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Die Herren des Lebens
Ein Zyklus lyrischer Statuen
 

Matkowskys Othello
Der Märtyrer
Der Bildner
Der Dirigent
Die Sängerin
Der Maler
Der Kaiser
Der Flieger
Der Fakir
Der Beichtiger
Der Träumer

 

Matkowskys Othello
(geschrieben bei der Nachricht seines Todes 1909)

Cypern, das Eiland. Rückwärts lärmt ein Meer
Mit Sturm und Aufruhr. Vorne schweigt im Raume
Ein anderes: Menschen, die im heißen Traume
Der Bilder fluten — Rufe! Dann kam Er,

Ein Leuchten im verdunkelten Gesicht,
Als Desdemona sich ihm neigte. — Keiner
Trug so viel Stolz. Nur neben ihm stand Einer,
Die Faust geballt. Allein, er sah ihn nicht

Mit seinem freien Blick, der allen Feinden an
Die Stirn nur griff, ob sie den Weg ihm wehrten,
Und nie ans Herz. Er trat vor die Gefährten,
Die stumm sich fühlten: Dieser ist ein Mann.

Und wer von denen, die da lauschten, wer
Versagte ihm den Dienst? Tief in uns allen
War ein Gefühl von Knaben und Vasallen,
Wenn er so schritt. Allein um wie viel mehr

Wuchs Angst in uns empor, da sich der Wurm
Des Zweifels in ihn fraß, die sanften blauen
Augen sich füllten mit Gewölk und Grauen
Und seine Stimme stärker als ein Sturm

Sich bäumte, wilde Verse hin in Splittern
Zerschellte an die aufgetürmten Quadern!
Fieber war alles! Das Gestrüpp der Adern
Auf seiner Stirn hing schwer wie ein Gewitter

In unsre Angst. Wie Wetterleuchten, rot
Schoß es aus seiner Brauen tiefen Bogen;
Ein Donner, kam sein Zorn herangezogen,
Und rollte, grollte . . . Da — ein Blitz — sein Tod!

Und wach war alles . . . Was wir kaum verhalten,
Rauschte im Sturz aus den versperrten Tiefen,
Das Blut . . . die Stimme. Und wir riefen, riefen,
Bis Er dann aus des Vorhangs bunten Falten

Uns wiederkam, wir sahen, daß nur Trug
Dies Sterben war, das wir mit ihm gelitten,
Doch wenn er ging, ging hinter seinen Schritten
Erneute Angst. Wie war es uns genug

Ihn anzusehn, wenn er so stolz und groß
Im Lichte stand, die Brust breit dargeboten;
Die Schicksal von so viel erträumten Toten
Und so viel edle Wirklichkeit erschloß;

Und die nun irgendwo, an fremdem Ort
Verdüstert ruht mit jäh verklungnen Saiten.
Denn was er lebte von Unsterblichkeiten
Ward nun zum Bild und stirbt in unserm Wort.

Der Märtyrer
22. Dezember 1849. Dostojewski

Nachts haben sie ihn aus dem Schlaf gerissen,
Säbel durchrasseln die Kasematte,
Stimmen befehlen; im Ungewissen
Flackern eilend schweigende Schatten.
Sie stoßen ihn vorwärts, aufgähnt ein Gang,
Lang und dunkel, dunkel und lang.
Ein Riegel kreischt, eine Tür klirrt;
Dann spürt er Himmel und eisige Luft,
Und ein Karren harrt, eine rollende Gruft,
In die er hastig gestoßen wird.

Neben ihm, hart in Eisen geschlossen,
Schweigend und mit verlornem Gesicht
Die neun Genossen;
Keiner spricht.
Jeder spürt,
Wohin der Karren ihn vorwärts führt,
Und daß da drunten das rollende Rad
Ihr Leben zwischen den Speichen hat.

Da hält
Der ratternde Karren, die Tür knarrt.
Durch das geöffnete Gitter starrt
Sie ein kaltes Stück Welt
Mit trüb-verschlafnem Blicke an.
Ein Häuserkarree,
Die Dächer nieder und schmutzig bereift,
Umpreßt ein Platz voll Dunkel und Schnee.
Nebel umfloren mit grauem Tuch
Das Hochgericht,
Und nur um die goldene Kirche streift
Der Morgen mit frostig blutendem Licht.
Schweigend treten sie in den Raum.
Alles ist starr, auffunkelt das Erz.
Ein Leutnant liest ihren Urteilsspruch:
Tod für Verrat durch Pulver und Blei.
Tod! Wie ein Schuß
Schlägt das harte Wort in ihr Herz.

Wie im Traum
Fühlt er alles mit sich geschehen
Und weiß nur, daß er jetzt sterben muß.
Sie zerknicken
Schrill ihm den Degen; vor seinem Fuß
Klirrt er hin in splitternden Stücken.
Einer tritt vor und wirft ihm stumm
Ein weißes, elendes Sterbehemd um.
Ein Wort, ein Wink grüßt die Gefährten,
Und glühenden Blicks,
Mit stummem Schrei,
Küßt er den Heiland am Kruzifix,
Den der Pope ihm ernst und mahnend hinbietet;
Dann werden
Sie alle zehn, je drei und drei,
Mit Stricken an ihre Pfähle genietet.

Schon
Schatten zwei Hände um seine Stirn,
Die Augen ihm vor dem Gewehr zu verbinden,
Da greift — er weiß es: zum letzten Male! —
Der Blick vor seinem großen Erblinden
Gierig nach jenem kleinen Glanz Welt,
Das der Himmel ihm drüben entgegenhält:
Im Frühschein sieht er die Kirche lohn.
Wie zum letzten seligen Abendmahle
Glüht ihre Schale,
Gefüllt mit heiligem Morgenrot.
Und er greift nach ihr mit Gier und mit Glück
Wie nach Gottes Leben hinter dem Tod . . .

Aber innen
Beginnt das Blut nun farbig zu rinnen.
In spiegelnder Flut
Steigt aus dem Blut
Gestaltetes Leben,
Und der Blick, der geblendet herzeinwärts stürzt,
Umfängt in diesem Atemzug Zeit
Heiß und zum fliehenden Bilde verkürzt
Den Traum seiner ganzen Vergangenheit.
Dunkel wird glühend, Vergessenes wach,
Die arme Stube, verräuchert und grau,
Vater und Mutter, der Blick einer Frau,
Drei Brocken Freundschaft, zwei Funken Lust,
Einen Glanz von Ruhm, ein Bündel Schmach —
Heißer und in verzweifeltem Lauf
Rollt der bildernde Drang
Seine ganze Jugend die Adern hinauf,
Und schon fühlt er ein Neues beginnen,
Da blitzt die Sekunde,
Da sie ihn an den Pfahl gebunden.
Und ein jähes Besinnen
Wirft schwarz und schwer
Seinen Schatten über die Seele her.

Und da
Spürt er, wie einer auf ihn zutritt,
Spürt einen schwarzen, schweigenden Schritt,
Nah, ganz nah,
Und wie er die Hand ihm aufs Herz hinlegt,
Daßesschwächer . . . undschwächer . . . undgarnichtmehr schlägt —
Noch eine Minute — — dann ist es vorbei.
Die Kosaken
Formen sich drüben zu eiserner Reih, . . .
Die Riemen schwingen . . . die Hähne knacken . . .
Trommeln rasseln die Luft entzwei.

Die Sekunde macht Jahrtausende alt.

Da ein Schrei:
Halt!

