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Quelle:

Ein Buch von uns Wienern
in lustig-gemütlichen Reimlein

von Rusticocampius
vulgo
Eduard Bauernfeld

Leipzig 1858
Verlag C.L.Hirschfeld

Chronika
 

Genesis der Stadt
Erinnerungen
Wiener-Walzer
Jugendfreunde
Jugendfreundin
Gute alte Zeit
Altes Lied
Politische Spazierfahrt

Genesis der Stadt

Das alte Wien, behaupten keck
Gewisse Geschichtsverdreher,
Erbauten zu ihrem Handelszweck
Phönizische Hebräer.

Die herrschende Juden-Dynastie
Fing an mit Schmuel dem Großen,
Der nach der Krönung auf Pfänder lieh
Und schachert' mit alten Hosen.

Bei Wien ward aufgefunden sein Grab
Mit andern jüdischen Recken,
Vermutlich des großen Königs Stab —
Gott möge sie nimmer erwecken!

Erzähl's nur meinen Lesern zum Spaß,
Und nicht zu ernster Erwägung;
In Hormayr's Schriften findet man das,
Dabei auch die Widerlegung.


Doch angenommen, es wäre wahr,
Was so gefabelt die Alten,
Es hätten die Juden geherrscht, sich gar
Als Herrscher bis jetzt erhalten —

Von Juden würd' es wimmeln jetzt
In allen "Fakeltäten",
Und alle Stellen wären besetzt
Mit jüdischen Hofräten.

Es wär' ein Hebräer Referent
In jedem Viertel und Kreise,
Vielleicht fungierte als Präsident
Im Reichsrat "Nathan der Weise"; —

Doch säß' wohl der, längst fortgedrängt,
Im "wohlverdienten" Ruhstand!
Ein Jud' hätt' über uns verhängt
Auch den Belagerungszustand; —

Und keine Kirchen-Zeitung gäb's
Und keine Severiner:
Es würden gerufen keine "Hepp's" —
Nicht litten's die Rabbiner.


Wir Christen wären unterdrückt
Und unterjocht geblieben,
Doch hätten wir uns d'rein geschickt,
Und später Handel getrieben.

Von reichen Christen wären da
Erfüllt Comtoire und Buden,
Das Geld im Sack, auslachten wir ja
Die dummen und armen Juden.

Wir wären die Herren mit unserm Geld,
Mit unserm Tauschen und Tauscheln!
Was kümmert's uns in aller Welt,
Daß Hofton jetzt — das Mauscheln!

Daß "Eitel Itzig" stolz behängt
Mit dem Kammerherren-Schlüssel,
Daß als Hof-Leib-Vorschneider sich drängt
Der "Löbeles" mit der Schüssel!

Doch ist das leider aus alter Zeit
Nur Fabel der Chronisten;
Reich sind die Juden und gescheit,
Und wir sind — arme Christen.


Des jüdischen Königs Schmuel Grab
Ward zwar bei Wien gefunden,
Doch stammen wir Wiener von Römern ab,
Sind noch mit Rom verbunden.

Vindobona nannten die Herren auf "us"
Die Stadt am großen Ister;
Die "Wien" war damals auch noch ein Fluß,
Jetzt ist es zweifelhaft: fließt er?

Nur wenn über dies Wald-Bächlein mild
Der Gemeind'-Rat baut die Brücke,
Da gärt es zornig und braust und schwillt,
Und reißt den Bau in Stücke. —

Zur Zeit des heiligen Severin
Hieß unsre Stadt Fabiana;
Spötter verdrehten's in ihrem Sinn,
Und nannten sie: Fadiana.

Damals gab's noch kein Concordat
In jenen wilden Zeiten;
Erst über "Grinzing" und "Heiligenstadt"
Tät Christentum sich verbreiten.

Die Türken umlagerten Wien einst dick,
Die Gläubigen an das Fatum —
Da ward in der Stadt verspeist "horse-steak,"
Lang ante Castellium natum.*


Dem Starhemberg dankt man's noch jetzt,
Daß Wien nicht gebebt noch gewankt hat;
Die tapferen Polen haben's entsetzt —
Denen man auch später gedankt hat! —

Wien liegt bekanntlich am "Schanzel-Strand",
Ist spärlich mit Wasser gesegnet;
Dort stecken die Schiffe tief im Sand,
Und warten, bis es regnet.

