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Silhouetten
 

Grillparzer
Ferdinand Raimund
Ein Wiener-Zensor
Ein lustiger Vogel
Franz Liszt in Wien
Die Wiener-Reisende
Graf Radetzky
Nicht eingetroffen
Zwei Opfer
L'état e'est moi
Prediger in Wien
O du lieber Augustin

Grillparzer


Und kamen die "Argonauten",
Die mächtige Trilogie —
Die Leute verwundert schauten
Und staunten der Poesie!

Den harten Namen — Grillparzer
Lernt Byron erstaunt und froh;
Es sitzt der Poet im Karzer —
Im finstern Wiener-Bureau.

O weh der Dichterkrone!
Verträgt sich Bureau und Parnaß?
Schrieb Sophokles "die Elektra"
Wenn er im Mautamt saß? —

Mein Dichter, Du wardst als Beamter
Von Dummköpfen präteriert;
Ein Zensor, ein verdammter,
Hat Deinen Vers strichuliert.

Und was sie Dir jetzt geboten
Mit Gönner-Angesicht —
Sie wollten den Patrioten
Belohnen, den Dichter nicht!

Bist jetzt geschmückt mit Orden,
Sophokles von Österreich;
Du bist auch Hofrat geworden,
Tragöde, die Locke bleich!

Du hoher Musen-Priester,
Schöpfer hold-tragischen Weh's —
Was schaffst Du im Reich der Philister,
Mein Hofrat Sophokles!

Du weißt, wie wir Dich lieben,
Wir Alle in Österreich!
Bist Deutschland fremd geblieben —
Es schmerzt und rührt uns zugleich. — —

Nicht scheint dem Dichter zu taugen,
Was Einer so tadelnd spricht;
Mit seinen tiefblauen Augen
Schaut ernsthaft mir ins Gesicht: —

"Ich kenne Dein heftiges Wesen,
Mein Freund, Dein böses Maul;
Was hab' ich in Deutschland zu suchen?
Auch dort ist Manches faul!

Hier kenn' ich die Menschen, die Sitten,
Bin wenig nur geniert;
Hofräte gibt's auch in Deutschland,
Doch sind sie schlecht salariert.

Man sagt mir von deutscher Bildung —
Das ist ein löblicher Brauch;
Gebildet sind die Deutschen,
Nur eingebildet auch.

Sie haben das Pulver erfunden —
Das ist schon lange her;
Sie schreiben Broschüren und Bücher,
Und übersetzen noch mehr.

Ich fühle mich bei dem Zeuge
Nicht wohl — s'ist ungesund;
Sind ohne Frucht die Zweige,
Dürr hangen sie in den Mund!

Man schwatzt auch von deutscher Einheit. —
Begriffen hab' ich's nie;
Es fehlt seit Karol's Zeiten
Die Macht, die Sympathie.

Zwar an der Spree und Pleiße
Da treiben sie Politik,
Der träumt vom Kaiserreiche,
Und der von Republik.

Sie kämpfen mit hölzernen Waffen —
Das nenn' ich Kinderglück!
Der Mann mit ernstem Schaffen
Zieht da sich lieber zurück.

Ich kenne meine Stärke
Und hab' genug getan!
Ihr habt des Mannes Werke —
Doch, Kinder, laßt den Mann!

Auch Euern Hochgefühlen
Fern ab ist meine Bahn;
Ich bin zu alt zum Spielen,
Zu jung für alternden Wahn.

D'rum, ist's nur immer schicklich,
Halt' ich von Allem mich frei;
Ich fühle mich gar glücklich
In meiner Siedelei.

In meiner Lieben Mitte,
In meiner Träume zugleich;
Die große Siedler-Hütte
Sie nennt sich: Österreich.

Östreich ist eine Oase,
So Blumen- und Quellen-reich;
Die deutsche Wüsten-Straße
Ist sandig und holp'rig zugleich.

In Östreich, dem viel-werten,
Da leb' ich so vor der Hand;
Die Wiener sind keine Gelehrten,
Doch haben sie Menschen-Verstand.

