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Anmerkung zum Stachelreim:
Ein satirisches Epigramm lautet im Deutschen Stachelreim.
Die Stachelreime oder Spottverse (silli, versus satyrici)
 

Sprüche und Stachelreime
 

Der Kapitalisten Notschrei
Mahnruf an die Reaktionären
Deutscher Sinn
Korrespondenz mit den Sternbewohnern
Mangelnde Einsicht
Sprichwort-Torheit
Herr Wirt
Modernes Frühlingslied

Die Herzenskündiger
Dauer der Liebe
Frühlings-Kontroverse

 
"Lichter"
Erfahrenheit
Der gute Hirte
Sprüche
Erfahrungssatz

 

Der Kapitalisten Notschrei

Die Zeit ist reich, wie man's so nennt,
Wir armen Kapitalisten,
Wir geben Geld zu ein Prozent,
Um nur das Leben zu fristen.
Der Reiche wird zum armen Mann,
Die Revenue ist zum Darben,
Ein Elend, das sich kleiden kann
Nur noch in glänzende Farben,
So daß der Bettler sie durchguckt,
Wenn auch der Firnis noch blanke;
Und wie das Haupt der Hydra zuckt
Empor der grause Gedanke:
Vor dieses Unheils mächt'gem Prall
Da bricht zusammen zu Staube
Der Menschheit letztes Ideal,
Ans Geld der heilige Glaube!

Mahnruf an die Reaktionären

Der Zeiten Zeiger stehet niemals still,
Der trügt sich selbst, der ihn zurücke wendet,
Und jene, die ein Gott verderben will,
Die hat er alle Zeit vorerst verblendet!

Deutscher Sinn

Daß stets vorauf der Zeiten Sturm und Drang
Erweckend und ermahnend ging der Sang,
Auf den das Wort dann folgte und die Tat,
Das weiß, wer deutschen Sinnes Kenntnis hat.

Korrespondenz mit den Sternbewohnern

Wie möget ihr um den Verkehr euch plagen
Mit den Bewohnern andrer Welten?
Sie hatten uns wahrscheinlich nichts zu sagen,
Als was wir ihnen könnten melden;
Gesetzt – jedoch durchaus nicht zugegeben –
Sie stellten sich mit wahrhaft Neuem ein,
Dies "Über Erden Hohe" würde eben
Uns leider gänzlich unverständlich sein.

Mangelnde Einsicht

Die Volksgunst, wie die Liebe muß
Mit Logik man verschonen,
Die Nationen sind wie Frau'n
Und Frau'n wie Nationen;
Es machen beste Fürsten sie
Und bravste Ehemänner
Nicht glücklich, das besagen längst
Geschichts- und Herzenskenner.
Und wenn das Glück zu Haufen läg',
Ihr Mißmut blieb bestehen,
Denn sie vermögen's eben nicht,
Ihr Glück auch einzusehen.

Sprichwort-Torheit

Von Völkern spricht man oft genug,
Wie in dem Sprichwort von dem Krug
Und könnte der wie jene sagen:
"Ich gehe nicht, ich werd' getragen."

Herr Wirt
(April 1882)

Herr Wirt, was war das nächtens für
Ein gottverfluchter Tropfe?
Es schmerzt mich heute morgens schier
Ein jedes Haar am Kopfe!
Wie muß die edle Gottesgab'
Verschändet und verhunzt sein?
Mein' Seel', was ich getrunken hab',
Das war wohl eitel Kunstwein!

Ei, heb die Hand beteuernd nicht,
Daß dieser Stoff Natur ist,
Man weiß ja doch, verdammter Wicht,
Daß leicht wie Spreu dein Schwur ist.
Üb lieber Treu' und Redlichkeit,
Schreib's an die Etikette,
Damit sich sachte noch beizeit
Ein Christmensch davor rette.

Du hättest nur wie vor und eh'
Etwas Kellerei betrieben
Und dir sei anorganische
Chemie ganz fremd geblieben?!
Hör du, es ist doch ganz umsunst,
Hier Lügen zu erstinken,
Es ist Kunstwein, denn's ist eine Kunst,
Von diesem Wein zu trinken.

Modernes Frühlingslied
(April 1882)

O, wundermilder Frühlingshauch,
O, wohlig Sonnenglüh'n!
Mit Blüten schmückt sich Baum und Strauch,
Die Lande werden grün!

Es faßt die Seele froher Drang,
Ich muß sie sehn die Welt,
Voll Blütenduft und Vogelsang,
Vom heitern Blau erhellt!

Leb wohl, du trautes Weibchen mein,
Gib Urlaub kurze Frist,
Ich werd' des Wegs gedenken dein,
Wo mir's am wohlsten ist!

Da hör' ich ihrer Stimme Schmelz
Mit sorglich sanfter Bitt':
"Du nimmst doch deinen Reisepelz
Und auch den Fußsack mit?"

