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Gedichte 3
 

Tedeum
Campo santo

Unter Buchen
An Lieschen
Ali
Nil admirari
Schönbrunn
Schulweisheit
Jonathan
Auf der Brücke
Die Uhr
Waldinneres
Mein Vorgänger
 
Schlußwort
Am Klavier
Der Vermittler
Guarda e passa!
Nachruf
Spruch
 
Verona
Ein Tagebuchblatt
Spatzen
Gruß aus Florenz
Der Blinde
Selbstbildnis
 

Tedeum

Schon drei Tage tobt der Sturmwind, kraftlos sinken aller Hände,
Jedes Kämpfen ist vergeblich, und sie harren auf das Ende.

An den Boden, an den Mastbaum pressen, klammern sich die Leute,
Stieren dumpf, reißt wild die Woge wieder einen mit als Beute.

Auf dem Deck, die Lippen blutlos, kniet Columbus im Gebete:
"Herr vergönne deinem Knechte, daß sein Flehen vor dich trete!

Einmal schon hast du geleitet meine Bahn auf irrem Pfade,
Die im Traume du mir gewiesen, du enthülltest die Gestade.

Deinem Namen, deiner Lehre wurden neue Reiche offen,
Und ich durfte den Verlornen künden Heil und frohes Hoffen.

Nur zu deiner Ehre wieder zog ich aus auf schwanken Wogen,
Doch des Satans Grimm vermißt sich und will hemmen deinen Segen.

Greif in seinen Arm, Gewalt'ger, brich des Sturmes wilde Schwingen,
Rette deines Heils Gefäße, dein ist Wollen und Vollbringen!"

Sieh, mit einem Mal im Westen wird die schwarze Wolle lichter,
Einer sieht's und kündet's, Freude färbt die starrenden Gesichter.

Und aufs Knie hin sinken alle: "Preis dir, Herr, von unsern Zungen!
Deine Diener sind geborgen, und der Satan ist bezwungen!"

Und die Wolken ziehn vorüber, und es winkt des Himmels Bäue,
Und hernieder schaut die Sonne, die das Leben schützt in Treue;

Sie, die ewig hehr und heilig ihres Glanzes Straße schreitet,
Über das, was ist und sein wird, ihres Lichtes Schimmer breitet.

Lächelnd blickt sie auf die Beter, die da liegen auf den Knien,
Feierlich zum Himmel schicken ihres Dankes Melodien.

Lächelnd blickt sie in die Herzen, drinnen Gier und Habsucht lauern,
Flugbereit, kaum, daß sie frei sind von des Todes dumpfen Schauern.

Lächelnd blickt sie auf den Einen, der, entflammt von edlem Wagen,
Hinzieht, Jammer und Zerstörung in die neue Welt zu tragen.


Campo santo

Zwischen stolzen Prunkdenkmälern,
Redend von erhabner Trauer,
Glitt mein müder Blick zu Boden.
Da zu meinen Füßen sah ich
Halb im hohen Gras versunken
Ein verwittert Liebeszeichen,
Schmerzlicher als all die andern.
Eine kleine Doppeltüre.

Derb geschnitzt aus schlechtem Holze,
Und davor ein Beet mit Rosen,
Dunkelroten, vollen Rosen.
Aber dicht an jene Türe
War gelegt ein Schloß von Eisen
Und mit Stacheldraht umwunden,
Und vom stillen Platz des Toten
Zu den dunkelroten Rosen
War versperrt ein jeder Weg.

Unter Buchen

Im Buchenwald bei Sonnenschein —
Es mag kein schöner Wandern sein:
Der Moosgrund weich, der Schatten dicht,
Nur überhuscht von Tupfen Licht.

Die hellen Stämme groß und stark
Und festgefügt bis in das Mark,
Ein Riesenheer, das ernste Wacht
Hält in der stillen Waldesnacht.

Welch stolzer Anblick rundherum!
Da sieh, ein Baum, ganz eigen krumm;
Auf einen Fels gestellt, umspannt
Den Stein er rings, wie eine Hand.

Inmitten ins Geröll vertrug
Den jungen Keim des Windes Flug,
Und da das Bäumchen Boden fing,
Schlugs eben Wurzel, wie es ging! —

Mein Auge labt sich an der Kraft,
Die grade aufragt reckenhaft,
Jedoch mein Herz freut sich am Baum,
Der im Gestein sich brach den Raum.