Der Offizier
Tritt vor, weiß flackt ein Papier,
Seine Stimme schneidet hell und klar
In die harrende Stille:
Der Zar,
Dessen heiliger Wille
Glorreich Güte und Gnade spendet,
Hat das Urteil kassiert,
Die Schuldigen sind vom Tod pardonniert
Und werden nach Sibirien versendet.

Die Worte klingen
Noch fremd: er kann ihren Sinn nicht erdenken,
Aber das Blut
In seinen Adern wird wieder rot,
Steigt auf und beginnt ganz leise zu singen.

Der Tod
Kriecht zögernd aus den erstarrten Gelenken,
Und die Augen spüren, noch schwarz vor Graun,
Hinter dem Dunkel den ewigen Himmel blaun.

Der Prozeß
Schnürt ihm schweigend die Stricke los,
Zwei Hände schälen die weiße Binde
Wie eine rissige Birkenrinde
Von seinen brennenden Schläfen ab.
Taumelnd entsteigen die Blicke dem Grab
Und tasten linkisch, geblendet und schwach
In das schon entschwundene Sein
Wieder hinein.

Und da sieht
Er das gleiche goldne Kirchendach,
Das nun im steigenden Frührotschein
Mystisch erglüht.
Die reifen Rosen der Morgenröte
Umschlingen es wie mit frommen Gebeten.
Der glitzernde Knauf
Deutet mit seiner gekreuzigten Hand,
Ein heiliges Schwert, hoch in den Rand
Der hellerdämmerten Wolken hinauf.

Und dort, aufrauschend in Morgenhelle,
Wächst über die Kirche der Gottesdom.
Ein Strom
Von Licht wirft seine glühende Welle
In alle klingenden Himmel empor.
Die Nebelschwaden
Steigen qualmend, wie mit der Last
Allen irdischen Dunkels beladen,
In den göttlichen Morgenglast,
Und Tönen schwillt empor aus den Tiefen,
Als riefen
Tausend Stimmen in einem Chor.
Und da hört er zum erstenmal,
Wie die ganze irdische Qual
Ihr brennendes Leid
Brünstig über die Erde hinschreit.
Er hört die Stimmen der Kleinen und Schwachen,
Der Frauen, die sich vergebens verschenkten,
Der Dirnen, die sich selber verlachen,
Den finsteren Groll der immer Gekränkten,
Die Einsamen, die kein Lächeln berührte,
Er hörte die Kinder, die schluchzenden, klagen
Und die schreiende Ohnmacht der heimlich Verführten:
Er hört sie alle, die Leiden tragen,
Die Ausgesetzten, die Dumpfen, Verhöhnten,
Die ungekrönten
Märtyrer aller Gassen und Tage,
Er hört ihre Stimmen und hört, wie sie
In einer urmächtigen Melodie
Sich in die offenen Himmel erheben.
Und er sieht,
Das einzig das Leiden zu Gott aufschwebt,
Indes die andern ihr sattes Leben
Mit bleiernem Glück an die Erde klebt.

Aber endlos weitet sich oben das Licht
Unter dem Schwalle
Der steigenden Chöre
Von irdischem Leid;
Und er weiß, sie alle, sie alle
Wird Gott erhören,
Seine Himmel klingen Barmherzigkeit!
Über die Armen
Hält Gott nicht Gericht,
Unendlich Erbarmen
Durchflammt seine Hallen mit ewigem Licht.
Die apokalyptischen Reiter entstieben,
Leiden wird Lust, und Glück wird Qual
Für den, der im Tode das Leben erlebt.
Und schon schwebt
Ein feuriger Engel bodenwärts
Und bohrt ihm den Strahl
Der heiligen, schmerzgeborenen Liebe
Mit heißem Stoß ins schauernde Herz.

Da bricht
Er ins Knie wie gefällt.
Er fühlt mit einmal die ganze Welt
Wahr und in ihrem unendlichen Leid.
Sein Körper bebt,
Weißer Schaum umspült seine Zähne,
Krampf hat seine Züge entstellt,
Doch Tränen
Tränken selig sein Sterbekleid.
Denn er fühlt, daß erst, seit
Der Tod an sein atmendes Herz gerührt,
Er den heiligen Sinn alles Lebens spürt.
Seine Seele glüht nach Martern und Wunden,
Und ihm wird klar,
Daß er in dieser einen Sekunde
Jener andere war,
Der vor tausend Jahren am Kreuz stand,
Und daß er, wir Er,
Seit jenem brennenden Todeskuß
Um des Leidens das Leben verkünden muß.

Soldaten reißen ihn weg vom Pfahl.
Fahl
Und ganz erloschen ist sein Gesicht.
Schroff
Stoßen sie ihn in den Zug zurück.
Sein Blick
Ist fremd und wie nach innen gesenkt,
Und um seine zuckenden Lippen hängt
Das tote Lachen der Karamassow.

Der Bildner
Meudon, Maison Rodin 1913

Der große Meister ist müde und alt. —
Ein weißes wehendes Dickicht umwallt
Sein Bauernbart den zerfurchten Basalt
Des abgelebten grauen Gesichts.
Und wenn er schwer durch die Säle geht,
Durch die er sein steinernes Werk gesät,
So schlurft er so schläfrig und urallein,
Als schritt er in seinen Tod hinein.

Aber weiß,
Ein funkelnder Kreis,
Umstehn ihn die Statuen und strahlen von Licht!
Die Augen weitfort von sich aufgetan,
Träumen sie schweigend ein Ewiges an.
Sie rühren sich nicht, sie regen sich nicht,
Sie spüren sich nicht, sie bewegen sich nicht,
Stumm
Ruhen sie aus in unendlichem Ruhm.
Ein Lächeln verloren im marmornen Mund,
Stehen sie da, die großen Trophäen
Verschollener Siege, gemeisterter Zeit,
Gefrorne Kristalle Unendlichkeit.

Der Meister umschlurft sie mit langsamem Gang,
Als schritt er sein ganzes Leben entlang
Mit seligem Schauern, mit zärtlichem Graun
Muß er sie wieder und wieder anschaun,
Und kann's doch nicht fassen, das Unfaßbare,
Daß sie, die ihm vor verschollenen Jahren
Gespielen und Spiel seiner Jugend waren.
Noch immer dieselben, die strahlenden sind,
Und ihre Formen, die kühlen, die klaren,
Noch rein die Welle des Lebens durchrinnt,
Indes er selber, der sie gestaltet,
In sich zerfaltet, in sich veraltet,
An jeder Stunde zu sterben beginnt.

Und wie er sie so, die strahlenden, sieht,
Fühlt er sich selber uralt und müd.
Er ahnt, in den klaren, körnigen Quadern
Müsse tiefinnen
Das eigene Blut seiner todmatten Adern
Noch feurig quellen und rotfunkelnd rinnen.
Und mit denselben uralten Händen,
Die das Leben in ihre Leiber getan,
Rührt er jetzt zagend die Statuen an,
Noch einmal in ihnen, den stummen, den kühlen,
Das weggelebte Leben zu fühlen:
Wie ein Dürstender beugt er sich über den Stein
In den Brunnen verschollener Jahre hinein.

Aber fremd
Stehen die Statuen im Totenhemd.
Sie ehren ihn nicht, sie wehren ihm nicht,
Sie atmen nur Schweigen, sie leben nur Licht.
Sie haben vergessen, woher sie kamen,
Den Fels und das Land und die Zeit und den Namen.
Wortlos gereiht
Stehn sie in ihren weißen Gewändern
Unberührt von Vergehn und Verändern
Jenseits der Zeit.
Und kein Wort von ihrem marmornen Munde
Spricht mehr zurück zu den Menschen der Stunde.

