V. Ein Richtspruch
1.
Der Wolken Menge heut sich vielgestaltig
Dicht um den Mond den geisterblassen drängt,
Der hoch am Himmel eine Lampe hängt,
Dem Leuchtturm gleich, der, wenn der Sturm gewaltig
Die Fluten peitscht auf wildbewegtem Meer,
Ausstrahlend weit die Flammen ringsumher
Gar freundlich winket den verschlag'nen Schiffen
Vor Felsen warnend und verborgnen Riffen,
So lächelt oft im Leben, wenn uns Schmerzen
Und Leiden rings umtoben und noch fern
Der Hafen ew'gen Friedens, unserm Herzen
Der süßen Hoffnung freundlich milder Stern.
Im Forst die mächt'gen, tausendjähr'gen Eichen
Urkräft'gen Stamms und von gesundem Mark,
Verschlingen Zweig in Zweig sich innig, stark
Und mögen Männern eines Sinnes gleichen:
Von denen Keiner in Gefahr und Not
Und wenn sie selbst der Untergang bedroht
Vom Andern läßt, und wacker mit den Alten
Die Jungen inniglich zusammen halten.
Der Sturm nur bläst und reißt von Zeit zu Zeit
Ein dürres Blatt hinunter von den Bäumen,
Die in des düstern Herbstes Trauerkleid
Vergangene und künft'ge Lenzlust träumen,
Dem Menschen gleich, der in des Lebens Neige
An Jugendlust gedenkt und Tatendrang;
Erinnerung das Vöglein klagt nur bang
Durch seiner Hoffnungen entlaubte Zweige, —
Der Boden, den die Wurzeln rings durchdrängen
Gleicht einer Saat von Hügeln, da und dort
Sieht man dieselben sich zu Tage zwängen,
Sich in einander ranken fort und fort;
Absond're Formen dann in solchem wilden
Und ungehemmten Wuchs fortwuchernd bilden.
So wie die Fantasie oft regellos
Sich wohlgefällt in formlosen Gestalten,
Empfangend im geheimnisvollen Schoß
Sieht man sie wunderbar sich oft entfalten
Und zeugend, unbekümmert um das Wie,
Will sie sich einzig an das Wesen halten. —
Aufwärts an einer Stelle streben sie
Und drängen sich im hohen Wuchs empor,
Gestaltend ein natürlich Bogentor,
An dem sich Liebende zu finden pflegen,
Denn in des Dickichts unbetret'nen Wegen
Dient solch ein Plätzchen, nimmer zu verfehlen
Den Seligen, die ungestört allein
Sich süßen Minneglückes gern erfreu'n
Und gern ihr Tun der Tadelsucht verhehlen.
Fern in des Forstes Tiefen rauscht und tost
Der Waldstrom, von dem Sturme aufgerüttelt,
Indessen er die alten Eichen schüttelt,
Wälzt jener seine Wogen fort erbost,
Das enge Felsenbett kühn überschreitend
In dessen Grenzen er sonst träge gleitend
Wie eine Silberschlange fort sich windet,
Bis endlich unterirdisch er verschwindet,
Und eine unscheinbare Pfütze nur
Gibt noch von seinem Dasein eine Spur.
So noch zur Stunde Vieles spurlos endet
Was gleich dem Berge eine Maus gebar,
Woran der Afterfreunde laute Schar
So manches überlaute Wort verschwendet.
Gar toll zu werden scheint die heut'ge Nacht,
Da immer heftiger der Sturmwind brüllet,
Den Mond schon haben Wolken eingehüllet
Und nicht ein Stern vom Firmament mehr lacht.
Die fernen Donner das Gewitter künden,
Und manches Blitzes geisterhaftes Licht
Sich durch der Wetterwolke Dunkel bricht,
Um, wo es trifft, vernichtend auch zu zünden.
Das Elentier mit mächt'gem Schaufelhorn
Durchbricht mit seinen ungelenken Sprüngen
Der Bäume Äste, die sich fest verschlingen,
Hat bald im Waldesdunkel sich verlor'n,
Wo das Geäst des Urwalds, dicht und fest
Des Blitzes Licht hindurch kaum leuchten läßt. —
Der Ur brüllt mit dem Donner um die Wette,
Er fühlt sich heute frei, kein Pfeil bedroht
Aus sicherm Hinterhalt ihn heut mit Tod,
Darum verließ er seine Zukunftsstätte,
Die er in heitrer Zeit in wilder Flucht
Verfolgt von Jägern und von Hunden sucht. —
Dort in der Höhle glüht ein Funkenpaar
Leuchtkäfer wohl? in tiefem Dunkel war
Ihr heller Schimmer doppelt hell erglühet?