Ein Volk, treuherzig und bieder,
Und ohne flunkernden Schein;
Sie haben Gesang und Lieder,
Humor und — sauern Wein.

Den wässert man gebührlich
Nach altem Wiener-Brauch;
Der "Grinzinger" ist natürlich,
Der Wiener ist es auch.

Die rohen Sitten, die wilden,
Längst sind die abgeblaßt;
Jetzt fangen sie an, sich zu bilden —
Scheint mir bedenklich fast.

Sie schauen mir in's Gesichte
Auf einmal mit Respekt;
Sie fragen mich, was ich dichte —
Das hat mich schier erschreckt!

Sonst hat sich Keiner bekümmert
Je um mein Wesen und Sein;
Ein Dichter ist ein Träumer —
Ein Dichter ist gern allein.

Die guten alten Wiener
Die ließen mich so geh'n;
Doch den gebildeten Menschen
Muß leider man Rede steh'n.

Was aber soll ich Euch sagen?
Ich weiß, bei Gott, nichts Neus!
Doch hört Ihr nicht auf, mich zu plagen,
So red' ich denn endlich — sei's!

Ihr lieben Leute, ich schreibe
Für mich im stillen Haus;
Nicht für die Zeitung, beileibe!
Schaut nichts dabei heraus.

Ich lese die lieben Alten,
Die bringen Glück und Heil,
Und hohe Göttergestalten
Besuchen mich jezuweil.

Seit meinen jungen Tagen
Hatt' ich mit ihnen Verkehr;
Sie künden mir und sagen
Gar wunderbare Mär'.

Auch Wahl-verwandte Geister
Sie winken vom Helikon,
Die viel verehrten Meister:
Love und Calderon.

Ein Götter- und Helden-Gewimmel
Ist da in meinem Haus,
Zum blauen Griechen-Himmel
Die Decke dehnt sich aus.

Ein stiller, süßer Friede
Beschleicht mich da, allein —
Der letzte Homeride
Fast dünk' ich mich zu sein!

Und wie's ein Gott mir geboten,
Wird manches hohe Gesicht
Im Sinne der großen Toten
Lebendig, zum Gedicht. —

Und wenn Ihr früher glaubtet,
Mich hindere die Zensur,
So habt Ihr Falsches behauptet —
Ihr kennt nicht meine Natur!

Denn hätt' ich Euch was zu sagen,
So ließ' ich der Rede den Lauf,
Wie Galiläi, wollt's wagen,
Und stünde der Holzstoß d'rauf.

Doch mein' ich, in reichlicher Weise
Längst fiel der Worte Tau;
Wär' Zeit, daß die göttliche Speise
Heißhung'rige Welt verdau'.

Sie würgen Ideen und schlingen
Und schlucken's hinunter frei;
Ragout von himmlischen Dingen —
Ihr Geist bleibt mager dabei.

Nach mir sich Keiner richte,
Den eig'nen Weg ich geh';
Ich sinne wohl und dichte,
Doch bin ich nicht vom Metier.

Ich lasse nicht setzen und drucken,
Vor Büchern fast mir graut;
Geb' Euch nichts Neues zu schlucken —
Verdaut erst das Alte, verdaut!

Ich schreibe — Ihr sollt's auch lesen —
Doch erst nach meinem Tod:
Östreicher bin ich gewesen,
Der letzte Patriot!"

Ferdinand Raimund

Kann mir Einer denn erklären
Wie das Gras, die Blume sprießt?
Kann mich Einer denn belehren,
Was das Wachsen, Dichten ist?

Erde dichtet nur im Lenze,
Und da sagt man, daß es wächst;
Nach dem Winterschlafe werden
Rosen da hervor gehext.

Poesie, sie schläft oft lange,
Lange in der Menschenbrust;
Armer Raimund! warst ein Dichter,
Hast es selber kaum gewußt!

Sorgsam die poet'sche Puppe
Pflegtest Du mit Angst und Wonne,
Bis der Falter, die Komödie,
Flattert an die Lampensonne.