An Lieschen

Acht Tage alt, mein Mädchen!
Wie schnurrt des Lebens Rädchen
So lustig und geschwind!
So geht es fort auch künftig —
Und ach, man ist vernünftig,
Eh man sich recht besinnt.

Gerüstet war schon lange
Zu festlichem Empfange
Dein blinkendes Quartier.
Wie hieß man dich willkommen!
Wie wardst du aufgenommen!
Und nun, gefällt's dir hier?

Du schaust mich an — ja, freilich,
Das d u schweigst, ist verzeihlich,
Doch ich vermag es nicht.
Seit ich betrat die Schwelle,
War nie die Welt so helle,
War nie der Tag so licht.

Wie reich bin ich geworden!
In quellenden Akkorden
Ward Freude in mir wach.
Der Einsamkeit ergeben —
Und nun ein dreifach Leben,
Nein, hundert-, tausendfach!

Du Junges und wir Alten,
Wir wollen fest uns halten
An diese Welt, wir drei.
Des Glückes Tor steht offen —
Nun weiß ich, was das Hoffen
Und was die Zukunft sei!

Ali

Vor Sultan Ali trat, die Stirne kraus,
Der finstre Aga, der versah sein Haus,
Und sprach, sich tief verneigend: "Quell der Gnade,
Dein Lächeln sei die Sonne meinem Pfade!
Doch heut vergib, wenn ich Verdruß dir bringe,
Vor deinem Thron mit meiner Klage dringe.
Der Diener hundert stehn in deinem Sold,
Du überschüttest alle sie mit Gold,
Gibst kostbares Gewand uns Speis und Trank —
Sie aber frevelnd sagen schlechten Dank.
Denn sie — mit Grimm hab' ich's entdeckt zur Stunde —
Sie werfen deine Speisen vor die Hunde.
Zu reichlich gibst du . . . " Ali unterbrach
Des Aga Rede strengen Blicks und sprach:
"Du bist der Knecht und übest deine Pflicht;
Doch was den Herrn geziemt, das weißt du nicht.
Ich tu', was mein, und lohne, die mir dienen:
Was jene tun — vergebe Allah ihnen!"

Nil admirari

Nichts anzustaunen, das allein gewährt
Und bannt das Glück. Was Freund Horaz gelehrt,
Ich hab' es fast erreicht und bin nun Sieger —
Das zeigst du deutlich, ausgestopfter Tiger!

Wie lang, das ich zum erstenmal dich sah!
Ein Junge, blöd und täppisch, war ich da
Aus einem Städchen. fern von allem Leben,
Hineinversetzt in einer Hauptstadt Gassen
Mit ihren Häusern, ihren Menschenmassen,
Mit ihrer Hast, der keine Rast gegeben.
Noch band mich nicht zu sehr der Schule Pflicht;
Ich strich umher. Mit leuchtendem Gesicht
Sog ich die neuen Bilder in mich ein,
Die Wunder, ausgestreut an allen Ecken.
Ging ich auch fehl, ich ging doch stets allein,
Zu haben ganz die Freude am Entdecken.
Ein neu Erlebnis brachte jeder Schritt,
Mein Wissen wuchs, es wuchs die Seele mit.
Und einst, als ich halb träumend, halb im Wachen
Die Straße schritt, fuhr ich zurück entsetzt:
Aus einem Fenster blickte drohend jetzt
Ein Tiger her mit aufgesperrtem Rachen.
Wohl merkt' ich gleich, daß eine dicke Mütze
Den Kopf bedeckt, ein Muff im Maule hängt,
Sein Körper diente buntem Kram zur Stütze —
Allein der Atem blieb mir eingeengt:
Ich sah das Auge nur, das lauernd wacht,
Und starrte auf des Leibes stolze Macht.

Du stehst noch da, du lederner Gesell,
Und zeigst den Leuten dein geflecktes Fell.
Geh' ich vorbei, es streift mein Blick dich kaum.
Du bist mir in der Jahre weitem Raum
Vertraut geworden bis zum Überdruß —
Ich weiß zuviel von dir: das ist der Schluß.