Die Uhren, die ihnen zu Häupten gehangen,
Sind weitergegangen,
Städte entstanden und andre verdarben,
Gesichter fielen aus Formen und Farben,
Geschlechter erwuchsen, Geschlechter verblühten,
Menschen wurden zu Masken und Mythen,
Alles ward in der mitleidlosen
Mühle der Jahre zerstäubt und zerstoßen —
Nur sie in ihren erstarrten Posen
Dürfen im rastlos Wandernden ruhn,
Weil sie ihr Wesen ewig zu Ende tun.

Der geht — und sein Gehen ist ewiges Gehn —
Der ruht — und sein Ruhen ist ewige Ruh —
Und wie auch die Stunden stürmen und schwingen,
Keine Stunde nimmt, keine gibt etwas zu,
Denn jede der stummen Gestalten hält
In sich kristallt einen Augenblick Welt,
Der nie wieder kehrt und niemals zerfällt.
Niemals werden die weißen, die glatten
Gestalten in ihrem Wesen ermatten,
Ewig werden, die sich umschlingen,
Im Liebeskampf um Erfüllung ringen,
Ewig wird die Welle der Lichter
Die Qual der vier Gebeugten umzittern,
Ewig wird mit dem Schreckblick der Dichter
Aus innerer Nacht in die Welt gewittern,
Und das Lächeln, das jener Lippe umschwebt,
Ist irdisch verklungen und bleibt doch und lebt,
Indes sie selber, die wachen Gesichter,
Sich längst zerstäubten aus Formen und Falten
Und mit den Stunden verwehten wie Wind. —
Sie aber, die Schatten des Lebens, die kalten
Steine, sie stehen, sie dauern: sie sind.

Der Meister steht staunend im steinernen Wald,
Von Schweigen umschart, von Stille umschallt,
Und mit einmal begreift er die Urgewalt,
Die wie große Musik aus den Steinen bricht:
Sendung
War ihm gegeben,
Vollendung
Schafft Leben über dem eigenen Leben,
Gestalteter Stein ist stärker als Zeit!
Und selig erkennt er das große Licht
Ob seinen Gestalten: Unsterblichkeit.

Da lächelt der Meister zum erstenmal,
Seit er stumm vor den Steinen steht.
Von Licht und Schweigen orgelt der Saal,
Und sein Herz braust mit in dem großen Choral.
Wie im Gebet
Hebt er die Hände,
Die all dies getan,
Und sieht sie, die eigenen, ehrfürchtig an,
Er sieht sie an, die kranken, die kalten,
Mit ihren Schrunden und Schwielen und Falten,
Die Werkmannshände, in denen vor Jahren
All diese aufgereckten Gestalten
Wie zitternde, unflügge Vögel waren,
Und die nun, heilig und unnahbar,
Hinglänzen durch die stürzende Stunde
Wie eine niederverlorene Engelschar,
Die Gott anschweigt mit marmornen Munde.

Groß rauscht es im Saale, still sinken die Hände,
Stumm stehen die Statuen, weiß leuchtet der Stein.
Wie eine Legende
Geht der Meister fromm in sein Werk hinein.

Der Dirigent
In memoriam Gustav Mahler

Ein goldner Bienenkorb, in dessen Waben
Summend das Volk sich drängt, so scheint
Das Haus mit seinem hingeströmten Licht
Und der Erwartung vieler Menschen, die
In schwärmender Erregung sich versammeln.
Alle Gedanken tasten unablässig
Dort an die dunkle Wand, dahinter sich
In einer Wolke unbestimmter Ahnung
Die Träume bergen.
                             Unten schäumt der Kessel,
Darin sich die gefährliche Magie
Der Töne braut. Die bunten Stimmen brodeln
In erster Hitze, zucken, sieden, spritzen
Schon manchmal eine kleine Melodie
Wie Schaum herauf. Allein sie zittert schwank
Im hohen Raum und stürzt dann wie zerbrochen
Zurück ins Ungefähr der andern Stimmen.

Und plötzlich wo ein Klang: das Licht verlischt,
Der Ring des Raums zerrinnt ins Grenzenlose,
Nacht stürzt herab, und alles wird Musik.
(— Denn sie, im Unbegrenzten heimisch schweifend,
Gibt schamhaft ihre körperlose Seele
Denn Blicken nicht und ausgestreckten Händen:
Urschwesterlich sind Dunkel und Musik.)
Und was vordem im ausgesparten Raume
An zagen Stimmen suchend rang, was sich
Noch scheu und ganz vereinzelt erst versuchte,
Das greift jetzt ineinander, flutet über,
Meer wird es, Meer, das seine Wellen bald
Wie Knabenhaar verliebt und eitel kräuselt,
Bald sie wie Fäuste ballt, ein Meer,
Das auf zu Sternen will. Nun sprengt es hoch
Bis ans Gebälk die farblos heiße Gischt
Der Töne, wirft sie gegen unser Herz,
Das sich noch weigert (denn wer gibt sich gern
An ein gefährlich unbekannt Gefühl
Ganz ohne Zagen hin?) Allein es reißt
Gewaltsam mit in seine blinde Kraft,
Und Flut sind wir mit ihm, nur wesenlos
Verströmte Flut, die bald zum Wogenkamm
Des seligsten Entzückens hochgeschleudert
In weißen Schäumen funkelnd sich zersprüht,
Bald wie begraben in der jähen Trauer
Des Niederstürzens ins smaragdne Dunkel.
Wir alle, sonst vieltausendfach zerstückt
Durch Zufall, Schicksal und geheime Neigung,
Sind eine Welle zitternder Entzückung,
Drin unser eigen Leben unbewußt
Und ohne Atem, ohne Willen flutet,
Ertrunken in den Tönen.
                                    Aber dort,
Hoch über diesem Meer, schwebt einer noch,
Wie eine schwarze Möwe mit den Schwingen
Hinreisend über das erregte Stürmen
Des namenlos beseelten Elements.
Er ringt damit, taucht bald hinab, als griff
Er Perlen von dem Grund, bald schnellt er hoch
Wie ein Delphin sich aus dem wildgepeitschten
Gewirr der brennend lodernden Musik.
Ein Einziger, da wir schon hingerissen
Und schwank verströmt sind, selber Wind und Welle,
Kämpft er noch mit den losen Elementen,
Gebändigt halb und halb der Töne Meister. —
Der Stab in seiner Hand (ist er der gleiche,
Mit dem einst Prospero den grausen Sturm
Hinwetternd auf die Insel warf?)
Scheint, ein Magnet, das fließend Erz der Töne
Hinaufzuzwingen in die starke Hand,
Und all die Wellen, drin wir uns verbluten,
Strömen ihm zu, dem roten Herz, drin
Die Unruh Rhythmus wird, das wirre Leben
Der Elemente klare Melodie.