Und dem Dichter und dem Mimen
Jubelt zu das volle Haus,
Denn so recht aus seinem Innern
Spielt und' dichtet er heraus.

Humoristisch ist die Stirne,
Ernst dabei und Falten-reich,
Und im Aug' ist die Satire,
Aber das Gemüt zugleich.

Sichtbar schwindet unfern Blicken
Da der Jugend gold'ner Schein,
Das Sirenen-Lied erklinget,
Süße Weise: "Brüderlein fein!"

Und der Mann vor unsern Augen
Rasch verwandelt sich zum Greis,
Zitternd, mit gebognem Rücken,
Und das blonde Haar wird weiß!

Jener Aschenmann! Ist's Raimund?
Ja, er ist's! In Ton und Blick
Tritt fast tragisch uns entgegen
Komiker und Volks-Komik. —

Schlürft die Lust in vollen Zügen —
Bitt're Neige bleibt im Becher;
Jubel ist verhüllter Schmerz —
Fragt die Liebenden und Zecher!

Fragt die Dichter, scheinbar Reiche,
Die verschwenderisch verfügen
Über alle Geistes-Schätze,
Nimmer doch sich selbst genügen!

Fraget Raimund! In sich schlummern
Fühlt er wahren Dichter-Funken,
Will sich in den Naphtha-Flammen
Hold verzehren, Wonne-trunken.

Und es winkt ihm zu aus hoher
Dichterischer Region:
Ging ihm längst die neue Welt auf
Da in Shakespeare, Calderon!

Was er früher' je gedichtet,
Schien ihm niedrig, schwach und kleinlich:
Komisches zu produzieren
Und zu spielen, fiel ihm peinlich.

Und doch dacht' auch für die Bühne
Neues, Praktisches zu schaffen;
Denn der Pöbel will ja lachen,
Will mit offnem Maule gaffen!

Zwischen Hoheit und Gemeinheit
Raimund schwankt herum, zerrissen,
Zwischen Dichter-Idealen
Und papierenen Kulissen.

Sinnenlust und selig Schwärmen
Wechselt so in seinen Tagen,
Hoch-Entzücken, tiefstes Härmen,
Orgien und Selbst-Anklagen!

Wie die Nerven zittern, beben!
Jede Lust ist ihm vergällt;
Wie sein eig'ner "Rappelkopf"
Flieht die Freunde, flieht die Welt.

Und sein eig'nes Lied, das alte:
"Scheint die Sonne noch so schön" —
Summt er höhnisch vor sich hin —
"Einmal muß sie untergeh'n."

Und er haßt jetzt das Theater,
Diese Welt von Papp' und Kleister,
Sie den Dichter nicht bedarf,
Nur Souffleur, Theatermeister!

Und er haßt das Welt-Theater,
Puppenspiel von Trug und Schacher,
Das nicht Herz und Seele braucht,
Nur Geschäftsmann, Lustigmacher!

In den Wäldern, zwischen Felsen.
Findet wieder sich's auf's Neu',
Seine Schmerzenstränen trocknet
Ihm die letzte Freundin treu.

Doch der heiße Poesie-Schmerz
Nagt in seinem Herzens - Grund —
Ungenügen heißt der wilde
Schwarze Dämon, tolle Hund!

Und es treibt ihn durch die Klüfte
In Verzweiflung, in's Verderben,
Bis er naht der unbekannten
Ewigkeit — sie nennen's: sterben.

Angeschmiedet war der Dichter
An den Fels Melancholie,
Und ein Geier fraß das Herz ihm,
Wilder Geier: Phantasie.

Ein Wiener-Zensor

Halb vergessen ist Euch jener
Wiener-Dichter, hieß Mayrhofer;
Viele seiner Poesien
Komponierte sein Freund Schubert.

So die "zürnende Diana,"
"Philoktet" und manche and're;
Waren tief, Ideen-reich,
Aber schroff — so wie der Dichter.

Kränklich war er und verdrießlich,
Floh der heitern Kreise Umgang,
Nur mit Studien beschäftigt;
Abends labte ihn das Whistspiel.