An diesen stagnierenden Donau-Kanal
Un-Summen haben verwendet
Die Wasserbau-Commissionen — zumal
D'ran ihren Geist verschwendet.

*Der Dichter Castelli ist bekanntlich ein großer
Beförderer der Pferdefleisch-Mahlzeiten.


Eng sind Wien's Gassen, Haus an Haus,
D'rin ist nicht länger zu bleiben;
D'rum rückt zur großen Donau hinaus,
Dann könnt Ihr Handel treiben.

Der Rat ist gut, auch ausführbar,
So däucht uns, allerwegen;
Doch hör' ich, es stehen Bedenken — und zwar
Politische entgegen.

Das Verschieben selber kein Hindernis; sei —
So hieß es — d'rin habe man Übung;
Doch rückten zu fern wir von der Türkei
Durch diese Stadt-Verschiebung!

Auch kämen wir Deutschland gar zu nah' —
Zwar von der katholischen Seite,
Doch bei dem Eisen-Netz geht's ja
Gleich in's protestantische Weite.

Es ist ein alt-bekannter Satz:
Wer lange feilscht, der kauft nicht!
Es blieb auch Wien auf dem alten Platz,
Und das Wasser am Schanzel lauft nicht.

Sonst lebt man recht gemütlich hier,
Besonders seit den Reformen;
Wir haben viel Aktien und Papier,
Die Beamten tragen Un'formen.


Wien selber mit seinem Stephansturm
Ist so ein Welt-Überbleibsel;
Man fühlt sich vor dem Dom wie ein Wurm
Mit seinem modernen Geschreibsel!

Vor dieser dunklen, gefrornen Musik
Ist, was wir schaffen, vom Übel!
Man sammelt sich erst, fällt trunken der Blick
Auf die neu angemeißelten Giebel.

Da denkt man, wer das geleistet hat,
Und kehrt in's Dasein zurücke,
Da denkt man an den Gemeinde-Rat
Und an die zerfallene Brücke.


Zerfallen ist Alles, zerfallen auch wir,
Zerfasert das ganze Leben —
Was war das vor Jahrhunderten hier
Für ein anderes Streben und Weben!

Die "Brandstatt" dort! In Ritterpracht
Da zog man zum Turnier aus;
Wo dem Sieger die Dam' einst zugelacht,
Steht jetzt ein elendes Bierhaus.

War Mummenschanz und Tanz und Schmaus
Des lust'gen Bildes Rahmen;
Hatt' and're Miene Mensch und Haus —
Sie trugen auch andere Namen.

Der "Baumschaber" hieß ein Bürger der Stadt,
Der Namen ist keine Fabel,
Der sich bis heut' auch erhalten hat
Im Wiener-Wort: "Bamschabel!"

"Bamschabel" schwankt so hin und her;
Der Mann, von dem es stammte,
War 'n simpler Bürger — doch paßt's auch sehr
Auf hochgestellte Beamte.


Einst kannt' ich Einen, hieß Excellenz,
Man folgte seinem Rate,
Und Alles erwies ihm Reverenz,
War Einer der Ersten im Staate.

Ein Mann von vierzig "Bamschabel-Kraft!"
Man kann sie auch sonst noch wählen
In Akademien der Wissenschaft,
Wo sie wie Andere zählen.

"Bamschabel" heißt — borniert! doch nein!
Man kann's nicht explizieren,
Man muß ein geborner Wiener sein,
Das Wort ganz zu goutiren.

Es haben sich viel erhalten noch
Von den älteren Straßen-Namen,
Von denen die wenigsten jedoch
Auf unsere Tage kamen.

Der "Heidenschuß" noch übrig ist,
Etwa "der Stock im Eisen;"
"Freiung" hieß damals: "auf dem Mist" —
Könnt' jetzt auch noch so heißen!

"Im Elend" hieß ein schmutz'ger Ort,
Wo Verbrecher und Arme gewinselt;
Doch wischte man längst das "Elend" fort,
Hat "Salzgries" d'rüber gepinselt.


Die Dinge zu nennen, wie sie sind —
War uns'rer Väter Treiben;
Wir wischen die Namen weg geschwind,
Die schmutzigen Dinge bleiben.