Doch da ich heute wieder dich betrachte,
Fühl' ich, was unbewußt mich glücklich machte,
Wie voll das Herz mir aufging im Erkennen
Und wie gering, was sie Erfahrung nennen.
Froh sag' ich mir: Halt nur die Augen offen,
Verlorst du viel, du hast noch viel zu finden.
Kalt liegt die Welt nur da den Sehend-Blinden;
Unendliches darf noch dein Blick erhoffen,
Denn, mag die Klugheit ihre Sprüche raunen,
Des Lebens Glück ist,  a l l e s  anzustaunen.

Schönbrunn

Ein Wölkchen will auf deine Stirne sich legen —
Verscheuch' es gleich! Verdruß fliegt mit dem Winde
Und späht begehrlich, wo er Boden finde,
Und, faßt er Grund, ist er nicht wegzufegen.

Dich kleidet nur des Lichtes goldner Segen,
Die helle Freude ist dein Angebinde,
Und muß ich fürchten, daß sie dir entschwinde,
Wird mir so weh, wie zu Schönbrunn im Regen.

Der feuchte Sand weicht ächzend unterm Fuße,
Die grünen Mauern senden schüttelnd ihren
Ballast herab zu unwillkommnem Gruße.

Die nackten Göttinnen und Götter stieren
Hinauf zum Himmel, der im Kleid der Buße
Sie düstern Auges tauft, und frieren, frieren.

Schulweisheit

Da lehren sie dich von Jugend auf,
Was ist und was gewesen,
Den Ursprung kannst du und den Verlauf
In jedem Dinge lesen.

Und was du siehst, hat seinen Platz,
Und was du noch sehen wirst, seinen;
Mit deines Wissens reichem Schatz
Kann nichts dir neu erscheinen.

Nun trittst du kühn aus der Schule Kreis —
Wie schwirrt um dich das Gedränge!
Es macht den Kopf dir wirr und heiß
Und macht das Herz dir enge.

Und Mensch und Natur, wie wunderlich sind
Sie mit  d e i n e n  Augen zu sehen,
Die Sprüchlein, die du gehört als Kind,
Dir lernst du ganz eigen verstehen.

Der ganze Bau deines Lebens fällt,
Vor deinen bangen Gedanken:
So sicher schreitest du hinaus in die Welt,
Und nun ist alles in Schwanken.

Schreit' wacker zu und laß von der Qual
Des Suchens dich nicht schrecken —
Das Beste im Leben muß nun einmal
Ein jeder selbst entdecken.

Jonathan

Der Schrecken liegt auf Israel schwer.
Vordringt mit Hohn das Philisterheer,
Und Israel betet, der Priester Spruch
Legt streng auf Speise und Trank den Fluch,
Den zürnenden Herrn zu erweichen.

An heißem Tag zog Jonathan
Mit der Schar feldein, und siehe, da rann
Aus hohlem Baum von Honig ein Bach.
Er rief: "Vom Fasten werd' ich zu schwach!"
Und tauchte den Stab in den Honig.

Und wie er genippt, da fließt ins Blut
Ihm seltsam trotziger Übermut,
Und es brennt ihn die Schande, feige zu ruhn,
Und er fühlt den tobenden Trieb zum Tun.
Und er geht und schlägt die Philister.

Die Priester drohn. "Verdammt mich, verdammt!
Ich war's schon, da mir die Seele entflammt
Und ich konnte nicht tragen, was ihr ertrugt.
Und indes an die Brust die Faust ihr schlugt — —
Vermögt ihr es nicht, vergebt nicht!

Der Feind sank nieder auf blutigem Plan —
Nun sammelt euch wieder auf friedlicher Bahn,
Und wieder geruhig mag und bequem
Die Tugend messen den Weg wie vordem —
Den Durchbruch schafft nur die Sünde!"

Auf der Brücke

Spät abends ist es und ich geh'
Hin auf der Brücke Bogen,
Kein Laut ringsum, ich geh' und späh'
Hinunter in die Wogen.

Im Wasser blitzt und schwimmt kein Licht,
Lautlos die Welle gleitet,
Ein Schleier, grenzenlos und dicht,
Liegt drauf die Nacht gebreitet.

Ein Mantel, der so weit und weich,
Das Leiden zu umschmiegen,
Der Ruhe unbewegtes Reich,
Umarmend und verschwiegen.