Wer ist der Zauberer, wer? Mit einem Wink
Hat er des Vorhangs harte Nacht gespalten.
Sie rauscht hinweg. Und hinter ihr sind Träume
Mit blauem Himmel, aufgeblühten Sternen,
Mit Duft und Wind und Bildern wie von Menschen.
Nein, nein! Mit Menschen! Denn kaum hat er jetzt
Die Hand gehoben, so bricht diesem schon,
Den er bedeutet, Stimme aus der Wunde
Der aufgerißnen Brust, und jetzt den andern!
Sie atmen Leid und Lust. Und alles ist,
Wie er gebietet. Seht, die Sterne löschen
Jetzt mählich aus, die Wolkenzüge brennen
Vom Feuerhauch der neuen Dämmerung,
Und Sonne naht und mit ihr andre Träume.
Und über all dies schüttet er Musik,
Die er von unten aus dem unsichtbaren
Geström mit seinen losen Händen schöpft.
Tag wird aus Nacht. Womit hat er Gewalt,
Daß ihm die Töne dienen, Menschen sich
Ausbluten im Gesang und daß wir alle
Hier leise atmend wie im unruhvoll
Erregten Schlafe sind, vom süßen Gift
Des Klangs betäubt? Und daß ich immer
Das Zucken seiner Hand so spüren muß,
Als riß er eine angespannte Saite
In meiner Brust entzwei?
                           Wohin, wohin
Treibt er uns fort? Wir gleiten nur wie leise
Barken des Traums auf niegesehnen Wassern
Ins Dunkel weiter. Goldene Sirenen
Neigen sich manchmal über unsre Stirnen,
Doch er lenkt weiter, steil das Steuer in
Die feste Faust gepreßt. Wir gleiten, gleiten
Zu stillen Inseln, sturmzerrißnen Wäldern.
Wer weiß, wie lang? Sind's Stunden, Tage,
Ist es ein Jahr?
                               Da sinkt der Vorhang zu.
Die Barke hält. Wir wachen wie verschreckt
In unsre Wirklichkeit. Doch er, wo ist
Er hin, in dessen Händen wir gewesen,
Der dorten stand, ein unbewegter Stern
Über dem Aufschwall geisternder Gewässer?
Hat ihn die Flut, die er bezwang, nun doch
Hinabgerissen in ihr Dunkel? — Nein!
Dort stirbt ein Schatten weg. Der heiße Blick
Greift rasch ihm nach. Doch ringsum schwillt
Schon Unruh und Geräusch, die Menge bricht
In tausend Stücke, einzelne Gesichter,
Zerrinnt in Worte, die sich laut verbreitern,
Der Jubel dröhnt! Aufflammen alle Lichter, —
Wir sind am Strand, daran die Träume scheitern.

Die Sängerin

Wer bist du? Dein Gesicht scheint wie aus Stein,
Da es sich plötzlich von der matten Tiefe
Des Dunkels und der noch viel dunklern Krone
Verflochtnen Haars über die Menge hebt.
Wer bist du, sprich! Warum sind deine Lippen
Wie Siegel rot und hart auf dem Geheimnis
So jäher Blässe, warum sprichst du nicht,
Da doch in dir (ich fühl's) der Wogenschlag
Aufbrandender Erregung rollt? Was will
Der fremde Blick, vorbei an all den Blicken,
Und was dies Blatt, das weiß, mit Spuren
Von Botschaft zwischen deinen Fingern
Sich knisternd krümmt? Gib Rede, steh nicht so
Im innern Brand denn jetzt, ich seh es, da
Der andre dir den unsichtbaren Strang
Von einer Melodie herüberwirft, da bäumt
Sich's in dir auf, vergeblich preßt die Hand
Die rege Brust, denn schon klimmt eine Ader
Wie eine Schlange blau die Kehle auf,
Durchbricht ein dreifach Perlenband, und jetzt —
Wie eine Knospe birst dein Mund
Gewaltsam auf, ein wilder Schrei bricht hoch . . .

Nein, nein! Es ist Gesang. Aus dem Gestein
Der Starre sprudelt eine jähe Quelle
Und rauscht nun kühlend über unsre Stille,
Die süß erschreckte, immer lauter hin.
Oh Selige, so ist dir dies gegeben,
Dich hoch zu schwingen aus dem engen Rand
Des eignen Wesens und ins göttlich Freie
Des Grenzenlosen dein Gefühl zu stürzen,
Mit heißer Lippe all dies rein und tönend
In Wind und Welt zu werfen, was im dumpfen
Gefäß des Leibes schwül und trächtig gärt!
Du reine Buhlerin, die du an Tausend
Gleichzeitig dich verschenkst, die nackte Seele
Aufglühend hingibst unberührten Leibs
In einer brennenden Vermischung, die
Viel tiefer ist als die von Mann und Weib —
Wie taumle ich, von deiner Stimme trunken!

Oh singe, singe! Ich fühl's, die Luft, die tote,
Wird um mich reg, indes ich reglos werde,
Hinsterbend im Gefühl. Wie doch dies Dunkle
In deiner Stimme sich so schwesterlich
An all mein Dunkles schmiegt und es mit linder
Begütigung ins Freie lockt? Woher
Hast, Fremde du, so seltene Gewalt,
Daß schon dein bloßer Hauch dies dumpf
In mir Verwölkte klärt. Melancholie
In süßes Sehnen schmilzt und ich vergehe
In einem weich hingebenden Gefühl?
Daß meine Trauer ihren dunklen Leib
Nun aus dem trüben Bad der Tränen stolz
Und nackt wie eine Göttin hebt, empor
In so viel Licht, daß meine Augen brennen,
Sich Schmerz zu Lust verzückt? Allein da faßt
Schon deine Heiterkeit, die goldgelockte,
Die meine, schelmischer Gebärde, an,
Daß sie, zwei Kinder, trillernd Hand in Hand
In wilden Sprüngen über bunte Wiesen
Mit immer aufgeregterm Lachen tollen.
Oh welcher Übergang von Nacht ins Klare
In dieser nahen Nachbarschaft der Töne!
Denn Hell und Dunkles, Lastendes und Lindes
Senkst du und hebst du mir vom innern Leben
Mit einem Wogen deiner lauten Brust.
Mein eignes Wesen fühl ich mir entschwingen,
Nur mehr empfindend, was ich in dir spüre.
Nicht Lauschen mehr, bloß ahnend Widerklingen,
Nur zwiefach du, in dem ich mich verliere,
Und so schon dein, daß ich im Überfließen
Mich selbst und dich in einer Lust genieße.

