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Neue Gedichte
Friedrich Adler

Leipzig 1899
Georg Friedrich Meyer

Gedichte 2
 

Carl Egon Ebert
Leid
Der Baumeister
Glück
Mein Teekessel
La sala de los muertos
Schade
Einsamkeit
Dein Wort
Träume
Mit einem kleinen Boot
Der Schnellläufer
Wirke, bilde!

 
Vor dem Spital
Juni
Alles in Blüte
Triest
Der Kaiser
Einem Dichter

 
Ein Gebet
Das erste Mittagsmahl
Dämmerstunde
Alarichs Bestattung
Beethoven
Mozart

 

Carl Egon Ebert

Seit sich mein Ohr des Wortes Ohr geöffnet,
War heilig mir dein Name auch gewesen,
Des Dichters, der in Böhmens harten Grund
Den Keim der deutschen Poesie gelegt —
Und Ehrfurcht war's, die mir die Lippe schloß,
Als ich vor dir, dem Achtzigjährigen stand.

Doch deine Milde löste rasch den Bann.
Bald plauderte ich dir von meinen Plänen,
Und du, wie Wissende mit Wissenden,
Besprachst das Handwerk und das Kunstgeheimnis
Und gabst auf Fragen liebevolle Antwort.
Ich aber klagte, daß mein heißes Streben
Durch keine edle Frucht noch ward belohnt.
Drauf tröstend du, mit väterlichem Ton:
"So jung, wie Sie!" Doch mit schnellem Einwand:
"Ich bin so jung nicht mehr." Du, halb verwundert,
Sahst lang mich prüfend an, und ich voll Nachdruck:
"Nein, ganz gewiß, ich bin schon vierundzwanzig!"

Da glitt ein Lächeln über deine Lippen.
"Schon vierundzwanzig, vierundzwanzig Jahre!"
Sagtest du langsam, nicktest mit dem Kopf
Und sankst in Schweigen . . .

Was dich bewegt, ich weiß es heute besser.
Und wehmutvoll seh' ich das alte Bild,
Das stille auftaucht aus vergangnen Tagen:
Den Jünger, träumend von der goldnen Ernte,
Der stolzen Ruhe nach vollbrachtem Werk,
Den Meister, träumend von dem weiten Saatfeld,
Das überquillt von drangvoll neuem Leben.

Leid
(Beethovens neunte Symphonie, erster Satz.)

So viel Schmerz und warum?
So viel Kampf und wozu?

Es schüttet die Erde
Die Keime des Lebens
Sorglos hinaus,
Und sie wachsen, sie reifen,
Sie reifen und sterben.
Und dazwischen wie wenig
Leuchtet des Lichts!
Tausend Fäden,
Die ungeleitet irren,
Müssen sich finden
Und sich verweben,
Ehe der Freude
Karger Mantel das Herz umhüllt.
Aber jeder Faden,
Der fehlt des Weges,
Ist eine getäuschte Hoffnung,
Ist ein brennendes Leid.

Und schreiten seh' ich
Über das Leben hin
Die Woge des Unglücks.
Hoch auf
Bäumt sich ihr Berg,
Und wie sie herabstürzt,
Trifft ihr breiter Fall
Zahlloses Sein.
Und von ihr stäuben
Millionen Tropfen,
Und jeder Tropfen
Tötet ein Glück
Und verwundet ein Herz.
Und rastlos, endlos
Erneut sich die Woge
Und steigt und fällt.

So viel Schmerz und warum?
So viel Kampf und wozu?

Und die zitternden Wesen,
Getrieben vom Schicksal,
Eilen dahin
Und ducken sich bange,
Oder füllen die Frist
Mit flüchtigem Lachen.
Ehe sie selbst erliegen
Dem furchtbaren Los,
Kehren sie ab ihr Antlitz
Vom Grauen des Daseins.
M i c h  aber treibt es,
Den Jammer zu hören,
Das Weh zu empfinden,
Mich eins zu fühlen
Mit allen, die leiden.

