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Gedichte
Therese von Artner

Leipzig 1818
Hartleben's Verlags-Expedition

Gedichte 1
 

Der Mensch
Mann und Weib
Das Neue
Die Spazierfahrt
Der Bach
Die Liebe
Die drei Gebote
Papiergeld
Der Fels der Wahrheit
An die Erinnerung
Die verliebte Dichterin
Dichterlaune
Schlechte Rechenschaft
Die Gabe Apoll's
Sonett
An die Träume
Pagenliedchen
Das Auge der Geliebten
Die Sommersprossen
Lehrlingsweisheit

 


Der Mensch


Mit Tränen begrüßt er die Erde,
Mit Leiden beginnt er das Sein.
Er ist da,
Ohne zu wissen: wofür?
Er fühlt,
Ohne zu wissen: wie?
Er kennt seinen Urheber nicht,
Nicht sich selbst,
Kaum die Welt um sich her.
Unwissend über seine Bestimmung,
Steckt er sich selbst ein törichtes Ziel,
Das ihn, ab vom Wege,
In tausend verwickelte Krümmungen lockt.
Er wünscht, verwirft, sich mit Gründen belügend,
Dennoch unbekannt mit dem Triebwerk,
Welches seine Arme jetzt ausstreckt,
Itzt vor Abscheu zurücke ihn scheucht.
Seine Lieblingspuppe ist Wahrheit,
Seine tiefe Weisheit sein Stolz:
Und doch ist er durch Täuschung nur glücklich,
Und doch ist er durch Torheit nur stolz.
Des Zufalls Sklave,
Und doch von Eitelkeit aufgebläht
Sein Meister zu sein,
Lebt er dahin.
Die Zauberschlösser seiner Hoffnungen
Die Kolossen seiner Plane
Stürzt ein Stoß in den Meeresgrund.
Nach Perus goldnen Ufern hat er die Blicke und
Das Schiff gerichtet; aber die Windesbraut
Zerschlägt das Fahrzeug
Und setzt ihn nackt, auf gescheitertem Brette
An Kaliforniens wüsten Strand aus.
Blind für die Zukunft,
Verträumend die Gegenwart,
Die Vergangenheit zurückrufend.
Reißt ihn auf ihrem Fittig die Zeit
Ans Tor des Todes.
Seine Wünsche bleiben zurück,
Und winken ihm aus Gefilden der Jugend,
Die er nicht mehr zu betreten vermag.
Überschaut er mit brechendem Auge
Noch zuletzt die durchlaufene Bahn,
Dann erkennt er den Irrtum,
Und erblickt Wahrheit,
Um mit Verzweiflung und Qual zu bereuen.
Er verläßt die Welt, wie er sie betrat,
An der Hand des Schmerzens;
Indes er seine genossenen Freuden,
Indes er, was er sonst Glück genannt,
Nun für Tand und eitel erkennt.
Endlich entschläft er, zweifelnd und ungewiß,
Hoffend, bebend auf das Erwachen.
Wie wird es sein?

Mann und Weib

Der Mann herrscht auf dem Völkerthron,
Er führt das Heer zur Schlacht;
Er sitzt voll Würde zu Gericht,
Er lenkt das Herz durch Unterricht,
und beugt's mit Rednermacht.

Es stehen Kunst und Wissenschaft
Allein in seinem Sold;
Er ist der Erdengüter Herr,
Schifft stolze Flotten übers Meer,
Und schafft durch Tausch sich Gold.

Sein Name wird der Welt bekannt
Durch Fama's lauten Ruf;
Auf Erz und Marmor und Papier
Verewigt seine Ruhmbegier,
Was er hier tat und schuf.

Das Weiblein sitzet still daheim,
Und spinnt und webt voll Fleiß:
Nebst Kammer, Küch' und Keller steht
Vielleicht ein duftend Blumenbeet
In ihrem Wirkungskreis.


Ihr Leben fließt geräuschlos hin;
Kein Ruhm, kein äußrer Schein
Stärkt sie zur Übung harter Pflicht;
Von ihren Taten weiß und spricht
Die Nachbarin allein.

