Thomasîn von Zerklar
(auch Zirklære, Zirklaria)
* um 1186 im Friaul; † angeblich 1238 in Aquileja,
war der Verfasser des monumentalen mittelhochdeutschen Gedichtes "Der wälsche Gast."
Dieses Werk umfasst 14.750 Verse und ist in 10 Büchern geschrieben.
Den Originaltext habe ich bei ©"Bibliotheca Augustana" gefunden.
Der welsche Gast
Auszüge vom Hrsg.
Die Unbeständigkeit
Aus dem II. Buche
Waz ist unstæte? Herren schande,
irresal in allem lande.
Unstæte ist stæte an bœsen dingen:
niemen mac si des betwingen
daz si an guoten dingen sî.
Unstætekeit diu ist niht vrî.
Unstætekeit gar eigen ist
der untugende zaller vrist.
Unstæte volgt die untugent
beidiu an alter und an jugent.
Ein ieglîch untugent hât
beidiu ir dienst und ir rât.
Unstæte gar unmüezec ist
mit allen dingen zaller vrist.
Swaz unstæte hiute tuot,
daz dunket si niht morgen guot.
Si zimbert daz vil schiere hât
zebrochen ir unstæter rât.
Unstætekeit verkêret snelle
daz vierekke an sinewelle.
Daz sinwel si niht verlât,
wan ez baz an vier ekken stât.
Daz ist immer ir bezzer spil
daz si muotet des si niht enwil.
Der wandelung si nie bedrôz:
daz wênege machet si ze grôz,
daz grôze macht si aver kleine.
Nu loufet si, nu gêt si seine,
nu stîget si, nu vellt si nider,
hiut vert si hin, morgen wider,
nu hin ze gebirg, nu hin ze mer,
hiut ist si eine, morgn mit her,
nu hin ze holz, nu in der stat:
dort und dâ ist ir mat,
wan si ez in ir herzen treit
daz si dâ allenthalben jeit.
Von stat ze stat si varn mac,
ave von ir herzn niht einen tac.
Swer dem welf zem zagel bindet
ein schelln, er loufet unde windet
sich hin und her und en weiz niut
daz er dâ treit daz er dâ vliuht.
Sam ist umb den unstæten man
der da enweiz noch enkan
waz im werr; wizzt daz er treit
daz in von stat ze stat jeit.
Unstæte versuochet vil der spîse
der si niht enmac deheine wîse,
wan ir der mage ist erkalt
von bœser rihte manicvalt.
Unstæte ouch ir magen hât,
deist ir gelust der schier zergât,
wan swes si smorgens lüsten mac,
daz wert nimmer durch den tac:
ir gelust ist kalt von rihte vil.
Swer nâch mêr dinges streben wil,
der ist niht stæte an ir deheinem.
Swer stæt wil sîn, der sî an einem.
Swer an einem wil niht stæte sîn,
ez ist uns dicke worden schîn
daz er ir driu vür einez lât:
seht, waz er erworven hât!
Swer in der werlde umb varn wil,
der gewinnt herberge vil,
und vriuntschaft ninder deheine.
Alsô geschiht dem der gemeine
an allen dingen sîn wil,
der lât ir under wegen vil.
Was ist Unstete? Herren Schande,
Irrsal in allem Lande.
Unstete ist Stätte an bösen Dingen
Niemand mag sie des bezwingen,
Daß sie an guten Dingen sei.
Unstetigkeit, die ist nicht frei.
Unstetigkeit gar eigen ist
Der Untugend zu aller Frist.
Unstete folgt der Untugend,
Beides, im Alter und in der Jugend.
Eine jegliche Untugend hat
Beides, ihren Dienst und ihren Rat.
Unstete gar unmäßig ist
Mit allen Dingen zu aller Frist.
Was Unstete heute tut,
Das dünket sie nicht morgen gut.
Sie zimmert, was viel baldig hat
Zerbrochen ihr unsteter Rat.
Unstetigkeit verkehrt zur Stund'
Das Viereck in ein Rund'.
Das Runde sie nicht verschmäht,
Wenn es baß an vier Ecken steht.