Die Welt entstieg dem Schoß der Nacht
Mit stürmischem Begehren —
Nun lockt uns ihre stille Macht,
Zu ihr zurückzukehren.

Die Uhr

Stille im Bett sitzt Liese,
Lauscht mit gespanntem Blick:
Keine Musik wie diese! —
Tik — tak — tik!

Da ich, noch Junggeselle,
Mürrisch durchs Leben fuhr,
Hingst du an einsamer Stelle,
Schmucklose alte Uhr.

Und wie oft, wenn mich bange,
Trübe Gedanken gequält,
Hab' ich lange und lange
Deine Takte gezählt.

Ach, eh der Tag erglühte,
Grollt' ich meinem Geschick,
Schwer im Kopf und Gemüte —
Tik — tak — tik!

Jetzt in des Kindes Zimmer,
M e i n e s  Kindes Bereich,
Blinkt mir entgegen dein Schimmer,
Klingst du so mild und weich.

Einst in vergessenen Büchern
Las ich, von Staunen erfüllt,
Wie die Wilden mit Tüchern
Klug die Hufe umhüllt.

Stürmende Rosse der Horen,
Ward euch ein Gleiches getan?
Dröhntet sonst in die Ohren,
Zieht nun wie schwebend die Bahn.

Ziehet sanft und gelinde,
Bringet holde Musik,
Singt von Glück meinem Kinde —
Tik — tak — tik!

Waldinneres

Die Sonne strahlt: in ihrem Schein
Liegt da ein Sumpf, vermorscht und kahl;
Er saugt die Wärme träge ein,
Allein kein Leben weckt der Strahl.

In seinem Schatten, schwarz und breit,
Drängt Blume sich an Blume dicht —
Sie stehen in feuchter Dunkelheit
Und dürsten schmerzlich nach dem Licht-

Mein Vorgänger

Geh ich ins Amt, führt mich mein Weg vorüber
An einem Brunnen dörflich plumper Art.
Die Röhre ist durch eine Wand gebrochen,
Und wo des Wassers Bogen niederfällt,
Sind Platten eingelegt von grauem Sandstein.
Auf diesen Platten, ganz zerbeizt von Feuchte,
Lag eines Tages ein sterbend kranker Mann,
Mein Amtsvorgänger. Lange Zeit schon siech,
Ward auf dem Heimweg er vom Schlag gerührt
Und sank hier nieder. Ich ward rasch gerufen
Und half ihm mit den andern in den Wagen.
Sein Antlitz war entstellt, er starrte dumpf
Aus leeren Augen und erkannte niemand.
Er wollte sprechen, stammelte, nur Laute,
Kein deutlich Wort. Wir brachten ihn nach Hause —
Der Arme starb noch in derselben Nacht.

Geh ich ins Amt, führt mich mein Weg vorüber
Am kleinen Brunnen, wo er hilflos lag.
Mich schauerte, als ich's zuerst gedacht.
Nun geh' ich Tag für Tag denselben Weg,
Ins selbe Zimmer, auf denselben Platz,
Und denke nicht, wer vor mir dagewesen.
Ich schaffe, ordne und erteile Ratschlag,
Ein Glied des ruhelosen Einerlei,
Das schnurrt und schnurrt, indes die Menschen wechseln,
Und eine Spur die andere verwischt.

Schlußwort

Was du tust, wonach du trachtest,
Laß die Menge aus dem Spiel:
Wenn den Pöbel du verachtest,
Achtest du ihn schon zu viel.

Willst du Zuspruch, brauchst du Stütze,
Lassen sie dich vogelfrei:
Aber schrill aus jeder Pfütze
Dringt der Niedrigen Geschrei.

Gegen dich sei treu und strenge,
Such in dir den besten Rat:
Trotzig durch des Volks Gedränge,
Schweigend geh den eignen Pfad!

Am Klavier

Ich sitz' im Stuhl zurückgelehnt
Und lausche deinem Spiele, —
Wie's dröhnt und stürmt, umsonst sich sehnt
Nach unerreichtem Ziele.
Und lastend legt sich mir aufs Herz
Der Erde nutzlos Ringen,
Nach kurzem Fluge himmelwärts
Der Sturz mit lahmen Schwingen.