Die Herzenskündiger

Oft singt ein hohes Lied vom Weine,
Das selbst der Kenner Ohr bestrickt,
Ein Mann, dem nie gewankt die Beine
Und den nur dünnes Bier erquickt.

Und oft, die engste dieser Welten
Zertrümmernd, freie Liebe singt
Ein Mann, dem nachts der Gattin Schelten
Sein Jüngstes in die Arme zwingt.

Und wer im Frührot erst die Kammer
Betritt, in treuer Freund' Geleit,
Der singt sonach in seinem Jammer
Den Hymnus der Enthaltsamkeit.

Und mancher bis an die Gestirne
Der Frauen Reinheit preisend hebt,
Der in den Armen einer Dirne
Soeben wild die Nacht durchlebt.

Moral lobpreist der satte Sünder,
Der Darbende besingt Genuß;
Es sind von je des Herzens Künder:
Das Sehnen und der Überdruß!

Dauer der Liebe

Er: Du hast geliebt! O, leugne nicht!
   Ganz sicher bin ich dessen.
Sie: Ich hätt' geliebt? Besinn' mich nicht,
   Und wenn, ich hab's vergessen.
Er: So hältst du Treu', so hältst du Lieb'?
   Vergißt, wer dachte deiner?
Sie: Mein Freund! Er ging, doch wenn er blieb,
   Gedächt' ich heut noch seiner.
Er: Wenn du so schnell Vergessen treibst,
   Wer wird mit dir es wagen?
Sie: Je nun, mein Freund, solang du bleibst,
   Hast du nicht Grund zu klagen.
   Es schärft die Zeit der Lieb' Gewalt,
   Man schätzt sich stets genauer,
   Und wird mit uns erst einer alt,
   So kriegt die Liebe Dauer.

Frühlings-Kontroverse
(April 1886)

Der Alte spricht:

Ihr werten Kollegen, ihr lasset's nicht sein,
Trotz aller satirischen Hiebe,
Alljährlich zu singen den Lenz und den Wein
Und drittlings die wonnige Liebe;
Es kleidet dies Streben zwar höchst ideal
Einen jeden, der darin verrannt ist,
Da Frühling und Liebe und Wein uns zumal
In Wirklichkeit wenig bekannt ist.
Der Frühling ist Winters arglistiger Trug,
Im Wein steckt nicht Wahrheit noch Rebe,
Das Weibergeschlecht ist auch heuttags zu klug,
Daß Herz gegen Herze es gebe!

Die Jungen sprechen:

Verehrter Kollege, Ihr selber nur schwärmt:
Ihr schmähet den Lenz, weil Ihr kalt seid,
Den goldenen Wein, der Euch nimmer erwärmt,
Die Frauen, für die Ihr zu alt seid!
Wir beugen ergebenst uns mit Reverenz
Vor solcher erhabener Tugend,
Doch singen die Liebe, den Wein und den Lenz
Wir fürder der fröhlichen Jugend.
Ei, lasset's in rüstigern Tagen doch auch,
Zu müh'n Euch um Nachwuchs an Jungen;
Wenn er einmal abstirbt der löbliche Brauch,
So haben wir bald ausgesungen!

Der Alte:

Ei, merktet ihr denn nicht am zwinkernden Aug',
Daß ich euch nur schraubte, ihr Herren,
Und anderes besser zu predigen taug'
Als wie der Enthaltsamkeit Lehren?!
Wenn ringsum die Lande im sonnigen Schein,
Dann lasset in fächelnder Lauben
Mich sitzen, den funkelnden Römer voll Wein, –
Doch sei es ein Trank auch aus Trauben! –
Und schafft mir ein Mädchen an Seite, das lacht
Zum Kusse von bärtigem Munde,
Und wenn mich das alles nicht jung wieder macht,
Mögt ihr mich begraben zur Stunde!

"Lichter"

                          I.
Jedem, der sich zu den Malern zählt,
Dem birgt der Farbenkasten eine Welt,
Eine große, eine kleine,
Aber immerdar die – seine!

                          II.
Wer uns enthebt, erst nachzufragen,
Des Kunst uns alles weiß zu sagen
Und uns den Katalog erspart,
Der schafft ein Bild von guter Art!
Doch treffe den Apollos Strafe,
Der ganze Spalten lang erklärt,
So daß dem unwillkomm'nen Schlafe
Man nur mit Not und Mühe wehrt.

                          III.
Wer nackter Schönheit gibt die volle Ehre,
Sie hinzustellen weis; in aller Hehre,
Die sie geziert seit Weltenanbeginn,
Den klagt nicht an, wenn wider seinen Sinn
Manch Satyrhaupt mit breiten Nüstern
Sich auch nach solchem Bildnis lauschend reckt;
Der Tiermensch selbst, er wird nicht lüstern,
Wenn ihn ein Schauer höhern Schauns durchschreckt.
Doch mögt die Bilder ihr getrost verhängen,
Vor denen Männer weichen, Satyr'n drängen,
Denn solltet ihr dort keine Näht'rin sehn
In seifenschaumgeborner Schönheit stehn,
Dann droht euch schlimm're Augenweide;
Es wirft sich Lüsternheit in vollen Staat
Und bietet in zerknülltem Kleide
Den Ekel euch in Sammet und Brokat!