Sie folgt der Tugend ohne Lohn,
Als den sie selbst gewährt;
Und der Systeme unbewußt,
Hat das Gefühl in ihrer Brust
Stets sich'rer sie belehrt.

Weh dem, der diese Einfalt frech
Aus ihrer Brust verdrängt!
Sophisterei und witz'gen Hohn,
Und Eitelkeit und Modeton
An ihre Stelle zwängt!

Der Blinde, vom Gefühl belehrt,
Gleicht oft dem Sehenden;
Doch wenn der Star vom Auge fiel
Flieht auch das leitende Gefühl;
Er fühlt nicht, kann nicht sehn.

O Männerstolz, der dies Gefühl
Uns größtenteils geraubt,
Und nun die Sehkraft aufgeklärt,
Zum vollen Licht den Zugang wehrt,
Nur Dämmerung erlaubt!


Nein, Schwestern! Bleibet nicht zurück!
Dringt bis zum Mittag vor!
Nur bei dem Dämmerschein umflirrt
Das Irrlicht uns, und grausend schwirrt
Der Zweifel um das Ohr.

Dringt vor, bis hell der Wahrheit Sonn'
Ob unsrer Scheitel strahlt,
Und nicht mehr riesenlang und breit
Das schiefe Licht der Eitelkeit
Uns unsern Schatten malt.

Seit unsre innre Stimme schweigt,
Natur uns nicht mehr führt,
Gibt der verlornen Einfalt Glück
Die Weisheit uns allein zurück,
Die nie im Pfad sich irrt.

Fort Putzsucht und Koketterie,
Gezier und Modeton!
Aus Überzeugung sei verbannt,
Was unsre Mütter ungekannt
Und unbewußt geflohn.

Und, Männer! sorgt nicht, daß das Weib,
Wenn sich ihr Geist erhellt,
Verlassen wird das stille Haus,
Und drängen sich nach Glanz heraus,
In das Gewühl der Welt!


Zwar glänzt der Thron, es prangt der Stab
In eines Marschalls Hand!
So schmeichelnd klingt Unsterblichkeit!
Schön flimmert auf des Höflings Kleid
Das bunte Ordensband!

Doch alles dies ist eitler Prunk,
Der euch allein betört,
Die Ehrgeiz, Herrschsucht, Eigennutz,
Der Weisheit und Vernunft zum Trutz,
Nur allzuoft entehrt.

Ein sanftes Herz hebt unsre Brust,
Das schon sich selbst belohnt,
Wenn es die stille Pflicht vollbracht,
So die Natur ihm zugedacht,
Und Ruhe drinnen wohnt.

Das Neue
1796

So schweige endlich, ewiger Tadler, still!
Nun jeder Makel zehnmal gerüget ist,
Kommst du ans Beßre, und sprichst höhnend:
"Das ist nicht neu, schon die Alten sagten's!"

Pedantisch zählst du nun die Autoren auf,
Wo d e r Gedank' und j e n e r zu finden sei;
Soll michs denn schänden, wenn schon vorlängst
Weisere Menschen, wie ich, gefühlet?

Weil mich die Mutter später geboren hat,
Drum fühl' ichs später; aber mein Eigentum
Ist deshalb mein Gefühl und Ausdruck,
So wie der Alten Gefühl das ihre.

Allein, gedenkst du etwa, ich plünderte
Bestäubte Folianten mit diebischer
Begier, um mit erborgtem Schmucke
Vor dem getäuschten Volk zu prahlen?

Zu stolz, zu redlich bin ich zu solchem Trug!
Mein heimlich Stübchen ziert keine Bücherwand;
Verstorbne Sprachen sind mir tot, und
Stumm die Gedankenzüg' andrer Völker.


Und meinest du, es harrte die Küche nicht,
Der Rocken, und die glänzende Nadel mein?
Sie füllen meine Zeit! Die Hände
Wirken geschäftig, indes der Geist denkt.

Zwar gibt's auch Feierstunden, da nehm' ich gern
Ein ernstes Buch, das Weisere rühmeten,
Und les' es denkend, les' es nochmals,
Bis es sich tief dem Gehirne einprägt.

