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Quelle:

Sylvester Büchlein
Johann Nepumuk Vogl

Wien 1856

Universitäts-Buchdruckerei
(vormals J.P.Sollinger)
Druck und Verlag von L.C.Zamarski


Poetisches Sylvester

 

Sylvester
Jetzt, Freunde, ist Sylvesternacht!
Zwei Silvesternächte
Pfeife und Cigarre
In der Sylvesternacht
Eine Sylvestersage
Sandkörnchen

 


Sylvester
 


Sei uns gegrüßt, du bester
Liebwertester, Sylvester,
Wie jedesmal zu dieser Stund'
Sei uns gegrüßt im frohen Rund,
Mit Mund und Herz, mit Herz und Mund,
Du wack'rer, ehrenfester
Sylvester!

Vernimmst du das Orchester
Hochpreislicher Sylvester!
Wie stimmt zusammen Groß und Klein,
Wie klinget Glas an Glas so rein,
Darinnen perlet goldner Wein,
In Österreich gepreßter,
Sylvester!

Du warst der Freunde größter
Von jeher uns, Sylvester,
Du machst das Herz auf's Neue warm,
Und machst vergessen Not und Harm,
Bei Alt und Jung, bei Reich und Arm,
In Loden und Manchester,
Sylvester!

D'rum feiert auch den Tröster
In dir nur, Herr Sylvester
Mit jedem Jahr um diese Zeit
Der Österreicher weit und breit,
Mit allgewohnter Fröhlichkeit,
Von seiner Art nicht läßt er,
Sylvester!

Und sind auch alle Nester
Von Vöglein leer, Sylvester,
Und kommt kein Sänger auch herführ
Zu preisen dich nach Schuldgebühr,
So schrei'n wir desto mehr dafür:
Hoch unser weindurchnäßter
Sylvester!

 

Jetzt Freunde, ist Sylvesternacht,
Nun laßt die Gläser klingen,
Wer rechtlich hat das Jahr verbracht,
Der soll mit uns jetzt singen.

Das Leben ist ein kurzer Traum
Von gut und schlimmen Stunden,
Und eh' du's denkst, bist du vom Raum
Für immer hingeschwunden.

Doch schreckt uns nicht die Flucht der Zeit,
Des Grabes Schauerstille,
Wir Alle sind zum Geh'n bereit,
Erheischt's des Ew'gen Wille.

Denn was uns trifft, das trifft uns gleich,
Den Einen wie den Andern,
Und Hoch und Nieder, Arm und Reich,
Nach einem Ziele wandern.

Doch da an einem Grenzstein wir
Nun wieder angekommen,
So sei auch von uns Wand'rern hier
Jetzt frohe Rast genommen.


Es klinge an, wer da zu Gast;
Das erste Glas: Den Lieben,
Die seit der letzten Pilgerrast
Von uns zurückgeblieben.

Das zweite: Denen die im Staub
Mit uns noch fürder wallen,
Und noch an Wolke, Quell und Laub,
Ein fröhliches Gefallen.

Zum dritten nun das dritte Glas:
Auch Ihm den Preis zu zollen,
Für den selbst unter'm Friedhofsgras
Kein Wandrer ist verschollen.

 

Es saßen Zwei zusammen
In letzter Jahresnacht,
Die manche Jugendnächte
Gar fröhlich hingebracht.

Wohl riß sie von einander
Hierauf des Schicksals Schluß,
Doch folgte nur dem Einen
Das Glück auf seinem Fuß.

Der saß nun, rot von Wangen,
Das Glas in kräft'ger Hand,
Der And're, bleich, verkümmert,
Ein Wrack am öden Strand.

Da rief des Domes Glocke
Den Scheidegruß des Jahr's,
Da zuckte alte Freude
Durch's Herz des Brüderpaar's.

Da huben sie die Gläser
Und stießen an mit Macht,
Doch war gar sehr verschieden
Was Jeder sich gedacht.

Der Bleiche dacht': "Sei glücklich
Wenn mir kein Licht mehr scheint!"
Der Frische aber dachte:
"Fahr hin, du armer Freund!" —

Drauf schieden Beide wieder,
Mit Schmerz nur sollt's gescheh'n,
Sie wußten's ja, sie würden
Sich nimmer widerseh'n. —

Und zwölf der Monde waren
Entschwunden abermal,
Da saß, des Freund's gedenkend,
Nur Einer beim Pokal.

