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Neuere Gedichte von Theone

Tübingen 1806
in der J. G. Cotta'schen Buchhandlung

Gedichte 1
 

Weltleben
Romanze
Beim Jahreswechsel
Geständnis
An ein Mailüftchen
Der Kuß beim Pfandspiel
An einen schlechten Patrioten
Das Mädchen und Phöbus
An Schwester Lotte
Der Deportierte
Am Hymenäum
Der Götterraub
Dichterberuf
Darf ein Weib Satiren dichten?
Der Zweifler
Der Verliebte und die Zeit
An Ninna
Der Kühnste

Weltleben


Wohin soll ich meine Unschuld retten,
Vom Verderben, das mich graus umringt!
Angeln lauern hier, dort drohen Ketten,
Wohin scheu mein Blick, mein Fußtritt dringt.
Auf des Landes stiller Flur erzogen,
Nun geschleudert ins Gewühl der Welt,
Ach, wie steur' ich aus den wilden Wogen
Meinen Kahn, bevor er leck zerschellt?

Könnte hier wohl stille Tugend hausen,
Wo den Menschen sinnenlos, betäubt,
Wilden Lebens Strom mit lautem Brausen
Rastlos schnell in ew'gen Wirbeln treibt?
Wo von Laster, Trug und Wahn regieret,
Man Natur und Wahrheit laut verlacht,
Der Verführte andre schon verführet,
Eh er selbst von seinem Rausch erwacht?

Wo, im Bund mit den empörten Sinnen,
Sich das Laster mit der Freuden Chor,
Ein noch schuldlos Herz sich zu gewinnen,
Mit der Menschheit Trieben selbst verschwor.
Seine Greuel nennt man süße Schwächen,
Fehlern muß die Tugend Namen leihn;
Nur das einz'ge, schrecklichste Verbrechen
Ist, der Unschuld hier noch treu zu sein.

In der Luft von Tausenden verdorben,
Sind auf deiner Wange bald der Scham
Und der Freude Rosen hingestorben;
Es umwelkt sie Frechheit oder Gram.
Eris Mode dränget jedes warme
Heilige Naturgefühl zurück,
Reißt den Säugling aus dem Mutterarme,
Bannt den Gatten von der Gattin Blick.

Aus dem bunt sich treibenden Gewimmel
Über welchem Dämon Selbstsucht schwebt,
Fliehet Themis wieder auf zum Himmel,
Und die Freundschaft, die nur andern lebt.
Alles kämpft; es stürzen blutend viele;
Froh verfolgt der Sieger seine Bahn;
Jeder strebt nach seiner Neigung Ziele,
Klämm' er über Leichen auch hinan.

Nein, nicht länger kann ich es ertragen!
Länger soll mein Blick sich nicht entweihn,
Zeuge von den Lastern, von den Plagen,
Des gesunknen Städtervolks zu sein.
Nehmt mich auf, ihr stillen niedern Hütten!
Euch hat die Natur noch nicht geflohn! —
Ach! auch hierher drang die Pest der Sitten,
Auch von hier wich edle Einfalt schon.

Tief erniedrigt hat der Knechtschaft Bürde
Auch des Erdbebauers stillen Stand:
Die Cabal' erteilt die Schulzenwürde,
Wie am Hofe Stern und Ordensband.
Eitelkeit verdrängt des Herzens Triebe,
Stolz und Habsucht treue Redlichkeit;
Neid, Verleumdung, milde Menschenliebe; —
Gut' und Bildung überall entzweit!

Weh, Europa, das ist deine Seuche,
Unschuld tötende Verfeinerung!
Sie verbreitend, muß in ferne Reiche
Noch dein Auswurf zur Bevölkerung.
Fruchtlos, ihre Kinder zu bewahren,
Trennte sie Natur durch weite Meer';
Deine Flotten trotzen den Gefahren,
Tragen mutig deine Pest umher.

Find ich denn kein Plätzchen, abgeschieden,
Einsam und mit Felsen rings umstellt?
Nirgends mehr Arkadien hienieden,
Eine reine fromme Unschuldswelt? —
O so laßt mich! — Jenseits Ozeanen
Such ich Raum für meines Herzens Ruh:
Trag, o Boot, mich über neue Bahnen
Einem stillen Vogeleiland zu.

Ha, ein Genius! Aus jener Sphäre
Senkt er glänzend sich vor meinen Blick.
O halt ein, Betörte! ruft er, kehre
Wieder in der Brüder Kreis zurück!
Willst du der Geselligkeit entsagen,
Um der Tugend sichrer treu zu sein?
Kann Kultur die Unschuld nicht vertragen,
Muß Verfeinerung das Herz entweihn?

Nicht zum Stillestand seid ihr geboren,
In der Blumenflur der Kindlichkeit!
Zur Vollendung ist der Mensch erkoren,
Seine Laufbahn die Unendlichkeit.
Vorwärts geht der Pfad! zwar über Dornen,
Über Schlünde führt dich oft der Weg;
Doch im kühnen Laufe dich zu spornen,
Blick', ans Ziel, darüber mutig weg.

Sieh den Baum! Er blüht. Doch Chronos streifet
Bald den Schmuck ab, den ihm Flora gab.
Früchte sind sein Zweck. Noch ungereifet
Schüttelt viel der Sturm, die Fäulnis ab:
Doch die wenigen, die ganz gedeihen,
O wie zieren sie den stolzen Baum!
Schimmern golden durch das Laub, verleihen
Götterlabung des erhitzten Gaum.