So mit altern Herren saß er,
Mit Beamten, mit Philistern,
Selbst Beamter, Bücher-Zensor —
Und der strengste, wie es hieß.

Ernst war seine Miene, steinern,
Niemals lächelt' oder scherzt' er;
Flößt' uns losem Volk Respekt ein
So sein Wesen und sein Wissen.

Wenig sprach er — was er sagte,
War bedeutend; allem Tändeln
War er abgeneigt, den Weibern,
Wie der leichten Belletristik. —

Nur Musik konnt' ihn bisweilen
Aus der stumpfen Starrheit lösen,
Und bei seines Schubert Liedern
Da verklärte sich sein Wesen.

Seinem Freund zu Liebe ließ er
In Gesellschaft auch sich locken;
Wenn wir Possen trieben, sah ihn
Stumm dort in der Ecke hocken.

Eines Abends als sich Schubert
Frei erging im Phantasieren,
Überkam die Dichter-Mumie
Da im Winkel tiefes Rühren.

Des verschrumpften Mannes Körper
Schien sich mächtig auszudehnen,
Über seine hagern Wangen
Liefen warme Schmerzenstränen.

Langsam stand er auf vom Sessel,
Als die Phantasie zu Ende,
Und dem Freunde am Klaviere
Schüttelt stumm und stark die Hände.

Und mit leisem Kopfesneigen
Wollt' sich still nach Hause stehlen;
Doch es hieß, der Dichter heute
Dürfe beim Souper nicht fehlen.

Weigerte sich lang und heftig,
Vielgebeten endlich blieb er,
Aber stumm und wenig essend,
Wäre wohl zu Hause lieber!

Munter liefen die Gespräche
Hin und her so wie die Flaschen;
Nur den Dichter sah ich selten
Aus dem Glase nippen, naschen.

Aber als man die Gesundheit
Seines teuren Freundes ausbracht',
Vollen Becher Jeder ausstürzt,
Und den Nippenden man auslacht —

Da ergreift ein großes Weinglas
Majestätisch er, bedächtig,
Füllt' es bis zum Rande, stürzt es
Flugs hinunter, rasch und mächtig.

Alles jubelt. Weiter trinken
Soll der Mann, er sei's im Stande;
Reizt den Freund der munt're Schubert:
"Trinkst du nicht, wär's eine Schande!" —

"Schande?" sagt der And're ernsthaft,
Und mit tiefen Schmerzensblicken
Greift nach Flasche und nach Weinglas,
Füllt es an von neuen Stücken.

Füllt es an und füllt es wieder,
Und die grauen Äuglein blinken
Düster, totenhaft — mir war's als
Sah' ich ein Gespenst da trinken!

Doch es trank der edle Schemen
Herzhaft da und resolut.
Bei der Freunde Lob und Zuruf
Wuchs ersichtlich ihm der Mut.

Ward gesprächig auch und geistreich,
Überrascht', erfreute Jeden
Durch die Frische der Gedanken —
Ließen bald allein ihn reden.

Östreich wurde durchgesprochen
Und sein künftiges Entfalten,
Wie's vom Weg auch abgekommen,
Da von Kaiser Joseph's Walten.

Kaiser Joseph schien der Heros,
Den der Dichter sich erkoren,
Und er klagte patriotisch,
Daß sein Österreich verloren.

Alle Fehler der Regierung
Setzt' er aus einander logisch,
Immer feuriger die Rede,
Ward zuletzt wild-demagogisch —

Daß er aufsprang so vom Tische,
Und mit Worten, kecken, dreisten,
Nur von Freiheit sprach und Volkstum,
Schäumend, mit geballten Fäusten.

Also sprach er, also tobt' er,
Glas auf Glas hinunterstürzend,
Und mit Witzen, mit Sarkasmen
Seine wilde Rede würzend.

Und zum Schluß beiläufig sagt' er: —
"Meine lieben jungen Leute!
Groß war Einer nur in Östreich:
Maximilian der Zweite.