Dann bleib ich lange nüchtern von Leserei,
Wie man nach heil'gem Mahle sich irdischer
Genüß' enthält, bis unvermischet
Unsern Säften sich's beigewandelt.

So wie das Purpurwürmchen den Pflanzensaft
In Purpur umfärbt, so wie den Blütenraub
Die Bien' in Wachs und Honig wandelt,
Wird aus vorhandnem Stoffe neuer.

Was ist ganz neu im alternden Erdenrund?
Sieh um dich her! Nur ewige Wandelung!
Ein Schwinden, Wechseln, Wiederkehren,
Blumen auf Gräbern, und Keim' in Fäulnis.


Welch' ein Gedanke wurde noch nie gedacht?
Geschmack und Meinung wechseln wie Ebb' und Flut;
Systeme gehen auf und unter,
Schimmern und schwinden, wie Nachtgestirne.

Welch' eine Handlung wurde noch nie getan?
Alltäglich fähret Phöbus voll Neugier aus,
Allein sein allspähend' Auge
Sah schon Jahrtausende her nichts Fremdes.

So wie zwar nicht der Frühling dem Frühling folgt,
Doch jährlich wiederkehrt mit dem Sonnenlauf;
So kehrt, befestigt an des Zeitgotts
Wälzendes Rad, der Lauf der Dinge.

Die Spazierfahrt
1792

Fort, mein Gespann, durch hochumbaute Gassen,
               Hinaus durchs Tor;
Hinab, hinan auf ungebahnten Straßen,
               Den Berg empor!
Itzt schnell herab, daß selbst des Turmes Spitze
               Dem Blick entgeh',
Auf daß ich von dem regen Städtersitze
               Kein Pünktchen seh'! —


O wohl mir, wohl! Nun dünk ich mich geborgen
               Vor Harm und Pein!
Flieht all zurück, ihr düstern schwarzen Sorgen!
               Du heil'ger Hain,
Von der Natur gepflanzt, der Ruh geweihet,
               Ich grüße dich!
Dein holder Anblick schon belebt, erneuet,
               Entzücket mich.

Komm, Einsamkeit, in deiner stillen Feier!
               Mein Herz, durch dich
Gebildet, tut sich auf; mein Geist wird freier:
               Schon hebt er sich!
Schon fleugt er auf in die bekannten Sphären,
               Wo fern der Erd,
Sich, wie der Aar, vom Sonnenstrahl zu nähren,
               Du ihn gelehrt.

Den Toren nur läßt du an Freuden darben,
               Den Denker nie!
Schon wimmeln goldbeschwingt und rosenfarben
               Der Phantasie
Geburten um mich her, die Zeit zu kürzen
               So wunderklug;
Sie wissen uns zum Nektartrank zu würzen
               Den Wasserkrug.


O wärst du zur Gefährtin mir gegeben!
               An deiner Brust
Sehnt' ich mich nie in's laute Menschenleben
               Nach Jugendlust.
Doch fern von dir verscheucht nur die Gedanken
               Das Weltgewühl,
In leerem Rausch verarmen und erkranken
               Geist und Gefühl.

So, ungenützt und ungenossen, schweben
               Die Stunden hin!
O dieses heißt ja träumen nur, nicht leben!
               O laß mich fliehn!
Bevor man mir dies kurze Dasein stehle.
               Will ich allein
Mit mir, in einer Eremiten Höhle
               Noch glücklich sein.

Der Bach

Du Bach, der unter übergebogenem
Gesträuch, und weißem Glimmerschiefer, sanft
Wie Flöten aus der dunkeln Grotte
Jener bewurzelten Felswand rieselt;

An deinem Rand, der moosig und sanft sich hebt,
Vom Blätterdach vor jeglichem Späheraug'
Und Sonnenblick beschirmt, vergeß' ich
Menschen und Welt und Wunsch und Sorge.

Zu süßer Ruhe schwanken in's Gleichgewicht
Der Leidenschaften Schalen: Vergangenheit
Und Zukunft, schwinden im Genusse
Seliger Gegenwart, matt und dämmernd.