Sieh ihn an mit denkendem Gemüte,
Weinest du der frommen Einfalt Flucht!
Unschuld ist der Menschheit zarte Blüte,
Weisheit ihre reife Necktarfrucht.
Nur in der Gesellschaft Marktgewühle
Weckt Bedürfnis, wecket Leidenschaft
Alle Trieb' und schlummernden Gefühle,
Die Vernunft und die Erfindungskraft.

Seine Selbstheit in der tollen Menge
Zu bewahren, treulich die Natur
In dem Schein: im stoßenden Gedränge
Nie zu weichen von der Tugend Spur;
Vielgewandten Geistes, und doch reines
Herzens, den Olympiern zu nahn:
Sterblicher! dies ist die Aufgab' deines
Laufs', Elysium das Ziel der Bahn.


Romanze

Ein Wandrer ging durch Berg und Tal
Am Knotenstabe fort,
Er kroch durchs Dickicht, wie ein Dieb,
Und floh, wenn ihn nicht Hunger trieb,
Scheu jeden Wohnungsort.

Er grüßte liebend Flur und Hain,
Und Sonn' und Mondenlicht;
Er grüßte Wurm und Schmetterling;
Doch wenn ein Mensch vorüber ging,
Den Menschen grüßt' er nicht.

Gleichwie der Ruf dem Echo schallt,
So schallt es auch zurück:
Ein jeder sah dem Wandersmann
Die trotz'ge Menschenfeindschaft an,
Gab ihm nicht Wort noch Blick.

Sein Weg geht nach der Alpen Höhn,
In das beglückte Land,
Wo mancher Freund der Einsamkeit,
Den Menschen mit der Welt entzweit,
Noch eine Zuflucht fand.

Als nun vom ersten Alpenhaupt
Der weiße Nebel wich,
Da sank er auf die Knie, tief
Gerührt, mit feuchtem Aug', und rief
Entzückt und feierlich:

"Willkommen, Freistatt der Natur!
Hier will ich noch, allein
Fern vom Gewimmel, das mich drückt,
Wo jeder trugvoll mich berückt,
Zufrieden, glücklich sein!

Da, wo der höchste Felsen sich,
Nur Gemsen wirtlich, türmt,
In einer Kluft ein grünend Tal
Mit einem kleinen Wasserfall
Unsichtbar, rund umschirmt:

Da will ich mir ein Hüttchen baun,
Hoch, wie der Adler heckt!
Gesellschaft, Nahrung geben mir
Zwo Ziegen; bald vergeß' ich hier
Wie mich die Welt geneckt.

Daß mich der trautste Jugendfreund,
Daß Stella mich betrog:
Vergeß' es, wie sie meinen Harm
Verspottend, treulos in den Arm
Des Freundverräters flog.

Vergeß' es, daß das Vaterland
Mit Ketten mich bezahlt;
Und schöpfe, abgewandt vom Quell,
Damit mir seine Spiegelwell'
— Kein Menschenbild mehr malt." —

Er sprachs, und schritt mit heitrer Stirn'
Mit schnellerm Fuße vor:
Die Bahn ward steiler, führt ihn bald
Durch rauhe Klippen, Fels und Wald
Bis zum Gewölk empor;

Bald wieder in ein blühend Tal
Voll Herden, jäh hinab,
Wo an der Gletscher weißer Grenz'
Ein ew'ger Winter holdem Lenz
Die Hand vertraulich gab.

Er nahte einem Felsenstück,
Das eng den Pfad verschloß,
Da sah er in den blauen Höhn,
Sich gierig einen Geier drehn,
Der auf ein Lämmlein schoß.

Das Lamm gewahrte seinen Feind;
Von der Gefahr bedroht
Entstürzt' es sich der Klippe schroff —
Und von der reinen Wolle troff
Das Blut gleich purpurrot.

Der Wandrer nahm es in den Arm,
Band seine Bind' ihm um,
Gedacht', es streichlend, mitleidsvoll:
"Wo find ich deinen Hirten wohl?"
Und trat am Fels herum.

Da saß in leichter Hirtentracht,
Bestrahlt vom Abendglanz,
Ein Mädchen, an die Felsenwand
Gelehnt; den Schoß voll Blumen band
Sie emsig einen Kranz.

Die Unschuld schwebt' auf ihrer Stirn,
Die Freud' um ihren Mund;
Am Schüppenstabe hing ihr Hut
Zu ihren zarten Füßen ruht'
Ihr treuer Schäferhund.

Nie hat uns Angelika's Hand
Ein süßer Bild gemalt!
Der Pilger sah's und bebt zurück,
Gleich einem Seher, dessen Blick
Das Paradies umstrahlt.

Sie sah ihn nicht — doch Phylax, ach!
Gewahret ihn; er rafft
Sich auf, mit schrecklichem Gebell,
Und reißt den Herdenräuber schnell
Zur Erd mit Tigerkraft.

Das Mädchen springt empor, und eilt,
Von Schrecken bleich, herbei;
Sie ruft dem Tiere, und, beschämt,
Dem Löwen gleich, den Rhea zähmt,
Läßt es den Fremdling frei.

Sie tritt herzu, sie hebt ihn auf,
Von Blut träuft seine Hand.
Ihr Auge füllt ein Tränchen hell,
Sie reißt vom Lilienbusen schnell
Das Tuch ab, zum Verband.

