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Der Mensch
Mit Tränen begrüßt er die Erde,
Mit Leiden beginnt er das Sein.
Er ist da,
Ohne zu wissen: wofür?
Er fühlt,
Ohne zu wissen: wie?
Er kennt seinen Urheber nicht,
Nicht sich selbst,
Kaum die Welt um sich her.
Unwissend über seine Bestimmung,
Steckt er sich selbst ein törichtes Ziel,
Das ihn, ab vom Wege,
In tausend verwickelte Krümmungen lockt.
Er wünscht, verwirft, sich mit Gründen belügend,
Dennoch unbekannt mit dem Triebwerk,
Welches seine Arme jetzt ausstreckt,
Itzt vor Abscheu zurücke ihn scheucht.
Seine Lieblingspuppe ist Wahrheit,
Seine tiefe Weisheit sein Stolz:
Und doch ist er durch Täuschung nur glücklich,
Und doch ist er durch Torheit nur stolz.
Des Zufalls Sklave,
Und doch von Eitelkeit aufgebläht
Sein Meister zu sein,
Lebt er dahin.
Die Zauberschlösser seiner Hoffnungen
Die Kolossen seiner Plane
Stürzt ein Stoß in den Meeresgrund.
Nach Perus goldnen Ufern hat er die Blicke und
Das Schiff gerichtet; aber die Windesbraut
Zerschlägt das Fahrzeug
Und setzt ihn nackt, auf gescheitertem Brette
An Kaliforniens wüsten Strand aus.
Blind für die Zukunft,
Verträumend die Gegenwart,
Die Vergangenheit zurückrufend.
Reißt ihn auf ihrem Fittig die Zeit
Ans Tor des Todes.
Seine Wünsche bleiben zurück,
Und winken ihm aus Gefilden der Jugend,
Die er nicht mehr zu betreten vermag.
Überschaut er mit brechendem Auge
Noch zuletzt die durchlaufene Bahn,
Dann erkennt er den Irrtum,
Und erblickt Wahrheit,
Um mit Verzweiflung und Qual zu bereuen.
Er verläßt die Welt, wie er sie betrat,
An der Hand des Schmerzens;
Indes er seine genossenen Freuden,
Indes er, was er sonst Glück genannt,
Nun für Tand und eitel erkennt.
Endlich entschläft er, zweifelnd und ungewiß,
Hoffend, bebend auf das Erwachen.
Wie wird es sein?
Mann und Weib
Der Mann herrscht auf dem Völkerthron,
Er führt das Heer zur Schlacht;
Er sitzt voll Würde zu Gericht,
Er lenkt das Herz durch Unterricht,
und beugt's mit Rednermacht.
Es stehen Kunst und Wissenschaft
Allein in seinem Sold;
Er ist der Erdengüter Herr,
Schifft stolze Flotten übers Meer,
Und schafft durch Tausch sich Gold.
Sein Name wird der Welt bekannt
Durch Fama's lauten Ruf;
Auf Erz und Marmor und Papier
Verewigt seine Ruhmbegier,
Was er hier tat und schuf.
Das Weiblein sitzet still daheim,
Und spinnt und webt voll Fleiß:
Nebst Kammer, Küch' und Keller steht
Vielleicht ein duftend Blumenbeet
In ihrem Wirkungskreis.
Ihr
Leben fließt geräuschlos hin;
Kein Ruhm, kein äußrer Schein
Stärkt sie zur Übung harter Pflicht;
Von ihren Taten weiß und spricht
Die Nachbarin allein.
Sie folgt der Tugend ohne Lohn,
Als den sie selbst gewährt;
Und der Systeme unbewußt,
Hat das Gefühl in ihrer Brust
Stets sich'rer sie belehrt.
Weh dem, der diese Einfalt frech
Aus ihrer Brust verdrängt!
Sophisterei und witz'gen Hohn,
Und Eitelkeit und Modeton
An ihre Stelle zwängt!
Der Blinde, vom Gefühl belehrt,
Gleicht oft dem Sehenden;
Doch wenn der Star vom Auge fiel
Flieht auch das leitende Gefühl;
Er fühlt nicht, kann nicht sehn.
O Männerstolz, der dies Gefühl
Uns größtenteils geraubt,
Und nun die Sehkraft aufgeklärt,
Zum vollen Licht den Zugang wehrt,
Nur Dämmerung erlaubt!