Nicht wenden kann ich
Die bittere Qual,
Keine Hilfe hab' ich für euch.
Aber weinen will ich
Und mit euch beben,
Und eures Schmerzes Widerhall
Gieße Trost in die Pein.
Kommt heran, ihr Bedrückten:
Alle Not,
Die dumpf auf euch lastet,
Alle Verzweiflung,
Die austönt im Schrei,
Alles Ringen,
Das lautlos zusammenbricht —
Kommt, mein Herz ist euch offen:
Und es will dulden,
Und mit euch leiden,
Von aller Qual
Erzucken und schauern,
Und, alles Weh der Erde
In sich zusammenfassend,
Laut stöhnen und klagen:

So viel Schmerz und warum?
So viel Kampf und wozu?

Der Baumeister

Vollendet heute ist das Haus —
Bescheiden tret' ich nun heraus,
Wo ich gewaltet ohne Rast,
Und bin nicht Herr mehr, bin nur Gast.
Der frohe Eigner zieht herein —
Mag's ihm zu Lust und Segen sein!
Doch wer auch drinnen herrschen mag,
Das Haus, das leuchtet hell am Tag,
Es ist doch mein und bleibt es auch.
Es wuchs von meines Geistes Hauch:
Wie ich es dachte, ich es sah,
So steht's durch meine Arbeit da.
Ich fühl' es recht, wie frohbewegt
Sich meine Schöpferkraft geregt,
Und sorgt' ich drum bei Tag und Nacht,
Ich hab' es doch für mich gemacht.
Im neuen Haus, das stolz sich hebt,
Nun wohnen darinnen, regt und strebt
Und werbt drin um des Glückes Lohn —
I c h  habe meine Freude schon!

Glück

Seit ich die Augen aufgeschlagen,
Hab' ich gelitten und entbehrt,
Ich sah ins Antlitz dem Entsagen
Und rang und kämpfte — ohne Schwert.

Allein wie viel mich Not getroffen,
Und ob's auch töricht mir erschien,
Es rief in mir: Noch sollst du hoffen,
Noch wird das Glück ins Herz dir ziehn.

Nicht dacht' ich, was es sollte bringen,
Ich fühlt' es schweben nur von fern,
Ein unbestimmtes Träumen, Klingen,
Ein Sehnen ohne Form und Kern.

Und all mein Streben und Verlangen
Ward sanft und still mit einemmal,
Das Herz gerüstet, zu empfangen
Des Friedens Licht, der Freude Strahl.

Und alles sah dem Glück entgegen,
Fort bannt' ich allen Wust und Dust,
Daß, wenn es kommt mit seinem Segen,
Es finde rein und frei die Brust;

Daß es zutiefst mich heilige, weihe
Und mild mir übergieße ganz
Der schweren Jahre dunkle Reihe
Mit seinem weichen Silberglanz.

Wohl hör' ich bang den Zweifel fragen,
Was mir der wirre Traum noch frommt —
Doch siegreich dringt durch alles Zagen
Der leise Ruf: Es kommt, es kommt!

Mein Teekessel

Morgens bereit' ich mir selbst den Tee.
Stelle den Kessel zurecht, wie von je,
Und der Weingeist flackert und flammt.
Warten ist nicht mein Lieblingsamt,
Und ich schaue nach andern Dingen.
Bald beginnt's zu summen, zu singen,
Aber ich bin gewohnt, es zu hören,
Lasse davon mich im Tun nicht stören
Jetzt wird's dumpfer, es brodelt munter,
Tropfen fallen zischend herunter,
Endlich ein Brausen wie beim Katarakte,
Und der Deckel im stürmischem Takte
Tänzelt und klappert ohne Ruh' —
Und jetzt spring ich eilig herzu.