Dem Wandrer war so wunderbar,
Sein Sinn war so bewegt;
Und dräng die Wunde bis ins Herz,
Er fühlte nicht den herbsten Schmerz
Wenn diese Hand ihn pflegt.

Nun nimmt sie erst des Lammes wahr,
Und sieht es, nicht sein Dieb,
Sein Retter war der fremde Mann;
Voll süßer Unschuld kost sie dann
Ihn und das Tierchen lieb.

"O guter Fremdling, mußt mit mir
In unsre Hütte dort;
Und, wie dein Sinn auch vorwärts eilt,
Bis deine Wunde nicht geheilt,
Sprich ja kein Abschiedswort."

"Lieb Mägdlein, eine tiefre Wund'
Als diese, schlugst du mir!
Sie brennt im Busen! Willst du sie
Nicht auch mir heilen — o so flieh
Ich lieber gleich von hier.

Mich trog die Menschheit — doch dies faßt
Dein reiner Sinn wohl nicht;
Du hast mich ausgesöhnet, du!
In meinen Geist strömt wieder Ruh
Von deinem Angesicht.

Die Welt verbannte mich, sie riß
Der Menschheit heiliges Band
Mit meinem Herzen wild entzwei;
Doch gerne knüpf ich es aufs Neu
Leihst du dazu die Hand." —

Er blickt' ihr ins gesenkte Aug',
Sie bebte, stumm und bang;
Er las in ihrem Herzen, drückt'
Den ersten Liebeskuß entzückt
Auf ihre Purpurwang'?

Sie klammen nun zur Sennerhütt'
Umarmt, im Abendhauch;
Nur halb geschlossen war die Wund',
So segnet' ihren Liebesbund
Der greise Vater auch.

Er baut' nun eine eigne Hütt'
Am Felsenhang sich hin;
Doch keine Eremiten Zell'!
Die Lieb' bevölkerte sie schnell,
Und wohnte mit darin.

Im Arm der Liebe und Natur
Genas bald ganz sein Herz;
Am warmen Weibes-Busen schmolz
Sein Menschenhaß, sein scheuer Stolz
Dahin, wie glühend Erz.

 
Beim Jahreswechsel

Tage sendet um Tage herab der goldene Wagen
Phöbus; jeder versinkt wieder allnächtlich im Meer.
Horen tanzen mit ihnen vorüber. Dem Sohne des Staubes
Führen die Kindheit sie zu, lieblich mit Knospen geschmückt:
Glücklich spielt er mit ihr; doch bald entflieht sie dem Schauplatz,
Und die Jugend erscheint, schöner mit Rosen gekrönt.
Es umschweben sie hold phantastische Zaubergestalten,
Bilder der Freude; du nahst, himmlische Liebe, mit ihr.
Aber kurz wie ein Traum — und es scheucht der ernste Saturnus
Jugend und Liebe hinweg, Lächeln und Rosen hinweg.
Ach! — so raubet die Zeit denn alles, was sie gegeben?
Läßt, wie beim Ausgang, arm, trostlos den Pilger am Ziel?
Nein! ich bin nicht allein. Die Freundschaft und die Erfahrung
Stehen zur Seite mir treu, bleiben im Wechsel zurück.
Sei auch alles entflohn! Wenn diese mir Weisheit gebieret,
Jene mich edel beglückt — Chronos verschlinge den Rest.

Geständnis

Amor, stimme meine Saiten!
Was ich sonst nur Dir vertraut,
Meines Lieblings Lob soll laut
Itzt von meinen Lippen gleiten;
Was sonst jedes Mädchen scheut
Zu gestehn, bekenn ich heut.

Ich bekenn' es, daß ich liebe!
Wie verhehlt' ich auch den Schmerz,
Welcher durch mein zitternd Herz
Schauert, und mit mächt'gem Triebe
Ewig Tritte, Mund und Hand
Lenkt nach Einem Gegenstand?

Trenn' ich mich von ihm, so beben
Ängstlich meine Glieder gleich;
Von den Wangen, welk und bleich,
Aus den Augen flieht das Leben,
Und ich schwanke, matt und kalt,
Ähnlich einer Spukgestalt.

Doch mit sehnlicherm Verlangen,
Kann des Bräut'gams kühner Arm
Nicht die Jungfrau, liebewarm,
Beim Verlobungskuß umfangen,
Als mein Arm sich an dich schmiegt,
Ist die Trennung nun besiegt.

Auf dich heftend Mund und Blicke
Fest an dich gedrückt die Brust,
O wie schnell kehrt Leben, Lust
Farb' und Feuer mir zurücke!
O wie schmilzt mein stockend Blut
Dann an deiner treuen Glut!

Mag der Sturm aus Nordost heulen,
Schick' des Poles kalter Bär
Flocken, Eis und Frost uns her;
Kann ich nur bei dir verweilen,
Gern entbehr' ich Maienluft,
Vogelsang und Blütenduft.

Lohne stets mit gleichem Feuer
Meine reine Zärtlichkeit,
Und kein Mädchen weit und breit
Liebet inniger und treuer,
Als ich dich, bis zum April,
Trauter Ofen, lieben will.

An ein Mailüftchen
als mein Vater schlief

Spiele sanft mit dem Silbergelock
An des Vaters schlummerndem Haupt,
Holder Knabe des Frühlings!

Mit den Schmetterlings Fittigen weh'
Alle Balsamdüfte des Mai's
In des Ruhenden Antlitz.

