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Die frühen Gedichte

Rainer Maria Rilke


Leipzig im Insel Verlag 1922

I.
Das ist die Sehnsucht

 

Das ist die Sehnsucht
Ich bin so jung
Ich will ein Garten sein
Ich will nicht langen nach dem lauten
Meine frühverliehnen Lieder
Die armen Worte
Arme Heilige aus Holz
Ich geh jetzt immer den gleichen Pfad
Das ist der Tag, in dem ich traurig throne
Weiße Seelen
Ich bin zu Hause zwischen Tag
Und einmal lös ich in der Dämmerung
Du, den wir alle sangen
Du wacher Wald
Du mußt das Leben nicht verstehen
Ich möchte werden wie die ganz
Vor lauter Lauschen und Staunen
Träume, die in deinen Tiefen wallen

Das ist die Sehnsucht


Das ist die Sehnsucht: Wohnen im Gewoge
Und keine Heimat haben in der Zeit.
Und das sind Wünsche: Leise Dialoge
Täglicher Stunden mit der Ewigkeit.

Und das ist Leben. Bis aus einem Gestern
Die einsamste Stunde steigt,
Die, anders lächelnd als die andern Schwestern,
Dem Ewigen entgegenschweigt.

Ich bin so jung

Ich bin so jung. Ich möchte jedem Klange,
Der mir vorüberrauscht, mich schaudernd schenken,
Und willig in des Windes liebem Zwange,
Wie Windendes über dem Gartengange,
Will meine Sehnsucht ihre Ranken schwenken,

Und jeder Rüstung bar will ich mich brüsten,
Solang ich fühle, wie die Brust sich breitet.
Denn es ist Zeit, sich reisig auszurüsten,
Wenn aus der frühen Kühle dieser Küsten
Der Tag mich in die Binnenlande leitet.

Ich will ein Garten sein

Ich will ein Garten sein, an dessen Bronnen
Die vielen Träume neue Blumen brächen,
Die einen abgesondert und versonnen,
Und die geeint in schweigsamen Gesprächen.

Und wo sie schreiten, über ihren Häupten
Will ich mit Worten wie mit Wipfeln rauschen,
Und wo sie ruhen, will ich den Betäubten
Mit meinem Schweigen in den Schlummer lauschen.

Ich will nicht langen nach dem lauten Leben

Ich will nicht langen nach dem lauten Leben
Und keinen fragen nach dem fremden Tage:
Ich fühle, wie ich weiße Blüten trage,
Die in der Kühle ihre Kelche heben.

Es drängen Viele aus den Frühlingserden,
Darinnen ihre Wurzeln Tiefen trinken,
Um nicht mehr könnend in die Knie zu sinken
Vor Sommern, die sie niemals segnen werden.

Meine frühverliehnen Lieder

Meine frühverliehnen
Lieder oft in der Ruh
Überrankter Ruinen
Sang ich dem Abend sie zu.

Hätte sie gerne zu Ronden
Aneinandergereiht,
Einer erwachsenen Blonden
Als Geschenk und Geschmeid.

Aber unter allen
War ich einzig allein;
Und so ließ ich sie fallen:
Sie verrollten wie lose Korallen
Weit in den Abend hinein.

Die armen Worte

Die armen Worte, die im Alltag darben,
Die unscheinbaren Worte, lieb ich so.
Aus meinen Festen schenk ich ihnen Farben,
Da lächeln sie und werden langsam froh.

Ihr Wesen, das sie bang in sich bezwangen,
Erneut sich deutlich, daß es jeder sieht;
Sie sind noch niemals im Gesang gegangen
Und schauernd schreiten sie in meinem Lied.

Arme Heilige aus Holz

Arme Heilige aus Holz
Kam meine Mutter beschenken;
Und sie staunten stumm und stolz
Hinter den harten Bänken.

Haben ihrem heißen Mühn
Sicher den Dank vergessen,
Kannten nur das Kerzenglühn
Ihrer kalten Messen.

Aber meine Mutter kam
Ihnen Blumen geben.
Meine Mutter die Blumen nahm
Alle aus meinem Leben.

Ich geh jetzt immer den gleichen Pfad

Ich geh jetzt immer den gleichen Pfad:
Am Garten entlang, wo die Rosen grad
Einem sich vorbereiten;
Aber ich fühle: Noch lang, noch lang
Ist das alles nicht mein Empfang,
Und ich muß ohne Dank und Klang
Ihnen vorüberschreiten.

Ich bin nur der, der den Zug beginnt,
Dem die Gaben nicht galten;
Bis die kommen, die seliger sind,
Lichte, stille Gestalten, -
Werden sich alle Rosen im Wind
Wie rote Fahnen entfalten.

Das ist der Tag, in dem ich traurig throne

Das ist der Tag, in dem ich traurig throne,
Das ist die Nacht, die mich ins Knien warf;
Da bet ich: Daß ich einmal meine Krone
Von meinem Haupte heben darf.

Lang muß ich ihrem dumpfen Drucke dienen,
Darf ich zum Dank nicht einmal ihren blaun
Türkisen, ihren Rauten und Rubinen
Erschauernd in die Augen schaun?