Der An'dre lag seit Wochen
Tief unter'm Friedhofsgras,
Dies war der Frische, Rote;
Der Bleiche saß beim Glas.


 


Pfeife und Cigarre
Eine Burleske
 


(Das Rauchappartement einer Balllolalität)
(Herr Pfeifenkopf und Fräulein Cigarre begegnen sich.)


Cigarre

Was für ein Wunder! Sie einmal
Herr Onkel, hier auf einem Ball?
Das ist seit Jahren nicht geschehen,
Daß man in dieser noblen Welt,
Wo das Modernste nur gefällt,
So Respektables hat gesehen.
Oft dacht' ich: Wie nur so allein
Und fern von uns sind Ihre Wege;
Schon ward in mir die Sorge rege,
Sie möchten gar gestorben sein.

Pfeifenkopf

Ma chère Nièce, sehr obligiert,
Doch ist dies nicht der Fall gewesen,
Noch zähl' ich zu den ird'schen Wesen,
Und bin auch ziemlich contentiert.

Cigarre
Wie freut mich dies Ihr Wohlbehagen!

Pfeifenkopf

Mich minder nicht, ich darf es sagen,
Wie aber geht es dir,
ma chère?

Cigarre

Nicht besser wünsche ich es mehr.
Ich bin der Mittelpunkt von Allen,
Um den, was Bildung heißt, sich dreht.
Und keiner Schönen wird gefallen
Ein Mann, den nicht mein Duft umweht.
Mir offen stehen alle Pforten,
Denn unentbehrlich aller Orten
Bin ich bei Matinée und Tee,
Am Namensfest und beim Souper,
So wie auf Jagd und Promenade,
Auf jeder Landpartie, im Bade
Bringt Groß und Klein mir sein: Willkomm!
Und ohne daß ich mich vermesse,
Darf ich behaupten, die Noblesse
Ist ohne mich nur ein Phantom.
Wie schmerzt es mich darum, daß Sie
Verbannt aus jeder Cotterie
Und allen nobler'n Cerclen sind.

Pfeifenkopf

Laß dich's nicht kränken, liebes Kind,
In einer Zeit von solchen Wirren
Behagt es zu privatisieren.
Nie hat mein Herz der Wunsch belebt,
In solch ein Treiben mich zu mengen,
Wer nach Fortunas Huld nicht strebt,
Dem g'nügts auch in den heim'schen Engen.

Cigarre

Es mag wohl sein, doch sicherlich
Ist all die Not von unsern Tagen
Auch außerhalb noch zu ertragen,
Erwählt man zur Gesellschaft — mich!

Pfeifenkopf

Wenn die Gesellschaft nur nicht auch
So schnell verflöge mit dem Rauch.

Cigarre

Ich glaube gar, Sie persiflieren?
Sie werden doch mit mir nicht gar
Am Ende noch rivalisieren?
Das wär' zu komisch doch fürwahr!
Cher Oncle, sehen Sie einmal
Nur meinen Wuchs, wie schlank und schmal,
Der Teint wie hell, wie süß der Duft,
Wie eng die Taille, wie geschwungen.

Pfeifenkopf
(bei Seite)

Ja, ja, es spürens oft die Lungen,
Aus lauter Schwingung fehlt die Luft.

Cigarre

Das Ganze, wie so zart und leicht.

Pfeifenkopf
(wie vorher)

Zuweilen schimlicht auch und feucht.

Cigarre

Daß Sie, Sie müssen's selber sagen,
Gebührt auch Ihnen manch ein Lob,
Wie Sie sich geben jetzt und tragen,
Dagegen — ungeschlacht und grob.

Pfeifenkopf
Ich danke für das Compliment.

Cigarre

O seh'n Sie, wie das glimmt und brennt,
Gleich einem Mast rag' ich hinaus,
In Frühlingsluft und Sturmgebraus,
So keck, so frei, so ohne Haft.
Kein Rohr bedarf ich, keinen Schaft.
Nicht brauch' des Fremden ich zum Frohn,
Kein plump Gehäus' aus Holz und Ton,
Und vollends ist mit buntem Glast
Ein Tabakbeutel mir verhaßt,
Denn wo mich hin auch trägt der Zug,
Bin üb'rall ich mir selbst genug.