O nein! nur eines Luchses Augenglut,
Die gleich Demanten Funkenblitze sprühet
Und deren Anblick starren macht das Blut.
Der Frevel fürchtet das Gewitter nicht,
Die Sünde liebt die Nacht und Sturmestosen,
Da sie im eig'nen Tun, im zügellosen,
Die Schranken, die sie dämmen, gerne bricht.
Und tobt die Leidenschaft im vollen Grimme
Dann übertönt sie des Gewissens Stimme,
Und des Verbrechens hundertköpf'ger Wurm
Ward leicht geboren in der Seele Sturm.
Die Tochter eines mächtigen Germanen
Sucht unter Donner, unter Blitzesglut,
Beachtend nicht der Elemente Wut,
Im dunkeln Forst die unbetretnen Bahnen,
Auf denen das verfolgte Wild nur keucht,
Auf denen List nur und Verbrechen schleicht:
Des Nachbarstammes junger Fürst erglühte
Für sie in Liebe und auf allen Wegen
Schleicht er der Herrlichen rastlos entgegen;
Die Jungfrau doch im tückischen Gemüte
Versprach ihm Gegenliebe, wenn zum Preis
Der Locken Goldzier er ihr überreichet.
Der König hört die Bitte und erbleichet,
Ach doch! er liebt die Jungfrau viel zu heiß
Und will verblendet sich in Liebesglut
Berauben um des Haarschmucks heilig Gut,
Das jedes freien deutschen Mannes Zierde,
Ein sinnig Zeichen königlicher Würde!
Sie harrt und harrt: um sie zuckt Blitzeslicht
Und spaltet manche tausendjähr'ge Eiche,
Der Jungfrau tück'schen Busen trifft es nicht
Daß er verglüh' in einem seiner Streiche. —
Sie harrt und harrt; der Luchs dort in der Schlucht
Hat heute früh als Atzung er gesucht
Ein schönes schlankes Rehlein überfallen,
Und sie verschont er mit den scharfen Krallen; —
Sie harrt und harrt; das Elentier zerwühlt
Mit seinem Schaufelhorn die Erdenscholle,
Die manches Riesenbaumes Keim verhüllt,
Ihr Herz zerwühlt er nicht, das sündenvolle!
Sie harrt und harrt; indes zerstampft der Ur
Manch zartes Baumreis, das zu Tage bricht,
Dies Schierlingskraut im Garten der Natur:
Dies falsche Weib, zerstampft er leider nicht! —
Schon schleicht es an des Waldes dunklem Saum
Und huscht vorbeibeklommen, Baum an Baum;
Ach, als er gestern diesen Weg gegangen,
Da flogen noch im Wind die Lockenschlangen.
Heut schleicht er hin wie ein Gespenst um Grüfte
Und keine Locke flattert durch die Lüfte.
Der König ist's, bald rasch wie eine Welle
Vom Sturm umtost, eilt er zur Waldesstelle,
Als er im Blitzesschimmer fern gewahrt
Daß sein die vielgeliebte Jungfrau harrt;
Er naht und fliegt der Jungfrau in die Arme
Und schließt sie innig an sein Herz an's warme,
Dann unterm Felle, reich mit Gold verbrämt,
Zieht er den Schatz heraus, die blonden Locken.
Jetzt seines Herzens laute Pulse stocken —
Die Nacht verbirgt sein Antlitz, das verschämt —
Nun überreicht er ihr den Liebespreis,
Die Jungfrau birgt ihn in des Mantels Falten;
Er aber um sein Drängen zu ersticken,
Will an sein Herz sie drücken, wild und heiß,
Als er sich plötzlich fühlt zurückgehalten. —
Doch Niemand noch vermag er zu erblicken,
Es ist ein starker Arm, — Ein Blitzstrahl hellt
Mit seinem Licht die nachtverhüllte Welt,
Der die Gestalt ihm eines Greises zeigt,
Die ihm genüber drohend steht und schweigt
Der Blitz verlischt, der König späht und schaut
Und streckt hinaus die Arme in die Luft.