Weißt du, mein Kessel, ich lieb' dich so. —
Stoß' ich auf etwas, was dumm und roh,
Auf die Stumpfheit, welche kein Schaffen,
Und kein Denken empor kann raffen,
Auf verjährte dunkle Gewalten,
Welche die Zeit im Zaume halten,
Auf manch läppischen Tagesstrauß,
Dann — es hilft nichts — muß es heraus.
Ist wer dabei, Gott schütze jeden!
Ich muß den Ärger herunterreden.

O ich seh' es wohl, wie die Klugen
Seitwärts zu mir herüberlugen,
Weil sie, die Gesetzten und Reifern,
Nie sich über etwas ereifern,
Immer besonnen und gemessen,
Niemals im Ausdruck sich vergessen,
Wie sie lächeln so mitleidsvoll —
Aber ich  w i l l  nicht bergen den Groll,
W i l l  mich ärgern und will zanken,
W i l l  das Brodeln in meinen Gedanken,
Will es merken an meiner Hast,
Daß mich noch etwas ergreift und faßt.

Gönnen wir andern den kühlen Frieden,
Wir, mein munterer Kessel, wir sieden!

La sala de los muertos

"Und dies, Herr, ist das Refektorium,
Die Leute nennen es den Saal der Toten."
Der Führer sprach es, wie gesetzt auf Noten,
Ich hörte ihn und fragte mich warum.

Denn, wie ich eintrat, blieb mein Blick gebannt
Von einem Freskobild in lichten Farben:
"Herr Jesus segnet auf dem Feld die Garben —"
Es deckte breit des ganzen Saales Wand.

Die Schnitter lagern, andere stehn um ihn,
Den Herrn, gereiht, der strahlt im hellsten Scheine;
Den Saum des Mantels küßt der Frauen eine,
Die andern, Kränze in den Haaren, knien.

Die Lust an Arbeit und am Leben lag
Auf jedem Angesicht. Der Führer nickte:
"Da blieb noch jeder stehn, der das erblickte,
Der Meister unbekannt, altspanischer Schlag!

Und seht, in diesem Saal — Napoleon
War in das Land gewaltsam eingedrungen,
Verzweifelt ward um unser Recht gerungen,
Selbst Heldenmädchen — nun, das wißt Ihr schon.

Erobert ward auch diese Stadt. Der Feind
Nahm Rast im Kloster, drin die Jesuiten
Zwar mit dem blanken Schwert nicht mitgestritten,
Doch heiß fürs Land gebetet und geweint.

Der Orden grüßt des Kaisers General,
Wie's Unterlegnen ziemt, und eifrig rüstet,
Da es den Sieger nach Erfrischung lüstet,
Im Kloster man das überreiche Mahl.

Doch der Franzose: "Ruft den Prior mir!
Schönen Dank! Doch würzt dem Feinde man die Speisen
Vielleicht zu stark! Wollt Ihr Euch gastlich weisen,
So speist mit uns der ganze Orden hier!"

Des Klosters Brüder setzen sich zu Tisch.
Und festlich wird das Gastmahl aufgetragen:
Die Gäste alle lassen sich's behagen,
Und Weine fließen, und der Mut wird frisch.

Sie scherzen: "Ei, man lebt hier gut im Stift!"
Da steht der Prior auf, steht kerzengrade:
"Ihr Herrn! Empfehlen wir uns Gottes Gnade!
Wir aßen  m i t  Euch . . . in dem Mahl war Gift!" —

Der Führer pries der Mönche Todesmut —
Mich aber faßte tief ein wilder Schauer,
Und jenes Bild des Friedens an der Mauer
Erschien mit einmal mir getaucht in Blut.

Ihr Blick hing brechend an dem Angesicht
Des Heilands, der das Brot in Milde segnet —
Und bang, als wär' dem Tode ich begegnet,
Floh ich hinaus ins freie Sonnenlicht.

Schade . . .

Hoffnungen, den aufgescheuchten
Vögeln gleich, durchziehn die Weiten,
Und im Geist mir wetterleuchten
Hunderttausend Möglichkeiten.