Pfeifenkopf

Mein Kind, ich zähle nicht zu denen,
Die deinen Wert nicht anerkennen,
Auch gönn' ich dir den Vorrang gern,
Den du errangst in einer Zeit,
Der jedes ruh'ge Walten fern,
Die nichts sonst kennt als Wichtigkeit,
Die nimmer rasten mag und weilen,
Und nichts als fliegen will und eilen,
In der nur Jeder ist bestrebt,
Daß er so rasch als möglich lebt,
Ich passe nicht zu solchem Treiben
Und will, wie stets ich war, auch bleiben.

Cigarre

Solch ein Genügen ist zu schätzen
Und schirmt vor mißlichem Verletzen,
Auch würden Sie bei dem Geschmack
Der jungen Herrn im mod'schen Frack
Nur wenig Anerkennung finden,
Wir wissen wohl aus welchen Gründen.
Auch nähm' sichs wahrlicht drollicht aus
Erblickte man solch feines Männchen
In seinem zierlich blanken Fähnchen,
Die Locken parfümiert und kraus,
Mit einem Ulmerkopf im Munde.

Pfeifenkopf

Recht drollicht wärs, ich läugn' es nicht,
Ein Ulmerkopf und solch ein Wicht!
Wenn gleich kein Unterschied im Grunde,
Da Jener hohl und dieser auch,
Und was sie schaffen, leerer Rauch.
Doch wä'rs auch drollicht, dächte man
Sich einen Schah von I s p a h a n,
Mit Turban, Bart, auf weichen Kissen
Gekauert, mit gekreuzten Füßen,
Und statt des Bernsteins an den Lippen,
An solchem Kinderzulpe nippen.
Denn was geschmackvoll an dem Einen
Wird abgeschmackt am Andern scheinen.
Doch mußt du, Nichtchen, mir gesteh'n,
Durch welche Brille du magst seh'n,
Daß einem Raucher immerdar
Der treu'ste Freund die Pfeife war.
So schien bei seinem stillen Leiden
Sie oft ein stummes Trauerhaus,
Sie dampfte seinen Zorn hinaus,
Und schien erfreut bei seinen Freuden.
Sie tröstete in trüben Stunden,
Wenn Balsam fehlte für die Wunden,
Sie warf in düst're Erdenräume
Ihm der Verklärung Zauberschein,
Und wiegte ihn in süße Träume
Mit ihren Nebelarmen ein.
Verfolgen wir doch selber nur
In der Vergangenheit die Spur
Von unser'm eignen Erdenwallen.

Cigarre
(bei Seite)

Jetzt hat er mich in seinen Krallen.

Pfeifenkopf

Mein früh'rer Herr war ein Soldat,
Der mich nicht lang besessen hat,
Indem schon in der ersten Schlacht,
Die wir zusammen mitgemacht,
Ihn eine Kugel niederstreckte,
Und mich mit seinem Blut befleckte.
Da reichte er mit letzter Kraft
Mich hin noch seinem Kameraden,
Dann war es aus.
                            Nach langer Haft
Kam ich bei diesem erst in Gnaden.
Des Freundes Tod ging ihm zu nah,
Sein Aug' ward feucht, wenn er mich sah.
So zog ich denn mit dem Betrübten
Dahin, und seiner Kompagnie,
Und was wir taten und verübten,
Das weiß am besten er und sie.
Mit einem Wort, seit jener Stunde
Blieb ich dem neuen Herrn vereint,
Und hing alltäglich ihm am Munde,
Als wäre ich sein toter Freund.
Ich war bei ihm auf allen Pfaden,

In Kampfgetös und Pulverschwaden,
Im Bivouac, auf nächt'ger Haid,
Im Spittel auch lag ich nicht weit,
Ich war bei ihm im Schenkenhaus
Bei Gläserklang und Lustgebraus,
So folgt' ich ihm, man kann's gewahren,
Durch eine Zeit von zwanzig Jahren,
Und rufe ihm, bläst er den Rauch
Hinaus aus meinem alten Schlauch,
Gar oftmals noch in stillen Stunden
Die Zeit zurück, die ihm entschwunden.
So dien' ich ihm, wenn er mich braucht,
Als rief ihn jetzt noch die Fanfare;
Wo wär' ich, wenn mich als Cigarre
Mein erster tapfrer Herr gebraucht? —
Nun aber sprich, was ruft dein Glimmen
Dem Herrn zurück aus alter Zeit,
Erschallen ihm verscholl'ne Stimmen,
Erwacht ihm die Vergangenheit?