Und wie ich wende meinen Blick,
Da seh' ich auf den Tasten
Mit heiligem Eifer und Geschick
Die kleinen Finger hasten.
Und lächelnd hab' ich dessen acht,
Wie sie so lustig hüpfen,
Mir ist, als säh' ich durch die Nacht
Die lichten Träume schlüpfen.

Dann schau' ich in dein Angesicht,
Von ernsten Gluten helle —
Mag's dunkel sein, ich habe Licht
Und Licht aus reichster Quelle.
Laß kommen Sturm und Ungemach:
Ich will ihm nimmer weichen,
Wenn mir die Stirne nur hernach
So liebe Hände streichen.

Der Vermittler

Ich seh' das Männlein jeden dritten Tag.
Es mag schon mehr als zwanzig Jahre sein,
Daß es zuerst mir in die Augen fiel,
Und immer ist es noch das gleiche Männlein,
Beweglich, munter, nicht nur mit den Gliedern,
Der Mund vor allem gönnte sich keine Rast,
Und das tut not, denn viel hat er zu regeln.
Und all die Jahre stets dieselbe Szene.
Ein Bursche, sechzehnjährig oder jünger,
Hoch aufgeschossen, mit gesunden Wangen —
Die sind nicht in der Stadt so rot geworden —
Stampft neben dem Vermittler durch die Straße.
Zu kurz die Ärmel und zu kurz die Hosen,
Weil aus den Kleidern er herausgewachsen
Eh Geld für neu Gewand beisammen war,
Und ungeschlacht die Miene, die Bewegung.
Je massiger er, so muntrer unser Mann.
Der junge Riese neben ihm horcht auf,
Ein Siegfried, der das Schmieden lernen soll,
Wie man gewandt ins Haus tritt, wie die Mütze
Vom Kopfe nimmt — und solcher Weisheit mehr.
Des Jungen Auge strahlt von guter Hoffnung
Und hängt gebannt an seines Meisters Lippen.
So seh' ich ihn an jedem dritten Tag.
Und wann ich auch den alten Mann gefragt,
Wie es ihm geht, er hat noch nie gemurrt, —
Es trägt recht wenig, ihm ist es genug.

Doch neulich sah ich ihn wie nie zuvor.
Den Blick voll Haß, nein voll Verachtung, starrte
Er einem nach: "Nicht einmal danken, Lump!"
Der Herr, der langsam schreitend vor ihm ging,
War wohlbekannt, Direktor der Zentralbank
Und Ehrenmitglied sämtlicher Vereine —
Doch kaum hat der Vermittler mich erblickt,
Spricht er mich an, es brennt ihm auf der Zunge:
"Da schaun Sie ihn an, den Herrn Direktor!
Ich grüß' ihn höflich, und er dankt mir nicht.
Der Gruß ist Höflichkeit, der Dank ist Pflicht,
So heißt es ja! — Nicht zwanzig Jahre sind's,
Da trampelte der Mann mit mir im Kot,
Daß ihm der Schmutz bis an die Weste sprang.
Ein Bär hat mehr Geschick, als er gehabt.
Und zehnmal mußt' ich laufen, endlos reden,
Eh ich den Bengel angebracht als Lehrling.
Die Hände hätt' er damals mir geküßt.
Und traf ich ihn, so lief er auf mich zu
Und sprach von lebenslanger Dankbarkeit.
Mein Gott, ein alter Mensch nimmt das nicht ernst.
Nicht lang darauf erhielt er fünfzehn Gulden,
Sein erst Gehalt. Er hat mir's gleich geschrieben,
Doch auf der Gasse grüßt' er mich nur scheu,
Und herzlich nur, wenn niemand sonst dabei war.
Doch freut' ich mich, er war ein hübscher Junge
Und wußte sich recht elegant zu tragen:
Der bringt es weit, so dacht' ich, der versteht's.
Zwei Jahre darauf ward er Commis, ein Herr.
Er  w a r t e t e  auf meinen Gruß. Ich grüßte —
Und er, so gnädig, wie's die Großen tun,
Er dankte lächelnd, zog den Hut vertraulich
Und fragte manchmal mich nach dem Befinden.
Es ging ihm gut. Er wurde Prokurist.
Und bot ich dann bescheiden meinen Gruß,
So tippte vornehm er an den Zylinder
Und ging vorbei mit eisernem Gesicht.
Was tat's? Ich grüßte ihn und war bedacht,
Den Stolz des Herrn nicht gar zu sehr zu prüfen.
Wollt' er nicht sehn auf voller Promenade,
Ich drängte mich nicht auf. Doch ganz vergessen
Wollt' ich nicht sein — derlei Bekanntschaft brauch' ich.
Direktor ist er jetzt und Schwiegersohn
Des Herrn von . . . und jetzt geht er vorüber,
Ich ziehe bis zur Erde meinen Hut,
Er schaut mich an, gerade ins Gesicht,
Und geht vorüber, ohne mir zu danken.
Ohne zu danken! Dieser — Herr Direktor!
Doch er hat recht. So wird man heute groß.
Behüt' Sie Gott!" Und damit lief er weg.