Steh ich oben? Lieg ich unten?
Lösen wird es sich beizeiten —
Schad' nur um die blitzend bunten
Hunderttausend Möglichkeiten!

Einsamkeit

Am Waldesrand wird tapfer geschmaust:
Ich nehme nicht Aufenthalt,
Mich treibt es dahin, wo es braust und graust,
In den dichten, den finstern Wald.

Mich zieht es hinein in den tiefen Tann,
Wo still das Geheimnis spinnt,
Mein pochendes Herz eilt wild voran,
Und es lockt mich raunend der Wind.

Das Lachen verschwimmt, das den Wald durchbrach,
Nur langgehalten dringt
Fern noch des Hornes Ruf mir nach,
Allein auch dieser verklingt.

Und weiter treibt mich der Sehnsucht Macht,
Es stirbt des Tages Schein,
Und nun steh' ich in schwarzer Waldesnacht,
Und schauernd bin ich allein.

Und mir ist, als wär' mir genommen ganz,
Was andere Herzen erhellt,
Kein Schimmer mein von der Freude Glanz,
Kein Boden in all der Welt.

Sie streben so sicher und kerngesund
Und schaffen im Leben sich Raum,
Fest stehen sie da auf der Erde Grund:
M e i n  Reich, es liegt im Traum.

Verronnen rasch ist des Lebens Frist,
Und ich nütze sie nicht, die Zeit:
Es sprengt mein Herz, das endlich ist,
Meines Sehnens Unendlichkeit.

Was will ich? Es ist mir nicht bewußt —
Doch möcht' ich in brausendem Wehn
Das Sein empfinden in voller Brust
Und dann im All vergehn.

Im All, geheimnisvoll und hehr,
Das traulich zu mir spricht
Aus dem schweigenden Wald, aus des Dunkels Meer
Und der Sterne ewigem Licht.

Dein Wort

Wie grau der Tag, wie leer das Leben!
Kein Ziel, kein Glück hob mich empor,
Ein trostlos ödes Weiterweben —
Da klang dein Wort mir an das Ohr.

Es sprach in Lauten, nie vernommen,
Von halb verklungner Seligkeit,
Von Funken, die noch nicht verklommen,
Von einem Altar, nicht entweiht.

Mir war, wie wenn in Kerkermauern
Mit einmal fiele breites Licht,
Die Seele fühlte tiefstes Schauern,
Doch waren's dunkle Schauer nicht.

Es war ein mutig Aufwärtsschweben,
Ein Atemholen, frei und tief,
War Ahnungsschein von einem Leben,
Das unter düstern Nebeln schlief.

Des Höchsten wollt' ich mich erkühnen,
Und alle Blüten meines Ich,
Die du gerufen in das Grünen,
Sie sollten duften nur für dich.

Allein die Nacht, die lang und bange
In mir geherrscht, weicht nicht so leicht,
Ich fühle, wie der Sorge Schlange
Mein aufwärts ringend Herz beschleicht.

O sprich nun wieder! Laß mich hören
Dein liebend Wort, so weich und mild,
Es  m u ß  den bösen Zauber stören,
Freigeben, was zur Höhe quillt.

O sprich! ich häng an deinem Munde —
Nur Sieg um deinetwillen, Kind,
Auf das gesegnet sei die Stunde,
Da wir zwei uns begegnet sind.

Träume

Da ich erwache in schwüler Nacht,
Halb nur war ich im Schlummer gelegen,
Fühl' ich ein Wildes, das mit mir wacht,
In dem pochenden Herzen sich regen.

Unrecht kam heut höhnend zum Sieg,
Ganz umsonst mein redliches Streiten,
Nun grollt weiter in mir der Krieg,
Grollt und läßt sich zur Ruh' nicht leiten.

Und in die heiße Woge Blut,
Immer vergeblich niedergestritten,
Mischt sich mit einem Mal die Flut
Allen Unrechts, heute gelitten.