Cigarre
(schweigt beschämt)

Pfeifenkopf

Du schweigst,
ma chère Nièce? — Wohlan,
Wir wollen uns des Streit's entschlagen.
Nur mögst dein Näschen du fortan
Nicht mehr so hoch wie früher tragen,
Denn schätzt man in der Mode Reich
Zur Stunde das Bequeme gleich,
So ist, nach klüglichem Betrachten,
Doch auch das Dauernde zu achten.

 


In der Sylvesternacht
 


Vorbei am Mond die Wolke fliegt,
In Schnee gehüllt die Fläche liegt,
Kein Leben atmet, weit und breit
Nur lautlos tote Einsamkeit.

Noch öder als die Öde scheint
Jedoch der Friedhof, karg umzäunt,
An dem das Kirchlein schneebedeckt
Sich hin im langen Schatten streckt.

Ringsum beschneite Kreuze steh'n,
Gleich Grabentstieg'nen anzuseh'n,
Die in des Winters nächt'gem Graus
Die Arme spreiten weit hinaus.

Da regt es sich ganz sacht und leis
Mit einemmal im Turmgehäus',
Die Uhr hebt aus, der Hammer tönt,
Daß Glockenhaus und Turm erdröhnt.

Und weithin gellt es durch das Rund
Als wie ein Ruf aus Geistermund,
In zwölf gemessnen Schlägen schallt's,
Und fern und ferner wiederhallt's.

Da klirrt's zugleich wie Becherschall,
Die Kirchenfenster zittern all',
Die Grablaternen schaukeln sich,
Die Kreuze rasseln schauerlich.

Es klirrt der Hahn, der niemals kräht,
Im trägen Schwung vom Wind gedreht,
So wie die Rinne, die am Saum
Des Dach's sich kann erhalten kaum.

Und wie ein toller Zecherchor
Durchbraust's die Luft, wie nie zuvor,
Dazu noch raschelt manch ein Kranz,
Der glitzernd schwankt im Mondenglanz.

Da schweigt der Klang, der Wind verbraust,
Ringsum das früh're Schweigen haust,
Und zu der stummen Friedhofsschar
Hat sich gesellt das alte Jahr.

 


Eine Sylvestersage
 


Das ist zu L a n d e c k in Tirol,
Da glaubt man insgemein
Es wäre die Sylvesternacht
Der Geister "Stelldichein,"
Und Alle die sich auserkiest
Der Tod im nächsten Jahr,
Die machten noch den Opfergang
Bevor um den Altar.

Dies selber sehen möchte Klaus,
Es läßt ihm keine Rast,
So schleicht er in die Kirche sich
Als ein verstohlner Gast.
Er tritt in's Schiff. Ein Lämpchen nur
Berstreut gar kargen Schein
Auf Schildereien und Gesäul,
Auf Gräber und Gestein
Wild prasselnd an die Fenster schlägt
Der Schnee im dichten Schwall,
Da dröhnt es Zwölf herab vom Turm
Mit schauerlichem Schall.
Jetzt prallt die Pforte auf, und sieh',
Als wär's im Fiebertraum,
Durchwallt auch schon die grause Schar
Den dumpfig öden Raum.

Erst Weib'sgestalten, wie es scheint
Von tiefem Harm erfüllt,
Jedwed' ein Kindlein tragend, das
In Linnen ganz verhüllt.
Sodann, als wie ein Lilienflor,
Die Jungfrau'n schlank und schmal,
Das Aug' geschlossen, wie im Schlaf,
Die Wangen hohl und fahl.