Doch wo,wo bist du selbst, aus der all diese
Entzückung strömt? Dein Bild ist hingeschwunden,
Dein Antlitz überflutet von Gesang,
Nur innen spür ich dich, du Aufgeschwebte,
Wie eine Muschel tönend von dem Meer,
Das sie umspült, und fühl dich auch in allem,
Was an mich rührt. Denn alles rings im Raume
Ist wie entkörpert von dem dumpfen Leben:
Aus harten Pfeilern schwingt Musik, die Decke
Strömt sie herab, mit unsichtbaren Händen
Trägt sich Gesang im Dunkel selig weiter.
Die Menge, sie, die taube selbst, wird Klingen,
Doch über alles, immer, immer wieder
Sprühst du empor, und diese göttlich klare
Fontäne von Gesang, die immer höher,
Oh immer höher farbenfunkelnd sprüht,
Als wollte sie die reinen Sterne netzen,
— Dies wilde Schwellen — ist's nicht auch mein Blut,
Das mir entströmt, weil ich mich so
Beglückt entbürdet fühle, lastlos durchsichtig,
So selber Klang und Schwinge über aller
Schwere der Welt?
                                    Doch wohin, wohin
Hebst du mich auf? Halt ein! Du mußt
Zerschellen, Stimme, allzukühne, denn
Schon so kristallen rein, so gläsern durchsichtig,
So schneidend klar bist du und so voll Süße,
Daß dich der Sinn nicht trägt.
Da steigst du langsam nieder, Stimme, wunderbare,
So wie ein Adler mit gespanntem Flügel
Vom Unnahbaren kreisend niedergleitet,
Und ich, ich sinke mit. Schon ebbt das Blut,
Das weggestürmte, wieder in den Adern,
Erwachen naht und in dem Leiserwerden
Auch jene unfaßbare Wehmut, die
Den letzten Glanz von großer Lust umwittert.
Nun taucht dein Antlitz wieder aus den Tönen,
Doch müde, wie das einer Frau am Morgen
Nach heißer Nacht. Und nun das blasse
Gesicht sich langsam aus dem Dunkel schält,
Seh ich die rote Quelle deines Lieds,
Die leiser nun die letzten Worte funkelt,
Und jetzt . . .
                 Nein, schweige nicht! In dem Verstummen
Wär schon ein Vorgefühl des ewigen Vergehens,
Gefühl von Dunkelheit, wie selbst die Nächte,
Die sternenlosen, es nicht drohn! Nein, laß
Mich ewig weiterfluten im Gesange,
Zerbrich nicht diese wundervolle Schwinge,
Die mich erlöst von all den dumpfen Mächten,
In deren Kreis ich unwillig gefangen —
Verstumm mir nicht!
                         Geliebte, singe, singe!

Der Maler
Brief eines deutschen Malers aus Italien

Dies Blatt, das ich für euch zum Briefe falte,
Ich wollt, es wär ein Bild und brächte euch
In unser Haus, wo noch der unwirsch kalte
Frostwind die Türen stürmt, die Sonne bleich
Und zaghaft um den Reif der Fenster flittert,
Nur einen Traum des Lichts, das warm und weich
Im Haar mir wühlt, um meine Hände zittert
Und nun schon innen, wie ins Blut gesprüht,
Des Herzens Hammerschlag mit Funken füllt.

Dies Blatt, ich trug es sonnenüberglüht
In einen Park. Der breitgezweigte Baum,
Der sich darüberbog, vermochte kaum
Den Ungestüm des vielen Lichts zu mildern,
Das, — überflutend aus der Äste Wehr,
Als wollte es den dunklen Grund entzünden, —
Noch weißer sprühte als das weiße Blatt.
Und diese Funkeln lockte mich von mehr;
Von tausend in mir aufgesparten Bildern
Wollt ich, der bislang nur von Farben träumte
Und nun erst Ahnung ihrer Vielfalt hat,
Wollt ich euch Lieben, ach, im Nordland Blinden,
Mit raschem Stift die eine Landschaft schildern,
Die rings den Blick mit heißem Gold umsäumt.

Doch unberührt und zag ließ ich das Blatt.

Denn wie, wie wagt ich all dies schon malen?
Wo faßt ich an? Wie fände ich mir Farben,
Die nicht der Umwelt feurig Leuchten schwächen?
Wie bände ich die schweren goldnen Garben
Des wie mit Sensen hingemähten Lichts,
Wie den Kristall der blanken Himmelsflächen,
Den Glanz der Wasser, die sich treulich strahlen,
Wie hier die Blüten, deren wieder jede
Der steilen Sonne unnahbaren Blick
Von Blatt zu Blatt in neue Farben brechen,
Dies stet verwirrte Spiel? Nein, nichts, oh, nichts
Vermöchte diese Fülle auszusprechen,
Die, feind dem Bilde, kaum sich leiht der Rede,

Denn was sind Worte, sind sie nicht Musik?

Doch dieses Eine, diesen Augenblick,
Von Schreck und Lust dies selig sich Umschließen,
Da mir im ersten Schaun schon alles ward,
Was jetzt die Sinne schwärmerisch genießen,
Dies laßt noch einmal mich zurückbeschwören!

Es war der dritte Morgen unsrer Fahrt,
Wir klommen aufwärts über die vereisten
Paßhöhen, wo nur mehr verzwergte Föhren
Dem Schnee verflochten ihr umwittert Haar,
Kalt sprang der Wind uns an. Es war,
Als ob mit einem Mal die Welt ergreiste
Und selbst der Himmel sich in Rauch verlöre.
Des Lebens Stimme, Blick und Atem schienen
Wie eingesargt in ein gespenstisch Grab,
Nur in uns schrie die Angst: Hinab! Hinab!
Da — als der Niederstieg der Serpentinen
Sich plötzlich kühn durch einen Felsen stieß —
Da — und es war, als ob mit einem Male
Die Nebelwand von unsern Lidern ließ —
Da lag im Ährengold ein endlos Tal,
Rotrosenbüsche winkten aus den Tiefen
Wie Fahnen her, die schwanken Rebgelände
Klommen empor und legten ihre Hände
Begütigend auf den zu schroffen Hang,
Daß er sich williger zum Tale mulde,
Und alle Wege, alle Wasser liefen
So wild hinab, daß lauter der Felsen klang.
Und ich, ich Toller, stürzte, stürmte, sprang
Mit all den Bächen, die voll Ungedulden
Der Felsen hochgetürmte Brust entriegeln
Und dann in Seen, lächelnd und verklärt,
Den erst nur perlenblassen Himmel spiegeln,
Der — wie ein Wasser, zart getönt am Strande
Der Farbe Dunkel aus den Tiefen nährt —
Sich blaubrokaten aufspannt ob dem Lande.
Ach, wie ich froh ward, wie so unbeschwert!
Die schroffsten Ketten sah ich Bilder werden,
Schneesteig und Schründe, die hell talwärts kamen,
Im Fernenblau nur mehr als Schattenriß
Den ewigen Frühling dieses Tals umrahmen.
Ich sah beglückt — manchmal auch ungewiß,
Ob dies nicht Traum sei, — wie sich all die Wiesen
Bestickten mit vieltausend bunten Dolden,
Sah Früchte schwer und reif das Laub durchgolden,
Oh, all die Bäume, und dann über diesen
Den Himmel mit den weißen Wolkenherden.
Ich sah das Meer, fernfunkelnd und türkisen,
Fühlte die Luft, die warm und ausgegoren
Das Blut berauschte wie ein starker Wein,
Bis sich die Sonne schwindlig süß verloren:
So gierig trank ich, so mit allen Poren
Dies weiße Flimmern in mein Herz hinein.

Und nun, nun lieg ich regungslos und träg,
Hindämmernd in das einzige Gefühl,
Selbst aus der warmen Erde aufzusprießen,
Hier nur zu sein, wie Pflanze, Baum und Frucht,
Besonnt, beglückt, der lauen Winde Spiel,
Aufkeimend, reifend, blühend unter ihnen,
Ureins im Blut mit all den Gegenständen,
Die gleiches Licht mit gleicher Lust genießen.
Nichts lockt mich, nicht der diamantne Weg,
Der sich ins Weinlaub wühlt, nicht dort die Wucht
Der unter Efeu bröckelnden Ruinen,
Nicht da mein Stift, die harrende Palette!
Ich fühle nur von meinen nackten Händen
In alle Adern Sonne überfließen,
Und daß dort drüben aus der Rosen Rund
Nun singend etwas tritt, daß es sehr bunt
Und leuchtend ist, doch fühl ich's nicht als Frauen,
Nicht als ein Fremdes ihre heitre Kette.
Ich fühls als Farben nur auf diesem blauen
Unsäglich ausgespannten Hintergrund.