Und während er der Jungfrau Namen ruft
Verschlingt des Donners Toben jeden Laut,
Es sinkt kein Weib ihm an die Brust, vergebens
Hält er die Arme sehnend ausgespannt
Statt ihrer, des Idols seines Lebens,
Die gleißnerisch sein Kleinod ihm entwand,
Umfaßt er Luft —bald brechen ihm die Glieder,
Ach! und am Waldsaum sinkt er sprachlos nieder.
Die Jungfrau aber war mit ihrem Vater,
In diesem schlauen Trugspiel ihr Berater,
Entflohn. — Den König doch am künft'gen Tage
Erblickt sein Stamm der Lockenzier beraubt
Und als er sieht das abgeschorne Haupt,
Bricht er in Jammer aus und bitt're Klage!
2.
Es schlugen Wachteln, manche Lerche stieg,
Ließ, unterbrechend süß des Morgens Schweigen,
Erklingen seelenvoll der Töne Reigen;
Des schönsten Sommertages goldner Blick
Sah nieder auf die fruchtbelad'nen Auen;
Wo winen Strahlenpfeil die Sonne schoß,
Dort brachen Blüten aus der Erde Schoß
Und schickten ihre Düfte auf zum Blauen.
Die Wälder rauschten rings ein Jubellied,
In das der Chor der Luftbewohner stimmte;
Wie anders heut, wenn Zephyr sie durchzieht!
Wie anders jüngst als sie der Sturmwind krümmte
Sie rauschten mit den Zweigen, seltsam klang
Geheimnisvoll es oft, wie eine Mähre,
Und wenn ein Tropfen Tau zur Erde sank
Erschien es fast wie eine Freudenzähre;
Sie beugten ihre schlanken Hälse vor,
Und streckten unter minnevollem Rauschen
Die grünen Blätterarme hoch empor,
Ein jedes Blättchen schien ein grünes Ohr
Damit der Winde Schmeichelwort zu lauschen.
Allmählich steiget das Gefild hinan,
Beherrschend ringsherum den grünen Plan
Bekränzt von wen'gen blüh'nden Riesenbäumen.
Nur mancher Steinblock ragt auf in den Räumen,
Als Richterstuhl im ungemähten Gras
Worauf der Richter zu Gerichte saß,
Es ist dies der G e r i c h t s p l a t z der G e r m a n e n, —
Sie kommen her schon auf verschied'nen Wegen,
Der ihren heiligen Gesetz entgegen,
Sich abgeschoren hat sein Lockenhaupt
Des Fürstenschmucks sich freventlich beraubt.
Denn lang herab und reich in jenen Tagen
Mußt stets der König und der Edlen Schar,
Wie auch das Weib das keusche, deutsche tragen
Das goldene, das sonnenhelle Haar.
Nur freie Deutsche trugen diesen Schmuck,
Und wagte je ein freier Mann sich dessen,
Was nie ein Knecht, was nie ein Sklave trug,
Sich zu berauben tollkühn und vermessen
Dann hatt' er seine Freiheit selbst vernichtet — —
Und strenge, ward er von dem Stamm gerichtet.
Schon stehet in des Things geschloßnem Kreise
Der junge König, seiner Locken bar,
Und seinen Richterspruch tut kund der Weise
Vor der vereinigten Germanenschar:
"Vergaßest du, warum den Freien
Und ihren Herrn Haarschmuck umlaubt,
Daß du gewagt ihn zu entweihen,
Daß du entehrt dein Fürstenhaupt?
Des Haares Goldglanz hätte sollen
Dich mahnen an der Sonne Gold,
Die täglich drüben hoch im vollen
Und makellosen Glanze rollt."
*
"Du solltest von der Sonne lernen
Des Segens strahlenvollen Gruß
Ausspenden rings in alle Fernen
Gau, Markt, Dorf, Weichbild, Tal und Fluß,
Des Haars geschmeid'ge Kraft und Stärke
Gemahnte dich auch stark zu sein,
Kraft binde eines Königs Werke,
Zur Kraft nur stellt sich Dauer ein."
*
"Doch sei nicht roh die Kraft! Verderben
Folgt ihr alsbald, Geschmeidigkeit
Sei sie bemüht sie zu erwerben,
Dann gibt Erfolg ihr sein Geleit,
Des Haares Weiche, seine Glätte
Lehrt' dich: zu sein auch sanft und weich;
Der Herr, der sanften Sinn nicht hätte,
Der wäre ein Tyrann im Reich." —
*
"Des Haares Locken, die gleich Schlangen
Vom Menschen Haupte stolz und hehr,
In goldnem Schmucke niederhangen,
Gemahnen dich der Klugheit sehr!
