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Moderne Dichter-Charaktere
Adler Friedrich
Leipzig 1885
Herausgeber: Wilhelm Arent
Gedichte 1
Mein Nachbar
Am Morgen
Pythagoras
Lied der KlothoDas lesende Kind
Frühlingsgebet
Ade!
Nach dem StreikeBlütenregen
Dämmerstunde
Ekloge
Mein Nachbar
An jedem Abend, wenn die späte Stunde
Die müden Glieder in den Schlummer lockt,
Und ich im Vorgefühl der süßen Ruhe
Das Buch gesättigt aus den Händen lege,
Fängt über mir ein störendes Konzert an.
Es gleiten Finger über das Piano
Und sonder Zweifel ungeschickte Finger.
Bald hör ich eine Skala, wie ein Schüler
Beim Unterrichte sie nicht schlechter spielt,
Bald eine Melodie aus irgend einer
Uralten Oper oder Operette –
Das alles unterbrochen oft durch Pausen,
Die nicht im Notenblatte stehen mögen,
Durch falsche Griffe, die in wilder Hast
Sofort noch einmal falsch gegriffen werden:
Kurz, ich bin selbst nicht sonderlich empfindlich
In Rücksicht auf das Musikalische,
Doch denkt die Zeit, die Ruhebedürftigkeit
Und nehm't dazu den seltsamen Genuß,
Und dann vergebt mir nicht, wenn ich am Ende
Voll Ärger nach dem Konzertierer forsche,
Die unbequemen Klänge abzutun.
Und was vernahm ich? Ein bejahrter Mann,
Ein dürftiger, ist mein Pianospieler,
Den ganzen Tag geht er dem Handwerk nach,
Und Abends, wenn die Kinder eingeschlafen,
Für die er all' die schweren Sorgen trägt,
Übt er Piano.
Lacht mich aus darum.
Mir traten ein paar Tränen in die Augen;
Mitfühlend las ich in des Mannes Herz.
Er kann nicht spielen und er wird's nicht können,
Zu steif ist seine Hand, sein Ohr zu stumpf,
Ihr kennt das Sprüchlein wohl von Haus und Häuschen,
Und dennoch läßt er's nicht. Ihm ist dies Spiel
Die einzige Sprosse, die aus Not und Kummer
Des öden Lebens ihn nach oben leitet,
Die einzige. Und die barmherzige Kunst,
Sie aller Segenspender edelste,
Stößt ihn auch ohne Trost nicht aus dem Tempel,
Der gläubig drin der Seele Heilung sucht.
Aus falschen Griffen, aus verfehlten Takten
Gießt sie dem Lechzenden Befriedigung
In die geängstigte, gequälte Brust ...
Spiel immer zu, du armer, alter Mann!
Du störst nicht, nein. Melodisch klingt um mich
Die edle Weihe eines Menschenherzens.
Am Morgen
Trüb der Morgen und kalt.
Über die Wiesen schweifen
Feuchte Nebelstreifen;
Auf den Bergen ringsum
Liegen Wolken geballt,
Grau und stumm.
Mühsam
Gegen die dunklen Schatten,
Halb wagend,
Halb zagend,
Sendet Sonne den matten,
Bebenden Strahl.
Nieder in's Tal
Rötlich bricht
Hier und dort unsicheres Licht ...
Kämpfen muß die herrlichste Glut,
Die hehrste Feindin irdischer Fehle:
Mut, Mut,
Arme ringende Menschenseele!
Pythagoras
Gebreitet liegt auf Berg und Auen
Das schattende Gewand der Nacht,
Auf alle Augen niedertauen
Des Traumes Bilder, süß und sacht;
Nur mich allein will's nicht umschlingen,
Dies selige Sinken in das Nichts:
Ich will erkennen, will erringen,
Erringen einen Strahl des Lichts.
Durchforscht umsonst hab' ich die Rollen,
Die uns der Väter Weisheit schrieb,
Umsonst gesucht im Lieben, Grollen
Des Menschenherzens tiefsten Trieb,
Umsonst Natur und ihrem Sprossen
Bin ich gefolgt mit Stab und Maß, –
Die Tür zum Rätsel blieb verschlossen,
Und wirre Schrift war, was ich las.
Und was ich jung mit kecken Sinnen,
Mit meinem Herzen, stolz und heiß,
Im Fluge dachte zu gewinnen,
Ich fand's nicht und mein Haar ist weiß,
Nicht lang' mehr wird der Faden währen,
Den hastig mir die Moira webt, –
Nun lausch' ich ängstlich nach den Sphären,
Doch ach, kein Ton, der niederschwebt.
Und doch, es muß! Ich darf nicht irren!