Und Farben, Farben — oh, wie bunt ihr Feuer
Durch die fast aufgesprengten Adern kreist!
Wie wirbelnd das, wie wild, wie ungeheuer
Die ganze Welt mit sich nach innen reißt!
Das pralle Weiß hier, funkelnd vom Gemäuer,
Und da des Efeus Grün, der es umkleidet,
Das grelle Gelb, das überm Sande brütet,
Das Schwarz dort jener einsamen Zypresse,
Die wie ein Riß des Himmels Samt zerschneidet,
Dies Violett, Orange, dies Rot, wie Purpur trächtig —
All das bohrt in mich, von der Feuersee
Des mitleidlosen Lichtes blank geschmiedet,
All das wirft Wellen, wird im Blute mächtig,
Quillt auf, ein Qualm, noch nicht zur Form gestaltet,
Drängt so, wie aus der österlichen Erde
Der Blumen Glanz und Blust, noch eingefaltet,
Emporpocht zur erhellten Oberfläche.

Und schon, ich fühl es, wird diese Begierde,
Flackernd und bunt in Farben auszubrechen,
Lebendiger in mir als die trunkne Schwäche,
Die sich bezaubert in den Dingen spiegelt,
Statt sie emporzureißen in ein Bild.
Und bald, bald wird das Drängen übermächtig. —
Oh, all das aussprühn, was mich jetzt erfüllt,
Wie wunderbar die Hoffnung mich beflügelt!
Denn dann erst, wenn all diese süßen Qualen,
Dies kaum von Schmerz zu scheidende Begehren
Auffunkelnd bis in meine Finger quillt,
Wenn all die Farben, meiner Brust entsiegelt,
Nicht jener Welt mehr, sondern mir erstrahlen

Dann erst — dann will ich endlich wieder malen.

Der Kaiser
Schönbrunn 1913

Noch zittert das Frührot nur scheu um das Dach,
Nachtnebel saugt den Glanz von den Scheiben,
Doch drei Fenster funkeln schon längst im Palast:
Der Kaiser ist wach.
Eh der Morgen weiß in die Sraße fällt,
Steigt sein Wille hinab in die schlafende Welt.
Diener haben die weiße Last
Der Staatsdekrete zum Unterschreiben
Bereitgelegt
Die Feder fegt
Wie Frühwind durchs Laub hin über das Knistern
Der Blätter, die Bitte und Botschaft flüstern.
Und die eben noch welk waren, blaß und verdorrt,
Blühen und fruchten von diesem Wort.

Der Kaiser schreibt mit fliegendem Stift,
Und Schicksal schafft jede Unterschrift.

Er schreibt — und in zwei Hände, nackt und schwach,
Schüttet er Macht,
Einen Tropfen aus seiner unendlichen Fülle:
Nun darf einer Heerführer, darf Richter sein,
Hinrollend den Würfel von Leben und Tod,
Doch sein Gebot
Ist nur Spiegelschein
Von seinem eigenen waltenden Willen.

Und wieder ein Rascheln — und einer ist Graf,
Eine siebenarmige Krone umzinkt
Den Namen, der jetzt golden aufklirrt und klingt.
Ein Blatt — und aus tausendjährigem Schlaf
Bäumt sich die Erde, aufsteigt ein Dom,
Die Türme schüttert der Hammer der Glocken,
Und ein Strom
Von Menschen füllt ihn in frommem Frohlocken.

Ein Schriftzug weiter — und irgendwo knarrt
Eine Kerkertür auf, eine Kette fällt.
Selig starrt
Ein hungriger Blick in die Fülle der Welt.
Und wieder das Wort — und es sinkt ein Schafott,
Das schon sein Kreuz einem Mörder hinreckte,
Taumelnd stürzt und staunt der Erschreckte,
Zwei blutlose Lippen lobpreisen Gott.

Ein Blatt, ein Rascheln — der Krieg ist erklärt,
Wie eine zuckende Stichflamme fährt
Das Wort in den knisternden Zunder der Massen
Und stürzt den Donner über das Land.
Telegraphen sausen, Spruchfunken sprühn
Über die Meere den Blitz ihrer Botschaft hin,
Zeitungen flattern wie weiße Vögel
Über das Schäumen der Gassen im Schwung,
Der Sturm der Menge faßt ihre Segel
Und stürzt in das Meer der Begeisterung.
Bajonette blitzen
In stachligen Büscheln starr durch die Straßen,
Transporte entquellen den Magazinen,
Die Kasernen spein Ströme blaulodernder Mützen.
Auf brennenden Schienen
Rollen die Räder von allen Wegen
Einem einzigen Ziele entgegen,
Und die Kanonen schrein
Ihr mörderisches Wort in die Welt hinein.

Und wieder ein Rascheln, ein Federstrich —
Die aufgrölenden Wogen zerglätten sich,
Die Menge sickert zurück in das Land,
Und der Bauer stößt mit ruhiger Hand
Den Pflug in die brachgelegenen Schollen.
Er schreibt — und mit jedem Federstrich
Schwankt das Reich und verändert sich.
Blatt auf Blatt
Fällt mit Früchten und Blüten
Vom magischen Baum seines Willens ab,
Der funkelnden Krone,
Die nie entlaubt
Und mit uraltem Haupt
In die Urwelt ragt der Mächte und Mythen,
Wo die Götter noch über der Erde thronen.

So schafft er jeden Morgen die Welt. —
Dann tritt er hinaus,
Neugier und Ehrfurcht umscharen sein Haus;
Ein Kommando gellt,
Die Trommeln prasseln, ein Säbel klirrt,
Ein Ruf: die Waffen sind präsentiert,
Der Wagen saust vor.
Die Hüte sinken tief weggemäht:
Wie im Gebet
Hält die Menge erschauernd das Haupt geneigt,
Und erst da sein ernstes Antlitz sich zeigt,
Weht
Die knatternde Fahne des Jubels empor.

Durch ein Tor
Von Rufen, das bis zu den Dächern steigt,
An wallenden Wänden,
Die niederstürzen in Jauchzen und Schrei,
Fährt der Kaiser vorbei.
Triumph hält sein greises Haupt überdacht,
Demut umfängt seine grüßenden Hände,
Und helle Wellen der Ehrfurcht
Den schlichten Wagen
Hinaus in das unendliche Meer der Macht.

Der Flieger

Die Erde spricht:
"Ich lasse dich nicht,
Du Wurm, der meine Flanken umkriecht,
Du fressende Borke in meiner Rinde!
Ich hab dich gesäugt, ich hab dich genährt,
Ich gebe nichts frei, was zu mir gehört.
Ich stürz dir das Grauen des Todes ins Herz.
Ich binde
Die Sohlen dir an mit brennender Schwere,
Ich füll dir den Leib mit Wucht und Gewicht,
Und wie zornig du dich auch aufwärts entringst,
Du sinkst
In ewiger Ohnmacht stets bodenwärts."

Doch der Wille glüht:
"Ich bin müd,
Die Straßen zu streifen, die alle begingen,
Ich will nicht mehr, Last, an Lastendem kleben!
Leben ist schweben,
Seliges Ruhn mit wandernden Schwingen.
Ich sehe
Die Lerchen leicht auf luftigen Sprossen
Aus nebelnden Talen ins Frührot klimmen
Und Adler schwarzseglig den Äther zerpfeilen,
Ich sehe
Die Schwalben flink wie flüchtende Rehe
Die Wälder des Winds und der Wolken durcheilen,
Ich sehe
Libellen mit silberflirrenden Flossen
Im blauen Bade des Himmels hinschwimmen,
Ich sehe Glanzkäfer wie zitternde Funken
Die brennenden Kelche der Blumen umstreichen.
Aufschwingt sich Wolke, hochwellt sich der Rauch,
Und was Feuer, Wasser und Tier erreichen,
Vermag ich auch."

