn die Wolken, wie die Schwäne
aus dem Märchen Andersens.

Schwarze Fichten stehn wie Wächter
bei der Wiesen buntem Schatz;
von der Straße dringt Gelächter
bis zu unserm Laubenplatz.

An die Mauer lockt uns beide
mancher laute Jubelschrei:
drunten geht im Feierkleide
Paar um Paar zum Tanz vorbei.

Bunt und selig, Bursch und Holka,
Glück und Sonne im Gesicht! —
Sommertage auf der "Golka", —
und die Luft war voller Licht . . .


Rabbi Löw


"Weiser Rabbi, hoher Liva, hilf uns aus dem
                      Bann der Not;
heut gibt uns Jehova Kinder, morgen raubt sie uns
                      der Tod.
Schon faßt Beth Chaim nicht die Scharen, und
                      kaum hat der Leichenwart
eins bestattet, nahen andre Tote; Rabbi, das
                      ist hart."
Und der Rabbi; "Geht und schickt mir einen
                      Bocher rasch herein —"
So geschiehts; "Wagst du nach Beth Chaim diese
                      Nacht dich ganz allein;"
"Du befiehlst es, weiser Meister?" "Gut, so hör,
                      um Mitternacht
tanzen all die Kindergeister auf den grauen
                      Steinen sacht.
Birg dich dorten im Gebete, und wenn Furcht dein
                      Herz beklemmt,
Streif sie ab: Du raubst dem nächsten Kinde kühn
                      sein Leichenhemd,
raubst es, — bringst es her im Fluge, her zu mir!
                      Begreifst du wohl?"
"Wie du heißest tun mich, Meister, tu ich!" klingt
                      die Antwort hohl.

Mitternacht und Mondgegleiße, —
. . . und es stürzt der totenblasse
Bocher bebend durch die Gasse,
in der Hand das Hemd, das weiße.

Da jetzt . . . sind das seine Schritte? . . .
Jach kehrt er zurück das bleiche
Antlitz: weh, die Kindesleiche,
folgt ihm nach, im Aug die Bitte:

". . . Gib das Linnen, ohne Linnen
lassen mich nicht ein die Geister. . . ."
Und der Bocher, halb von Sinnen,
reicht es endlich seinem Meister.

Und schon naht der Geist mit Klagen . . .
"Sag, was sterben hundert binnen
Tagen? — Kind, du mußt es sagen,
früher darfst du nicht von hinnen."

So der Rabbi. — "Wehe, wehe,"
ruft der Geist, "aus unserm Stamme
haben zwei entehrt der Ehe
keusche, reine Altarflamme!

Hier die Namen! — Sucht nicht fremde
Ursach, daß euch Tod beschieden . . . ."
Und der Rabbi reicht das Hemde
jetzt dem Kinde: "Zieh in Frieden!"

Kaum, daß aus dem Nachtkelch maijung
stieg der Tag in rosgem Licht,
hielt der Rabbi schon Gericht, —
und der Unschuld ward Befreiung.

Mit der Geißel des Gesetzes
brandmarkt er die Sünderstirn; —
langsam löste jedes Hirn
ich vom Bann des Fluchgenetzes.

Manches Paar war da erschienen,
dankerfüllt, daß Gott verzieh,
und der Weise segnet sie. —
Freude lag auf aller Mienen.

Nur der Bocher warf, der bleiche,
sich im Fieber hin und her. . .
Doch nach Beth Chaim lange mehr
trug man keine Kindesleiche.

Die alte Uhr

Bald hättest, alte Rathausuhr,
du nimmer dürfen Stunden weisen;
sie hätten bald in altem Eisen
versplittert deine letzte Spur.

Der Geizhals hart zum letztenmal
sein Haupt gewiegt in starrem Trotzen,
zum letztenmal der Tod mit Glotzen
geschwungen seinen Sensenstahl.

Dann hätt der Hahn auch ausgekräht.
Und heut noch kräht er; freilich heiser,
noch nickt der Geizhals fort, und leiser
droht ihm des Todes Majestät.


Kämpfen


                         I.