Im Ganzen das Leben behaglich war
Im alten Österreiche;
Nicht mangelt' es an Torheit zwar,
Doch gab's auch lustige Streiche.

Gab Minnesänger in Amt und Kraft,
Reimsprecher in Östreicher-Landen;
Als der Ernst kam, wurden sie abgeschafft
So unter den Ferdinanden.

Doch sonst war zwischen Volk und Fürst
Ein Verhältnis patriarchalisch;
Sie schenkten oft sich Wein und Wurst'
Und schmausten bacchanalisch.

Trotz alledem möcht' ich mein Lob
Des Mittelalters beschränken;
Die Leute waren da derb und grob —
Das muß man auch bedenken.


Die Ritter soffen die Humpen aus
Und taten nichts als rauben;
Auch herrscht' überall in Hof und Haus
Der krasseste Aberglauben.

Die Kaufleut' zog man aus ganz nackt,
Reisten sie hin zur Messe;
Das Volk hatt' mit dem Teufel Pakt —
So kamen die Hexen-Prozesse.

Von Recht und Sitte keine Spur!
Der Richter glich dem Haufen;
Gerichtsverfahren die Tortur —
Die's aushielten, ließ man laufen.

Die Übrigen wurden nach Herzenslust
Gespießt, gerädert, gevierteilt,
Das Herz gerissen aus der Brust —
So wurde damals geurteilt.

Dem freilich trat man entgegen scharf
Schon unter der großen Theresia,
Von der es wahrlich nicht heißen darf:
"Mulier taceat in ecclesia!"


Fromm, aber Vorurteilen fern,
Ging denen auch kräftig zu Leibe;
Fürwahr, es lag ein tücht'ger Kern
In diesem männlichen Weibe.

Noch weiter ging ihr edler Sohn
Von reformatorischer Seite;
Der Feuer-Eifer auf dem Thron
Nennt sich: "Joseph der Zweite!"

Hemmungen mancher Art erfuhr
Sein Geist, sein ungestümer;
Der Eifer war ein König — nur
Vielleicht kein legitimer!

Die Leute von damals fest und steif
Versicherten, daß sie glaubten,
Die Zeit zu Reformen sei noch nicht reif
Was Leute von jetzt auch behaupten.

Sei's wie es sei! Ich entscheide nichts.
Nur so viel: die munteren Wiener
Verwandelten sich Angesichts
Josephs — in Josephiner.

So über ein halbes Sekulum
Läuft auf Kohlmarkt und Graben
Eine Menge kleiner Josephs herum,
Die Männer wie die Knaben.


Theresia und Joseph sind
Uns Allen in's Herz geschrieben,
Und was sie säten, verweht kein Wind
Der Samen hat getrieben.

D'rum, liebe Herrn, beherzigt das!
Denn sollen wir nicht zurücksteh'n,
So dürft Ihr uns nicht ohn' Unterlaß
Die alte Geschichte zurückdreh'n.

Zwar Frömmigkeit gilt heute noch —
Wer wollte die verbannen!
Doch in ein gar zu enges Joch
Muß man den Geist nicht spannen.

Was hälf' es auch? Es schafft die Zeit
Sich selber ihre Normen;
Der Stoff ist ewig — von Ewigkeit
Sind aber nicht die Formen.

Ein neuer Bau beginnt — darum
Helft schaffen am Gebäude,
Macht nicht das Volk verstockt und dumm,
Gönnt ihnen Lebensfreude.

Glaubt mir, die Welt steht fest und breit,
Läßt sich nicht schieben und rücken,
Und in die ausgelebte Zeit
Da führen keine Brücken!


Erinnerungen

Früh ist's in mich gefahren,
Hab' mich bei Zeiten geübt;
Als Knabe von sieben Jahren
Da war ich schon verliebt!

Sie ging mit mir in die Schule
Ob sie's wohl noch gedenkt?
Ich hab' als zärtlicher Buhle
Ein Ringlein ihr geschenkt.

Es folgte mir unablässig
Ihr Bruder auf jedem Schritt;
Der Junge war sehr gefräßig,
Ich bracht' ihm Birnen mit.

Er fraß, sie schritt daneben,
Ich selig-stumm dabei;
Idyllisches Still-Leben
So führten wir alle drei.