Mild und sanft, von reinen Sitten,
Ohne Haß und Leidenschaften,
Kriegsheld auch, wie dort bei Mühlberg,
Liebend Kunst und Wissenschaften.

Und die Duldung war der schönste
Diamant in seiner Krone!
Wer zelotisch ist, unwürdig
Saß' der auf dem Welten-Throne.

Töricht wer des Denkens Freiheit
Und des Glaubens will beschränken;
Glauben ist ein blühend Leben,
Leben ist ein liebend Denken.

Glauben, Lieben, Denken — also
Sich des Lebens Stufen bauen:
Diese Drei zu Eins verschmolzen,
Und du wirst Vollendung schauen!

Nach Jahrtausenden vielleicht erst,
Über all' die Leichenhügel
Flattert, jetzt noch Puppe, Menschheit,
Als ein Falter mit dem Flügel.

Doch in jedem der Jahrhundert'
Treibt und wächst der Puppe Leben,
Und zum Licht empor zu dringen
Ist ihr innerstes Bestreben.

Des Jahrhunderts Grundgedanken
Ihn begreifen nicht die Dummen;
Große Männer, große Kaiser
Lassen nie den Geist verstummen.

Max auch war ein solcher Kaiser
Mit dem edlen Geistes-Hange;
Kurz sein Wirken! Gute Herrscher
Die regieren selten lange.

Groß und weise seine Pläne,
Doch er fand die Hintertreiber;
Was ein tücht'ger Mann will schaffen,
Hindern weib'sche Männer — Weiber.

Ja, die Weiber! Diese taugen
Nicht zum Kosmos, zum Welt-Ganzen;
Wär's nur tunlich, diese Erde
Ohne Frauen fortzupflanzen!

Mai, Dein Streben fruchtlos blieb es
Wie das immer mich betrübte!
Einen Fehler hatt' mein Kaiser:
Daß er schöne Weiber liebte.

Ganz Europa wollt' er sammeln
Zu dem großen Christen-Heere,
Und die eingedrung'nen Türken
Jagen über ihre Meere.

Und ganz Östreich wollt' er tauchen
In die neue Denker-Lehre,
Doch da stellen sich die Weiber —
Dunkle Gegner auch zur Wehre!

Christus ist der Born der Weisheit,
Dieser heil'ge Gottesseher —
Ihm auch stellten sich entgegen
Juden-Pfaffen, Pharisäer!

Pharisäer sind es immer,
Die das Gute, Schöne hindern,
So erging es unsern Vätern,
So ergeht es ihren Kindern.

Weiber auch sind Pharisäer,
Und ich sag' es Euch prophetisch:
Schlimmstes werdet Ihr erleben
Durch Weihkessel und durch Nähtisch!

Ja, ich sag' es Euch prophetisch:
Kommen werden schlimme Zeiten,
Und die Dunkelmänner werden
Gegen Licht und Wahrheit streiten.

Aber kommen wird am Ende
Doch die neue schöne Äre,
Siegen wird der Geist, die Freiheit,
Und die neue Liebes-Lehre!" — —

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So ein österreich'scher Zensor
Sprach vor etwa dreißig Jahren;
Wörtlich weiß ich's nicht — doch schwör' ich,
Daß es die Gedanken waren!

Und im Leben hat der Mann
So gesprochen wohl nur Einmal,
Trocken saß er sonst und stumm,
Wie auf einem Grab das Stein-Mal.

Und am nächsten Morgen saß er
Als Beamter am Zensur-Tisch,
Streng, gewissenhaft und Pflicht-treu
Strich er jede Geistes-Spur frisch.

Sich beherrschend, abgeschlossen,
Niemand sah das Gären an
Und das inn're Wühlen, Toben,
Dem pedantischen Vulkan.

Arbeit wurde ihm, die Akten
"Zugeteilet" ohne Schonen,
War den ganzen Tag beschäftigt
Mit den Bücher - Revisionen.

Einmal kam er frühen Morgens
In's Bureau, begann zu schreiben,
Stand dann wieder auf — die Unruh'
Ließ ihn nicht im Zimmer bleiben.