Vielleicht erstarb schon lang der Strahl der Steine,
Es stahl sie mir vielleicht mein Gast, der Gram,
Vielleicht auch waren in der Krone keine,
Die ich bekam?...

Weiße Seelen mit den Silberschwingen

Weiße Seelen mit den Silberschwingen,
Kinderseelen, die noch niemals sangen,-
Die nur leis in immer weitern Ringen
Zu dem Leben ziehn, vor dem sie bangen,

Werdet ihr nicht euren Traum enttäuschen,
Wenn die Stimmen draußen euch erwachen,-
Und ihr könnt aus tausend Taggeräuschen
Nicht mehr lösen euer Liederlachen?

Ich bin zu Hause zwischen Tag und Traum

Ich bin zu Hause zwischen Tag und Traum.
Dort wo die Kinder schläfern, heiß vom Hetzen,
Dort wo die Alten sich zu Abend setzen,
Und Herde glühn und hellen ihren Raum.

Ich bin zu Hause zwischen Tag und Traum.
Dort wo die Abendglocken klar verlangen
Und Mädchen, vom Verhallenden befangen,
Sich müde stützen auf den Brunnensaum.

Und eine Linde ist mein Lieblingsbaum;
Und alle Sommer, welche in ihr schweigen,
Rühren sich wieder in den tausend Zweigen
Und wachen wieder zwischen Tag und Traum.

Und einmal lös ich in der Dämmerung

Und einmal lös ich in der Dämmerung
Der Pinien von Schulter und vom Schoß
Mein dunkles Kleid wie eine Lüge los
Und tauche in die Sonne bleich und bloß
Und zeige meinem Meere: Ich bin jung.

Dann wird die Brandung sein wie ein Empfang,
Den mir die Wogen festlich vorbereiten.
Und eine jede zittert nach der zweiten, -
Wie soll ich ganz allein entgegenschreiten:
Das macht mich bang...
Ich weiß: Die hellgesellten Wellen weben
Mir einen Wind;
Und der erst beginnt,
So wird er wieder meine Arme heben -

Du, den wir alle sangen

Du, den wir alle sangen,
Du einziger und echter Christ,
Du Kinderkönig, der du bist, -
Ich bin allein: Mein Alles ist
Entgegen dir gegangen.

Du Mai, vor deinen Mienen
Sieh mich bereit, die Arme weit:
Dein Unmut, deine Zögerzeit,
Dein Mut und deine Müdigkeit
Hat alles Raum in ihnen...

Du wacher Wald, inmitten wehen Wintern

Du wacher Wald, inmitten wehen Wintern
Hast du ein Frühlingsfühlen dir erkühnt,
Und leise lässest du dein Silber sintern,
Damit ich seh, wie deine Sehnsucht grünt.

Und wie mich weiter deine Wege führen,
Erkenn ich kein Wohin und kein Woher
Und weiß: Vor deinen Tiefen waren Türen-
Und sind nicht mehr.

Du mußt das Leben nicht verstehen

Du mußt das Leben nicht verstehen,
Dann wird es werden wie ein Fest.
Und laß dir jeden Tag geschehen
So wie ein Kind im Weitergehen von jedem Wehen
Sich viele Blüten schenken läßt.

Sie aufzusammeln und zu sparen,
Das kommt dem Kind nicht in den Sinn.
Es löst sie leise aus den Haaren,
Drin sie so gern gefangen waren,
Und hält den lieben jungen Jahren
Nach neuen seine Hände hin.

Ich möchte werden wie die ganz Geheimen

Ich möchte werden wie die ganz Geheimen:
Nicht auf der Stirne die Gedanken denken,
Nur eine Sehnsucht reichen in den Reimen,
Mit allen Blicken nur ein leises Keimen,
Mit meinem Schweigen nur ein Schauern schenken.

Nicht mehr verraten und mich ganz verschanzen
Und einsam bleiben; denn so tun die Ganzen:
Erst wenn, wie hingefällt von lichten Lanzen,
Die laute Menge tief ins Knien glitt,
Dann heben sie die Herzen wie Monstranzen
Aus ihrer Brust und segnen sie damit.

Vor lauter Lauschen und Staunen sei still

Vor lauter Lauschen und Staunen sei still,
Du mein tieftiefes Leben;
Daß du weißt, was der Wind dir will,
Eh noch die Birken beben.

Und wenn dir einmal das Schweigen sprach,
Laß deine Sinne besiegen.
Jedem Hauche gib dich, gib nach,
Er wird dich lieben und wiegen.

Und dann meine Seele sei weit, sei weit,
Daß dir das Leben gelinge,
Breite dich wie ein Federkleid
Über die sinnenden Dinge.

Träume, die in deinen Tiefen wallen

Träume, die in deinen Tiefen wallen,
Aus dem Dunkel laß sie alle los.
Wie Fontänen sind sie, und sie fallen
Lichter und in Liederintervallen
Ihren Schalen wieder in den Schoß.

Und ich weiß jetzt: Wie die Kinder werde.
Alle Angst ist nur ein Anbeginn;
Aber ohne Ende ist die Erde,
Und das Bangen ist nur die Gebärde,
Und die Sehnsucht ist ihr Sinn -