Doch gab's auch lustige Stunden,
Hat mancher Schul-Genoß
Sich später zu uns gefunden,
Da ging der Teufel los!


Wir hatten die alten Häuser
Mit Winkeln und Höfen so gern;
Da spielten wir König und Kaiser,
Und Ritter und große Herrn.

Beleidigte Einer der Kecken
Das Mägdlein, da zögert' ich nicht,
Turniert' mit dem kleinen Recken;
Wir hielten auch Gottesgericht.

Es war die Zeit, wo gedichtet,
Der ritterliche Fouqué —
So haben wir Knaben verrichtet
Auch Großes in unsrer Idee.

Im "Latzenhof" im alten
Da hatten Zaub'rer gehaust,
Und Hexen und Spukgestalten,
Die frei in den Lüften gesaust.


Und sah'n wir die schmutzigen Waren,
Das Kleidertrödel-Reich,
Die Juden in langen Talaren,
Uns waren sie Zauberer gleich.

Längst ist es abgebrochen
Das alte winklige Haus,
Wo wir herum gekrochen,
Sieht jetzt gar stattlich aus.

D'rin Zinsparteien wohnen
Und zahlen viel und schwer,
Die Mauern die monotonen,
Sind nicht romantisch mehr!

Doch hör' ich's noch schwirren und knistern,
Die Hexen zu ihrer Pein
Im Zauberschlafe flüstern,
Sind eingemauert im Stein. —

Die Tage sind verklungen,
Die Träume der Kinderzeit;
Löst sich in "Erinnerungen"
Die alte Herrlichkeit.


Die Ritter- und Zauber-Gestalten,
Das bunte Märchen Gewühl,
Der ersten Lieb' Entfalten,
Das dämmernde Gefühl —

Wie sich's mit goldenen Fäden
Durch's Menschen-Leben spinnt!
Ein Bächlein aus blumigem Eden
Der Kindheit murmelnd rinnt.

Und wie du der plätschernden Quelle
In süßen Träumen gelauscht —
Bald schwillt sie zur Stromes-Welle,
Die wild durch's Leben rauscht.

Sie trübt sich wohl zur Stelle,
Wird wieder klar und mild
Da taucht aus der süßen Quelle
Empor Gedicht und Bild!


Wiener-Walzer

Es huschen die Feen und Nixen
Im Mondenscheine vorbei;
Sie lachen und tanzen und knixen
Bei lieblicher Melodei.

An S c h u b e r t's "Trauer-Walzer"
Erfreut sich die Geister-Natur;
Der muntere steirische Schnalzer
Ist für die Sterblichen nur.

Und L a n n e r's Ländler-Weise
Zart klingt sie wie Frühlings-Weh'n;
Die jungen Mädchen im Kreise
Nur leise herum sich dreh'n.

Da braust es und rauscht es gar prächtig
So was vernahmt Ihr nie!
Es fluten die Wellen allmächtig
Der Walzer-Symphonie.

Das ist ein Geigen und Blasen,
Ist eine tönende Flut —
Die Männer und Frauen, sie rasen
In stürmisch-jubelnder Glut.


Rasch sind die Nixen gezogen
In ihr kristallenes Haus —
Es schreckt sie der Fidelbogen
Des Walzer-Tyrannen S t r a u ß!

Da schmaust und zecht um die Wette,
Beim "Sperl" und horcht aus ihn
Der Falstaff der deutschen Städte,
Das alte dicke Wien.

Zähmt manchen stößigen Bullen
Die Walzer-Melodei,
Den Stier so einzulullen
Verordnet die Polizei.

Es klangen die Weisen so eigen
In jedem Bürgerhaus,
In "Ausland" war Kuhreigen
Dem Wiener ein Walzer von Strauß.

Mahnt' ihn an seine Stammburg,
Den Sperl, und riß ihn hin;
Da ward er bewegt in Hamburg,
Gerührt selbst in Berlin.


"Uns dankt der Strauß das Meiste!"
So rief er, selbstbewußt, —
"'S ist Fleisch von unsrem — Geiste!"
Und klopft sich auf die Brust.

Fürwahr es spricht ein dreister,
Ein fleischiger Geist aus ihm;
Im "Capua der Geister"
Regt sich's mit Ungestüm.