Durch die düstern Gänge schritt er
Starr und langsam wie in Träumen,
Der Kollegen Gruß nicht achtend,
Stieg er nach den obern Räumen.

Steht und stiert durch's offne Fenster,
Draußen wehen Frühlingslüfte,
Doch den Mann, der finster brütet,
Haucht es an wie Grabesdüfte.

An dem offnen Fenster kreiselt
Sonnenstaub im Morgenscheine —
Und der Mann lag auf der Straße
Mit zerschmettertem Gebeine.

Ein lustiger Vogel

Es schuppt die Wiener-Köchin
Die Fisch' bei lebendigem Leib;
Noch schlimmer verfährt mit den Krebsen
Das unglückselige Weib.

Die Krebse mit schwarzen Kutten
Die schmeißt sie in den Topf,
Und kaltes Brunnenwasser
Gießt ihnen über den Kopf.

Froh sind die schwarzen Krebse
Erst über das kühlende Naß,
Sie krabbeln durcheinander
Und murmeln ein Gratias.

D'rauf stellt sie den Topf an's Feuer,
Streut Majoran hinein
Und Salz, das Ungeheuer —
Als müßt' es eben sein.

Die Scharlach-Farbe erzielt man
Durch langsames Sieden nur;
Die Küchen-Geschichte behauptet,
Das lieg' in der Krebse Natur.

So wird denn der Krebsen-Mart'rer
Nach langer, langer Qual
Gradatim durchgesotten,
Wird endlich Krebs-Kardinal.

Da sitzen im Konklave
Der Schüssel sie ringsherum,
Die krabbelnden schwarzen Krebse
Sie sind jetzt rot und stumm.

Die Wiener-Köchin ist grausam
Den Karpfen und Hechten auch,
Die schuppt sie ab lebendig
Nach löblichem alten Brauch.

Ein Dichter ist barmherzig,
Ein Dichter kennt die Natur;
Er liebt die Blumen und Pflanzen,
Die tierische Kreatur.

So hatte der alte Castelli
Auch nimmer Ruh' und Rast,
Bis er ein ganzes Gesetzbuch,
Ein tierisches, verfaßt.

Den Dichter unterstützen
Da im Bureau die Herrn;
Und wär's für Ratten und Mäuse,
Gesetze machen sie gern.

Die armen krabbelnden Krebse
Sind ewig dankbar dafür;
Jetzt werden legal sie gesotten
Bei achtzig Grad Reaumur.

Auch über die Karpfen und Hechte
Ist längst das Urteil geschöpft;
Sie werden geschuppt wie früher,
Doch werden sie erst geköpft.

Und martert ein Bube die Katzen,
So wird er flugs verklagt;
Auch Finken und Dichter zu blenden,
Ist strenge untersagt.

Castelli, mein Alter, Guter,
Mit Recht bekämpfest Du frei
Als letzter alter Wiener
Die alte Barbarei.

Uns Dichter, stumme Fische,
Gesetzlose Kreatur —
Uns schuppte damals lebendig
Die alte Köchin, Zensur.

Sie haben Dir Deine Gedanken
Und Deine Stücke zerstückt,
Die Blüten Deiner Reimlein
Mit plumper Hand geknickt.

Doch kam der Feind, der Franzose,
Da war man so strenge nicht,
Durchschlüpfen ließen sie manches
Satirische Gedicht.

Du hast voll Patriotismus,
Gepackt den Napoleon
Als guter Österreicher
Mit keck gereimtem Hohn.

Und als sich Wien, dem bangen,
Genähert die große Armee,
Da ward Dir selber bange
Vor Deiner kühnen Idee.

Erobernden Armeen
Gilt nichts der ganze Parnaß;
Sie sind gleich da mit Erschießen —
Erschießen ist kein Spaß!

Da suchtest Du bei den Behörden
Um Schutz an, um Asyl;
Die Herren zuckten die Achsel
Über Deinen schlechten Stil.