Aller Wille, der heut erdrückt,
Alle Wahrheit, heut überlogen,
Alles Bewußtsein, heute zerstückt,
Alle Ehre, in Staub gezogen —

All das wogt und schäumt nun empor
Und überkocht in mächtigem Branden!
Fand es am Tage auch kein Ohr,
Jetzt im Traum ist es frei von Banden.

Und der Trotz aus den Herzen springt,
Die in Schweigen und Dulden pochten,
An die Decke des Himmels dringt
Jetzt das Zürnen der Unterjochten.

Drohend pulst durch die Welt der Drang,
Sicher, das Ziel einst zu erreichen,
Sei es auch mit dem Untergang
Jegliche Rechnung auszugleichen.

Durch die Nacht, ein grimmiger Hauf',
Stürzen die Träume wild zum Gefechte —
Morgen wird's, und die Sonne geht auf
Über Gerechte und Ungerechte.

Mit einem kleinen Boot
An R.

Vom deutschen Meer, das braust mit Macht,
Komm' ich herangezogen,
Ein Gruß ist meine ganze Fracht,
Ich trug sie durch die Wogen.

Von Gold und Silber unbeschwert,
Darf ich nicht stolz erscheinen:
Gibt der Empfang mir nicht den Wert,
Ich selber habe keinen.

Vertrauend deiner milden Art,
Versuch' ich hier zu landen —
Du läßt mich auf der ersten Fahrt
Doch nicht erbärmlich stranden?

Der Schnellläufer

"Siebenmal um die Mittagstunde
Lauf' ich die ganze Wandelbahn!"
So der Alte mit kreischendem Munde.
"Aufgepaßt! Schlag zwölf tret' ich an!"

Und zu Mittag — buntes Gedränge
Schwillt und belebt den weißen Strand;
Schellengeklingel! Und durch die Menge
Eilt der Läufer im Schalksgewand.

Und der hagere Alte hastet,
Schmal ist die Bahn, das Getümmel dicht,
Doch er windet sich durch und rastet
Auch beim schwierigsten Hemmnis nicht.

Läuft, an die Hüften gepreßt die Hände,
Läuft und achtet sorglich darauf,
Daß er biegsam den Körper wende,
Zierlich vollende den Dauerlauf.

Ärgerlich schauen zuerst die Leute
Auf den klingelnden Harlekin,
Wissen nicht, was der Mann bedeute,
Lassen in achtlos weiter ziehn.

Er aber wirft mit Winken und Nicken
Dankbare Grüße ohne Zahl,
Und verkündet mit siegenden Blicken
Ohne Atem: zum viertenmal!

Wieder hetzt er und schüttelt die Schellen —
Kaum, daß einer nach ihm seh' —
Ich allein verfolg' den Gesellen,
Weil ich den armen Narren versteh'.

Alle drängen wir, jagen und streiten,
Dieser geht unter, jener gewinnt . . .
Daß die Augen der Welt uns begleiten,
Glauben wir alle, wie wir sind.

Wirke, bilde!

Wirke, bilde! Ob im Leben,
Ob im Zauberland des Scheins,
Zwing des Stoffes Widerstreben,
Sei mit deinem Schaffen eins.

Freu dich, wenn es Frucht getragen!
Aber köstlicher noch bleibt
Jener Tropfen Unbehagen,
Der zu neuem Werke treibt!

Vor dem Spital

Bett an Bett! Rings blasse Wangen,
Augen, vom Ertragen matt,
Drückend Schweigen, schweres Bangen,
Und die Luft von Dünsten satt.

Nun ins Freie! Gleich am Tore
Pfeift entgegen mir der Wind,
Kündet lustig meinem Ohre,
Daß hier die Gesunden sind.

Und da schreiten sie und jagen,
Weib und Mann und Kind und Maid, —
Helle Luft und frisches Wagen,
Ewige Geschäftigkeit.

