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Gedichte 2
 

Nelsons Tod
"Wir" statt "ich"
Amors Schrift
Chronos
Die Biene und die Ameise
Pseudonymität
Der Größere
Die Kunst des Höflings
Der Schlaf
Die nutzlose Gabe
An einen Schmetterling
Worte und Blicke
Bürgschaft der Liebe
Das Neglige
Für Schönheits- und Charakterforscher
Bitte
Die Laune
Lebewohl

Nelsons Tod

Sieh, das Leben verschwamm er auf wankenden Brettern im Weltmeer,
Wolken und Stürme um's Haupt, Donner und feindlichen Blitz.
Doch als dieser zum Tod nun endlich den Helden getroffen,
Wollt' er des Ozeans Brut nicht seinen Leichnam vertraun.
"Hardy, nicht wirf mich hinab! Versprich es!" — So sehnten zur Erde,
Ihrer Gebärerin Schoß, sich die Atome zurück.

"Wir" statt "ich"

Ein Haupt nur trägt des Königs Majestät,
Doch alles diene ihr, was ihren Glanz erhöht.
Nur Einheit, nennet sie denn Mehrheit sich, sehr wahr:
Ihr Wille, ihre Macht, stellt die Gesamtheit dar.

Doch sprich, was nennt sich "Wir?" im Mezenninenstübchen
Ein namenloser Wicht, ein Rezensentenbübchen?
Nicht Stimme noch Gewicht hat ja sein Ich: darum
Macht er euch gerne weis, er sei das Publikum.

Amors Schrift

Amor schreibt in Männerherzen
Mit der Kreide leichtem Zug;
Was daran vorüber schwebet,
Tilgt die Inschrift leicht genug.
Aber in der Weiber Herzen
Gräbt er, wie in festen Stein,
Mit dem Griffel und mit Schwärze
Der Geliebten Namen ein.
So, verwittert auch die Farbe,
Muß die tiefgeprägte Narbe
Dennoch ewig sichtbar sein.

Chronos

Kein Geschenk erwartet, Menschen,
Aus des Zeitgott's karger Hand,
Geizig ist er, nach der Weise
Seines Alters, wie die Greise,
Alles leiht er nur als Pfand.
Was er noch so hold gegeben
Mit dem schönsten Schmeichelwort —
Jugend, Liebe, Reiz und Leben —
Alles nimmt er wieder fort.


Die Biene und die Ameise

Ein Bienchen sog an Lindenblüte,
Indes am Stamm mit schnellem Fuß
Die Ameis' auf und ab sich mühte.
"Ei," rief sie, "Immlein, schönen Gruß!
Wie hoch stehn wir vor andern Tieren
Die nur zu Lust und Fraß sich rühren!
Uns ist der Arbeit Pflicht Genuß.
Du fleugst umher ohn' Überdruß,
Dieweil ich rastlos tätig wandre."
"Ein Unterschied doch möchte sein,"
Spricht jene: "nur für dich allein
Arbeitest du — ich nur für Andre!"

Pseudonymität

Niemand nennt sich Ulyß, damit der einäugige Riese
Ihn nicht verschlinge: stets bleibt, traun! er der klügeste Held.
Noch entgeht das Verdienst dem Ungeheuer der Mißgunst
In dem Weltgewühl nur, wenn es für N i e m a n d sich gibt.

Der Größere

Wer ist größer, ists der, des Tugend Feinde selbst loben,
Oder der Mann, der am Feind selber die Tugend noch ehrt?

Die Kunst des Höflings

Welche Kunst bewundert die Welt am geglätteten Hofmann?
Wenn er mitten im Zwang frei und behaglich erscheint.

Der Schlaf
Nach dem Französischen

Von Freud' und Lieb' erregt, war mir am Lebensmorgen
Des stillen Schlafs Betäubung Pein:
Doch ach, nun gibt er mir Vergessenheit der Sorgen
Und einen Traum von Glück allein.