Und tratst Du dem Welt-Tyrannen
Entgegen mit Liedeskraft,
Da sagte Dir Dein Kaiser:
"Wer hat Ihnen's denn g'schafft?" —

Was sich in Dichters Seele
Bewegt, in der Herz-Region,
Das stille Treiben und Schaffen —
So ein Herr weiß wenig davon!

Weiß nichts von lustigen Schwänken,
Von fröhlichem Übermut —
Es liegt die Tollheit im Dichter-
Und auch im Wiener-Blut.

Du warst ein lustiger Vogel,
Du liebtest Gesang und Wein,
Und auch die Weiber — wollten
Sie nicht geheiratet sein.

Du hast Deinen Feind, den Franzosen,
Verfolgt im eigenen Land,
Und manches Franken-Drama
Erklärt für Kontreband.

Viel tausend lustige Streiche
Erzählen die Leute von Dir —
Aus altem Österreiche
Klingt das wie Märlein schier.

Und zogst Du mit dem Gefährten,
Da liefen sie hinterdrein —
"Seht da die lustigen Brüder,
Castelli und Deinhardstein!" —

Erinnern sich noch Beide
Der alten Zeiten gern,
Doch sind sie zu ihrem Leide
Jetzt selber alte Herrn.

Von ihrem lustigen Treiben
Ist längst verwischt die Spur;
Der Eine beschützt die Tiere,
Der And're besorgt die Zensur.

Und ist der letzte Zensor
Dein Freund, der Deinhardstein,
So magst Du, mein Alter, der letzte
Lustige Vogel sein!

Franz Liszt in Wien

Als Orpheus mit der Leier
Zum ersten Mal erschien,
Wie um den Völkerbefreier
So drängten sie sich um ihn.

Sein Spiel, das wunderbare,
Pariser-Ungestüm,
Der Geist, die langen Haare —
Kurz, Alles entzückte an ihm.

Da saßen um ihn die Damen
Und lauschten der Harmonie,
Die stolzesten Adels-Namen —
Da roch's nach Patchouli.

Und ließ er den Handschuh fallen
In holder Koketterie,
Da lag gleich auf dem Boden
Die ganze Aristokratie.

Es zerrte an dem Handschuh
So manche zarte Hand;
Die Fürstin und die Gräfin
Sie teilten sich in das Pfand.

Gern schwebte der Virtuose
In reiner Adelshöh';
Doch stieg auch in Bürgerhäuser
Der göttliche Mahadöh.

Auch hübsche Bürger-Mädchen
Verschönern den Künstlerlauf —
Die weg geworf'nen Zigarren
Des Gottes bewahren sie auf.

So hat der junge Meister
Gar übel in Wien gehaust!
Wien war ein liebendes Gretchen,
Und er der verführende Faust. —

Und hieß es nach vielen Jahren:
"Der Liszt ist wieder hier!"
Da war ein großes Treiben,
Gestimmt ward jedes Klavier.

Der Meister aber gab sich
Zum Spiele nicht wieder her;
Er war Schriftsteller geworden,
Gelehrter und Compositeur.

Die schönen langen Haare
Sind grau geworden meist,
Die Miene gar ernst und strenge,
Doch zeigt sie noch Feuer und Geist.

Er hatte wohl auch noch etwas
Vom faszinierenden Blick,
Im Ganzen doch war's der Eindruck
So mehr von Zukunfts-Musik.

Die ernste, würdige Haltung,
Der Orden pour le mérite —
Es war ein deutscher Professor
Nach eleganterem Schnitt.

Und stand er auf dem Katheder —
Am Pult — so vornehm-bequem,
Da mochte sich Jeder erwarten
Statt der Symphonie ein System.

Und in den deutschen Journalen
Wird eben uns referiert,
Daß er den Franziskanern
Als Bruder sich affiliert.

Ist das der frische Junge,
Das feurige Ungar-Blut?
Champagner geword'ner Tokaier,
Bezaubernder Übermut!

Ist das der Liebling der Damen?
Der Kunst hellstrahlender Stern?
Professor in der Kutte!
War das des Pudels Kern?