Da ziehen Strauß und Lanner
Mit Sang und Klang einher
Als lustige Geisterbanner!
Und wären sie nichts mehr —

Wir sind auf die Geistesstrahlen
Der beiden Männer stolz:
Sie sind von den Genialen,
Geschnitten aus unsrem Holz!


Jugendfreunde

Die Sehnsucht zieht mit Allgewalt
Durch alle die Tage und Stunden —
Mein S c h u b e r t! Wie bist du doch so bald
Dem trauten Kreis entschwunden!

Und war's nach dir so stumm und still,
Wir mußten d'rein uns schicken;
Ein ewig junger Ton-Achill
Stehst du vor unsern Blicken!

Gesegnet, wer den Lorbeerkranz
Frühzeitig sich erworben,
Und wer im Jugend- und Ruhmes-Glanz,
Ein Götterliebling, gestorben!

Doch früher hast du gelebt — und nicht
Als Musik-Gelehrter, als bleicher!
Voll war und rund der Bösewicht,
Ein behaglicher Österreicher.

Mit Malern, Poeten und solchem Pack
Hat gern sich herumgeschlagen;
Wir trieben da viel Schabernack
In unsern grünen Tagen!

Ein Dritter noch war, an Gemüt ein Kind,
Doch tat er Großes verkünd'gen
Als Künstler — mein lieber Moritz  S c h w i n d,
Historienmaler in München.


Hat Orden und ist Professor dort,
Und läßt dafür sich zahlen;
Aus Wien und Östreich ging er fort,
War gar nichts da zu malen.

Der Schwind ist auch kein Scharlatan,
Ein Grad-Heraus, kein Ducker;
Er hängt sich an keine Clique an,
Und ist kein Heuchler und Mucker.

Ist eine derbe Ur-Natur,
Wie aus tönendem Erz gegossen; —
So war auch Schubert — heiterer nur —
Das waren mir liebste Genossen!

Bald sich ein Kranz von Freunden sticht:
Kunst, jugendliches Vertrauen,
Humor verbanden sie — fehlten auch nicht
Anmutige Mädchen und Frauen.

Da flogen die Tage, die Stunden so schnell,
Da stoben des Geistes Funken;
Da rauscht' auch der schäumende Lieder-Quell,
Den wir zuerst getrunken!

"Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?"
Es rauschen der Töne Wogen!
Bald, ach, ist der Vater mit seinem Kind,
Dem Lied, zum Vater gezogen! —


Was ist Beifall der Welt, was Ruhm?
Und Zeitungs - Preisen und Krönen!
Wir hatten das wahre Publikum
Der Guten und der Schönen!

Wie göttlich ein Genie im Keim,
Das in höchst eigener Weise
Sich kräftig entwickelt, süß, geheim,
Im traut verwandten Kreise!

Stellt bei genialer Jugend sich ein
Gott Amor mit seinen Waffen —
Da ist viel Lust, viel holde Pein,
Ein ewiges Gären und Schaffen!

Und wird's kein Bild, so spart sich's auf
Im Gemüt mit schmerzlichen Wonnen —
Im Alter bringt man dann zum Kauf,
Was man in der Jugend ersonnen.

Nicht wahr, mein Schwind, so ging's auch Dir?
Was du erlebt, empfunden,
Jetzt schwebt es auf der Leinwand hier
Als Denkmal holder Stunden.

Der Künstler gibt des Lebens Schein,
Das ist sein Streben beständig;
D'rum tauch' er den Pinsel in's Leben ein,
Sonst wird's kein Bild lebendig.

Noch heute preist man die pissende Kuh —
Mögt Euch an der Richtung beteil'gen!
Wenn nicht, gleich viel! Nur laßt mich in Ruh'
Mit Euern mageren Heil'gen!

Mit der Maria, dem Jesus-Kind,
Dem Lächeln, dem lauwarmen,
Den Farben, die himmlisch verschwommen sind,
Verzeichneten Beinen und Armen!

Mit Märtyrern, gesotten in Öl,
Geschundenen nicht minder;
Weit besser ein Wiener Raphael
Mit seinem "Rastelbinder!"

Hohl ist und leer das Ideal
Der Wirklichkeits - Verhüller!
Weit besser Ochs und Alpental
Von Gauermann und Waldmüller.