Nein, Schwestern! Bleibet nicht zurück!
Dringt bis zum Mittag vor!
Nur bei dem Dämmerschein umflirrt
Das Irrlicht uns, und grausend schwirrt
Der Zweifel um das Ohr.
Dringt vor, bis hell der Wahrheit Sonn'
Ob unsrer Scheitel strahlt,
Und nicht mehr riesenlang und breit
Das schiefe Licht der Eitelkeit
Uns unsern Schatten malt.
Seit unsre innre Stimme schweigt,
Natur uns nicht mehr führt,
Gibt der verlornen Einfalt Glück
Die Weisheit uns allein zurück,
Die nie im Pfad sich irrt.
Fort Putzsucht und Koketterie,
Gezier und Modeton!
Aus Überzeugung sei verbannt,
Was unsre Mütter ungekannt
Und unbewußt geflohn.
Und, Männer! sorgt nicht, daß das Weib,
Wenn sich ihr Geist erhellt,
Verlassen wird das stille Haus,
Und drängen sich nach Glanz heraus,
In das Gewühl der Welt!
Zwar glänzt der Thron, es prangt der Stab
In eines Marschalls Hand!
So schmeichelnd klingt Unsterblichkeit!
Schön flimmert auf des Höflings Kleid
Das bunte Ordensband!
Doch alles dies ist eitler Prunk,
Der euch allein betört,
Die Ehrgeiz, Herrschsucht, Eigennutz,
Der Weisheit und Vernunft zum Trutz,
Nur allzuoft entehrt.
Ein sanftes Herz hebt unsre Brust,
Das schon sich selbst belohnt,
Wenn es die stille Pflicht vollbracht,
So die Natur ihm zugedacht,
Und Ruhe drinnen wohnt.
Das Neue
1796
So schweige endlich, ewiger Tadler, still!
Nun jeder Makel zehnmal gerüget ist,
Kommst du ans Beßre, und sprichst höhnend:
"Das ist nicht neu, schon die Alten sagten's!"
Pedantisch zählst du nun die Autoren auf,
Wo d e r Gedank' und j e n e r zu finden sei;
Soll michs denn schänden, wenn schon vorlängst
Weisere Menschen, wie ich, gefühlet?
Weil mich die Mutter später geboren hat,
Drum fühl' ichs später; aber mein Eigentum
Ist deshalb mein Gefühl und Ausdruck,
So wie der Alten Gefühl das ihre.
Allein, gedenkst du etwa, ich plünderte
Bestäubte Folianten mit diebischer
Begier, um mit erborgtem Schmucke
Vor dem getäuschten Volk zu prahlen?
Zu stolz, zu redlich bin ich zu solchem Trug!
Mein heimlich Stübchen ziert keine Bücherwand;
Verstorbne Sprachen sind mir tot, und
Stumm die Gedankenzüg' andrer Völker.
Und
meinest du, es harrte die Küche nicht,
Der Rocken, und die glänzende Nadel mein?
Sie füllen meine Zeit! Die Hände
Wirken geschäftig, indes der Geist denkt.
Zwar gibt's auch Feierstunden, da nehm' ich gern
Ein ernstes Buch, das Weisere rühmeten,
Und les' es denkend, les' es nochmals,
Bis es sich tief dem Gehirne einprägt.
Dann bleib ich lange nüchtern von Leserei,
Wie man nach heil'gem Mahle sich irdischer
Genüß' enthält, bis unvermischet
Unsern Säften sich's beigewandelt.
So wie das Purpurwürmchen den Pflanzensaft
In Purpur umfärbt, so wie den Blütenraub
Die Bien' in Wachs und Honig wandelt,
Wird aus vorhandnem Stoffe neuer.
Was ist ganz neu im alternden Erdenrund?
Sieh um dich her! Nur ewige Wandelung!
Ein Schwinden, Wechseln, Wiederkehren,
Blumen auf Gräbern, und Keim' in Fäulnis.
Welch' ein Gedanke wurde noch nie gedacht?
Geschmack und Meinung wechseln wie Ebb' und Flut;
Systeme gehen auf und unter,
Schimmern und schwinden, wie Nachtgestirne.
Welch' eine Handlung wurde noch nie getan?
Alltäglich fähret Phöbus voll Neugier aus,
Allein sein allspähend' Auge
Sah schon Jahrtausende her nichts Fremdes.