Genuß des Augenblickes! o seltnes Glück!
Dem Sterblichen, der immer mit schnellem Fuß
Hervor strebt, bald voraus bald rückwärts
Schaut, und darüber des Weges Blumen.

Itzt übersieht, und jetzo zu Boden tritt!
O Quell, der du der Seele die Lust gewährst,
Gewißlich aus der Sel'gen Fluren
Sprudelst du aufwärts, ein Ausfluß Lethes!

Die Liebe
1798

Laß mein Lied zu dir sich heben,
Königin vom Erdenrund,
Der die Herzen wonnig beben,
Liebe, Quelle aller Leben,
Schöpferhauch aus Gottesmund!
Du erzeugtest, was bestehet,
Du bevölkerst die Natur;
Wo dein sanfter Odem wehet,
Zeugt sich junges Daseins Spur.

Deinem Wink gehorchend, kreiset
Um die Sonne der Planet;
Deinem Zuge folgsam, reiset
Luna um die Erde, weiset
Nach dem Pole der Magnet.
Kräfte die sich feindlich sträuben
Bringt dein Wink zur Harmonie;
Ja, wir säh'n das All zerstäuben,
Hielt es nicht die Sympathie.


Auf der Erd', in Meer und Lüften,
Üb'rall schufst du Weib und Mann;
Leben rufst du aus den Grüften;
Liebend in der Tiefe Klüften
Ziehn sich die Metalle an.
Du regierst in jeder Zone
Bist die Kette, die die Welt
An des Schöpfers Strahlenthrone
Ewiglich befestigt hält.

Mit dem Lenze steigst du nieder
Auf die schlummernde Natur;
Neubelebt erwacht sie wieder,
Feiernd schallen Jubellieder
Aus dem Haine, von der Flur.
Ihre Himmelstöne singet
Philomele nur für dich;
Neu befiedert, froh verjünget
Lieben alle Tiere sich.

Daß es auch dem Wurm gelinge,
Deiner Wonne sich zu freun,
Spinnt er sich zum Schmetterlinge,
Prangt mit goldbesäumter Schwinge,
Liebt und schließt sein kurzes Sein.
Um zu lieben streift die Pflanze
Ihre Knospenhülsen ab,
Schmückt sich mit dem Blütenkranze
Liebt — und welket in ihr Grab.

Alles naht im Feierkleide
Deinem goldnen Hochaltar;
In der Schönheit Festgeschmeide
Bringen Jugend, Kraft und Freude
Jüngling dir und Mädchen dar.
Bis nicht jeder Keim entfaltet,
Bis nicht jegliches Organ
Zur Vollkommenheit gestaltet,
Nimmst du ihren Dienst nicht an.

Doch, wenn schlanken Tannen ähnlich
Jeder Reiz den Körper schmückt,
Wenn die Jungfrau hold und sehnlich,
Und der Jüngling kühn und männlich
Aus dem Feuerauge blickt;
Wenn vom süßen Kindheitstraume
Aufgewacht, der Geist sich hebt,
Und nach einem größern Raume
Die erregte Denkkraft strebt;

Wenn der Blick erhöht, erheitert
Frei die Schöpfung übersieht,
Die Vernunft sich hellt und läutert
Und das warme Herz erweitert,
Neuem Hochgefühle glüht;
Zarte Scham des Mädchens Wangen
Mit des Lotos Farben malt,
Und ein unbekannt Verlangen
Ihr im vollen Busen wallt.

Wenn dich niegefühlte Leere,
Feuervoller Jüngling, plagt,
Und umsonst der Sporn der Ehre
Ins Getümmel wilder Heere
Dich nach blut'gem Lorbeer jagt;
Nicht durch ihre Schmeicheltöne
Fama deine Sehnsucht stillt,
Unwillkürlich manche Träne
Von der blassen Wange quillt;

O dann wandelst du — erfreue
Dich, Beglückter! schon die Bahn
Zu dem Tempel, wo die Weihe
Deiner harret, und bald neue
Freuden, tanzend, dich umfah'n!
Horch, was säuselt dir entgegen
Aus dem nahen Rosenstrauch?
Eine Jungfrau! hold verlegen
Blickt sie nieder, und du auch.