Das ist immer ihr besser' Spiel,
Daß sie begehrt was sie nicht will.
Der Wandel1 sie nie verdroß:
Das Wenige machet sie zu groß,
Das Große macht sie wieder klein.
Nun laufet sie, nun geht sie seine,2
Nun steiget sie, nun fällt sie nieder,
Heut' führt sie hin, morgen wider,3
Nun hin zu Berg, nun hin zu Meer,
Nun hin zum Wald, nun nach der Stadt:
Dort und da ist ihr Matt,4
Weil sie das im Herzen tragt,
Wonach sie allenthalben jagt.
Von Stadt zu Stadt sie fahr'n mag,
Weg von ihrem Herzen nicht einen Tag.
Wer dem Wolf am Schweif anbindet
Eine Schelle, er laufet und er windet
Sich hin und her und weiß es nit,
Daß er das trägt, was er da flieht.
So ist's mit dem unsteten Mann,
Der da nicht weiß, noch kann,
Was ihn wirrt; wißt, daß er tragt,
Was ihn von Ort zu Orte jagt.
Unstete versuchet viel der Speise,
Die sie nicht mag in keiner Weise,
Weil ihr der Magen ist erkalt't
Von bösen Gerichten mannigfalt.
Unstete auch ihren Magen hat,
Das ist das Gelüst', das bald zergaht,
Denn was sie morgens lüsten mag,
Das währt nimmer durch den Tag.
Ihr Gelüste ist kalt von Gerichten viel.
Wer nach mehreren Dingen streben will,
Der ist wohl stete an keinem.
Wer stete will sein, der bleib' bei einem.
Wer an einem will nicht stete sein,
Es kam uns oft in Augenschein,
Daß er für eins läßt ihrer drei:
Seht, was er erworben hat dabei.
Wer in der Welt herumfahr'n will,
Der gewinnt Herberge viel
Und Freundschaft nirgend eine.
Also geschieht dem, der allgemeine
Bei allen Dingen sein will,
Er läßt ihrer unter Weges viel.
1Veränderung. 2säumig, träge. 3zurück. 4vom Schachspiel, das Matt, das Verderben.
Vom Lebensbedarf
Aus dem III. Buche
Swelch man niht getrouwet leben
dâ mit und im Got hât gegeben,
ich wolde gern daz er erkande
daz vil manic helphande
in dem walde genesent wol.
Dâ bî ein biderbe man sol
wizzen daz er gewinnet daz
des er bedarf michels baz
danne der helphant gewinne:
er ist kleine und hât grôze sinne.
Swie grôz der helphant ist,
er gewinnt doch zaller vrist
in einem walde reht genuoc:
wie ist ein man sô ungevuoc
daz er niht entrout gewinnen
genuoc mit allen sînen sinnen,
unde hât doch gar in sîner hant
viuwer, wazzer, luft und lant?
Er hât ez gar und hât doch niht:
von grôzer erge daz geschiht.
Welch' Mann sich nicht getraut zu leben,
Von dem was ihm hat Gott gegeben,
Ich wollte gern, daß er erkannte
Daß viel manche Elefante
In dem Wald' sich befinden wohl.
Dabei ein biderber Mann soll
Wissen, daß er gewinnet das,
Des er bedarf, vielmal baß,
Als es der Elefant gewunne:
Er ist klein und hat große Sinne.
Wie groß auch der Elefant ist,
Er gewinnt doch zu aller Frist
In einem Walde recht genug:
Wie ist ein Mann so ungefug,
Daß er nicht traut zu gewinnen
Genug mit allen seinen Sinnen,
Und hat doch gar in seiner Hand
Feuer, Wasser, Luft und Land?
Er hat es gar und hat es doch nicht,
Von großem Geize das geschicht.
Vom Reichtume
Aus dem VI. Buche
Man solt ûs rîchtuom ahten klein,
wan er ist stiuvels wetzestein,
sîn netze und sîn vederspil.
Er væhet dermit gevügeles vil,
die ze Himel vliegen solden,
ob si ze Hell niht vallen wolden.