Ist irgendwo Realität,
Da ist auch was zu hoffen;
Was hilft's dem Stümper, wenn ihm steht
Der siebente Himmel offen!

Er sieht nichts drinnen, ihm schaut nicht heraus
Madonna della Sedia;
So blickt auch nicht Jeder in's Höllengraus
Und schreibt die divina comedia.

Real — das war der Schubert auch,
Kein künstlicher Textverdreher,
Doch freilich des Gedichtes Hauch
Erfaßt' er als Sänger und Seher.

Der Rythmus gewagt, die Harmonie
Bisweilen auch zerrissen,
Doch sprudelt' ihm reich die Melodie,
Von der man jetzt nichts will wissen.

Wir leider auch wissen nichts davon,
Denn die modernste Schule
Weist unmelodisch Ton auf Ton,
Wie mit der Weberspule.

Form ohne Gehalt — das ist bequem!
Nur rythmisches Drehen und Winden;
Erfunden ist einmal das System,
Das Übrige soll sich finden.

Die Blech-Instrumente sie blasen wie toll,
Das ist ein Lärm, ein vertrakter!
C-Dur und gleich darauf Es-moll
Sie nennen das "Charakter."

Charakter ist Alles, was umspringt
Willkürlich mit Sept-Akkorden;
Charakter ist Alles, was nicht klingt —
Den Rest erklärt man mit Worten.

Es schreibt der Wagner, der Lißt geschwind,
Sich des Publikums zu versichern;
Gelehrte, wie wir Deutsche sind,
Wir hören Musik aus Büchern —

Dem musikalischen Leser so klar,
Der bald mit dem neuen Verstand prunkt:
Wie Mozart auf falschem Weg stets war,
Jetzt — überwundener Standpunkt!

Überwundener Standpunkt' gibt's gar viel,
Doch wie stolz man damit auch herumschreit,
Es bleibt noch immer das alte Spiel:
Überwunden wird niemals die Dummheit!

Die Dummheit sie ist von Alters her,
Ist ewig jung, kurz ewig,
Schmückt sich mit Kriegs- und Kunst-Lorbeer
Dummheit, Dir sterb' ich und leb' ich! —

Doch damals waren wir noch nicht dumm:
Zur guten alten Zeit da;
Wir tummelten uns melodisch herum,
Und waren auch lustige Leut' da.

Oft ging's zum "Heurigen," zum Wein;
Gleich außerhalb des Tores
Stellt' meist sich auch Franz Lachner ein —
Cantores amant humores.

Und frisch nach "Grinzing, Sievering,"
Mit andern muntern Gesellen;
Zickzack gar Mancher nach Hause ging —
Wir lachten im Mondschein, im hellen!

So brach der Chorus aus
Wir wollen's dem Leser erklären:
Heißt: C. a. f. f. e. e. — Kaffee-Haus,
Und nächtliches Punsch-Einkehren.

Nicht immer ging es so herrlich zu,
Nicht immer waren wir Prasser!
So trug mir Schubert an das Du
Zuerst mit Zuckerwasser.

Es fehlt' an Wein — und Geld zumal;
Bisweilen mit einer "Melange"
Hielten wir unser Mittagsmahl,
Mit diesen, Wiener-Pantsche.

Die Künstler waren damals arm!
Wir hatten auch Holz nicht immer —
Doch waren wir jung und liebten warm
Im ungeheizten Zimmer.

O Liebeslust! O Liebespein!
Wir saßen so recht mitten
In diesem bitter-seligen Sein —
Schlimm, daß wir ausgelitten!

"Wenn Dir's in Kopf und Herzen schwirrt,
Was willst Du Bess'res haben!
Wer nicht mehr liebt und nicht mehr irrt,
Der lasse sich begraben." —

Der Jugend Losung war das Wort,
Und ist's auch später geblieben;
Nur daß im Alter wir sofort
Mehr irren jetzt als lieben.

Verliebt war Schubert; der Schülerin
Galt's, einer der jungen Comtessen;
Doch gab er sich einer — ganz Andern hin,
Um die — Andere zu vergessen.

Ideell, daß uns das Herz fast brach,
So liebte auch Schwind, wir Alle;
Den realen Schubert ahmten wir nach
In diesem vermischten Falle.

