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Quelle:

Marianne von Willemer
West-östlicher Divan
Johann Wolfgang von Goethe

Stuttgart 1819
in der Cottaischen Buchhandlung

Gedichte aus Goethes
"
West-östlicher Divan"

 

andere Gedichte
Quelle: WEB

Was bedeutet die Bewegung?
Ach! um deine feuchten Schwingen
Hochbeglückt in deiner Liebe
An Suleika


 
Das Heidelberger Schloß
Erste Silbe
Wie mit innigstem Behagen
Zarter Blumen reich Gewinde
Zu den Kleinen zähl ich mich
Zweite Silbe

Was bedeutet die Bewegung?

Buch Suleika

    Was bedeutet die Bewegung?
Bringt der Ost mir frohe Kunde?
Seiner Schwingen frische Regung
Kühlt des Herzens tiefe Wunde.

    Kosend spielt er mit dem Staube,
Jagt ihn auf in leichten Wölkchen,
Treibt zur sichern Rebenlaube
Der Insekten frohes Völkchen.

    Lindert sanft der Sonne Glühen,
Kühlt auch mir die heißen Wangen,
Küßt die Reben noch im Fliehen,
Die auf Feld und Hügel prangen.

    Und mich will sein leises Flüstern
Von dem Freunde tausend Grüße;
Eh noch diese Hügel düstern,
Grüßen mich wohl tausend Küsse.

    Und so kannst du weiter ziehen!
Diene Freunden und Betrübten.
Dort, wo hohe Mauern glühen,
Find ich bald den Vielgeliebten.

    Ach! die wahre Herzenskunde,
Liebeshauch, erfrischtes Leben
Wird mir nur aus seinem Munde,
Kann mir nur sein Atem geben.

Ach! um deine feuchten Schwingen
Buch Suleika Nameh

    Ach! um deine feuchten Schwingen,
West, wie sehr ich dich beneide:
Denn du kannst ihm Kunde bringen,
Was ich in der Trennung leide.

    Die Bewegung deiner Flügel
Weckt im Busen stilles Sehnen,
Blumen, Augen, Wald und Hügel
Stehn bei deinem Hauch in Tränen.

    Doch dein mildes sanftes Wehen
Kühlt die wunden Augenlider;
Ach für Leid müßt ich vergehen,
Hofft' ich nicht zu sehn ihn wieder.

    Eile denn zu meinem Lieben,
Spreche sanft zu seinem Herzen;
Doch vermeid' ihn zu betrüben
Und verbirg ihm meine Schmerzen.

    Sag ihm, aber sag's bescheiden:
Seine Liebe sei mein Leben,
Freudiges Gefühl von beiden
Wird mir seine Nähe geben.

Hochbeglückt in deiner Liebe
Buch Suleika Nameh


    Hochbeglückt in deiner Liebe
Schelt ich nicht Gelegenheit,
Ward sie auch an dir zum Diebe.
Wie mich solch ein Raub erfreut!

    Und wozu denn auch berauben?
Gib dich mir aus freier Wahl,
Gar zu gerne möcht ich glauben —
Ja! ich bin's, die dich bestahl.

    Was so willig du gegeben
Bringt dir herrlichen Gewinn,
Meine Ruh, mein reiches Leben
Geb' ich freudig, nimm es hin.

    Scherze nicht! Nichts von Verarmen!
Macht uns nicht die Liebe reich?
Halt ich dich in meinen Armen,
Jedem Glück ist meines gleich.

An Suleika
Buch des Timur

Dir mit Wohlgeruch zu kosen,
Deine Freuden zu erhöhn,
Knospend müssen tausend Rosen
Erst in Gluten untergehn.

Um ein Fläschchen zu besitzen,
Das den Ruch auf ewig hält,
Schlank wie deine Fingerspitzen,
Da bedarf es einer Welt.

Einer Welt von Lebenstrieben,
Die in ihrer Fülle Drang
Ahneten schon Bulbuls lieben,
Seelerregenden Gesang.

Sollte jene Qual uns quälen,
Da sie unsre Lust vermehrt?
Hat nicht Myriaden Seelen
Timurs Herrschaft aufgezehrt?
 
Das Heidelberger Schloß

Euch grüß ich, weite lichtumflossne Räume,
Dich, alten reichbekränzten Fürstenbau.
Euch grüß ich hohe, dichtumlaubte Bäume
Und über euch des Himmels tiefes Blau.

Wohin den Blick das Auge forschend wendet
In diesem blütenreichen Friedensraum,
Wird mir ein leiser Liebesgruß gesendet;
O freud- und leidvoll schönster Lebenstraum!

An der Terrasse hohem Berggeländer
War eine Zeit sein Kommen und sein Gehn,
Die Zeichen treuer Unterpfänder,
Sie sucht ich, und ich kann sie nicht erspähn.

Dort jenes Baumsblatt, das aus fernem Osten
Dem westöstlichen Garten anvertraut,
Gibt mir geheimer Deutung Sinn zu kosten,
Woran sich fromm die Liebende erbaut.

Dem kühlen Brunnen, wo die klare Quelle
Um grünbekränzte Marmorstufen rauscht,
Entquillt nicht leiser, rascher, Well auf Welle,
Als Blick um Blick, und Wort um Wort sich tauscht.