Aber feuriger bald heben,
Suchend, eure Blicke sich;
Du gewahrst ihr leises Beben,
Und ein neugeschaffnes Leben
Strömt mit Sonnenglut durch dich.
Auch zu ihrem Herzen fließet
All ihr Blut so schnell und warm;
Länger hältst du's nicht! Es schließet
Sie an dich dein kühner Arm!

Wohin schwand es so geschwinde,
Was euch erst so ängstlich drückt?
Von den Augen fällt die Binde,
Und ihr staunet, wie der Blinde,
Der das erste Licht erblickt.
Liebe! Ihre hochentzückten
Herzen, preisen deinen Ruhm,
Und du führst nun die Beglückten
In dein stilles Heiligtum.

Die drei Gebote

Horch dem Ersten der Gebote!
L i e b e ists! Sie ist der Knote
Der das Band der Wesen schürzt.
Tilge jeder Feindschaft Triebe:
Den umfasse selbst mit Liebe,
Dessen Haß dein Glück gestürzt.

An der H o f f n u n g Weihaltären,
Die nur Himmelsflammen näheren,
Opfre froh die Gegenwart.
Dulden und entsagen lerne!
Sieh, dort glänzen hell wie Sterne,
Die hier mutig ausgeharrt.

Nicht des Volks Gedräng kann wallen
In der Forschung Schauerhallen,
Wo es nur dem Weisen tagt;
G l a u b e dann! Es hat mit Klarheit
Alles was dir Not, der Wahrheit
Gott durch seinen Sohn gesagt.
 

Papiergeld

Bare Münze willst du? die ist schon längst außer Umlauf;
Im Gesprächhandel steht nur das Papiergeld im Kurs.
Und mit Recht, wie mich deucht! Denn Gold bekämen fast keine,
Silber wenige nur, Kupfer der zahlreichste Teil.
Und das Kupfer ist doch gar unansehnliche Münze!
Drum hat ein witziger Kopf klug Assignate erdacht.
Alle lügen den Wert des Goldes, sind leicht und sind zierlich,
Packen, zehntausenden nach, sich in die Tasche bequem.
Aber freilich verliert, versuchst du den Tausch, bei der Wahrheit
Ernstem Wechselgericht, jedes an neunzig Prozent.
Doch ein Tor nur glaubt nach vollem Werte sie zahlbar,
Und ein Schurke nur setzt gänzlich verfälschte in Kurs.

Der Fels der Wahrheit
1798

Hoch ist der Wahrheit Fels, wo über Wolken und Nebeln
Auf der zackigen Höh' strahlend die Göttliche wohnt.
Freundlich ist's unten im Tal, und himmlisch ist's oben am Gipfel,
Nur die Mitte des Berg's gürten Gewitter und Dünst'.
Bleibt in der ruhigen Tiefe zurück, ihr Waller, ich bitt' euch,
Fühlt ihr nicht Kräfte und Mut ganz zu erklimmen den Fels.

An die Erinnerung

Sei mir gesegnet, Zauberspiegel,
Der die Vergangenheit verschönt!
Du zeigst geliebte Grabeshügel
Mit Immortellen uns gekrönt,
Die Freude mit gebundnem Flügel,
Den Schmerz versöhnt!

Auf unserm ganzen Lebenswege
Begleitet uns die Wirklichkeit;
Der Zukunft blühende Gehege,
Woran die Hoffnung sich erfreut,
Durchführt sie uns auf rauhem Stege;
Die Wirklichkeit.

Die Blumen, die wir hoffend brachen,
Sie blühn von Schlünden eingeengt;
Die Lauben, die uns Ruh versprachen,
Sie sind voll Dornen und versengt;
Der Silberstrom ist ohne Nachen,
Die Welle drängt.

Doch wie wir nur die Tritte heben,
Als über den durchlaufnen Pfad
Sich milde Farbennebel weben;
Was schmerzlich unser Fuß betrat,
Verschwindet, und die Fernen schweben
Voll Blumensaat.