Guot, du wetzest uns mit list,
daz wir snîden zaller vrist
mit kündekeit nâch dir, guot:
du gîst uns vil listigen muot.
Swer wetzet sîn mezzer, wizzet daz,
daz er snîdt ein wîle baz
unz im diu snîde vellet gar.
Alsô sage ich iu vür wâr,
swer sich verlæzet an gewin,
der wetzet sô harte sînen sin
mit girescheit nâch dem guote
daz im diu snîde an sînem muote
wirt abe gesliffen sêre.
Sone mag er dan nimêre
an êre gedenken noch an Got:
er möht im selben sîn ze spot.
Ze jungest wetzet er sînen sin
sô daz ern gar verslîfet hin,
und kan niht dwingen sînen muot,
ern sterbe bî sîm eigenguot
des hungers und des vrostes ouch.
Ist er dan niht ein wîser gouch,
daz er sînen sin so verleit
daz er hie mit arbeit
erwirvet daz im dort werde
aver wirs in ener werlde?
Wan als ich sprach, swer an gewin
hât verlâzen sînen sin,
der hât hie und dort nôt
unde ist lebendiger tôt:
und dunket sich doch der samenære
wîse und der wuocherære!
Geselle, du hâst einn armen sin
den du wænest kêren an gewin:
nu sage mir, wâ sint dîne list?
Ez schînet wol daz verslizzen ist
dînes sinnes snîde gar,
wan dîn gewin kumt dar
da er verlust wol heizen mac,
daz sehe wir wol durch den tac.
Swenn du dich rüemest von gewinne,
sô soldest du haben ouch die sinne
daz du erkantest dîn verlust,
sô liezest du dîns ruomes glust:
wan du hâst dîne milte verlorn,
die erge hâstu dir erkorn,
die tugent umb untugent gegeben,
und wænest nâch gewinne streben.
Man sollt' auf Reichtum achten klein,
Weil er ist des Teufels Wetzestein,
Sein Netz und sein Federspiel.
Er fängt damit Gevögel viel,
Die zum Himmel fliegen sollten,
Wenn sie nicht zur Hölle fallen wollten.
Gut, du wetzest uns mit List,
Daß wir schneiden zu aller Frist
Mit Kundigkeit nach dir, Gut:
Du gibst uns viel listigen Mut.
Wer wetzt sein Messer, wisset das,
Daß er schneidet eine Weile baß,
Bis ihm die Schneide fehlet gar,
Also sag' ich euch fürwahr,
Wer sich verlässet auf Gewinn,
Der wetzet so sehr seinen Sinn
Mit Gierigkeit nach dem Gute,
Daß ihm die Schneide an seinem Mute1
Wird abgeschliffen sehr.
So mag er dann nimmermehr
An Ehre gedenken, noch an Gott:
Er möcht ihm selber sein zum Spott.
Zuletzt dann wetzt er seinen Sinn,
So daß er ihn gar verschleifet hin,
Und kann nicht zwingen seinen Mut,
Er stürbe bei seinem eignen Gut
Des Hungers und des Frostes auch.
Ist dieser nicht ein wahrer Gauch,2
Daß er seinen Sinn so verleit,3
Daß er hier mit Arbeit
Erwirbt, daß ihm dort werde
Um so schlechter in jener Welt?
Denn wie ich sprach, wer aus Gewinn
Hat verlassen seinen Sinn,
Der hat hier und dort Not
Und ist lebendig tot.
Und dünket sich doch der Sammler
Weise und der Wucherer!
Geselle, du hast einen armen Sinn,
Den du wähnst zu kehren aus Gewinn:
Nun sage mir, wo ist deine List?
Es scheint wohl, daß verdorben ist
Deines Sinnes Schneide gar,
Weil dein Gewinn sich stellt so dar,
Daß er Verlust wohl heißen mag,
Das sehen wir wohl jeden Tag.
Wenn du dich rühmest ob Gewinne,
So sollst du haben auch die Sinne,
Daß du erkennst deinen Verlust,
So ließest du deines Rühmens Lust:
Denn du hast deine Milde verlor'n,
Die Kargheit hast du dir erkor'n,
Die Tugend für Untugend gegeben,
Und wähnst, nach Gewinn zu streben.