Ein heißer Eid, ein gramerpreßter,
der leicht von jungen Lippen rinnt,
der machte zur barmherzgen Schwester
fast über Nacht ein blondes Kind.

Des jungen Lebens Wellen fließen
fortan durch Krankenstuben still;
es träumt ihr Herz noch vom Genießen,
wenn auch das Aug es leugnen will.

Denn mit der Strenge der Asketen
drängt sie zurück, was in ihr quillt,
und geht um Kraft nach Emaus beten
zum wunderstarken Gnadenbild.

Siegen

                         II.

Der Tag beginnt sich kaum zu lichten;
"Heut sei im Glauben stark wie nie
und geh mit Gott an deine Pflichten:
Es ist ein Fall von Diphtherie . . ."

Sie pflegt und küßt den kleinen Kranken,
und doch packt ihn der Tod beim Hals . . .
Spät rafft sie auf sich, heimzuwanken,
erfröstelnd in dem Schutz des Schals.

Als man vorbei beim Kloster gestern
den Kleinen trug ins Bett von Lehm,
klang aus der "Kirche von den Schwestern"
ganz leis ein Totenrequiem . . .

Im Herbst

Ein Riesenspinngewebe, zieht
Altweibersommer durch die Welt sich; —
und der Laurenziberg gefällt sich
im goldig-bläulichen Habit.

Weil er so mild herübersieht,
sucht müd, gestützt auf Strahlenkrücken,
die Sonne hinter seinem Rücken
schon frühe ihr Valladolid.

Der kleine "Drateník"

Kommt so ein Bursche, ein junger,
Mausfallen, Siebe am Rücken,
folgt mir durch Gassen und Brücken:
"Herr, ich hab 'türkischen Hunger'.

Nur einen Krajcar, nur einen
für ein Stück Brot, milost' pánků!"
Da! — Und er stammelt mir Dank zu,
doch läßt nicht Ruh er den Beinen.

Lebt nicht von bloßem Gelunger. —
Riecht an den Türen den Braten
und muß die Pfannen doch drahten —
leer: — das macht 'türkischen Hunger'.

In der Vorstadt

Die Alte oben mit dem heisern Husten,
ja, die ist tot. — Wer war sie? — Du mein Gott,
sie gab uns nichts, — ihr gab man Hohn und Spott . . .
Kaum, daß die Leute ihren Namen wußten.

Und unten stand der schwarze Kastenwagen.
Die letzte Klasse; als der Totenschrein
sich spreizte, stieß man fluchend ihn hinein,
und dann ward rauh die Türe zugeschlagen.

Der Kutscher hieb in seine magern Mähren
und fuhr im Trab so leicht zum Friedhof hin,
als wenn da nicht ein ganzes Leben drin
voll Weh und Glück und tote Träume wären.


Bei St. Heinrich


Hart am Kirchenaltargitter,
wo die Ampel flammt, die matte,
schläft ein alter, alter Ritter
unter grauer Wappenplatte.

Lebend hielt er hoch sein Wappen,
sorgte immer für sein Blinken; —
weiß er, daß mit schmutzgen Schlappen
alte Weiber drüber hinken?

Mittelböhmische Landschaft

Fern dämmert wogender Wälder
beschatteter Saum.
Dann unterbricht
nur hie und da ein Baum
die falbe Fläche hoher Ährenfelder.
Im hellsten Licht
keimt die Kartoffel; dann
ein wenig weiter Gerste, bis der Tann
das Bild begrenzt.
Hoch überm Jungwald glänzt
so goldig-rot ein Kirchturmkreuz herüber
aus Fichten ragt der Hegerhütte Bau; —
und drüber
wölbt sich ein Himmel, blank und blau.

Das Heimatlied

Vom Feld klingt ernste Weise;
weiß nicht, wie mir geschieht . . .
"Komm her, du Tschechenmädchen,
sing mir ein Heimatlied." —

Das Mädchen läßt die Sichel,
ist hier mit Husch und Hui, —
setzt nieder sich am Feldrain
und singt: "Kde domov můj". . .

Jetzt schweigt sie still. Voll Tränen
das Aug mir zugewandt, —
nimmt meine Kupferkreuzer
und küßt mir stumm die Hand.