Den Herrn Direktor sah ich oft seitdem.
Die Brust deckt lang ein ganzer Wald von Orden,
Und alle Welt singt preisend seinen Ruhm.
Ich aber seh', das Auge aufgehellt,
Dem vornehm stolzen Herrn hinein ins Herz,
Das arm geblieben ist in allem Reichtum.

Guarda e passa!

Vorüber geh' ich heut an einem Tor,
Ein Krämerladen, klein und schmal, darinnen,
Ich blicke auf, es steht ein Weib davor,
Das vor sich hinstarrt in verlornem Sinnen.

Das Kleid ist schwarz, das Auge matt und leer,
Wie eines, das um nichts mehr kann erstrahlen,
Und auf dem hagern Antlitz liegen schwer
Verwundnes Leid und abgestumpfte Qualen.

Sie ist allein! . . . Vorüber kann ich nicht,
Und in den Adern fühl' das Blut ich frieren,
Und angstvoll les' ich in dem Angesicht,
Wieviel ich hab', und was ich kann verlieren.

Verloren die Minute, die ich bleib'!
Nach Hause flieg' ich, wie gehetzt vom Winde,
Ans Herz zu drücken mein geliebtes Weib,
Die Händchen abzuküssen meinem Kinde.

Nachruf

Nun schiedest du. Und ohne Bitterkeit
Schloß sich dein Aug der Lebenden Gedränge —
Du sagtest dir: Verstrichen ist die Zeit,
Das weite Leben mündet in die Enge.

Stets hat dein Herz mit regem Schlag gepocht;
Wohl kam auch Sturm, drin ungestüm zu wühlen,
Doch alles, was zu fühlen es vermocht
An Glück und Lust — verstand es auch zu fühlen.

Im Kampf des Lebens standst du stark und gut
Und reingehalten hast du deine Ehre —
Heil, dem's gelingt in dieses Streitens Wut,
Daß er von Herz und Hand die Flecken wehre!

Und trug die Müh', die harte, keine Frucht,
Du schafftest fort mit ruhigem Vertrauen —
O schwer ist's, unter des Mißlingens Wucht
An seinem Werke gläubig fortzubauen!

Der edle Zorn hat oft in dir gebebt,
Du sahst und prüftest und bist mild geblieben:
Und ob du mit den Menschen lang gelebt,
Hast du die Menschen nicht verlernt zu lieben.

Spruch

Mir will im Leben wie im Lied
Der mystisch dunkle Trieb nicht taugen:
Wer Geister und Gespenster sieht,
Hat drum noch nicht die bessern Augen.

Verona

La Piazza d' Erbe — blühende Gegenwart
Vermählt sich farbig grauer Vergangenheit:
Hier stand das Forum einst, gebietend
Tönten die Schritte der Weltbeherrscher.

Sein Wesen treibt ein schwatzendes Völkchen jetzt,
In bunten Fetzen lacht's in den Tag hinein,
Wo ist die Spur der hohen Ahnen
Hier im Getümmel des kecken Alltags?

Vor mir ein Jüngling, suchend hinabgebeugt
Zum Korb mit Früchten, feilscht mit Kräuterweib,
Und Rede schallt und Gegenrede
Wirr durcheinander, bis beide einig.

Nun aufgerichtet streckt er den schlanken Leib,
Ich seh' sein Antlitz, linienstreng und stolz,
Und weiter schreitet leichtbeflügelt
Hermes, der herrliche Götterbote.