1Gemüt, Seele. 2Kuckuck, Tor. 3weglegt.
Des Menschen Macht
Aus dem VII. Buch
Man vindet in dem walde wilde
diu sneller sint ûf dem gevilde
unde sterker danne dehein man,
und mugen sich niht wern, wan
des mannes bescheidenheit
hât vil schier diu netze bereit
diu sô gevlohten sint mit sinne
und sô gedræt, swaz kumt dar inne,
daz muoz des mannes meisterschaft
dulten durch der sêle kraft.
Swaz vliuget, gât ode swebet
und swaz in der werlde lebet,
daz dult des mannes meisterschaft:
daz machet niht des lîbes kraft
Solt ein man mit sterke ringen,
er möhte niht alsô betwingen
einen lewen daz er tæte gar
nâch sînem willen, daz ist wâr.
Daz möht uns ouch wesen leit,
solde man mit snellekeit
die vogel imme lufte ersnellen:
man möht dervür einn slâf wellen.
Der vogel würde gevangen niht,
ez enkœme von ungeschiht.
Nu seht daz uns der sin gît
daz ez allez vor uns lît:
swaz lebt daz stêt zunserm gebot,
alsô hât uns geêret Got.
Sin unde bescheidenheit
tuont mit lîhter arbeit
daz sterke und snelle niht enmac
getuon unz an den suontac.
Man findet indem Walde Wild,
Die schneller sind auf dem Gefild
Und stärker als ein jeder Mann,
Und mögen sich nicht wehren, dann1
Des Mannes2 Verständigkeit
Hat viel bald die Netze bereit,
Die so geflochten sind mit Sinne
Und so gedreht, was kommt darinne,
Das muß des Mannes Meisterschaft
Dulden durch der Seele Kraft.
Was flieget, geht oder schwebet,
Das duldet des Mannes Meisterschaft:
Das machet nicht des Leibes Kraft.
Sollt' ein Mann mit Stärke ringen,
Er möchte nicht also bezwingen
Einen Löwen, daß er täte gar
Nach seinem Willen, das ist wahr.
Das möcht' uns werden leid,
Sollte man durch Schnelligkeit
Den Vogel in der Luft erlangen,
Im Schlaf möcht' man ihn leichter fangen.
Der Vogel würde gefangen nicht,
Wenn es von ungefähr nicht geschicht.
Nun sehet, was der Sinn uns zeigt,
Daß sich alles vor uns neigt,
Was lebt, das steht uns zu Gebot,
Also hat uns geehret Gott.
Sinn und Verständigkeit
Tun mit leichter Arbeit,
Was Stärke und Schnelle nicht vermag
Zu tun bis an den jüngsten Tag.
1denn. 2Menschen.
Unmäßigkeit
Aus dem VIII. Buche
Der unstæte swester ist
diu unmâze zaller vrist.
Unmâze mac niht stæte sîn,
daz ist uns dicke worden schîn.
Ich seite von der stætekeit,
dô ich von der unstæte seit,
alsam ich hie niht verlâze,
ich ensage ouch von der mâze,
wan sô erkennt man deste baz
die unmâze, wizzet daz.
Unmâze ist der Nerrescheit
bote, und der Trunkenheit
gespil, unde der Übermuot
niftel, swer sîn war tuot.
Unmâze ist des Zornes kraft,
Unmâze hât niht meisterschaft.
Unmâze ist des Vrâzes munt,
der Erge slôz, der Girde hunt,
wan si suochet unde jaget
daz der Girde wol behaget.
Wizzet vür die wârheit,
si ist ouch zunge der Leckerheit.
Unmâze ist des Nîds vergift,
wan daz saget uns diu schrift,
swer nîdet unmæzeclîchen,
der tœt sich selben sicherlîchen.
Unmâze ist vorht der Zageheit
unde slâf der Trâkeit.
Iuch sol niht nemen wunder,
Unmâze ist der Unkiusche zunder.
Ich wilz iu sagen kurzlîchen,
ir sult ez wizzen sicherlîchen,
Unmâze ist der Untugende schar
gart, wan si menet dar
unde wecket die untugende
beidiu an alter und an jugende.