Mein Schubert! Mein Schwind! könnt' ich ein Wort
Traut mit Euch plaudern, ein Stündchen!
Doch, ach, der Ein' ist im Himmel dort —
Der Andere gar in München.

Jugendfreundin

O Jugendfreund! Du süßes Wort!
Und Jugend-Freundin nicht minder!
Nur bleiben die's nicht immer fort,
Bekommen später Kinder.

Doch eine Alters-Freundin scheint
Darum nicht zu verachten;
Sie weiß, wie wir zusammen geweint,
Wir miteinander lachten.

Die treue Freundin lieh das Ohr
Oft unsern Liebesgeschichten;
Jetzt legt sie uns gute Bissen vor
Und fragt uns, was wir dichten.

So einer Jugend-Sympathie
Werd' ich die Stelle lesen;
Drei schöne Töchter blüh'n um sie —
Die Mama ist noch schöner gewesen!

Gute alte Zeit

In der guten alten Zeit
Sind die Tage so verflogen;
Gute alte Zeit, du warst so
Jugendlich und unerzogen!

In der guten alten Zeit
Ei wie taten wir uns gütlich!
Unser Dasein drückt sich aus
In dem Einen Wort: "gemütlich."

Munt're Feste, Schmäuse, Tänze,
Volle Becher, weiße Nacken,
Süße Ruhe, tiefer Frieden
In dem Lande der Phäaken.

Und vom Baume der Erkenntnis
Gab's noch keinerlei Verführung;
Sorgsam war die Polizei,
Väterlich war die Regierung.

Von dem Finger an der Wand,
Von der Mene-Tekel-Mahnung,
Von dem Popanz Politik
Hatte Wien noch keine Ahnung.

Unbekümmert war ein Jeder
Um Regierung, um Verwaltung,
Herrschend war allein das große
Wiener - Schlagwort: "Unterhaltung."

Munter hüpfen dort und weiden
Jene Lämmlein auf der Wiese —
Glücklich war mein Wien in seinem
Prater - Backhuhn - Paradiese.

Ach, wie rauscht die Zeit vorüber
In den süßen Jugendjahren,
Und wie muß man erst im Alter,
Daß man glücklich war, erfahren!

Altes Lied

Du bist gestorben und weißt es nicht,
Mein liebes altes Wien;
Dein "Kasperl," der ist längst schon tot,
Dein "Sperl," der wird jetzt hin.

Die geback'nen "Händel" fliegen fort,
Mit ihnen auch "Strauß Sohn;"
Es baut die Industrie jetzt dort
Sich ihren hölzernen Thron.

Ihr Tischler, hobelt nur frisch d'rauf los,
Macht einen Toten-Schrein,
Und legt in seinen stillen Schoß
Das alte liebe Wien hinein!

Politische Spazierfahrt

Längst meinten die Wiener: "Das ist klar,
So kann's nicht länger bleiben!" —
Und kam das große "Jubeljahr,"
Da war ein großes Treiben.

Da hatte der Wiener nicht Zeit noch Grund,
Auf "Unterhaltung" zu denken;
Man mußte sich auf "Staatenbund"
Und "Bundesstaat" beschränken.

Der Eine war den Magyaren hold,
Der Andere den Kroaten —
Der schwarzgelb, Jener schwarz-rot-gold:
Hat Jeder so geraten!

Der als ein Schlaukopf, der als ein Tor!
Von Brüdern und Genossen
Kam Der und Jener hoch empor —
Ein And'rer ward erschossen.

In Ungarn war's besonders schwer,
Da irrte sich ein Jedes,
Und leichter wohl entdeckte wer
Den Punkt des Archimedes —

Als daß er wußte fest und klar,
Mit wem sich zu verhalten,
Und welche die legitime war
Von allen den Gewalten!

In Wien auch schwankten sie herum —
Sie klagten über Zinsdruck,
Und suchten das Ministerium
In Ofen, wie in Innsbruck.

Es herrschte da ein toller Drang,
Hielt Alles Reden und lärmte .—
Weiß Gott, daß ich drei Tage lang
Selbst für die Freiheit schwärmte.

Es reden und schwärmen die Menschen viel —
Bald hatt' ich's zu Genüge!
Verbrüderungen ohne Ziel,
Und Fahnenweih', Bier-Krüge!