Du verjüngtest mit lauliebem Kuß
Auch der alten Erde Gestalt,
Hobst zu kräftigem Leben

Der Matrone kaum bebenden Puls,
Und vom Sterbelager erstand,
Sie im Kranze der Jugend.

O, zum Aeson verjüng' auch den Greis!
Mit dem süßen Blütenhauch schmelz'
Ihm den Schnee seiner Scheitel.

Färbe rosig ihm wieder die Wang',
Fächle Wärm' und männliche Kraft
In die Adern des Greises!

Der Kuß beim Pfandspiel

Nein, o Jüngling, fordre ihn nicht! das heilige Siegel
Höchster Freundschaft und Lieb', darf man es spielend entweihn?

An einen schlechten Patrioten

Länger halt ich den Zorn nicht in der Brust zurück!
Teilnahm' wäre Verzeihn, wäre Verhehlen nur
Deines schändlichen Undanks,
Kalter Sohn meines Vaterlands!

Unwert bist du des Lichts, das dich zuerst entzückt,
Unwert bist du der Flur, welche dir Nahrung gab,
Bist unwürdig des Schutzes
Den Gesetz Dir und Fürst verleihn.

Mit Verachtung nur blickst du auf das Land herab,
Das dich mütterlich trägt, höhnisch aufs Brudervolk,
Dessen Pflege und Bildung
Dich zum denkenden Wesen hob.

Patriot, dieser Nam' zwingt dir ein Lächeln ab;
Torheit voriger Zeit, arme Beschränktheit der
Deciusse und Cato's
Wars, zu lieben ein Vaterland.

In die Fremde hinaus starrt nur dein Sehnsuchts-Blick,
An den Feinden des Reichs siehst du nur Tugenden,
Wünschest Sieg nur dem Heere,
Das im Vaterland wüten will.

Horch, wie nennest du dich? Kosmopolit! Ha, dies
Tönet höher! zu klein ist dir Ein Volk , Ein Land,
Deiner Liebe gedehnter
Arm umspannet den Erdenkreis.

Mag dein Bruder am Rhein Galliens Sklave sein,
Wird der Cophte nur frei von der Osmanen Druck!
Werd' Europa verheeret,
Hat der Nil doch ein Zeitungsblatt.

Arge Krankheit der Zeit! Traurige Maske, die
Herzens-Trägheit und Kälte fruchtlos zu bergen strebt!
Ob dem Neger Guinea's,
Welchem nie deine Träne nützt,

Gehst du fühllos und kalt vor des unglücklichen
Nachbars Haus, den dein Arm leicht auf Fortunens Rad
Wieder hübe; Tiraden
Sind ja leichter als Taten dir! —

Aus der Höhle des Bergs, unter des Eichbaums Dach
Aus dem Dickicht hervor, rief die Geselligkeit
In der Jugend der Menschheit,
Pyrrha's halb noch versteinten Sohn.

In den Mauern der Stadt, unter dem Szepter des
Fürsten, von dem Gesetz heilsam ins Joch gebeugt,
In dem Kreise der Nachbarn,
Ward zum Menschen das rohe Tier.

Und das erste Gefühl, welches ihn edler hob,
War die Dankbarkeit, war Liebe für Haus und Feld
Nachbarn, Fürst und Gesetze,
War der mildere Bürgersinn.

Und dir ist es ein Spott, dieses so menschliche
Beßre Erstlingsgefühl, welches des Wilden Brust
Allen Tugenden aufschloß,
Ohne dem du selbst Wilder wärst?

Höher trägt dich dein Flug? O, auch erweiterter
Sind die Grenzen des Staats, welchem du angehörst!
Wagst du's, ernstlich zu wähnen,
Allzuklein sei er deiner Kraft?

Ziehe enge den Kreis, wenn du ihn füllen willst!
Von dem Mittelpunkt nur rings um vergrößer' ihn,
Wie der Steinwurf die Zirkel
Auf der Fläche des Spiegelsee's.

O, gedenke des Bachs, der, in sein Bett beschränkt,
Segen spendet im Lauf, rauschende Mühlen trieb,
Aber stolz, nun des Stromes
Breit hinwallende Majestät

Nachzuahmen, sich weit über die Flur ergoß,
Wo sein Wasser in Dunst nichtig gen Himmel dampft,
Und die Aura den Goldsand
Seines Grundes, als Staub entführt. —

Ha, wer bist du, o Weib, rufst du mir staunend zu,
Das den männlichen Stoff kühn zu besprechen wagt?
O, wohl weiß ich's, ihr Männer
Neidet jedes erhabnere

Allgemeinre Gefühl, welches die Brust uns hebt.
Streitet Vaterlands Lieb' etwa mit Weiblichkeit?
Könnt' ich nur, gleich Veturen,
Rühren, Coriolanus, dich!

Wer soll lieben die Flur, welche dem Kinde schon
Blumen spendet' zum Spiel, Hütte und Vaterherd,
(Ihre Welt!) und des Hauses
Götter, wenn sie das Weib nicht liebt?

Und mich leitete früh schon zu des Vaterlands
Weihaltare, wie einst Hamilkar Hannibal,
Mein Erzeuger, und hob des
Kindes Händchen zum Liebesschwur.

Ja, mein zahllos Geschlecht liebe ich; heilig schallt
Immerdar mir der Nam': Mensch! in der Brust zurück;
Aber näher und süßer
Tönet Freund mich, und Bruder an.