Ein Tagebuchblatt

Heute mittag — flog es auch vorüber
Wie Gewölk — es ist doch dagewesen.
Höre du, mein stiller Vers, die Beichte.

Heute mittag, da ging ich nach Hause,
Kam ein Freund mir auf dem Weg entgegen.
Als Studenten hatten wir vor Zeiten
Viel verkehrt und täglich uns gesprochen;
Er, vom vollen Wind gebläht die Segel,
Ich, gedrückt und zweifelnd an der Zukunft. —
Nun, was mich betrifft, mir gab das Leben
Mehr des Glücks, als ich gewagt zu hoffen.
Er? Sein Kleid und die bescheidne Miene
Machten überflüssig alles Fragen.
Aber er begann sofort vertraulich
Mir von seinem Leben zu erzählen,
Von Versuchen, von verfehlten Plänen
Und zuletzt — man sah's ihm an — vom Stranden.
Und ich hörte schweigend seine Klagen,
Erst gespannt, dann teilnahmsvoll und endlich . . .
Wie im Schauspielhaus die scharfe Grenze
Zwischen denen, die da oben leiden,
Und dem Platz, der uns bequem bereitet,
Das Geschehnis rückt in jene Ferne,
Die vergnüglich macht das Miterleben —
Also klangen mir die trüben Worte
Als ein Untergrund für das Behagen,
Daß ich sicher steh' auf sichrem Boden.
Und indessen er in seiner Schild'rung
Immer mehr und mehr der Klüfte aufriß,
Fühlt' ich fester unter meinen Füßen,
Immer fester sich den Grund verdichten.
Und mir war wie einem reichen Manne,
Der im Steinhaus wohnt am wilden Wasser.
An die Scheiben schlagen laut die Tropfen,
Und die Wellen plätschern dumpf und drohend.
Und er sitzt am Herd in warmer Stube,
Hört wie rauschende Musik das Wetter,
Denkt ein wenig an die kleinen Hütten,
Welche dicht am Rand des Baches liegen,
Seufzt dabei und streckt sich an dem Feuer.

Spatzen

Ausgeworfen sind die Brocken,
Und ich brauche nicht zu locken;
Denn schon lange spähn sie scharf,
Ob zu Tisch man kommen darf.

Und nun hüpfen sie und picken,
Äugeln mit vergnügten Blicken,
Piepsen munter in die Welt,
Weil die Tafel reich bestellt.

Und Bewegung allerorten —
Der prüft hier und kostet dorten,
Zieht mit dem gewählten Stück
Sich dann ungestört zurück.

Einer frißt; da kommt der zweite,
Schleppt den Bissen auf die Seite:
Jener sieht es guten Muts,
Nimmt das nächste Stück — was tut's? —

Aber ach, zum kargen Reste
Kommen immer neue Gäste,
Und von allen bleibt zuletzt
Nur ein einziger Brocken jetzt.

Flugs springt einer zu dem Bissen,
Hat ihn rasch an sich gerissen,
Aber eh' er birgt den Schatz,
Faßt ihn schon ein andrer Spatz.

Und sie zerren hin und wieder,
Zornig sträubt sich das Gefieder,
Und, für alles blind und taub,
Wälzen beide sich im Staub. — —

Haben Spatzen viel zu fressen,
Sind sie vornehm und gemessen;
Aber, tritt der Mangel ein —
Wie abscheulich, wie gemein! —