D'rauf Bursche, hu, befleckt mit Blut
So Antlitz als Gewand,
Als wären abgefallen sie
Gerad vom stein'gen Gand,
Sodann noch Greise, tief gebeugt,
Und wackelnd mit dem Haupt,
Nur mühsam haltend sich am Stab
Und jeder Kraft beraubt.

Und alles dies erblickt der Klaus,
Mit hochgesträubtem Haar,
Das starre Aug' wie festgebannt
Auf die gespenst'ge Schar.
Da stapft noch Einer hinterdrein —
Das scheint ein zweiter Klaus,
So ähnlich dem, als trät' er selbst
Zum Spiegel just heraus.

So gleich an Haltung und Gestalt,
An Gürtel, Rock und Strumpf,
Nur fehlt ihm — wer erfaßt den Schreck
Der Schädel auf dem Rumpf.
Da sinkt der Klaus zur Erde hin
Wie solches er erschaut,
Und findet erst sich wieder, als
Im Ost der Morgen graut.

Doch siechte er von dieser Stund'
Ganz sichtbarlich dahin,
Kein Bader und kein Doktor half
Und keine Medizin,
Die Kräfte schwanden mehr und mehr,
Und g'rade war's ein Jahr
Da fühlte es der Klaus, nun sei's
Mit ihm für immer gar.

Und reuevoll gestand er noch
Dem Pfarrer, was gescheh'n,
Und wie er schließlich ohne Haupt
Sich selber hab' geseh'n.
Der Pfarrer aber spricht: "Das ist
Nichts Neues, armer Tropf,
Denn Jeder, der noch Geister sah,
Der hatte keinen Kopf."

 


Sandkörnchen
aus dem
Stundenglase des Saturn

 


Froh beschlossen, frisch begonnen,
Sei das Alte, sei das Neue,
Ohne Furcht und ohne Reue,
Und Ihr habt schon halb gewonnen.

War das Jahr auch eins der herben,
Soll nicht herb das Scheiden sein,
Denn wir sind ja seine Erben,
Und sein Nachlaß ist der Wein.

Da sind zugleich sie auf der Brücke,
Der hoch zu Roß, der an der Krücke.

Ist dein Bündel leicht geschnürt,
Ist auch leicht dein Wandern,
Wer zu Vieles mit sich führt,
Braucht stets einen Andern.

Gleichwie des Menschen Leib, so hält
Kein Haus am Eigner, wie ich glaub',
Wie er dies Haus verläßt, so fällt
Es hinter ihm sogleich in Staub.

Auf Flügeln enteilen
Die Wünsche um Glück,
Doch kehren die meisten
Auf Krücken zurück.


Gib Himmel mir nur jeden Tag
Was ich bedarf — und sonst noch mag!

Vom Strom erlangest Du, was dir
Geschöpft aus ihm die Hand,
Und von der Zeit nur, was von ihr
Benützet dein Verstand.

Erwägt das "Gestern" und bedenkt das "Heute,"
So werdet ihr dem "Morgen" nicht zur Beute.

Es meint, hinzieh' der Strand zur Seit',
Wer nah' am Strome steht;
So glaubt der Mensch es geh' die Zeit,
Indes er selbst nur geht.

Was Wunder, daß Zwietracht und Streiten
Berkümmern der Menschen Geschick,
Drei Blinde ja sind's, die sie leiten:
Gerechtigkeit, Liebe und Glück.

Wenn endlich kommt das neue Jahr
Als freudiger Verkünder:
Befreit seid Ihr für immerdar
Vom Frack und vom Zylinder!

Nicht zu dem Schluß des Jahres nur
Geb' dir der Glocke Mund vom Scheiden Kunde,
Bedenk', es schlägt die Lebensuhr
Mit jeder Stunde — eine letzte Stunde.

Nicht such' Genuß nur Tag um Tag,
Als ob kein Ziel er fände,
Sonst trifft dich wie ein Donnerschlag
Ein unerwartet Ende.

Die Glocke tönt mit gleichem Schall
Wohl immer durch die Luft,
Nur anders ist der Widerhall,
Wenn sie zum Scheiden ruft.

Mein Jahreswunsch ist, daß vom heut'gen Tage
Der Herr dir jeden dummen Wunsch versage.