Damals war großer Jubel im Land —
Erinnert sich der Leser?
Als man Erzherzog Hans ernannt
Zum deutschen Reichsverweser.

Es täten die Deputierten in Pracht
Bei Hofe gar logieren;
Man fuhr sie auch (hab's mitgemacht)
Nach Reichenau spazieren.

Schon nach dem Bahnhof brachte man
Uns Alle in Hofkutschen,
Mich und den Jucho und Rottenhan,
Und jenen Sauken-Tarputschen.

Der war alsbald des Volks Liebling,
Wüßt' es zu haranguiren,
Und fing schon an gleich in Liesing
Von Deutschland zu diskurieren.

Wie das so einig sei und groß,
Und jetzt für alle Stunden,
Die schlummern in der Zukunft Schoß,
Für immer mit Östreich verbunden!

Die Andern waren auch nicht faul,
Und sprachen mit feurigen Zungen;
Ich bewunderte ihr großes Maul
Und ihre mächtigen Lungen.

Bei "Waißnix" war ein festlich Mahl
Mit Musik und Sänger - Chören,
Da gab's Fest-Reden sonder Zahl —
Ich konnte fast nicht mehr hören.

Sie hielten die Becher in der Hand
Und toasteten wie besessen;
Nur den guten Kaiser — den Ferdinand —
Den hatten sie ganz vergessen.

Und Einer — ein Wiener war's — der packt'
Etwas verkehrt die Sachen,
Deutsch-selig hatt' er so wenig Takt,
Uns Wiener herunter zu machen.

Da macht' ich einen dummen Streich —
(So was geschieht mir häufig) —
Ich sprang vom Tische auf sogleich,
Und also sprach ich beiläufig: —

"Willkommen, die von nah und fern
In unsere Lande kommen,
Und die man, selbst mit Pässen, ungern
Nur sonst hier aufgenommen.

Mit Bangen trat die deutsche Kultur
An die schwarz-gelben Schranken —
Gefallen ist jetzt die Zensur,
Die Mörderin der Gedanken.

Gedanken aber, tief und reich,
Sie sind nicht von den kranken,
Hin träumten sich auch in Österreich
Gar liebe und warme Gedanken!

Sie aber lagen in dunkler Haft
Still schleichender Gewalten,
Und durften nie in voller Kraft
Sich frisch und freudig entfalten.

Zerrissen ist jetzt der Zauberkreis,
Das Zaubergefäß zersprungen —
D'rum Ehre sei dem Geist und Preis,
Der selber sich entrungen!

Gott und ein liebendes Gemüt
Sie lieben die freien Geister!
Wißt Ihr, vor wem der Zauber flieht?
Ein Knäblein ist sein Meister.

Ein frommer Mann, am Herzen ein Kind,
Von keinem Spuk betöret,
Ein Mann, mit dem die Engel sind,
Hat das Teufelswerk zerstöret.

Lang hört' ich heut' Euch schweigend an
Und Eure tönenden Reden,
Wie Jeder sich hervorgetan,
Wie Ihr gepriesen Jeden.

Ich preise den Geist so gut als Ihr,
Doch das Gemüt nicht minder,
Und darum lass' ich leben hier
Die kindlichen Menschen, die Kinder!

Hoch unser liebes Österreich —
Ich ruf's mit fröhlichem Mute —
Und habt Ihr's Alle vergessen gleich:
Hoch Ferdinand der Gute!" — —

So konnte man bei Waißnix im Saal
Einen Fürsten preisen mich hören —
Kann wiederum geschehn ein Mal!
Man soll da nichts verschwören.

Ich sagte noch Manches, wie sich's traf,
Gerührt war Jeder beim Weine;
Es weinte sogar ein gemütlicher Graf,
Der jetzt im Sev'rinus-Vereine. —

Nach Hause fuhr der ganze Schwall,
Doch blieb es da beim Alten:
In Brunn, in Liesing, kurz überall
Wurden tönende Reden gehalten —

Vom neuvolkstümlichen Österreich,
Vom deutschen Reichsverweser,
Vom großen, großen deutschen Reich,
Wie's werden müßt' noch größer!

Im Wiener-Bahnhof vernahm ich's zuletzt,
In der Hof-Equipage, mit Gähnen;
Es hörten's die Schimmel an entsetzt,
Es sträubten sich ihre Mähnen.