Schaudernd kehrt sich mein Blick auch vom eroberten
Schlachtfeld ab, und mein Herz fühlt mit der Mutter, die
An den Ufern der Seine
Weinen wird ihrer Söhne Fall.

Aber soll ich dem Pfeil, der nach des Vaters Brust,
Nach dem Herzen des Freunds, glücklich wie Teucer, zielt,
In dem Leben der Teuren
Lieber wünschen, vom Flug zu ruhn? —

O, daß wieder der Fried' kehrte von lichten Höhn!
Um die Völker ihr Band wieder die Eintracht schläng'!
Dann, wie gern ohne Undank!
Bin ich Kosmopolit, wie du.


Das Mädchen und Phöbus

"Allmächtiger Phöbus
(So fleht' ich im Frühling,)
Du bleichest die Lilie,
Du rötest die Rose,
Erhöhe sie beide
Auf meinem Gesicht!"

Doch, ach! er bemalte
So glühend, wie vormals
Die Blumen der Beete;
Er wandelt' in Schnee selbst
Mein bräunliches Linnen
Gespannt auf den Anger,
Das stets ich begoß:
Den Schnee meiner Hände,
Die Lilien der Stirne,
Die Rosen der Wange
Nur, bräunete er.

Mißgünstiger Gott du,
Der jegliche Blume,
Die ohne dein Zutun
Entblühte, vertilgst!
O laßt uns ihn strafen,
Und immer, ihr Mädchen,
Vor ihm uns verbergen;
Lohnt's denn wohl der Müh', daß
Er Tellus bescheint?

An Schwester Lotte
Zum Geburtstag

Du mit mir aus Einem Schoß geborne,
Du vom Schicksal hold mir auserkorne
Weggefährtin bis zum stillen Grab:
O, (vergib mir, wenn ichs laut erzähle!)
Heut, heut trugen deine Schwesterseele
Engelsarm' mir vom Olymp herab!

Früher hatt' ich zwar die Bahn begonnen,
Hatte dir den Vorsprung abgewonnen
In dem Lauf nach der Vollendung Land;
Doch, kaum war die Schrank' ihr aufgeriegelt,
Als von edler Wettbegier beflügelt,
Die Atlante mir zur Seite stand.

Und fortan nun wallen wir umschlungen!
Mit vereinter Stärke wird bezwungen
Was auch trotzte der getrennten Kraft;
Festen Schrittes, eine ehrne Stütze,
Halfst du mir auf manche schroffe Spitze,
Hast im Sinken oft mich aufgerafft.

Und die Schwestern, später uns gegeben,
Sehn voran als Leitgestirn uns schweben,
Wie den Schiffern glänzt das Zwillingspaar:
Du erhellst des besten Vaters Wege;
Halb verjüngt durch treue Kindespflege
Krönst mit Rosen du sein graues Haar.

Ernst durchwandelst du die Flur der Tugend,
Keine Freude kennst du, als die Jugend.
Während laut die Schar der Frohen lacht,
Und auf Blumen tanzt im bunten Reigen,
Sieht man mutig dich durch Dornen steigen,
Winkt die Pflicht mit strenger Göttermacht.

Nimmer konnte bloße Lust der Sinnen
Dir die kleinste Sehnsucht abgewinnen;
Des Genusses Frucht, die Gegenwart,
Hat dein Wunsch zu kosten nie begehret;
Nur von Blüten der Erinnrung nähret
Sich dein Herz, nach zarter Sylphen Art.

Klimme fort auf der Vollendung Höhen!
(Mit Entzückens Tränen will ichs sehen,)
Eile mir zum schönen Ziele vor!
Ein lazurbeschwingter Cherub trage
Dies Gebet an diesem heil'gen Tage,
Meine Wünsche für dein Glück empor.

Der Deportierte

Wohin hat das Schicksal mich verwiesen?
Bin ich schon im grausen Schattenland?
Kaum erkenn' ich dich, Natur, in diesen
Nackten Felsen, diesem öden Sand.
Nur mit Dornen ist die Flur gekrönet:
Nirgends zeigt sich frohen Lebens Spur;
Aus des Moorteichs faulen Wassern stöhnet
Klagevoll das Lied der Unken nur.

Aus dem Kreis der Wirksamkeit gestoßen,
Aus der Menschheit Zirkel weggebannt,
(So hat's der Tyrannen Rat beschlossen,
Der zu früh in mir den Feind erkannt,)
Ewig fern dem Land, das mich geboren, —
Ach, es schließt auch Freund und Gattin ein! —
Soll ich hier, vergessen und verloren,
Lebend tot, mich der Verzweiflung weihn.

Doch, weil Wogen diesen Fels umschließen
Fand ich keinen Ausweg, Freiheit nie?
Kann ein Raum wohl einen Geist umschließen?
Fesselt man den Flug der Phantasie?
Ha, der Hippogryphe fühlt die Flügel!
Zum Olympos, seinem Vaterland,
Steigt er auf, voll Majestät, den Zügel
Höhnend, und den Schlag der Treiberhand.

Frei und aufwärts, wie des Adlers Schwinge,
Wie des Äthers Kind, ein leichter Ball,
Fleugt mein Ich, hoch über Erdendinge,
Stolz und kühn durchs unermeßne All.
Ruh, o Leib, die Augen festgeschlossen,
Will'ger Sklav des Zufalls, hier allein,
Während meinem Geist, als Mitgenossen
Ihrer Freuden, Engeln Palmen leihn;

Offen stehn ja alle Paradiese
Dem Unsterblichen — schon Cherub, eilt
Er hindurch, damit er das erkiese,
Wo am liebsten er im Fluge weilt.
Erden rollen tief zu seinen Füßen,
Orionen flammen unter ihm;
Sel'ger Chöre eilen ihn zu grüßen,
Und er singt mit ihnen Elohim.