Dies Treiben, dieses Lebens Schwall,
Der wilde Streit, die bösen Wirren,
Des Scheines Truggespenster all',
Dies tolle Lachen, bitt're Weinen,
Dies Glück, das falsch die Lose teilt:
Es muß zu einem Klang sich einen
Dort oben, wo mein Sehnen weilt.
Zu einem Klange, voll und prächtig,
Der hell den Himmelsraum durchdringt,
Und alles Ungefüge mächtig
In seinen hohen Zauber zwingt,
Zu einem Klang, der Alles kündet,
Was hier der müde Geist verlor,
D'rin Rauh und Lieblich sich verbündet,
Zu füllen das entzückte Ohr.
Dort oben! Seit mir die Gedanken
Zum ersten Mal im Hirn gereift,
Ließ ich hinan die Hoffnung ranken
Zum Sternenchor, der oben schweift;
Von oben sollt' es niedertönen,
Mein unbefriedigt Herz durchglüh'n,
Und mir im Strahl des ewig Schönen
Der Erde Leben neu erblüh'n.
Was ich geliebt, ich hab's vergessen,
Was ich begehrt, ich ließ es lang',
Nur Sehnsucht füllt mich unermessen
Nach diesem einen hohen Klang,
Vorüber laß ich alles rauschen,
Ein Wunsch allein, der in mir wohnt –
O, einmal hören, einmal lauschen,
Und all mein Streben wär' gelohnt!
Umsonst, umsonst. Die Sphären schweigen,
Mein Aug' wird matt, mein Ohr wird stumpf,
Fremd schau' ich auf der Erde Reigen,
Der sinnlos mich umdrängt und dumpf.
Wie leer die Stunden hin sich dehnen!
Du böse, Moira, meine Last;
Von meinem Denken, meinem Sehnen
Gib in der Urne süße Rast!
Lied der Klotho
Rinne, Faden, rinne,
Aus der ernsten Hand,
Statt der Ruh' gewinne,
Sturm und Unbestand.
Lust soll dich umschweifen,
Eh' du lernst versteh'n,
Kannst du sie begreifen,
Soll sie schnell verweh'n.
Was du nie erlangest,
Sei dir heiß begehrt,
Was du reich empfangest,
Sei dir ohne Wert.
Was am schnellsten schwindet,
Sei dein höchstes Glück,
Was dein Herz verbindet,
Flieh' vor dir zurück.
Unaufhörlich ringen
Soll des Hirnes Hast,
Nichts die Hand vollbringen,
Wie's die Brust erfaßt.
Fremd und irrend schwebe
Durch das klare Sein,
Leeren Träumen lebe,
Selbstgebautem Schein.
Wandle durch den Reigen,
Der sich gierig drängt,
Bis dich einst in Schweigen
Atropos empfängt. –
Rinne, Faden, rinne
Aus der ernsten Hand,
Statt der Ruh' gewinne,
Sturm und Unbestand.
Das lesende Kind
Auf den Schoß das Buch gebreitet,
Scheinst du nichts um dich zu missen,
Starrst hinein, indes beflissen
Über's Blatt der Finger gleitet.
In das Meer der Zeichen leitet
Dich kein Können noch und Wissen,
Unbeschränkt, in schwanken Rissen
Sich dein junges Sinnen weitet.
Süßes Dämmern! Traumumwoben
Schläft das Denken noch im Neste,
Nur das Fühlen schwebt nach oben.
Ach, des Lebens trübe Reste
Bleiben, wenn der Flor gehoben –
Das Geheimnis ist das Beste.
Frühlingsgebet
Wieder wallen die süßen Lüfte
Und den farbigen Brautkranz
Flicht die Erde, die ewig junge
Wieder in's perlenglitzernde Haar;
Aufleuchtend erglüht
Zu neuer Freude das Auge,
Das zum Staube sich trüb' gesenkt;
Hoffend wendet das Herz sich
Der Zukunft zu,
Die sich golden auftut,
Und auf die Lippen drängt,
Innig geflüstert
Sich das tiefste Gebet der Seele.
Selten in mein Herz
Ist der fröhliche Lenz gekehrt,
Und meine Blüten
Hast du mit Schauer umweht und Frost,
Finster waltendes Schicksal:
Hast mich früh hinausgedrängt,
Mit dem Leben zu kämpfen,
Und strenge Notwendigkeit
Verscheuchte die süßen Bilder,
Welche die Dichtung spinnt,
Die sorgenlose, die ewig
Heitere Göttin.
Gabst du den Kampf, ich habe gekämpft!
Wirst du die Sonne mir verhüllen,
Im Dunkel werd' ich suchen den Weg –
Eins nur begehre ich.