Beginnst du mit dem neuen Jahr
Auf's Neu' des Lebens Wechselspiel,
So halt' an dem was recht und wahr,
Und hoff' und fürchte nicht zu viel.

So mancher geht in's neue Jahr
Hinein mit Saus und Braus,
Der aus demselben kurz darauf
Ganz stille geht hinaus.

Im neuen Jahr hofft manch ein Tor,
Daß er das Glück erhasche,
Und steckt doch wie im Jahr zuvor
Die Hände in die Tasche.

Nicht schüchtern
Beim Schmaus,
Doch nüchtern
Nach Haus.

O Jugend, blühender Rosenstrauch,
O Jugend, Morgensonnenschein,
Nur einen Strahl, nur einen Hauch
Noch sende in mein Herz hinein!

Wer vergäße jene Stunde,
Wer, der sich nach ihr nicht sehne,
Als wir heulten wie die Hunde,
Als wir krähten wie die Hähne?

Schon braust der Wein, die Stöpsel krachen,
Nun wird die Freundschaft gleich erwachen.

Welch Widerspruch schon an des Jahres Schwelle,
Zur Grabesglocke klingt die Narrenschelle.

Der Eine trinkt den Wein behäbig aus,
Der And're nippt, als koste er vom Herben,
Der Dritte überschüttet sich den Flaus,
Und bei dem Vierten geht das Glas in Scherben.

Ein Leuchtturm! — Ach, es ist kein Bleiben!
Mußt immerdar stromabwärts treiben.

Bedenke wohl bei jeder Jahreswende,
Ein neuer Anfang ist's bloß von dem Ende.

Erstickte man am ersten Tag
Des Jahr's an seinen Lügen,
So wär' die halbe Menschheit tot,
Die halbe läg' in Zügen.

Wen freut's nicht, daß er angekommen,
Ob er auch noch so schlecht geschwommen?

Wer sparen will im neuen Jahr,
Beharr' auf seinem Plan;
Doch fang' er nicht im alten noch
Mit Schuldenmachen an.

Ich weiß nicht die Namen,
Sie werden vergeben,
Doch da wir beisammen
So laß' ich sie leben!

Wie sie's getrieben, Zug für Zug,
So wird's die Welt auch künftig treiben,
Die Jungen keck, die Alten klug,
Und Narren werden Narren bleiben.

Wär's Mode, hingen Muhm' und Base
Sich eine Bratwurst an die Nase.

Wer gerne trinkt von fremdem Wein,
Dem fallen stets Toaste ein.

Nicht schreck' den Sterblichen die rätselhafte Brücke,
Es bleiben hinter ihm nur Sterbende zurücke.

Wir saßen so fröhlich beisammen,
Und hatten einander so lieb,
Und hätten uns sicher erwürget
Wenn Eines beim Andern verblieb.

Ein Hoch dem Wein, er bleibt der Lust Entflammer,
Doch niederträchtig ist der Katzenjammer.

Was sind das für glückliche Leute, die glauben
Nun kamen im Flug' die gebratenen Tauben.

Die Zinkenisten blasen
Vom Turm das neue Jahr,
Was streckt Ihr so die Nasen?
Bleibt Alles wie es war.

Willst künftig Ruhe vor Gehäß'gen haben,
So laß dich noch im alten Jahr begraben.

Welch Herzen und Küssen beim Zechgelag',
Als wären von Lieb' sie besessen,
Wie schade nur, daß sie am nächsten Tag
Auf Alles schon wieder vergessen.

Sie glauben es sei brüderlich,
Indessen ist's bloß lüderlich.

Zerteilt nach Jahren, Monden, Tagen
Die Zeit, die nur der Herr bemißt,
Doch glaubt, sie wird zu jeder Frist
Den Geier um die Menschen fragen.

Ob nicht so mancher meint sie spaßen,
Den sie für Nichtstun leben lassen.

"Sylvesterwind und warme Sonn'
Wirft jede Hoffnung in den Bronn,"
Ich glaube ohne Wind und Schein
Wird auch nicht viel zu hoffen sein.

Die Jugend lebt dem Augenblick,
In dem besteht das ganze Glück,
Wie ihr Gesichtskreis sich erweitert,
Ist Schifflein "Frohsinn" auch gescheitert.