Und der Motor keucht:
"Ich mache dich leicht!
Ich habe das Feuer in mich getrunken,
Meine Adern bersten, mein Blut siedet und surrt,
Horch, wie es kocht
Und mit heißen
Verlangenden Stößen ins Freie pocht.
Spreng mir den Gurt,
Reiß mir sie auf, die eisernen Schließen,
Ich will meine Kraft in die Welt ergießen,
Hilf, und ich stoße dich steil in die Luft!"

Die Hand reißt nervig das Steuer an sich:
"Ich löse dich,
Nun wirf mich empor
Oder stürz mich hinab!
Die Erde ist dunkel, die Erde ist Grab,
Ihr Leib ist gebläht von Toten und Särgen,
Ihr Atem stinkt von Moder und Gruft,
Doch bevor
Auch mich ihre durstigen Schollen auftrinken,
Heb du mich in reine, in feurige Luft!
Mich hebe hoch, laß sie stürzen und sinken,
Auf, ihr Schwingen, macht mich frei, macht mich groß!
Los!"

Die Maschine zittert und prasselt Begier,
Aus eiserner Nüster sprüht Feuer und Dampf,
Dann jäh wie ein Stier
Stürzt sie und stampft
Blindwütig voran, schleudert und kreist
Wirr, ein rasend gewordener Pflug,
Im qualmenden Feld,
Bis ein Ruck
Den Nacken ihr plötzlich nach oben schnellt.
Die Leute stürzen im Taumel herbei,
Zehntausend Stimmen nietet ein Schrei:
"Er schwebt!
Er fliegt!
Traum und Triumph, wir haben's erlebt,
Ein Mensch hat über die Erde gesiegt."

Und die Schwingen summen und surren im Wind:
"Ach, wie leicht und selig wir sind!
Wir schneiden
Mit beiden
Armen die Luft, wir mahlen den Wind,
Wir mähen
Die Böen,

Wir werden wie Vögel, wir werden geschwind."
Und eine Wolke singt:
"Was blinkt
Dort aus der Tiefe steil auf mich los,
Was dringt
So übermächtig in meinen Schoß
Und fährt durch mich mit schneidendem Stahl?
O wie er schmerzt, der brennende Stoß!
Ich fühl mich zerfließen
Und tränend über die Erde ergießen."

Er aber wandert hinauf.
Die Nebel reißen ihm die Tore auf,
Hügel knicken
Demütig ein mit dienendem Rücken,
Berge sinken vor ihm auf die Knie.
Hoch über sie
Schwingt er sich hoch und tastet die Runde:
Wie im wässerigen Grunde
Eines Meers, verfilzt in Algen und Grün,
Sieht er die Korallen der Kirchtürme glühn,
Die Bahnen kriechen wie kribblige Fliegen
Auf weißen spinndürren Straßenschnüren,
Wie Spielzeuge liegen
Die Häuser lässig im dünstenden Licht
Der Felder, die klein sind wie Büschel von Blumen.
Wälder zerfasern zu wehenden Garben,
Teiche blitzen als blaßblaue Funken,
Die Gletscher scheinen wie winzige Krumen
Von Sternen, die auf die Erde gesunken,
Ströme zerschmelzen, die Meere versiegen,
Rund wird und runder die Übersicht,
Und mählich zerrinnen die flackernden Farben
In ein einziges mattes, verblassendes Licht.

Und der Sturm springt ihn an, verspielt wie ein Tier:
"Du Fremdes, komm und ringe mit mir!
Wir wollen
Zur Wette die Eisbahn des Himmels hinlaufen,
Wir wollen
Mit sausendem Sprung auf die Berge klettern
Und den grauen Tannen ihr Haar ausraufen,
Komm, laß uns Ball mit den Wolken schlagen,
Lawinen krachend zu Tale rollen.
Wir schmettern
Den Mond wie einen klotzigen Stein
Auf ein zerkrachendes Kirchendach!
Komm mit, du Kühner, komm, spring mir nach,
Hol mich ein!"

Nebel küssen ihm Hand und Gesicht,
Die Höhen klingen kristallen im Licht,
Und die Erde wird trübe, die Erde wird fern,
Ein dumpfer, verlöschender Weltenstern.

Nun jauchzt die Brust ihren großen Schrei:
"Frei!
Allein!
O weites unendliches Einsamsein!
Mein Blick zerstößt sich nicht mehr an den Dingen,
Die Luft ist von Atem und Worten rein.
Leben ist Schweben,
Seliges Ruhn auf wandernden Schwingen!
Doch ich fühle
Noch über dem Schweigen sphärisches Klingen,
Ich will durch die Kühle
In den feurigen Kern aller Himmel eindringen,
Ich will steigen und steigen
Bis auf zu den Höhn,
Wo selbst die Engel geblendet sich neigen,
Und Gott ins ewige Auge sehn."

Und er steigt
Höher hinauf in die heilige Leere,
Der Motor keucht mit röchelnder Lunge,
Funken spritzen um die Kontakte,
Eine blitzende Schere,
Zertrennt er das ewige, faltenlose
Gewebe, das blaue, und stürzt in den nackten
Himmel sich tiefer in rasendem Schwunge;
Er steigt und steigt.
Brennende Tränen verschließen den Blick,
Doch den Blinden umrauschen hohe Gesänge,
Er fühlt nur mehr Töne, er trinkt nur Musik.
Er hört die Engel den Morgen lobsingen,
Die Winde orgeln Hymnen der Kraft,
Die Säulen des Alls beginnen zu schwingen,
Orkane brausen ihm Bruderschaft.
In das heiße Gestänge
Greift die Sonne wie in eine Harfe hinein,
Mit unsichtbaren Saiten
Tönen die nahen Unendlichkeiten.
Und er steigt
Höher, die Stimme Gottes zu hören,
Der tönend über den Dingen schweigt.
Das Blut
In seinen Schläfen beginnt stärker zu tosen,
Der Hammer des Herzens schwingt sich und klingt,
Und er spürt sich aufgehn im Grenzenlosen
Wie ein Ton, der höher und höher entschwingt,
Und er ahnt, nun klingt er zur Urmusik
Der Welten ins ewige Schweigen zurück.

Aufrauschen die Fernen, er steigt und steigt,
Und nur die niedere neidische Erde schweigt.

Der Fakir

Die Säule, auf der ich Regloser sitze,
Ist wie eine Flamme steilauf gestellt.
Ich bin ihr Ende. Doch ihre Spitze
Reicht hinab an den Nabel der Welt.

Morgenröten und Monde kreisen
Um meine Schultern: ich schaue sie nicht.
Winde kommen von ruhlosen Reisen,
Keiner wendet mein stummes Gesicht.

Vögel nahen. An ihren Gefiedern
Hängt noch Duft und verschlagener Tau,
Doch ich lausche vorbei ihren Liedern
Zu dem Schweigen im ewigen Blau.

Menschen ziehen von fern, mir zu dienen,
Myrrhe und Rauch steigt auf im Gebet,
Aber mein Blick verweigert sich ihnen,
Der so starr wie die Säule steht.