                          IV.
Gegossen wird nun und gehauen,
Was sich im "Brockhaus" finden will,
Es ist heuttags das Denkmalbauen
Ein sehr beliebt' Gesellschaftsspiel,
Just was man so ins Haus bedürfe,
Es langt nicht für höhere Entwürfe;
Es scheint, man will nur eben
Das Kleingewerbe heben.

Erfahrenheit

Zwei Arten Liebe bringen wenig Heil,
Die eine, die nur folgt dem heißen Triebe,
Die zweite, welche wägt den andern Teil
Und fragt: "Ist er es wert, daß ich ihn liebe?"
Dem Taumel, ob er kurz, ob lange währt,
Folgt das Erwachen und es flieht die Treue,
Und wer mit Grübeln sich das Herz beschwert,
Der mißtraut selbst dem Glück aus Furcht vor Reue.
Die Liebe aber, die von echter Art,
Die pfleget allezeit mit vollem Prangen
Der Schätze, die sie still im Herz' gespart,
Ihr Liebstes selbstlos zu umhangen!

Auch Schönheit zählet zu den Gütern,
Die blind des Schicksals Gunst verleiht:
Es haftet an auch ihren Hütern
Der Teilung Ungerechtigkeit!
Der Reiche, welcher mild erbarmend
Gesamtem Elend wollte wehren,
Er müßt' verachtet und verarmend
Bald selbst zur Not zurückekehren.
Und wollte sich die Schönheit nimmer
Mit eines einz'gen Glück befassen,
Sie würde ihren reinsten Schimmer
Um gaukelndes Phantom verlassen;
Sie setze dran das kühnste Wagen,
Sie führ' die freieste der Sprachen:
Sie kann wohl jedem sich versagen,
Doch nimmer alle glücklich machen!

Der gute Hirte

Als jüngstens beim Spazierengehen
Nach allen Seiten meine Augen irrten,
Da hab' ich einen Schild gesehen
Vor einer Fleischerbank, "zum guten Hirten."

"Der gute Hirte", die Parabel
Tut mit viel Lehrnis in der Bibel stehen,
Doch leider darf bei keiner Fabel,
Noch irgend sonst, bis auf den Grund man gehen.

Den guten Hirten immer denn in Ehren,
Er sucht in Liebe das verirrte Lamm,
Er rastet nicht und bringt's zurück dem Herren.

Wozu er aber sich die Mühe nahm?
Je nun, 's ist Hirtenpflicht. Das Lamm indessen
Es wird geschoren und dann aufgefressen.

Sprüche

Aus dem Nichts erwachen wir,
Tauchen wundernd aus der Erde,
Wie aus Moorgrund nicht'ge Blasen,
Und vergehen rasch wie sie.
Wie Gewürm so winden wir
Uns in einem wirren Knäuel,
Vergewaltigt durch uns selber,
Für ein andres ohne Sinn,
Und die kargbemessne Zeit
Nützen wir, um wenig Gutes,
Vieles Böse zuzufügen
Unserm eigenen Geschlecht!
◊ ◊ ◊ ◊
Was du im Leben dir auch magst erringen,
Darüber bist gar bald du aufgeklärt,
Nur in dem Streben lag der ganze Wert
Von all den heißersehnten Dingen
Und in dem bißchen Freude am Gelingen.
Wer dieses Sein zu loben ist gewillt,
Der mag es,
Und wem es dünkt, ein übel Spiel gespielt,
Der klag' es,
Doch der, der gerne für vernünftig gilt,
Der trag' es.
◊ ◊ ◊ ◊
Worin sich alle weisen Männer einen,
Aus grauer Zeit, aus jüngsten Tagen,
Wenn wir sie um den Wert des Lebens fragen,
Daß sie mit düstrer Stirne meinen:
Nicht eine Träne sei es wert zu weinen,
Noch eine Lache aufzuschlagen.
◊ ◊ ◊ ◊
Das Tragische im Leben, auf der Bühne,
Ihr stempelt es zu einer eignen Sorte,
Ihr sucht nach Schuld, ihr fordert eine Sühne
Und Schuld und Sühne sind nur Menschenworte,
Sind klein nur gegen des Geschickes Walten,
Und wollt ihr euch an selbe ängstlich halten,
So könnt ihr auch nur Kleinliches gestalten.

Erfahrungssatz
(1889)

Zweie nur, – wie ungleich sie, –
Rühren keines Tadels Worte
Das hartköpfige Genie
Und den Stümper ärgster Sorte!