Nun laß' uns Freund, die Gläser leeren,
Für alle Zeiten: Du und du!
Und sagst du künftig mir nicht zu,
So kannst du dich zum Teufel scheren.

Tu'n sich des Jahres Schranken auf,
So kommen Zöllner gleich zu Hauf'.

Was erst noch Zierde war dem Haus,
Als Kehricht fegt's die Zeit hinaus.

Sie kamen mit leeren Köpfen
Zu vollen Gläsern her,
Und geh'n mit vollen Köpfen
Sobald die Gläser leer,
Was willst du von leeren Köpfen
Und vollen Gläsern mehr?

Ich frag: Wozu ein neues Jahr,
Wenn's so ist wie das alte war.

Es bricht das Glas ganz unverhofft,
In dem der Wein noch blinkt,
Und dennoch überdauert's oft
Noch den, der aus ihm trinkt.

Sie meiden sich das ganze Jahr,
Nun treffen sie beim Schmaus zusammen,
Und steh'n in hellen Freundschaftsflammen,
Das ist doch wahrlich wunderbar!

Wollt Ihr, wie's recht, zusammenstoßen,
So muß es gleich der Glocke klingen,
Doch sei kein Wein dabei vergossen,
Doch soll kein Glas dabei zerspringen.

Es weiß die Not von keiner Frist,
Nur daß sie war, nur daß sie ist.

Wozu die große Sorg' und Eile,
Da Alles, was dir wird zu Teile,
Dein eigen ist so kurze Weile?

Wir trinken, weil dahin
Ein Jahr,
Und tun's, weil im Beginn
Ein Jahr,
Doch wenn auch nicht zu End'
Ein Jahr,
Und im Beginn nicht ständ'
Ein Jahr,
Wär's mit dem Trinken erst
Nicht gar.

Wenn Mancher Rechnung mit sich machte,
Ob er wohl auch so fröhlich lachte?

Sobald nur die Geige, die munt're erschallt,
So gibt es für sie nur ein Müssen,
Denn wie auch ihr Busen noch ebbet und wallt,
Sie leben mir mehr in den Füßen.

Nur walzen, ihr Kinder,
Das flieget, Juhei!
Da capo! Geschwinder,
F r e u n d  H a i n  ist dabei!

Die hätten die größte Lust am Fliegen,
Die fühlen, daß ihre Kräfte versiegen.

Wie Engel sind sie anzuseh'n,
Welch anmutvolles Dreh'n und Wenden,
Wenn nur nicht beim Nachhausegeh'n
Auch wieder ihre Fitt'che schwänden.

Du baust ein Haus so sorgsam schier
Als wär's zu ew'ger Rast,
Und doch wie bald, so ist statt dir
Ein And'rer dort zu Gast.

Wie sich das Bier verhält zum Wein
Das lehrt ein Spruch, den merk' dir fein:
"Beim Wein träum' ich von Engelein,
Beim Bier fall'n mir die Schulden ein."

Wie grob ist Herr Sylvester doch,
Erscheint er gleich als Gast im Haus,
Kaum bringst du ihm ein Lebehoch,
So wirft er dich zur Tür' hinaus.

Das Leben wird ein Maskenball
Mit gutem Grund genannt,
Weil Mancher ob des Schein's von all
Den Anderen wird verkannt.

Die Schwäche ist, das merke,
Oft Maske nur der Stärke.

Wenn nur das Sterben nicht verbände
Des Scheidens Pein,
In's Totsein selber, glaub' ich, fänd
Man sich hinein.

Und klaffte ein Köter das ganze Jahr,
Er blieb' doch ein Köter allimmerdar.

Wie groß dein Glück, und wär' es überschwenglich,
So ist's doch für die Länge unzulänglich.


Kaum liegt im Sarg das alte Jahr
So sitzt auch schon Hanswurst darauf,
Und spielt dem jungen Januar
Die ersten Walzer lustig auf.

So sei ein Hoch nun dargebracht
Der heutigen Sylvesternacht,
Vielleicht, daß wir auf ird'scher Bahn
Mit ihm den letzten Gruß entboten;
Dies Glas, Ihr Freunde, stoßet an,
Gilt den Lebend'gen und den Toten!