Daz ist der unmâze maht
daz si tuot über ir kraft.
Daz ist der unmâze site,
si volget der untugende mite.
Sô ist ir gewerve daz,
unsælikeit und Gotes haz.
Unmâze diu ist âne zil,
si heizet ze lützel und ze vil.
Der ist vervluochet und verwâzen
der sîn dinc niht kan gemâzen.
Diu mâze sol sîn an allen dingen,
von der mâze mac niht misselingen.
Der ist gar ein unsælec man
der sîn gevert niht mezzen kan.
Der Unstete Schwester ist
Die Unmaße1 zu aller Frist.
Unmaße mag nicht stete sein,
Davon ward uns oft klarer Schein.
Hier fehlt die Übersetzung!
Unmaße ist der Narrheit
Bote und der Trunkenheit
Gespiele und vom Übermut
Richte, wer draus achten tut.
Unmaße ist des Zornes Kraft,
Unmaße hat nicht Meisterschaft.
Unmaße ist des Fraßes Mund,
Der Kargheit Schloß, der Gierde2 Hund,
Weil sie suchet und jaget,
Was der Gierde wohl behaget.
Wisset ganz die Wahrheit,
Sie ist auch die Zunge der Leckerheit.
Unmaße ist des Neides Gift,
Denn es saget uns die Schrift,
Wer neidet unmäßig,
Der tötet sich selbst sicherlich.
Unmaße ist Furcht der Zagheit
Und Schlaf der Trägheit.
Euch soll nicht nehmen Wunder,
Unmaße ist der Unzucht Zunder,
Ich will euch sagen kürzlich,
Ihr sollt es wissen sicherlich,
Unmaße ist der Untugenden-Schar
Peitsche, sie treibt immerdar
Und wecket die Untugend
Beim Alter und bei der Jugend.
Das ist der Unmaße Macht,
Daß sie tut über ihre Kraft.
Das ist der Unmaße Sitt',
Sie folgt bei Untugend mit.
So ist ihr Gewerbe das:
Unseligkeit und Gottes Haß.
Unmaße, die ist ohne Ziel:
Sie heißt zu wenig und zu viel.
Der ist verfluchet und verlassen,
Der sich nicht hält nach Maßen.
Das Maß soll sein in allen Dingen,
Durch Maß kann uns nichts mißlingen.
Der ist ein gar unselig' Mann,
Der nicht sein Tun ermessen kann.
1Unmäßigkeit. 2Begierde.
Der kranke Löwe
Ich hân ein bîspel vernomen:
ein lewe was in sîn loch komen
und lac dâ sam er siech wære.
Daz wart geseit zehant vür mære
allenthalben dem wilde.
Beidiu von walde und von gevilde
liefens allenthalben dar:
wær ez gelogen ode wâr,
si woldenz wizzen alsô drât
und heten einn unwîsen rât,
daz si durch ir kranken sin
kœmen zuo dem lewen in.
Si labeten den siechen sô
daz si sîn wurden vil unvrô.
Si wurden sîn gelebde gar,
wan er vraz si, daz ist wâr.
Der vuhs wold dar in niht komen,
wan ir habt wol vernomen
daz der vuhs vil karc ist.
Ein eichorn sprach "Vuhs, du bist
dâ her komen wol von verren.
Zwiu sihestu niht dînen herren
der da inne lît ungesunt?”
Der vuhs sprach zuo der selben stunt
"Ich sihe diu spor al in gekêrt:
si sint übel dinne gewert.
Ich hiet dan niht guoten sin,
sît diu spor kêrent in
und sint her ûz niht gekêrt,
ob ich dar in ze komen gert.”
Alsam möht sprechen ein man
der sich ze guot verstên kan
"Ich sihe wol daz diu übermuot
under vellt: swer übel tuot,
der muoz ze helle varn nider
unde kumt niht her wider,”
unde solt sich wol bewarn
daz er dar nien solde varn
dâ der Tiuvel ginende ist
als ein lewe zaller vrist.
Der tuot niemen leids sô vil
sô dem der im dienen wil.