Wer hat uns so den Schmerz entrücket?
Wer sandte jene Dämmerung,
Die Leiden deckt, und Freuden schmücket
Mit Kränzen, ewig frisch und jung! —
Dein Zauber ists, der so beglücket,
Erinnerung!

Die verliebte Dichterin
1797

Vergib Apoll! Ich diene dir nun nicht mehr.
Ein andrer Gott beherrscht als Gebieter mich.
Gezwungen zwar, aber dennoch treulich
Muß ich dem jetzigen Herrn gehorchen.

Durch die Gewalt der Waffen bezwang er mich.
Verwundet' erst, und dann (o wie leicht) besiegt,
In gleichen Reihn' mit tausend Sklaven,
Schmiedet' er mich an den Siegeswagen.

Nun komm' ich nicht mit sinkender Dämmerung
In deinen Hain zum Opfer. Zum Lobgesang
Am Bergaltar, schallt meine Stimme
Nimmermehr laut in der Musenchöre.

Ich winde keine Blumen voll Morgentau
Um deine Leier. Ach, bei dem Reihentanz
An Helikons beblümten Abhang
Hüpf' ich nicht mehr, leicht von Fuß und Herzen!

Du führst auch Pfeil und Bogen, und rühmest dich
Des Fernetreffens. Warum beschützest du
Nicht vor des Knaben Sonne deine
Priesterin, Dir schon so lange geweihet?

Die Wunde von dem tückischen Pfeile ließ
Mir eine Leere tief in der Brust zurück;
Nicht Saitenspiel, nicht Sang verscheucht sie;
Nein! es vermehrt nur das bange Sehnen.

Ein Jüngling nur, der unsere Fluten ziert,
Nur er allein erfüllet den öden Raum;
Wenn er vorüber wandelt, fühl' ich
Bebende Luft meine Wange röten.

Jüngst harrt' ich seines Ganges, im Weidenbusch
Verborgen; aber lange verzögert er.
Doch Terpsichore kam, ich sollte
Neue Gesänge zur Flöte lernen.

Allein vergebens gab sie den Ton mir an;
Stets griff ich falsch, das Zeitmaß entschlüpfte mir.
Erzürnt schon knickte, mit dem Fuße
Stampfend den Takt, sie die Veilchen nieder.

Da kam er! Ach, weit emsiger lauscht' ich nun
Dem süßen Ton, der über die Lipp' ihm glitt!
Es deuchte Rhythmus und Gesänge
Schöner denn deine, mich seine Worte.

Aus ist's, Apollo! Nimmermehr dien' ich dir.
Ein and'rer Gott beherrscht als Gebieter mich.
Versuch's, befrei' — doch nein, ach laß mich!
Denn bereits lieb' ich die neue Fessel.

Dichterlaune

Wie die heil'ge Natur in tausend Hüllen und Larven
Birgt das edle Metall, schlicht, ohne Schimmer und Glanz:
Also gefällt es auch oft dem Dichter sein Gold zu verbergen;
Unbemerkt, ungenützt ruht manchmal durch Jahre der Schatz,
Bis ihm die Wünschelrute verwandten Geistes sich beuget,
Oder der Kenner, der mir Fleiß forschend, ihn fördert zu Tag.
Mag ihn für taubes Gestein des Toren Auge beachten,
Hat ja dem Würdigen bloß selbst ihn der Geber bestimmt.

Schlechte Rechenschaft
1797

Wie der Vers sich wohl nennt? — Du frägst vergebens! Die Suche
Hat mich die güt'ge Natur, doch nicht den Namen gelehrt.
Wie des Landmädchens Ohr der Opernsängerin lauschet,
Und sie, mit biegsamen Ton, Läufe und Triller versucht:
Also lausch' ich dem strömenden Wohlklang schöner Gesänge;
Ohne ut re mi fa träller' ich kühnlich ihn nach.

Die Gabe Apoll's

Midas beneidete Kunst, die Dinge in Gold zu verwandeln,
Ward noch durch Paktolos Flut nicht von der Erde vertilgt:
Seinen Gewählten erteilt sie Apoll; die Leier der Dichter
Wandelt, was sie berührt, auch das Gemeinste, in Gold.