Gruß aus Florenz

"Aus dem Lande, wo das
Si tönt,
Aus dem Paradies der Künste
Bringt für mich den Gruß des Dankes
Meister Dante Alighieri."
So das Blatt, das ich entnahm
Einem Päckchen aus Florenz.
Die es sandte, war ein Mädchen,
Sechzehnjährig, großgeaugt,
Mit den schönsten Schwarzhaarwellen,
Das als wohlbestallter Lehrer
In der Völker Geistesschätze
Ernsten Sinns ich eingeführt.
In Italien weilt sie grade,
Und gedenkend, daß vor allen
Ich den strengen Dante pries,
Sendet sie mir jetzt sein Bildnis,
Und gerührt, ein wenig bebend,
Streif' ich ab den leichten Umschlag.
Eine Busennadel liegt drin,
Und ihr Köpfchen eine Gemme,
Überzierlich fein geschnitten,
Und ich presse an die Lippen
Meinen Dante Alighieri.
Da — wie ist mir? — Diese Züge
Sind nicht die des Höllenpilgers;
Statt der schmalen, bittern Lippen
Seh' ich einen kecken Mund:
So blickt nur Messer Giovanni,
Und das ist der Schelm Boccaccio! —
Schlimmster! Wie gerietest du,
Dessen Namen man nicht ausspricht
An dem Tisch der Sittenreinen,
An das unschuldvolle Mädchen,
Fromm und züchtig aufgewachsen? —
Nein,  g e w ä h l t  hat sie dich nicht,
Doch wie ist es nur gekommen? . . .
Hat der freche, kleine Bube,
Der zumal im Süden heimisch
Und mit Sinnlichkeit die Luft würzt,
Statt des finstern Rachepriesters
Ihr den Lehrer süßer Weltlust
Frevelnd in die Hand gespielt?
Oder, alter Galeotto,
Vielerfahrner Menschenkenner,
Wußtest du, daß ich den Dante
Lehrend auf den Lippen trage,
Während tief im Herzen drinnen
Du mir kicherst, Freund Boccaccio?

Der Blinde

Ein blinder Bettler lehnt an einer Wand,
Vor sich gestreckt die hagre offne Hand.
Ein Knabe mit dem Vater kommt daher,
Er plaudert, lauscht und fragt nur immer mehr.
Der Knabe sieht den Bettler, hält und nimmt
Aus seinem Täschchen, das dafür bestimmt,
Die Spende schnell und reicht sie hin dem Mann,
Hinauf zur Hand, doch langt er nicht hinan.
Wie sehr er auch sich auf die Zehen stellt —
Die Hand bleibt hoch und greift nicht nach dem Geld.
Der Knabe blickt den Bettler ins Gesicht
Und fragt: "Papachen, warum nimmt er's nicht?"

Der Vater schweigt; er zaudert wehmutsvoll,
Der Antwort denkend, die er geben soll,
Dem Knaben, der so froh, die Welt zu schauen,
Zu gießen in das Herz das erste Grauen.

Selbstbildnis

Das bin nun ich! Und bin es so für jeden,
Der mich erblickt, so lang ich geh' im Licht —
Das sind die Lippen nun, die für mich reden,
Und dies das Auge nun, das für mich spricht!

Und dieses Antlitz, das ich schau' im Spiegel,
Es ist die Prägung für mein ganzes Sein:
Mein Innerstes deckt dieses stumme Siegel,
Und Hunderte, sie kennen dies allein.

Nun prüf' ich's selber gleich den andern allen,
Mit ernstem Blicke, der sich nichts verhehlt,
Und glaube: wär' die Wahl mir zugefallen,
Ich hätte wohl ein anders ausgewählt.

Wie schön, den Kranz schon auf der Stirn zu tragen,
Als Preis voraus von der Natur verlieh'n —
Von meinem Antlitz könnt' ich höchstens sagen:
Es stößt nicht ab, vermag nicht anzuzieh'n.

Und dennoch, schau' ich länger, möcht' ich meinen,
D e r  Zug und jener deut' auf höhere Glut,
Mein Haar und meine Augen, will mir scheinen,
Sie stünden jedem Angesichte gut.

Und immer mehr, was mir als Vorzug gelte,
Entdeck' ich dann und komme zu dem Schluß:
Es tut nicht not, daß ich mich selber schelte,
Ich bin mit mir zufrieden, wie ich muß.

Und aller Welt, die schaut in meine Züge,
Tret' ich entgegen freien Blicks und froh:
So bin ich nun, so tu' es euch genüge,
Und tut es nicht, ich bin nun einmal so! —

Willst du dir selber recht sein, wehrst du's andern?
Und schiltst das Maß, mit dem sich jeder mißt?
Sie alle sind verdammt, durchs Sein zu wandern
Und zu behaupten, was ihr eigen ist.

Wie sie sich geben, spiel' nicht den Verächter.
Du weißt, warum sie's tun, drum richte mild:
Sei allen deinen Brüdern ein Gerechter,
Wie du gerecht bist deinem Spiegelbild.