Denn klug wie Schlangen sei ein König,
Sonst fällt er heim der Räte List;
Ha und ein solcher Fürst taugt wenig,
Der fremder Ränke Opfer ist."
*
"Denn wenn nur er betrogen bliebe!
Doch fällt es an das Volk zurück,
Das an ihm hing mit aller Liebe
Vertrauensvoll in Sturm und Glück.
Und diesen Schmuck, der dich zum freien
Und stolzen Manne hob hinan,
Ihn hast gewagt du zu entweihen,
Du bist nunmehr kein freier Mann."
*
"Und wärst du es auch noch, so würde
So wie es soll in Zukunft nicht
Des goldnen Haares heil'ge Zierde
Gemahnen dich der Fürstenpflicht.
So zieh denn hin, du Abgeschorner!
Nicht mehr des Fürstennamens wert:
Entflieh' Abtrünniger, Verlorner,
Der sich und uns dadurch entehrt!"
*
"Geh hin und huldige den Lüsten,
Die dich entfremdet deinem Stamm,
Und such' an eines Weibes Brüsten
Was des Gesetzes Spruch dir nahm.
Von nun an bist du nicht mehr König.
Wer wird geschor'ner Häupter ehrn?
Der Lockenköpfe gibt's nicht wenig
Wir wählen einen andern Herrn!"
Der Ausspruch war getan, der Jüngling flieht —
Wobin er floh berichtet keine Kunde,
Der Stamm wählt neu —noch in derselben Stunde —
Der Jungfrau Bruder, die zu ew'gem Hohne
Des Weibs den König bracht' um seine Krone,
Mit Jubel auf den Schild erhoben sieht
Den schönsten Lockenkopf, mit Haaren helle
Wie Sonnengold, an des Verbannten Stelle
Man trug ihn durch den Kreis, allüberall
Begrüßt ihn lauter Freude Jubelhall,
Und alles ruft dem neuen König Segen
Im Rausche des Entzückens laut entgegen.
Es galt nur Locken, die in wenig Lenzen
Vielleicht noch üppiger das Haupt umkränzen;
Es war ein Jüngling noch, dem das Gemüt
Von Liebe, Wonnen und Verlangen glüht;
Ach, und die Jungfrau, die in süßen Banden
Den Armen hielt, entstammte deutschen Landen;
Doch hatte ein Gesetz, das heilig war,
Der Fürst im Liebesdrange übertreten,
Wohl bringet Liebe große Opfer dar,
Wenn gleißnerische Lippen es erflehten;
Doch nicht nach Wangenrot und Augenstrahlen,
Nach Herzeleid und des Gemütes Qualen
Frägt das Gesetz, das aus dem ehrnen Mund
Unbeugsam tut den weisen Ausspruch kund.
Doch wenn entbrannt von heißen Wollustflammen
Ein Greis hohnlacht den heiligen Gesetzen,
Und weil er will, es wagt sie zu verletzen,
Steht Rede Männer, darf man ihn verdammen?
Ein Greis, der gleißend nur mit schönen Worten
Klug übertüncht der Seele eklen Wust,
Und zaubernd mit dem Thyrusstab der Lust
Den Künsten schlau erschloß die goldnen Pforten.
Ein Greis mit einem Fuß im Grabe schon
Hat es gewagt, dem Land, dem Volk zum Hohn,
Zum Hohn der zeitgenössischen Dynasten
Ob keiner deutschen Jungfrau, keusch und hehr,
Das Grundgesetz des Landes anzutasten!
Ich zürne nicht dem jungen König mehr,
Nachdem ein Greis die Fürstenpflicht vergißt
Und nur ein Söldling seiner Wollust ist.
Es schneidet tief ins Herz, wenn Kraft und Ruhm
Beginnt zu weichen von dem Königtum,
Vom Königtum, das in des Drangsals Jammer
Und in des Unglücks eiserner Verkettung
Des armen Vaterlandes einz'ge Rettung
Der Treu' ein Sternlicht sei, der Schuld ein Hammer.
Aus der Erinnerung bann ich dich o Lola,
Und dich auch Hoherpriester des Loyola!
Mein eigner junger Fürst, ja Er wird wieder
Das Königtum zu mächt'gen Ehren bringen;
Dann wird das treue Volk Ihm Jubellieder
Und Epopeen die Geschichte singen.