Ja, ich würde meine Freiheit ahnen,
Schlüg' in Ketten mich Despoten - Macht;
Würde einen leichten Pfad mir bahnen,
Durch der Kerkerwände feuchte Nacht.
Ich verspott' Euch, törichte Barbaren!
Über Geister wollt ihr Herren sein?
Wißt, auf einem Sonnenstrahle fahren
Millionen räumlich aus und ein.


Am Hymenäum
Des Br. v. I. K.

In Hymens Tempel führte der holde Gott,
Der auf dem kleinen Rücken den Köcher trägt,
Voll süßer Pfeile, heut ein edles,
Liebliches Paar zum Altar des Gottes,

"Hier, teurer Bruder", sprach er, "hier bring ich dir
Zwo traute Seelen, die dich um Weihe flehn.
Ein liebend Paar, wie lange keines
Tauben auf deinem Altar geopfert."

Mein forschend Auge, das in die Herzen blickt,
Sah, wie die ihren, zwar noch sich unbekannt,
Zwar weitgetrennt, so gleich geschaffen
Schlugen, belebt von heil'gem Einklang.

Und meine Macht besiegte des Mißgeschicks
Feindsel'ge Tücke, füllte der Trennung Raum;
Ich sah entzückt, wie schon beim ersten
Anblick, ein jedes den Freund erkannte.

Ich harrte lange prüfend, ob dauernd auch
Die Flamme sei, die jedem im Herzen brannt'!
Doch unter allen Schicksals-Stürmen,
Sah ich sie höher, sie reiner lodern.

Schon lang genug hat sich ihre Wechsellieb'
Und treu bewährt; belohne sie, Bruder, nun!
Dir fiel zum Anteil ja das schöne
Los, die geprüfte Treu' zu krönen.

Aus meinen Händen nimm dieses Myrtenreis
Und schling es in den blühenden Rosenkranz
Den du auf ihre Locken drückest,
Daß er sie stets unverwelkt umdufte!" —

Und Hymen nahm es: "Ja, sei willkommen mir,
O Bruder, mit dem holden, dem würd'gen Paar!
Viel wallen wohl zu meines Tempels
Heiligtum, aber nicht wehrt der Weihe.

Die meisten führen Ehrgeiz und Eigennutz,
Und niedre Wollust, schändliche Geldbegier
Hierher, doch nimmermehr verein' ich
Diese mit seligen Segensbanden.

An meiner Stelle lastet ein rächendes
Phantom des Abgrunds sie mit unlöslichen
Gewalt'gen Ketten; die Erinnys
Schwingt um ihr Haupt der Verzweiflung Fackel.

Die Guten, welche du nach bestandener
Besiegter Prüfung mir vor den Altar führst,
Nur diese füg' ich mit der ew'gen
Eintracht beglückendem Band zusammen.

Nur ihnen schütt' ich häuslichen, stillen Glücks
(Dem keine Krone, keines Eroberers
Trophäe gleich kommt,) voll, mein Füllhorn
In den gesegneten Schoß hernieder.

Und Hymen schwang hoch über das edle Paar
Die Hochzeitfackel, band es mit Myrthen und
Mit Rosen, weiht' es ein, und führt' es
Dann in des Heiligtums innre Halle.

Der Götterraub

Weh, o weh, was ist aus dir geworden,
Stadt Quirins, du Länderkönigin?
Sieh entführt von wilden Siegerhorden
Deine Schützer, deine Götter fliehn!

Nemesis, die dein so lange schonte,
Naht, die strenge, die Vergeltung übt;
Sie bezahlt, was du am Hellesponte,
Syrakusä und Korinth verübt.

Lüstern nach dem Herrscherstab der Erde
Überzog dein Volk die Welt mit Krieg,
Fiel die Fernen an beim stillen Herde,
Und zu Füßen warf sie ihm der Sieg.

Alle Schätze der bejochten Staaten,
Ihre Götter selbst, nahmst du zum Raub;
Und verwaist vom Schutze der Penaten
Sanken bald die Blühenden, in Staub.

Der Geraubten Rache abzuwehren
Führtest du sie im Triumphzug ein,
Ließest fromm auf schöneren Altären
Unter Hymnen ihnen Weihrauch streun:

Sie gefielen sich bei dir zu wohnen,
Gaben Glück und Glanz dir zum Gewinn!
Und bald ehrten alle Nationen,
Alle Städte dich als Königin.

Helios auf seinem Flammenwagen,
Dessen Achsen um die Welt sich drehn,
Den Allseher, durftest kühn du fragen,
Ob er schöners je, als dich gesehn?

Unerschüttert durch des Schicksals Stöße
Blieb Jahrtausende sich gleich dein Ruhm;
Doch nun wankt, nun stürzet deine Größe,
Denn entführt ist dein Palladium!

Der Vergänglichkeit zum Raub gelassen
Stürzt Trajanus Säule, Titus Tor;
Deine Tempel sinken, deine Straßen
Wandeln wieder sich in Schilf und Moor.

Sah man denn das Capitol nicht zittern?
Warf der Donnrer nicht in grauser Pracht
Mit dem Keil aus zuckenden Gewittern
Die Unheil'gen in des Orkus Nacht?