Leer schwingt Lärm und Laut um die Achse
Meines Beharrens, des stehenden Steins,
Denn ich lausche nach innen und wachse
Schweigend hinab in die Wurzeln des Seins.

Lächelnd laß ich die Jahre hinrinnen,
An meiner Starre zersplittert die Zeit,
Nur der Lauschende sammelt tiefinnen,
Was der Tag in die Stunden zerstreut.

Ewig keltert unendliche Ernte,
Wer den Atem der Worte verhält.
Selig, der ganz sich verschließen lernte:
Wer in sich ruht, ist Herr der Welt.

Der Beichtiger

Wenn er schwarzen Schritts durch die Sadtgasse geht,
Schauer wie Sturm ihm entgegenweht.

Weiber verstummen im Schwatze und bücken
Sich tief, um ihm nicht ins Auge zu blicken,

Lachen erlischt, und der Marktplatz erstarrt
Von seiner stumm mahnenden Gegenwart.

Er aber geht, wie von Stein das Gesicht,
Als fühlt er die Furcht ihrer Herzen nicht,

Geht schweigend den Gang, gibt freundlichen Blick
Für verlegenen Gruß und Verbeugung zurück,

Schlägt gütig das Kreuz, reicht Kindern die Hand
Und sieht doch sie alle wie durch gläserne Wand.

Er weiß: hier könnte er stehen bleiben
Und "Mord!" an die Türe des Witwers schreiben.

Könnt dem, den sie Vogt und Verwalter nennen,
Das Brandmal des Diebs auf die Wange brennen,

Und der, die dort ehrbar am Fensterkreuz stickt,
Das Kind ausgraben, das sie heimlich erstickt.

Ein Wort nur braucht er hinfallen zu lassen,
Und Schande spräng auf und nackt durch die Gassen,

Riß Frauen vom Bett, den Vater vom Kind,
Bräch Siegel von Brief und gestohlenem Spind.

Zwischen Haus und Haus stürzte Dunkel und Wand,
Was jeder verhehlt, wär jedem bekannt.

Und jeder, der selbst sich geborgen vermeint,
Erkennt den andern als Mörder und Feind. —

Aber schwarz und schweigsam der Beichtiger geht,
Den Blick ganz nach innen, der nichts verrät.

Kein Zucken des Mundes, kein Lächeln zeigt
Das Ungeheure, das er verschweigt,

Und daß er das Herz dieser Stadt, dieser Welt
Wie ein zitterndes Tier in den Zähnen hält.

Der Träumer

Was willst du Tag? Was schlägst du Morgenglocken
In meinen Schlaf? Was drängst du an die Scheiben
Dein nüchternd Licht und läßt die Träume stocken,

Die goldne Schrift um meine Schläfen schreiben?
Laß ab von mir! Mich lockt's nicht, dir zu dienen,
Nicht in der Unrast jener mitzutreiben,

Die jetzt in Börsen, Banken, an Maschinen
Die Nägel sich im Gelde blutig krallen —
Nichts will ich, nichts von dir und nichts von ihnen,

Ich dräng nicht mit im aufgeregten Schwalle,
Der bangt, die Uhr des Kerkers zu versäumen!
Dein arm Geviert, ich laß es ihnen allen —

Doch du, du Kalter, laß mir meine Träume!
Laß sie mir ganz! Wen ihre Wolken führen,
Dem gilt nicht Zeit, den engen keine Räume,

Wem sie — sieh her — nur leis die Schläfe rühren,
Der braucht nicht mehr, als seinen Nagel füllt,
Und ist entrückt. Denn wie an Perlenschnüren

Ein Funken zündend tausend Farben schwellt,
So glüht dem Träumer — ach, was wißt ihr Wachen
Von der Magie, der heimlichen, der Welt! —

Der zagste Wunsch im Flug zu hundertfachen
Vom Leben nie erreichten Möglichkeiten.
Ein Augenwink vermag ihn wahr zu machen,

Was sonst verteilt, verzettelt durch die Zeiten
Die Krämerhand des Zufalls zögernd spendet,
Mich aber hebt schon bloßes Flügelspreiten

In Sphären, die kein Maß begrenzt und endet.
Eh sich ein Wunsch erkennt, ist er getan,
Denn nur das Leben kargt: der Traum verschwendet.

Unendlichkeit strömt brausend mir heran,
Kaum daß ich meine Lider träumend schließe. —
Noch einmal Gott, heb ich die Schöpfung an,

Ich fühl vom Quell der Adern Bilder fließen
Und selbst mich spiegelwandernd zwischen ihnen,
Traum wird Gestalt, Gestalten schon Genießen.

Dies Fenster dort, noch kaum vom Licht beschienen
— Ich weiß nicht, wessen Scheitel es umzirkt, —
Schon spricht's ein Bild, schon zeigen die Gardinen

Mir eine Frau, die ihre Haare birgt.
Schon fühl ich sie und fühl aus ihrem langen
Gesträhn den tiefsten Wunsch, den sie entwirkt,

Den Wunsch, damit Geliebtes zu umfangen,
Und bin — tief traumgebannt an meine Stelle —
Er selbst, an dem jetzt ihre Lippen hangen.

Bin ich und sie zugleich in einer Welle
Verstrickten Leibs, und während ich sie fasse,
Ist sie schon eine andre in der Schnelle

Wandernden Traumes. Jenes Weib der Gasse
Ist Fürstin schon, sie ist Scheherezade:
In Palmen sinkt der ekle Qalm der Straße,

Und Sklaven kommen, myrrhenüberladen,
Mit weißen Händen, die von Sandel triefen,
In Marmorbecken unsern Leib zu baden,

An meiner Hand blinkt Siegel des Kalifen,
Ich reck sie aus, und meine Flotten fahren
Nach Cordova. Schon furchen sie die Tiefen

Des Meers, schon glänzt der Fels der Balearen,
Die Woge dröhnt, schon spüre ich das Schlingern
Der hohen See! Vorwärts! Ich muß nicht sparen,

Nicht mich an kleine Möglichkeit verringern:
Die Welt ist mein, so weit ich sie begehre,
Gold rinnt wie Wasser laß mir von den Fingern,

Ich bin's, dem Ophirs Minen zugehören,
Alhambren wachsen mir und Riesenstädte;
Vom Kap hinüber zu den Kordilleren

Werf ich wie einen Ball die Zauberkette
Der Träume, die mir alle Fernen fassen,
Und schwarzen Lids, schlaff ruhend hier im Bette,

Vermag ich Möglichkeiten zu verprassen,
Wie keinem Dichter sie sich enthüllen,
Nicht Stift noch Meisel sie sich ahnen lassen.

Denn jenen ist das Leben noch die Hülle,
Und wer vom Tage borgt, ist ihm verpflichtet,
Doch der bloß träumt, hat seine wahre Fülle.

Im ist die Stirn zu Ewigem gerichtet,
Und was hier irdisch gilt, gilt ihm geringe,
Die Welt besitzt nur, wer sie sich erdichtet.

So laß mich, Tag! Schenk deine bunten Dinge
Den andern; ach, sie nehmen's kindisch gerne.
Und was du zögerst, ihnen zuzubringen,

Rafft mir ein Flügelschlag von meinen Sternen
Im Spiel herab. Ich habe nichts versäumt,
Denn selbst dein Letztes, deinen Kern der Kerne,

Denn auch den Tod, längst hab ich ihn geträumt —