So wie zwar nicht der Frühling dem Frühling folgt,
Doch jährlich wiederkehrt mit dem Sonnenlauf;
So kehrt, befestigt an des Zeitgotts
Wälzendes Rad, der Lauf der Dinge.
Die Spazierfahrt
1792
Fort, mein Gespann, durch hochumbaute Gassen,
Hinaus durchs Tor;
Hinab, hinan auf ungebahnten Straßen,
Den Berg empor!
Itzt schnell herab, daß selbst des Turmes Spitze
Dem Blick entgeh',
Auf daß ich von dem regen Städtersitze
Kein Pünktchen seh'! —
O
wohl mir, wohl! Nun dünk ich mich geborgen
Vor Harm und Pein!
Flieht all zurück, ihr düstern schwarzen Sorgen!
Du heil'ger Hain,
Von der Natur gepflanzt, der Ruh geweihet,
Ich grüße dich!
Dein holder Anblick schon belebt, erneuet,
Entzücket mich.
Komm, Einsamkeit, in deiner stillen Feier!
Mein Herz, durch dich
Gebildet, tut sich auf; mein Geist wird freier:
Schon hebt er sich!
Schon fleugt er auf in die bekannten Sphären,
Wo fern der Erd,
Sich, wie der Aar, vom Sonnenstrahl zu nähren,
Du ihn gelehrt.
Den Toren nur läßt du an Freuden darben,
Den Denker nie!
Schon wimmeln goldbeschwingt und rosenfarben
Der Phantasie
Geburten um mich her, die Zeit zu kürzen
So wunderklug;
Sie wissen uns zum Nektartrank zu würzen
Den Wasserkrug.
O
wärst du zur Gefährtin mir gegeben!
An deiner Brust
Sehnt' ich mich nie in's laute Menschenleben
Nach Jugendlust.
Doch fern von dir verscheucht nur die Gedanken
Das Weltgewühl,
In leerem Rausch verarmen und erkranken
Geist und Gefühl.
So, ungenützt und ungenossen, schweben
Die Stunden hin!
O dieses heißt ja träumen nur, nicht leben!
O laß mich fliehn!
Bevor man mir dies kurze Dasein stehle.
Will ich allein
Mit mir, in einer Eremiten Höhle
Noch glücklich sein.
Der Bach
Du Bach, der unter übergebogenem
Gesträuch, und weißem Glimmerschiefer, sanft
Wie Flöten aus der dunkeln Grotte
Jener bewurzelten Felswand rieselt;
An deinem Rand, der moosig und sanft sich hebt,
Vom Blätterdach vor jeglichem Späheraug'
Und Sonnenblick beschirmt, vergeß' ich
Menschen und Welt und Wunsch und Sorge.
Zu süßer Ruhe schwanken in's Gleichgewicht
Der Leidenschaften Schalen: Vergangenheit
Und Zukunft, schwinden im Genusse
Seliger Gegenwart, matt und dämmernd.
Genuß des Augenblickes! o seltnes Glück!
Dem Sterblichen, der immer mit schnellem Fuß
Hervor strebt, bald voraus bald rückwärts
Schaut, und darüber des Weges Blumen.
Itzt übersieht, und jetzo zu Boden tritt!
O Quell, der du der Seele die Lust gewährst,
Gewißlich aus der Sel'gen Fluren
Sprudelst du aufwärts, ein Ausfluß Lethes!
Die Liebe
1798
Laß mein Lied zu dir sich heben,
Königin vom Erdenrund,
Der die Herzen wonnig beben,
Liebe, Quelle aller Leben,
Schöpferhauch aus Gottesmund!
Du erzeugtest, was bestehet,
Du bevölkerst die Natur;
Wo dein sanfter Odem wehet,
Zeugt sich junges Daseins Spur.
Deinem Wink gehorchend, kreiset
Um die Sonne der Planet;
Deinem Zuge folgsam, reiset
Luna um die Erde, weiset
Nach dem Pole der Magnet.
Kräfte die sich feindlich sträuben
Bringt dein Wink zur Harmonie;
Ja, wir säh'n das All zerstäuben,
Hielt es nicht die Sympathie.
Auf
der Erd', in Meer und Lüften,
Üb'rall schufst du Weib und Mann;
Leben rufst du aus den Grüften;
Liebend in der Tiefe Klüften
Ziehn sich die Metalle an.