Zewâre ein schâf hât wol den sin,
und vüert der wolf ein ander hin,
daz ez nâch im niht loufen wolde.
Daz selbe ein man tuon solde:
er solt nâch dem niht gerne varn
der sich vor sünd niht kan bewarn,
wan diu sünde bringt in dar
dâ er muoz sîn vil gar
beidiu geschant unde verlorn:
er wær noch bezzer ungeborn.
Ich hab' ein Beispiel vernommen:
Ein Löw' war in ein Loch1 gekommen.
Und lag da, als ob siech er wäre.
Das ward gesagt zuhand als Märe
Allenthalben dem Wilde.
Beide, vom Wald und vom Gefilde
Liefen's allenthalben dar:2
Wär' es erlogen oder wahr,
Sie wollten's wissen nun gerad',
Und hatten einen unweisen Rat,3
Daß sie in unklugem Sinn
Kamen zu dem Löwen hin.
Sie labeten den Siechen so,
Daß sie drob wurden viel unfroh.
Sie wurden seine Labnis gar,
Denn er fraß sie, das ist wahr.
Der Fuchs wollt' hinein nicht kommen,
Denn ihr habt wohl vernommen,
Daß der Fuchs viel karg4 ist.
Ein Eichhorn sprach: "Fuchs, du bist
Daher gekommen nur von fern,
Wie, stehest du nicht deinen Herrn,
Der da drinnen liegt ungesund?"
Der Fuchs sprach zu derselben Stund':
"Ich seh' die Spuren all' hineingekehrt,
Es ward übles drinnen gewährt.
Ich hätte da nicht klugen Sinn,
Da sich die Spuren kehren hin,
Und sind nach außen nicht gekehrt,
Wenn ich hinein zu gehn begehrt'."
So möchte sprechen ein Mann,
Der sich darauf verstehen kann:
"Ich sehe wohl, daß Übermut
Hinunterfällt; wer übel tut,
Der muß zur Hölle fahren nieder
Und kommt zurück nicht wieder."
Und sollt' sich wohl bewahr'n,
Daß er dahin nie sollte fahr'n,
Wo der Teufel lauernd ist,
Wie ein Löwe zu aller Frist,
Der tut Niemanden Leids so viel,
Als dem, der ihm dienen will.
Fürwahr ein Schaf hat wohl den Sinn,5
Wenn führt der Wolf ein andres hin,
Daß es nach ihm nicht laufen wollte.
Dasselbe ein Mann tun sollte:
Er soll nach dem nicht gerne fahr'n,
Der sich vor Sünd' nicht kann bewahr'n,
Denn die Sünde bringt ihn dar,6
Wo er muß sein viel gar
Beides, geschändet und verlor'n:
Er wär' noch besser ungebor'n.
1Höhle. 2daher. 3Entschluß. 4schlau. 5Verstand. 6dahin.
Die Feder
Anfang des IX. Buches
"Lâ mich ruowen, sîn ist zît,”
spricht mîn veder, "Swer niene gît
sînem eigenem knehte
ruowe, er tuot im vil unrehte.
Sô hân ich dir, daz ist wâr,
gedienet disen winter gar,
daz du mich niene lieze belîben
ichn müeste tag und naht schrîben.
Du hâst verslizzen mînen munt,
wan du mich mêr dan zehen stunt
zem tage phlîst tempern unde snîden.
Wie möht ich daz sô lange erlîden?
Du snîdest mich nu grôz nu kleine
und hâst mich gemacht gemeine
ze schrîben von herren und von kneht:
du tuost mir grôzez unreht.
Dô du phlæge guoter site,
dô vuor ich dir vil gerne mite.
Dô du mit rîtern und mit vrouwen
phlæge buhurt und tanz schouwen,
dô was ich harte gern bî dir:
wan dô, geloubestu ouch mir,
dô du woldest ze hove sîn
under den liuten, dô was mîn
geloube daz ich wære baz
bî dir dan inder, wizze daz.
Nu hâstu dich des abe getân
und hâst dîn selbes dinc verlân
und ze rukke gar geworfen.