Was gebrochen, was verloren,
Sie vertrauns den Lippen nicht,
Schmerzen, welche innen bohren,
Deckt ein lächelndes Gesicht.

Alles will die Kräfte zeigen,
Sucht des Lebens vollen Drang,
Und so geht der bunte Reigen
Froh und farbig seinen Gang.

Hier und dort ein flüchtig Stocken —
Das Geschick trifft seine Wahl —
Und die Opfer, tief erschrocken,
Schleichen fort sich aus der Zahl.

Zwischen Mauern, ungesehen,
Zagen sie mit bleichem Mund,
Ob sie wieder auferstehen —
Draußen ist die Welt gesund!

Juni

Ein Sommerguß. Wie klatscht und prasselt das!
Und alles läuft. Rasch ist der Schwarm zerflogen.
Zwei Jungen stehn im Wege, triefend naß,
Und schauen starr hinauf zum Regenbogen.

Alles in Blüte

Alles in Blüte, alles in Schimmer!
Ist das dieselbe Sonne noch immer,
Die sonst ich sah?
Hör' ich die düstre Frage des Weisen:
Ist ein Lebendiger glücklich zu preisen?
I c h  rufe: ja!

Tückische Nebel rauchen und fauchen:
Bald wird die Wonne dir niedertauchen
In Finsternis.
Weiß nicht, wie sich das Glück gestalte —
Doch daß ich's  h e u t e  habe und halte,
Weiß ich gewiß!

Triest

"Zum neuen Hafen!" Wir steigen ein.
Die Adria liegt im Morgenschein,
Die kleinen Wellen hüpfen und springen,
Uns den ersten Gruß des Meeres zu bringen.

Du tauchst den Finger hinein in die Flut
Und streifst die Lippen und sagst: "Es ist gut."
Denn ohne das Salz zu kosten, wäre
Man eigentlich gar nicht auf dem Meere.

Und schweigend schauen wir beide vereint,
Wie der Himmel die See zu umfangen scheint,
Und fühlen, indes uns die Lüfte umkosen,
Den Schauer vor dem Uferlosen.

Und jetzt im Hafen! Farbenbunt
Gibt sich das Leben des Südens kund,
Maste und Segeltücher und Schlote
Und dazwischen behende Boote.

Und wir können nicht staunen genug,
Nahn einem Schiff mit gewaltigem Bug,
Da — ist es Täuschung, was ich merke? —
Stocken die Leute mitten im Werke.

Und auf  u n s  nur blicken sie alle her,
Und lächeln und lachen und immer mehr —
Erraten sie denn und auf welche Weise,
Daß wir ein Paar auf der Hochzeitsreise?

Und alle lachen, soweit wir sehn,
Schiffsjunge, Matrose und Kapitän,
Es blinzelt selbst der Alte im Nachen —
Und wir allein sollten nicht lachen?

Ist doch das leuchtende Meer nur ein Stück
Von unserm ungemessenen Glück,
Weil wir in diesen seligen Tagen
Die Welt und die Sonne im Herzen tragen!

Der Kaiser

Sein Herz so mild, die Seele so reich,
Allein das Antlitz totenbleich,
Der Leib ist matt, lang dauert es nicht,
Doch übt er noch treu des Herrschers Pflicht.

Und alles, was er gewollt und gedacht,
Das schreibt er, eh ihn umfängt die Nacht,
Auf ein weißes Blatt mit bebender Hand,
Und jubelnd grüßt es das weite Land.

Er aber seufzt: "Die Schrift, wie tot!
Wohl möcht' ich bringen das Morgenrot,
Doch warm aus dem Herzen, von Mund zu Mund,
So tät' ich's dem harrenden Volke kund.

Noch einmal, wie es vor Zeiten war,
Vom Throne spräche ich laut und klar,
Von fühlenden Lippen ins fühlende Ohr,
Und höbe mich stolz und freudig empor.