Sonett
nach Scarron

Wo seid ihr hin, ihr Tempel und Paläste,
Ihr Pyramiden, der Vergänglichkeit zum Hohn
Emporgetürmet, für des letzten Enkels Sohn
Bewunderung, voll Schönheit, Pracht und Feste?

Ach leider zeiget Ihr nur traur'ge Reste!
In Trümmern liegt Athen, Palmyra, Babylon;
Und ihrer Götter Sitz, und ihrer Fürsten Thron,
Er dient dem Kauz zum ungestörten Neste!

Der Arm der Zeit hat alles umgestoßen,
Die Säulengäng', und prächtigen Kolossen;
Ihr trotzt kein Granit, kein Erz, kein Marmorblock!

Nichts hat die Welt, das sie nicht einst besiegte.
Soll michs nun ärgern, daß der schlechte, schwarze Rock,
Zwei Jahr' schon alt, ein Loch im Ärmel  kriegte?

An die Träume
1798

Fort ihr luft'gen Traumgebilde,
Die ihr Nachts mich rastlos neckt,
Und sobald die Augenlieder
Sinken, aus der Ruhe wieder
Mich mit Truggestalten schreckt.

Nein, ich dulde eure Tücke,
Euren Mutwill nimmermehr!
Wie mein Bettchen sich erwärmet,
Wimmelt ihr hervor und schwärmet
Wespen ähnlich um mich her.

Dieser sticht und jener kneipet,
Dieser drohet, der entweicht;
Tausend Larven nehmt ihr neckend
Vor's Gesicht, bald schön, bald schreckend,
Bis ihr Morpheus weggescheucht.

Doch zum Glück! Ich hab's erlauschet,
Wo ihr euch des Morgens bergt!
In des Vorhangs leichten Falben
Hängt ihr, wie erstarrte Schwalben,
Bis ihr wieder Wärme merkt.

Und nun schüttl' ich am Mittage
Euch im Winterfrost herab!
Was für bunte Mißgestalten!
Zitternd stürzen auf den kalten
Grund, sie halberwacht, hinab.

Euer Flehn kann mich nicht rühren;
Flieht sogleich im raschen Lauf!
Fliehet zu den faulen Bäuchen
Die dem Dachs an Schlaflust gleichen,
Diese Trägen muntert auf.

Schleichet in die Richtersäle,
Duldet da kein Schläfchen. Zwickt,
Quält und zerrt die indolenten
Räte und den Präsidenten,
Der im Schlaf das Urteil nickt.

Findet auch bei jeder Predigt
's, euch, in der Kirche ein;
Weckt die schlummernde Gemeine,
Laßt ihn nicht vergebens seine
Lunge, an der Wand verschrein.

Aber schont — Apoll gebiet's!
Schont der schmächt'gen Dichterin!
Gönnet ihr des Schlafgotts Segen,
Streut er Mohn, wie goldnen Regen,
Freundlich auf die Müde hin.

Pagenliedchen

Im Tale liegt ein Garten,
Wo Blumen aller Arten
In schönstem Schmelze stehn;
Durch seine bunten Beete
Tat in der Morgenröte
Ich labend mich ergehn.
Mich lockt' es überall,
Zumal die Rosenbüsche,
Woraus ich mir drei frische
Erblühte Knospen stahl.

O allerbeste Wahl!
Denn die drei Rosen, wisse,
Es waren holde Küsse,
Die von den Wänglein süße
Der schönsten Maid ich stahl.

Im Tale liegt ein Garten,
Wo Düfte aller Arten
Vom Baum und Staude wehn.
Da tat in Mittagsgluten,
Als alle Lüfte ruhten,
Ich dürstend mich ergehn.
Mich lockt' es überall
Zumal die würz'gen Beeren:
Ich ließ es mir nicht wehren,
Das ich drei volle stahl.

O wahres Göttermahl!
Denn die drei Beeren, wisse,
Es waren Labeküsse,
Die von den Lippen süße
Der schönsten Maid ich stahl.