O schließt euch nun, ihr müden Augenlieder!
Im Dämmerlicht der fernen, schönen Zeit
Umtönen mich des Freundes hohe Lieder;
Zur Gegenwart wird die Vergangenheit.

Durch jenen Bogen trat der kalte Norden
Bedrohlich unserm friedlichen Geschick;
Die rauhe Nähe kriegerischer Horden
Betrog uns um den flüchtgen Augenblick.

Aus Sonnenstrahlen webt ihr Abendlüfte
Ein goldnes Netz um diesen Zauberort,
Berauscht mich, nehmt mich hin, ihr Blumendüfte,
Gebannt durch eure Macht kann ich nicht fort.

Schließt euch um mich, ihr unsichtbaren Schranken;
Im Zauberkreis, der magisch mich umgibt,
Versenkt euch willig, Sinne und Gedanken;
Hier war ich glücklich, liebend und geliebt.

Erste Silbe

Der Erde schenk' ich tiefen Frieden,
Breit' ich den weiten Mantel aus.
Ein luftig Haus steht mir im Süden,
Im Norden steht mein festes Haus.

Ergreifend ist mein stilles Schweigen,
Entzückend ist mein stilles Licht,
Ein falscher Schein soll mich verscheuchen,
Vertreiben kann er doch mich nicht.

Oft flieht der Schlaf in meiner Nähe,
Oft bring' ich Müden Trost und Ruh',
Oft schärf' ich peinlich Leid und Wehe,
Oft drück' ich wunde Augen zu.

Mein Reich hat viele Untertanen
Vom Vogel bis zum Schmetterling,
Die wandeln still auf meinen Bahnen,
Die ich auf Lebenszeit umfing.

Heut bin ich leise weggeschlichen,
Ich wiegte dich in süßen Traum,
Dir wohlzutun bin ich entwichen
Und lasse andern Freunden Raum.

Wie mit innigstem Behagen

Wie mit innigstem Behagen,
Lied, empfind ich deinen Sinn!
Liebevoll du scheinst zu sagen:
Daß ich ihm zur Seite bin.

Daß er ewig mein gedenket,
Seiner Liebe Seligkeit
Immerdar der Fernen schenket,
Die ein Leben ihm geweiht.

Süßes Dichten, lautre Wahrheit
Fesselt mich in Sympathie!
Rein verkörpert Liebesklarheit
Im Gewand der Poesie.

Zarter Blumen reich Gewinde

Zarter Blumen reich Gewinde
Flocht ich Dir zum Angebinde;
Unvergängliches zu bieten,
Ist mir leider nicht beschieden.

In den leichten Blütenranken
Lauschen liebende Gedanken,
Die in leisen Tönen klingen
Und Dir fromme Wünsche bringen.

Worte aus des Herzens Fülle
Sind wie Duft aus Blumenhülle;
Blumen müssen oft bezeigen,
Was die Lippen gern verschweigen.

Und so bringt vom fernen Orte
Dieses Blatt Dir Blumenworte;
Mögen sie vor Deinen Blicken
Sich mit frischen Farben schmücken!

Zu den Kleinen zähl ich mich
An Goethe

Zu den Kleinen zähl ich mich
Liebe Kleine nennst Du mich.
Willst Du immer so mich heißen,
Werd ich stets mich glücklich preisen,
Bleibe gern mein Leben lang
Lang wie breit und breit wie lang.

Als den Größten kennt man Dich,
Als den Besten ehrt man Dich,
Sieht man Dich, muß man Dich lieben,
Wärst Du nur bei uns geblieben,
Ohne Dich scheint uns die Zeit
Breit wie lang und lang wie breit.

Ins Gedächtnis prägt ich Dich,
In dem Herzen trag ich Dich,
Nun möcht ich der Gnade Gaben
Auch noch gern im Stammbuch haben,
Wärs auch nur den alten Sang:
Lang wie breit und breit wie lang.

Doch in Demut schweige ich,
Des Gedichts erbarme Dich,
Geh o Herr nicht ins Gerichte
Mit dem ungereimten Wichte,
Find es aus Barmherzigkeit
Breit wie lang und lang wie breit.

Zweite Silbe

Im Zimmer bin ich comfortable
Und häufig nur ein einzig Blatt;
Im Land der Gluten und der Nebel
Ist wohl kein Haus, das mich nicht hat.

Befriedigend ist meine Größe
Und niedlich meine Kleinigkeit,
Man deckt oft meine schöne Blöße
Mit einem noch viel schönern Kleid.

Oft fürcht' ich unter Last zu brechen,
Oft bin ich leider völlig leer,
Oft bin ich ausgewählt zum Zechen,
Oft von zu vielem Gelde schwer.

Mein Reich hat viele Untertanen,
Mich sucht die Faulheit und der Fleiß,
Die wandeln still um meine Bahnen,
Die ich zu interessieren weiß.

Heut wagt' ich leise herzuschleichen
Und folgte still der Ersten nach.
Das Ganze scheint mir zwar zu gleichen,
Doch ist es freilich mir zur Schmach.

Nur um in deiner Näh' zu weilen
Verstand ich mich zu dem Verein.
Wir wollen uns auch gleich zerteilen,
Wenn wir, geteilt, dich mehr erfreu'n.