Nein! kein Blitz stürzt ihnen sich entgegen!
Nemesis beschützt der Räuber Lauf.
Jovis Adler fliegt mit schweren Schlägen
Bang vom Capitol zum Himmel auf.

Traurend wirfst du in der Felsenhalle
Tiber, deinen Schilfkranz aus dem Haar;
Laute Klage weint am Wasserfalle
Jene Nymph', die Numa's Freundin war.

Und sie scheiden ewig vom Gefilde,
Seit Jahrtausenden ihr Aufenthalt,
Wo die Himmlischen nicht nur im Bilde,
Wo sie auch verkörpert oft gewallt;

Aus dem Land der Helden und Heroen,
Die, schon hier den Göttern zugeteilt,
Wie ihr hoher Geist der Asch' entflohen,
Auf als Sterne zum Olymp geeilt.

Wo sich jede Spanne Raum durch Spuren
Einer großen Tat bemerkbar macht,
Wo, herab auf segenreiche Fluren
Ewig blau, der schönste Himmel lacht.

Unter welchem Flaccus seine Oden,
Maro seinen Heldensang erfand.
Weg vom klassischen, geweihten Boden,
In ein fern, in ein unheilig Land.

Wo von Mode der Geschmack verwirret
Nimmer kennt des wahren Schönen Spur,
Wo die Kunst auf falschen Bahnen irret,
Fern vom treuen Leitpfad der Natur.

In die Stadt, aus deren lauter Mitte
Längst den Sinn, Euch Himmlischen verwandt.
Den erhabnen, mit der Einfalt Sitte
Holdgeschminkte Üppigkeit verbannt.

Doch — vielleicht ists noch nicht so gesunken
Jenes Volk, daß ihr es nicht erhebt,
Daß in ihm dies Sinnes Himmelsfunken
Heimlich noch in ird'scher Asche lebt.

Hat es diese Glut noch nicht ersticket,
Deckt sein Aug nicht ganz des Wahnes Flor:
O, so lodre sie, wenn's Euch erblicket,
Hoch im Herzen ihm zur Flamm' empor!

Ja, von Euch darf man ein Wunder flehen! —
Führt dies Volk, verwildert durch Kultur,
Von der Kunst, des Schönen, lichten Höhen
Zur verlornen Sitte und Natur.

Laßt es dann die Wege rückwärts eilen
An der Tugend festem Wanderstab;
Ja, ihr werdet's! Wo die Götter weilen
O da ziehn sie den Olymp herab!

Dichterberuf
Nach der Lesung von Schillers Resignation.

Wozu schenket Apoll dem Dichter die zaubrische Leier,
Welche die Felsen bewegt, Löwen und Tiger bezähmt?
Etwa, wie die Siren', den Hörer zum Abgrund zu locken,
Plötzlich verstummend alsdann, ihn zu verlassen am Rand?
Nein! Ein Göttersohn führ' mit allbesiegenden Tönen
Er uns durch Zerberus Tor, durch die avernische Nacht.
All' erweichend die Mächte des Styx zu Elysiums Hallen,
Wo, nach geschlichtetem Streit göttliche Ruh uns umfängt.

Darf ein Weib Satiren dichten?

Ward dem süßen Geschöpf, der Biene, ein fühlbarer Stachel,
Sollte treffender Witz schänden das sanfte Geschlecht?
Doch die Geisel schwing' es ja nie! Ihm ziemt nur der Klumpsack!
Damit treib' es im Kreis Lachende munter umher.

Der Zweifler

Ich will mich kühn in deine Tiefen wagen
Du schreckenvolles Zweifellabyrinth!
Nicht länger will ich hier am Eingang zagen,
Wo stets umsonst mein Geist nach Lösung sinnt.
Hinab, hinab! Begräbst du auch in Trümmern
Dies kranke Herz, das längst die Ruhe flieht!
Was kann den Geist ein Sklavenleben kümmern,
Wodurch er an des Schicksals Fesseln zieht?

O sel'ge Zeit, eh ich noch selber dachte,
Als gläub'ge Einfalt noch mein Herz bewohnt'!
Es war beglückt — doch die Vernunft erwachte —
Mit Martern ward mein Forschungsgeist belohnt.
Wie ernstlich horcht' ich an des Lehrers Seite,
Der Menschenwert durch Freiheit mir verhieß!
Schon wählt' ich Pflicht und Tugend zum Geleite,
Die seine Red' so liebenswürdig pries.

Doch sie zerfloß, die Täuschung reich an Wonne
Und Seelenruh, schnell, wie ein Duft verwallt,
Den Nebeln gleich im Äther, die der Sonne
Gebrochner Strahl mit tausend Farben malt.
Ja, so wie nach der Iris Gürtel Streifen
Voll bunter Pracht, mit weinender Begier,
Umsonst des Kindes kurze Händchen greifen,
So sehn' ich fruchtlos mich zurück nach ihr.

Sie ist dahin! In schreckenvoller Klarheit,
Die mich, wie Blitzesloh, zu Boden schlägt,
Steht sie vor mir, die grause bittre Wahrheit:
Daß jeder Mensch des Schicksals Ketten trägt.
Sie hielten fein, doch kräftig ihn umfangen,
Bevor er noch als Embryon sich regt',
Sie drücken ihn, wie Laocon die Schlangen,
Wenn er sein Haupt nun sterbend niederlegt.