Die nutzlose Gabe

Zwei Feen, welche sich entzweit,
Versuchten üb'rall, sich zu necken;
Sie wußten die Gehässigkeit
Bis auf die Freunde zu erstrecken.
Sieh, da genas von einem Kind
Die Königin, die Zephirette.
Beschützte, und an's Wochenbette
Trat sie mit ihrem Angebind.
Sie schenkte, was von allen Gaben
Den Frauen stets die höchste heißt:
"Du sollst," so sprach sie, "Schönheit haben!"
Und alles jubelte, dankt und preist.
Doch kaum noch sprach es Zephirette,
So kam im Luftkabriolette
Die Feindin auch schon nachgejagt.
"Die Schönheit kann ich dir nicht nehmen,
So habe sie, mich soll's nicht grämen!
Dafür sei dir der Reiz versagt.
Bewundrung wird dir dann von Allen,
Doch Keinem magst du je gefallen.

An einen Schmetterling

Du flüchtige Sylphide
Mit hundert Pfauenaugen,
Die mit dem zarten Fittig
Von Blum' auf Blume flattert:
Sprich, hat dich die Viole,
Die Nelke, bunt gesprenkelt,
Hat Purpurmohn und Tulpe,
Aurikel oder Aster
Im Kelche dich bemalet —
Wie, oder färbtest du sie,
Die schönen Schwingen schüttelnd,
Mit deinem Farbenstaube?

Worte und Blicke

Worte sind Buchstabenschrift der Seele; doch die beredt're
Kürzere Hieroglyph' ist der geistvolle Blick.

Bürgschaft der Liebe

Zu Chlorindens Türe kam
Daphnis mit dem Amorknaben.
"Sieh, wen ich zum Führer nahm!
Wird nicht Gegengunst mich laben?"
Streng und prüfend wirft Chlorind'
Einen Blick aufs Flügelkind:
"Nein erwarte keine Gnade!
Mich nicht täuscht die Maskerade.
Ist ein Bürge wohl dabei,
Daß dies wirklich Amor sei? —
Um Euch Glauben zuzumessen,
Habt der T o r h e i t Ihr vergessen."

Das Neglige

Schöne Seelen sind gleich den schönen Gestalten; im freien
Häuslichen Neglige zeigt sich am höchsten ihr Reiz.

Für Schönheits- und Charakterforscher

Willst du Schönheit prüfen, besieh' sie im Morgengewande,
Wo nicht Mode und Schmink' Mängel und Umrisse deckt;
Willst du Charakter erforschen, bemerk' sie im häuslichen Cirkel,
Wo aus Bequemlichkeit gern jeder des Scheines vergißt.

Bitte

Zu einem Bücherbinder trug
Ein Bauernmädchen drei zerfetzte Bände.
Sie legte sie in seine Hände,
Und sprach: "Zwar sind sie schlecht genug,
Allein Ihr macht daraus mir doch E i n gutes Buch."
Der Binder lächelte: "Mein Kind, darauf verstehe
Ich mich wohl nicht doch dort zum Compilator gehe,
Der lebt von solchem Werk: vielleicht ist er so klug."

Die Laune

Wie ein gräuliches Nebelgewölk die herrlichste Landschaft,
So entstellet dein Flor, Laune, das schönste Gesicht.

Lebewohl

Ein ernst und freudiges, ein tief erwärmt Gemüte
Gibt Euch die Stunden, wo Begeistrung es durchglühte,
Wo es von manchem Drang und Anklang aufgeregt,
Dem kühnen Geiste Luft, dem heißen Herzen machte,
Und sich und andre treu zu bessern, trösten dachte;
Sei traulich denn an's Herz die Gabe Euch gelegt!

Schwer ists dem Blumenkeim, ganz ungepflegt, im Freien
Ja, halb zertreten und verletzt oft, zu gedeihen!
Ein stürmisch rauher Lenz und heißen Sommers Brand
Und harter Boden hat ihn oft zurück gehalten:
Er wuchs, doch konnte nicht die Krone sich entfalten,
Die mit der Aster erst die Zeit der Blüte fand.

Nun lebet wohl, und seid der Sängerin gewogen,
Ihr Leser! Fänd auch manch Erwarten sich betrogen,
Weil die Vollendung nicht, was sie Euch gab, gekrönt:
Seht ihr es gütig nach! Was Euer Ohr jetzt hörte,
Vorlaute sind es nur zum endlichen Konzerte,
Das erst aus ihrem Grab dem Vaterland ertönt.