Im Tale liegt ein Garten,
Wo Früchte aller Arten
In schönster Reife stehn.
Da, bei des Abends Stille,
Tat in der glühn'den Fülle
Ich sehnend mich ergehn.
Ich mußte nach dem Stab
Des jungen Kirschbaum's langen —
Da fiel auf meine Wangen
Die schönste Frucht herab.

O himmlischer Genuß!
Denn statt des Kirschbaums Rinde
Umschlang ich Ethelwinde,
Und auf den Wangen linde,
Fühlt' ich den Gegenkuß.

Das Auge der Geliebten

Gleichenloses Flammenauge
Das bis in die Seele dringt!
Jeder Puls springt dir entgegen,
Der in meinen Adern springt,
Heldenkühnheit und Entzücken,
Heiterkeit und Tränenlust
Senkest du mit Zauberblicken
In die unterworfne Brust.

Magisch ziehst du, wie Magnete:
O wer widerstünde da,
Wenn du lieblich lächelnd flimmerst?
Wer, wenn du begeistert schimmerst,
Fühlt sich nicht der Gottheit nah?
Kühn durchdringt dein Strahl den Schleier
Der die Wahrheit uns verdeckt;
Er entflammt das heil'ge Feuer
Das zu großen Taten weckt.

Doch wenn Wehmut dich umschleiert,
Und durch Tränen blinkt die Glut,
Dann erst wirken deine Wunder,
Fachen an den kleinsten Zunder,
Der in meinem Busen ruht.
Ach, ich laß ihn nur entglühen!
Eher löschte meine Hand
Hekla's tobend Lavasprühen
Und der Griechen Feuerbrand.

Heilig wie die Opferlohe
Brennt er nur mit süßem Schmerz.
Nicht mein Innres zu zerstören,
Nur die Schlacken aufzuzehren,
Fiel er heilsam in mein Herz.
Ach, und könnt' er je ermatten,
Früher als mein Lebenslicht,
Wär' ich schon ein nicht'ger Schatten,
Ehe noch mein Auge bricht.

Die Sommersprossen

Die Schönheit stand an einer Quelle
Und wusch mit ihrer reinen Welle
Sich das bezaubernde Gesicht.
Am Ufer stand die Menge, dicht
Gedrängt, und sah mit Wonneblicken
Die Lieblichkeit die sich ihr wies,
Und welche Jeder mit Entzücken
Ganz tadellos und göttlich pries.

Das tönte zu des Neides Ohren;
Er schlich voll Tücke sich herbei
Und grins'te: "Niemand ist geboren
Der ohne Fehl und Mangel sei!
Bald findet sie mein Kennerauge,
Und bald erfährt das Publikum,
Wie doch sein Lob so gar nichts tauge."
So schleicht er spähend rund herum:
Doch ach! Mit kaum verbiss'nem Schrecken
Sieht er die Huldin vor sich stehn:
Er kann auch nicht den kleinsten Flecken,
An diesem Götterkind erspähn.

"Sie sollte meinem Hohn entgehn?
Gab Freundin Schmähsucht mir nicht Waffen
Was ihr noch fehlt, ihr zu erschaffen?" —
So knirscht er, schöpfet aus dem Quell
Zwei Tropfen, wandelt sie mit Gifte
Zu einer gelben Ätzung schnell,
Und spritzt sie freudig durch die Lüfte.

Er hat sich nicht zu viel vertraut!
Wohin ein Tröpfchen sich ergossen,
Da haftet auf der Schwanenhaut
Untilgbar nun, ein Sommersprossen.

Lehrlingsweisheit

Was von der Kanzel herab der Mund des Meisters verkündet,
Selbstgefällig und stolz nimmt es der Schüler für wahr.
Wie so deutlich er auch das Wohlbehaltene plappre,
Von dem Geist des Wortes hat er kein Fünkchen erschnappt.
Aber fängst du erst an zu zweifeln, zu schwanken — gewahrest
Du Undeutlichkeit hier, findest du Lücken alldort,
Will an jegliches Kreuz die neue Lehre nicht passen:
Dann — freue dich Freund! Bist du der Schule enteilt.
Die Vernunft ist erwacht, du schauest mit eigenem Auge,
Wägest, prüfest, erkennst — und das Erkannte ist dein.