Ja! strömten nicht schon alle aufgeregten
Affekte in mein kaum noch kreisend Blut,
Die, Wellen gleich, der Mutter Brust bewegten,
Da ich als Keim in ihrem Schoße ruht'?
Sind Neigungen, gemeinsam meinem Stamme,
Als Erbe nicht, seit ich nur fühle, mein!
Sog ich im Schlaf nicht mit der Milch der Amme
Schon ihre Trieb' und Leidenschaften ein?

War mein die Wahl, wohin, am Gängelbande
Geleitet, ich mit schwankem Tritte ging?
Daß mein Gemüt von diesem Gegenstande
Des ersten Eindrucks stete Form empfing?
Wozu das Schicksal mein Gefühl gewöhnen
Vom ersten Lebenstag gebietrisch hieß,
Ob es dem Häßlichen, ob es dem Schönen
Die jungen Blicke mehr begegnen ließ?

Zeigt mir Alcid nicht an dem Scheidewege!
Er stehet reif, ein edler Jüngling da,
Vollendet schon durch des Geschickes Pflege,
Bereitet lang, bevor die Wahl geschah.
Mit diesem Geist, vom Vater angeerbet
Dem Willen, der das Reine nur begehrt,
Mit dieser Wang', von Tugendglut gefärbet,
Wie hätte ihn des Lasters Mask' betört?

Frei soll ich sein — und allenthalben klemmen
Verhältnis' mich in Ketten schwer und eng;
Da will ich hin — und Hindernisse hemmen
Den Pfad, die kaum ein Götterarm bezwäng'.
Und. — o des Trugs, vermein' ich frei zu wählen!
Schon seit Äonen stand die Tat im Plan
Des Schicksals — was es schrieb, kann nimmer fehlen;
Ich war das Werkzeug nur, das sie getan.

Ein Werkzeug, von dem Meister längst bereitet,
Wie es der Absicht hohem Zweck entsprach,
Ein Werkzeug, von des Künstlers Hand geleitet,
Zum Widerstand viel zu beschränkt und schwach.
So wär' ich denn Maschine nur, an Ketten
Zum Spiel bewegt vom Zufall und der Zeit,
Das Erdenrund ein Haus voll Marionetten,
Zu kürzen eines Dämons Ewigkeit? —

O, warum sind nicht fühllos wir geboren?
Wer pflanzte denn mit schadenfroher Lust
Den Hang für Freiheit — ewig ihr verloren —
Für Tugend, in der Automate Brust?
Wer saget meinem Herz: Du sollst zur Rechten,
Wenn ich nicht anders als zur Linken kann?
Welch Rang gebührt dem Edlen vor dem Schlechten?
Was scheidet dann den Nero vom Trajan?

Wer peitscht Orest mit wilden Schlangenhieben
Von Argos bis an Tauris rauhen Strand,
Vergoß er, vom Verhängnis angetrieben,
Der Mutter Blut nur mit geführter Hand?
So schenktest du ja deiner Willkür Sklaven
Das warnende Gewissen nur zum Spott,
Bestimmt zum Laster, quälst du noch mit Strafen
Den Bösewicht, erbarmungsloser Gott?

Was sprach mein Mund? Welch freches Wort? Verzeihe
Allgüt'ge Seel' der geistigen Natur!
Der Wahn entflieht — schau wie ich sie bereue,
Die Lästerung, die meinem Schmerz entfuhr!
Wer schuf mein Herz zu des Gesetzes Tempel,
Hat einen Richter in ihm selbst gesetzt?
Ja, dies ist meiner Freiheit hoher Tempel,
Den kein Sophism entkräftet noch verletzt!

Hier liege ich voll kindlichem Vertrauen,
Die Andacht hebt auf ihrem Fittig mich.
Mein Geist, gestärkt durch dein erhabnes Schauen,
Ermannt aufs neu zum festen Kampfe sich
Vom innern Gott auf ewig freigesprochen,
Durchschauen von der Selbstheit Hochgefühl,
Hat er das Joch des Schicksals kühn zerbrochen,
Und wandelt stolz nun nach der Tugend Ziel.

Der Verliebte und die Zeit

Flügel macht ihr der Zeit? Sie gleicht an Trägheit der Schnecke!
Neidisch nur, bin ich bei ihr, wandelt zum Adler sie sich.

An Ninna
als sie im Winter frische Blumen trug.

Woher dies Röschen, das im kalten, harten
Dezembermond an deinem Busen glüht? —
Doch ich vergaß, o Ninna, daß im Garten
Der Grazien ein ew'ger Frühling blüht.

Der Kühnste

Mit zagem Mute, bange und zweifelnd geht
Zur neuen Tat, wer mehrmal die Tücke des
Geschickes prüfte, höhnisch eitelnd
Öfters der Sterblichen reifste Plane.

Kühn unternimmt noch keinmal Versuchtes selbst
Des Glückes Günstling, welchem noch nichts mißlang;
Wer hält ihn auf im Siegergang? Sein
Nahn ist Triumph, und sein Schwert Entscheidung.

Verwegner nur noch wagt das Unmögliche
Der Unglückssohn, der alles bereits verlor;
Verzweiflung und des Orkus Mächte
Stählen den Arm ihm mit Zauberkräften.

Fortunens Liebling! Wende dann nie den Blick
In stolzem Rausch von Nemesis Maßen ab!
Gedenk, der halbzertretnen Schlange
Gitftzahn bedroht deine Fers' am nächsten.