Laß mir die Seele frei von Bitternis,
Daß mir immer traut und verständlich
Die Sprache sei,
Die der Mai spricht,
Daß keine Rose vergebens
Den köstlichen Hauch mir entgegenwehe,
Kein Lied,
Das freier Kehle wirbelnd entsteigt,
Ungehört an das Ohr mir schlage ...
Laß mir die Seele frei von Neid,
Laß mich glücklichere Lippen
Schlürfen seh'n der Freude Labetrunk
Und dann ruhig zurückkehren
Unter die Last der Arbeit,
In den eisernen Dienst der Pflicht.
Ade!
Ade! Du schreitest zum Altare,
Zu schließen froh das frohe Band,
Und ich, vertraut dir manche Jahre,
Seh' stumm sich fügen Hand in Hand
Aus meinen Lippen weicht das Blut,
Im Herzen zuckt empor das Weh, –
Sei still da drin ... Es ist so gut –
Ade!
Es ist so gut. Ob auch mein Streben
Sich nur um deinen Beifall hob,
Ob, was die Muse eingegeben,
Für dein Ohr ich zu Liedern wob.
Das Leben braucht der festen Hand,
Der Weg, den ich, der Träumer geh',
Trägt Unkraut nur und Flittertand, –
Ade!
Umdunkelt ist mein Weg. Doch deinen
Umfließe hell der Sonne Licht:
Und keine Stunde soll erscheinen,
Da dir das Wort, die Hoffnung bricht.
Die Eintracht kröne deinen Bund,
Und ich, der still im Schatten steh',
Ich seg'ne dich mit zitterndem Mund ...
Ade!
Nach dem Streike
Wir schweigen schon. Ihr habt gewonnen,
Ihr Männer vom Gesetz und Recht,
Und sicher seid ihr eingesponnen
In eurer Ordnung eng' Geflecht.
Wir schweigen schon. Stolz durft ihr zeigen,
Wie ihr gebeugt, was euch bedroht:
Wir schweigen schon und werden schweigen,
Allein wir hungern, schafft uns Brot!
Ihr sagt, uns eine keckes Wagen,
Zu stürzen eures Staates Bau –
O glaubt, in uns das grimme Nagen
Umgrenzt das Denken sehr genau;
Wir achten still, was fest und eigen,
Und uns're Fahne ist nicht rot:
Wir schweigen schon und werden schweigen,
Allein wir hungern, schafft uns Brot!
Im tiefen Schacht, von Luft und Lichte,
Von jedem frohen Blick entfernt,
Gefahr, wohin der Fuß sich richte –
Wir haben tragen es gelernt.
Wir wissen uns dem Los zu neigen,
Wir geh'n für's Leben in den Tod:
Wir schweigen schon und werden schweigen,
Allein wir hungern, schafft uns Brot!
Vernehmt uns! Euer Ohr verwehre
Nicht mehr den Eingang uns'rem Flehn!
Und helft, daß von des Mangels Schwere
Nicht Weib und Kinder uns vergeh'n!
Und laßt es nicht zum Höchsten steigen,
Bedenket, Eisen bricht die Not –
Wir schweigen schon und werden schweigen,
Allein wir hungern, schafft uns Brot!
Blütenregen
Welch frohes Wallen!
Welch bunter Gruß!
Die Blüten fallen
Vor deinen Fuß.
Doch was dies Blinken,
Hast du's bedacht?
Ein seufzend Sinken
In Todesnacht.
Dämmerstunde
Sprich nur, sprich!
ich hör die Rede rinnen,
ich höre dich.
Durch das Ohr nach innen
gleitet die Welle,
Frieden trägt sie und Helle
tönend mit sich.
Ich hör die Worte rinnen -
ich will mich auf keins besinnen:
ich höre dich.
Ekloge
Duftreich ist die Erde und die Luft kristallen,
Und das Moos erzittert unter deinem Fuß,
Aus dem Schilfrohr hör ich's wie von Pfeifen schallen,
Und vom Hagedorn fällt heller Blütengruß.
Und das Aug' von Freude naß,
Fragst du: ja, was soll all das?
"Was?" ruft der Vogel und die Blume spricht:
"Anders kommen doch des Lenzes holde Wunder nicht!"
Hell dein Blick, dein Atem süß vom Duft der Erlen,
Und es bebt dein Busen, wie ich dich umfang';
Wie aus hartem Felsen springen Quellenperlen,
Bricht aus meinem Herzen glühender Lieder Drang.
Und das Aug' von Freude naß,
Fragst du: ja, was soll all das?
"Was?" ruft der Vogel, und die Blume spricht:
"Anders kommen doch der Liebe holde Wunder nicht!"