Ich hân dar an niht erworven,
wan ich muoz schrîben durch den tac:
wizze daz ichz niht dulten mac.
Du bist wordn ein klôsenære.
Dô du dâ ze schuole wære,
dô muotestu mich niht sô hart.
Dîn tor ist über tac gespart:
sag an, waz ist dir geschehen?
Du wil vrowen noch rîter sehen.
Dîn lieht müet mich über maht,
daz du brennest durch die naht.
Ob du wil in einem jâr
schrîben unde tihten gar
swaz du inder hâst ze schrîben,
sô mag ich bî dir niht belîben.
Swer sich verlæzet an getiht,
der muoz gar werden enwiht,
wan er sich versendet gar
mit gedanken, daz ist wâr.”
Lâ dîn klage, klag niht sô vil
und hœre waz ich dir sagen wil.
Hiet ich mich tihten an genomen
durch kurzwîle, ich wær niht komen
in vier jâren dâ ich bin,
mich entriege dan mîn sin.
Du weist wol daz ich sage wâr,
in aht mânôden hân ich gar
diu aht teil ûz gemachet
(dâ hâstu ouch vil zuo gewachet)
und sol ir noch zwei machen:
noch muostu zwên mânôde wachen.
Dâ bî merk daz mîn getiht
ist mir gar kurzwîle niht.
"Laß mich ruhen, wohl ist's Zeit"
Spricht meine Feder, "wer nie leiht
Seinem eigenen Knechte
Ruhe, er tut ihm viel Unrechte.
So hab' ich dir, das ist wahr,
Gedienet diesen Winter gar,1
Daß du mich niemals ließest bleiben,
Ich mußte Tag und Nacht schreiben.
Du hast zerrissen meinen Mund,
Da du mich mehr denn zehn Stund'2
Im Tage pflegst zu bessern und zu schneiden.
Wie möcht' ich das so lang' erleiden?
Du schneidest mich nun groß, nun kleine,
Und hast mich gemacht allgemeine,
Zu schreiben von Herrn und von Knecht:
Du tust mir großes Unrecht.
Da du pflogest3 guter Sitte,
Da folgte ich viel gerne mite,
Da du mit Rittern und Frauen
Pflogst Buhurt und Tanz zu schauen,
Da war ich immer gerne bei dir.
Wenn daraus, das glaube mir,
Dann du wolltest bei Hofe sein
Unter den Leuten, da war mein
Glaube, daß ich wäre baß
Bei dir dann irgendwo, wisse das.
Nun hast du dich des abgewandt,
Verlassen gänzlich deinen Stand
Und geworfen alles gar zurück.
Ich hab' dabei kein andres Glück,
Als daß ich muß schreiben durch den Tag:
Wisse, daß ich's nicht dulden mag.
Du bist worden ein Klausner.4
Als du noch in der Schule warst,
Da mühtest5 du mich nicht so hart.
Dein Tor ist über Tag gesperrt,
Sag' an, was ist dir geschehen?
Du willst nicht Frau'n noch Ritter sehen.
Dein Licht müht mich über Macht,
Das du brennest durch die Nacht.
So du willst in einem Jahr
Schreiben und dichten gar,
Was du irgend hast zu schreiben,
So mag ich nimmer bei dir bleiben.
Wer sich verlässet auf ein Gedicht,
Der muß werden gar ein Wicht,6
Weil er sich versinnet gar
Mit Gedanken, das ist wahr."
Laß deine Klage, klag' nicht so viel,
Und höre, was ich dir sagen will.
Hätt' ich mich des Dichtens angenommen
Zur Kurzweil, ich wär' nicht kommen
In vier Jahren, wo ich bin,
Mich betröge dann mein Sinn.
Du weißt wohl, ich spreche wahr,
In acht Monaten hab' ich gar
Die acht Teile ausgemachet,
(Du hast auch viel dabei gewachet)
Und soll ihrer zwei noch machen:
Noch mußt du zwei Monate wachen.
Dabei merk', daß mein Gedicht
Ist mir eine Kurzweil nicht.
1ganz. 2zehnmal. 3pflegtest. 4Einsiedler. 5quältest. 6Nichts.