Du regierst in jeder Zone
Bist die Kette, die die Welt
An des Schöpfers Strahlenthrone
Ewiglich befestigt hält.
Mit dem Lenze steigst du nieder
Auf die schlummernde Natur;
Neubelebt erwacht sie wieder,
Feiernd schallen Jubellieder
Aus dem Haine, von der Flur.
Ihre Himmelstöne singet
Philomele nur für dich;
Neu befiedert, froh verjünget
Lieben alle Tiere sich.
Daß es auch dem Wurm gelinge,
Deiner Wonne sich zu freun,
Spinnt er sich zum Schmetterlinge,
Prangt mit goldbesäumter Schwinge,
Liebt und schließt sein kurzes Sein.
Um zu lieben streift die Pflanze
Ihre Knospenhülsen ab,
Schmückt sich mit dem Blütenkranze
Liebt — und welket in ihr Grab.
Alles naht im Feierkleide
Deinem goldnen Hochaltar;
In der Schönheit Festgeschmeide
Bringen Jugend, Kraft und Freude
Jüngling dir und Mädchen dar.
Bis nicht jeder Keim entfaltet,
Bis nicht jegliches Organ
Zur Vollkommenheit gestaltet,
Nimmst du ihren Dienst nicht an.
Doch, wenn schlanken Tannen ähnlich
Jeder Reiz den Körper schmückt,
Wenn die Jungfrau hold und sehnlich,
Und der Jüngling kühn und männlich
Aus dem Feuerauge blickt;
Wenn vom süßen Kindheitstraume
Aufgewacht, der Geist sich hebt,
Und nach einem größern Raume
Die erregte Denkkraft strebt;
Wenn der Blick erhöht, erheitert
Frei die Schöpfung übersieht,
Die Vernunft sich hellt und läutert
Und das warme Herz erweitert,
Neuem Hochgefühle glüht;
Zarte Scham des Mädchens Wangen
Mit des Lotos Farben malt,
Und ein unbekannt Verlangen
Ihr im vollen Busen wallt.
Wenn dich niegefühlte Leere,
Feuervoller Jüngling, plagt,
Und umsonst der Sporn der Ehre
Ins Getümmel wilder Heere
Dich nach blut'gem Lorbeer jagt;
Nicht durch ihre Schmeicheltöne
Fama deine Sehnsucht stillt,
Unwillkürlich manche Träne
Von der blassen Wange quillt;
O dann wandelst du — erfreue
Dich, Beglückter! schon die Bahn
Zu dem Tempel, wo die Weihe
Deiner harret, und bald neue
Freuden, tanzend, dich umfah'n!
Horch, was säuselt dir entgegen
Aus dem nahen Rosenstrauch?
Eine Jungfrau! hold verlegen
Blickt sie nieder, und du auch.
Aber feuriger bald heben,
Suchend, eure Blicke sich;
Du gewahrst ihr leises Beben,
Und ein neugeschaffnes Leben
Strömt mit Sonnenglut durch dich.
Auch zu ihrem Herzen fließet
All ihr Blut so schnell und warm;
Länger hältst du's nicht! Es schließet
Sie an dich dein kühner Arm!
Wohin schwand es so geschwinde,
Was euch erst so ängstlich drückt?
Von den Augen fällt die Binde,
Und ihr staunet, wie der Blinde,
Der das erste Licht erblickt.
Liebe! Ihre hochentzückten
Herzen, preisen deinen Ruhm,
Und du führst nun die Beglückten
In dein stilles Heiligtum.
Die drei Gebote
Horch dem Ersten der Gebote!
L i e b e ists! Sie ist der Knote
Der das Band der Wesen schürzt.
Tilge jeder Feindschaft Triebe:
Den umfasse selbst mit Liebe,
Dessen Haß dein Glück gestürzt.
An der H o f f n u n g Weihaltären,
Die nur Himmelsflammen näheren,
Opfre froh die Gegenwart.
Dulden und entsagen lerne!
Sieh, dort glänzen hell wie Sterne,
Die hier mutig ausgeharrt.
Nicht des Volks Gedräng kann wallen
In der Forschung Schauerhallen,
Wo es nur dem Weisen tagt;
G l a u b e dann! Es hat mit Klarheit
Alles was dir Not, der Wahrheit
Gott durch seinen Sohn gesagt.
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