Ich rief, als der Dampf der Schlachten gegraut,
Zum Werke der Liebe fehlt mir der Laut,
Lebendig wirkt nur Lebendiges fort —
Ein Wort, ein mächtig hallendes Wort!"

Und es flammt ihm das Auge von heiliger Glut,
Ins blasse Antlitz tritt ihm das Blut,
Er ringt nach dem Wort, das die Seele befrei',
Dann lispelt er leise: "Vorbei, vorbei!"

Einem Dichter
Jaroslav Vrchlicky

Wild tobt des Lebens Kampf einher,
Der Taumel bindet alle Sinne,
Gering gilt, was nicht dient zur Wehr,
Und unnütz, was nicht zum Gewinne.

Der Schönheit Dienst wird arg gehöhnt,
Ein leeres Ding für müßige Leute,
Und wem die Seele leise tönt,
Der birgt sich ängstlich vor der Meute.

Doch kommt ein Tag: da stockt die Jagd,
Es brennen heiß die matten Lippen,
Es wacht ein Sehnen auf und klagt:
"O einen Trunk! Nur um zu nippen!"

Dann naht der Dichter — lang gehegt
Hat er der Erde reine Gabe,
Und tröstend an die Lippen legt
Den Lechzenden er milde Labe. —

So wahrst auch du den hohen Schatz
Und sorgst mit Liebe, ihn zu mehren,
Scheint für ein Lied auch jetzt kein Platz,
Die Stunde kommt, da sie's begehren.

Dann drängen sie heran voll Qual —
Du aber hältst den Reichtum offen,
Und zündest mit der Schönheit Strahl
In bangen Herzen Mut und Hoffen.

Ein Gebet

Heut morgens hab' ich ein Gebet vernommen,
Wie noch kein bess'res mir ans Ohr gekommen.
Es sprach's ein Weib, den Knaben an der Hand,
Die mühsam sich durchs Marktgetümmel wand.
Der Knabe sah die Weihnachtsherrlichkeiten
Und ließ begehrlich seine Blicke gleiten,
S i e  sprach und schaute freudig auf das Kind:
"Gib, Gott, nur Kraft, daß ich mich tüchtig schind'!"

Das erste Mittagsmahl
Mit Veilchen

Die wir als des Frühlings schlichte
Lieblingskinder stille blühn,
Grüßen gern, erwacht zum Lichte,
Junger Hausfrau erst Bemühn.

Ihren sanften, süßen Sorgen
Fühlen wir uns tief verwandt:
Alles Beste blüht verborgen,
Wirkt, nach außen ungekannt.

Neu erwacht sind Frühlingsweisen,
Lenz im Herzen, in der Luft —
In den Duft der ersten Speisen
Mischen froh wir unsern Duft.

Dämmerstunde

Sprich nur, sprich!
Ich höre die Rede rinnen,
Ich höre dich.

Durch das Ohr nach innen
Gleitet die Welle;
Frieden trägt sie und Helle
Tönend mit sich.

Ich höre die Worte rinnen —
Ich will mich auf keins besinnen:
Ich höre dich.

Alarichs Bestattung
                   Nächtlich am Busento lispeln, bei
                   Cosenza dumpfe Lieder . . .


Nun zieht hinaus — euch traf das Los,
Den König zu begraben.
Ich seh, die Augen leuchten groß
Euch Männern und euch Knaben.
Flußabwärts geht und wählt den Ort —
Kein Blick wird euch geleiten,
Es weht der Wind die Spuren fort,
Die eure Füße schreiten.

Sein Ruhm lebt fort im Liede —
Dem Leibe sei der Friede!

Tief im Busento ruh' er aus!
Da baut dem früh Verblühten
Sein steinernes, sein ewig Haus
Und laßt den Strom es hüten.
Die Rüstung nehmt, nehmt rotes Gold
Und nehmet kostbar Linnen —
Was stolz und stark, was licht und hold,
Tragt ihr mit ihm von hinnen.

So schlaf' in vollem Prangen,
Der jäh von uns gegangen!

Und wo der blonde König ruht,
Kein Lebender darf's wissen —
Was sie verbirgt, der dunklen Flut
Wird's nie und nie entrissen.
Ich habe euern Schwur als Pfand,
Und traue eurer Stärke —
Auch du, mein Sohn, nimm meine Hand,
Dann auf zum großen Werke!

Verrat ist nicht bei Goten,
Doch stumm sind nur die Toten!

Beethoven
(Neunte Symphonie, vierter Satz)

Ich bin ein Mensch und will meine Freude!

Schal wird der Trunk
Den das Glück kredenzt
Millionen von Lippen;
Ungenossen und unempfunden,
Bringt er nur dumpfes
Gefühl der Trägheit.
In  m i r  aber
Sollte er aufglüh'n
In unendlicher Glut
Und von dem Rausche
In  m e i n e r  Brust
Sollte in tausend Herzen hinüber
Springen der Funke
Doppelten Lebens,
Doppelten Heils!

Aber vergebens!
Ein Spiegel bin ich,
Den Licht nicht traf,
Eine klangvolle Saite,
Die den Meister nicht fand,
Ein Echo, harrend auf ein erlösendes Wort,
Das nicht gekommen.

Und nun schau' ich in Bitterkeit
Zurück auf den Weg.
Mir schlägt kein Herz,
Das selig macht,
Mir ward kein Boden,
Auf dem ich stehe,
Einsam leb' ich
Mit meiner Seele,
Und selbst die Pforte,
Durch welche die Welt des Klanges einströmt,
Ist mir verschlossen.

Und doch, du klagendes Herz,
Belügst du mich nicht? —
Was immer mir gestorben,
E i n s  lebt in mir:
Die Kraft zu schaffen,
Die mich gleich macht dem Gott!

Laß sie zersplittern, die morsche Welt!
Ich bau' sie aus Nichts
Herrlicher, reiner,
Und all das, was ich im Traum ersehnt,
Gibst du mir, meine Kunst!
Unendliche Seligkeit,
Wonne sonder Reue,
Das Schweben über dem Abgrund
Ohne Sorge, ohne Grauen.
Wunderbar Geheimnis,
Das aus Geräuschen Töne bildet,
Aus nüchternen Worten hehren Gesang,
Leuchtende Farben aus grauer Erde —
Du überwindest
Des Leibes Gebrechen,
Du füllst mit Göttern
Den entvölkerten Himmel
Und überschüttest mit blühenden Blumen
Die Wüste der Seele!

Aus der Nacht,
Aus dem Trotz mit dem Schicksal
Ringt es sich auf —
Im Herzen innen
Wallt und wogt mir
Ein uferloses Meer,
Und siegreich tönt
Aus Leid und Not,
Aus dem flüchtigen Taumel des Lebens,
Aus dem wilden Schäumen des Grolls,
Aus schmerzlich nutzlosem Sehnen
Hell und klar
Nicht die Verheißung des Glücks,
Das Glück  s e l b s t,
Und meine Seele jauchzt:

F r e u d e,  s c h ö n e r  G ö t t e r f u n k e n!

Mozart

Glöckchenklang und süße Flöte
Öffnen dir der Weisheit Pforte,
Neuen Lebens Morgenröte
Grüßt dich mit geweihtem Worte.

Rosen decken und verklären
Dir den strengen Weg zum Ziele:
Lächelnd Glück wird das Entbehren
Und die Prüfung wird zum Spiele.

Was nicht düstre Stirnen lösen,
Löst das Herz, das sonnenhelle,
Gießt selbst um den Trotz des Bösen
Seine heitre Liederwelle.

Gib dich hin den holden Stunden,
Die den Mantel um dich schlagen,
Dich als Sieger ohne Wunden
In den Märchenhimmel tragen.