Vorüber die Zeiten, vorüber!
Verraucht der Feuer-Geist!
"Als Pudel war er mir lieber" —
Wie's dort im Lustspiel heißt.

Die Wiener-Reisende

"Am Ganges duftet's und leuchtet's,"
Am Ganges ist's lieblich gar;
Zum Ganges bin ich gangen
Erst im verwichenen Jahr.

Am Ganges sind Engelländer,
Die sorgen für den Bauch,
Der Ganges liegt in Indien,
Den "Indian" bratet man auch.

Am Ganges sind Fasane,
Die sollen schmecken gar süß;
Ob dort auch Krammetsvögel,
Das weiß ich nicht gewiß.

"Am Ganges duftet's und leuchtet's,"
Von Duft wird man nicht satt;
Ich hoffe, die Lotos-Blume
Gibt wohlfeilen Salat.

Gern mach' ich weite Reisen,
Mich leitet der Forschungstrieb;
Wär's nichts mit dem Lotos-Salate,
Das wäre mir nicht lieb!

Ich war auch einmal in Ägypten,
Das ist ein heißes Land;
Im Nil ist schlammiges Wasser,
In der Wüste ist Wüstensand.

Der Auszug aus Ägypten,
Ihr Freunde, glaubt es mir,
Ist eine historische Fabel,
Gibt Juden dort wie hier.

Vor Juden sich zu retten
Ist überall ungewiß,
Sie werden sich noch einschleichen
Auch d'roben in's Paradies.

Zwar heißt's: nur fromme Christen,
Gehn in den Himmel ein,
Doch wird um's Geld auch jenseits
Etwas zu machen sein.

Für klingende Münze haben
Auch Himmelspförtner Gehör —
Es geh'n die reichen Juden,
Die Kamele, durchs Nadelöhr!

Die ägyptischen Juden sind schmutzig,
Schwarzgelb, breitmäulig, nicht schön;
Ich dachte da an Manchen,
Den ich in Wien gesehn.

Merkwürdig die Pyramiden!
Zwar Niemand darin logiert
(Das ist doch Jammerschade)
Als Mumien einbalsamiert.

Die kleinste Pyramide
Ist groß wie der Trattnerhof!
Was hilft's? Auf Reisen wird man
So nach und nach Philosoph.

Merkwürdig die Schlangen im Nile
Und wie das Geifer sprützt;
Da dacht' ich an manchen Schriftsteller,
Der seine Feder spitzt.

Merkwürdig die Krokodile,
Was so ein Tier verschlingt!
Da dacht' ich, mit wie wenig
Der Mensch sich weiter bringt.

Ich sah auch die heiligen Viecher,
Die Götter groß und klein,
Die Ochsen und die Affen,
Den Mistkäfer und das Schwein.

Ich nährte mich meist von Kaffee,
Und lebte im Ganzen bill'g —
Doch dacht' ich ans Wiener "Obers"
Hier gibt's nur Büffel-Milch.

Da faßte mich tief das Heimweh,
Ach, ein Gefühl so dumpf!
Ich saß am roten Meere
Und strickte meinen Strumpf.

Graf Radetzky
Nach der alten Melodie zu singen.

Prinz Eugen der edle Ritter
Hat den Muselmann gar bitter
G'schlagen zu sein' Zeitvertreib;
In Paris war er geboren,
Österreicher ist gleich worden,
Kaiserlich mit Seel' und Leib.

Graf Radetzky der edle Ritter
Hat im Türkenkrieg da g'stritten —
Das ist auch schon lange her;
Schlacht bei Leipzig er beiwohnte,
Später ging nach Piemonte —
Nach Turin gern gangen wär'!

Der Soldat muß ausmarschieren
Der Gen'ral soll kommandieren,
So geht Alles ord'ntlich zu;
Doch es laßt den Kriegsgesellen
Und sogar den Feldmarschällen
Der k. k. Hofkriegsrat keine Ruh'.

Haut'r erst ein mit seinem Degen,
Rechnung muß dann der Held ablegen,
Und das ist ihm große Last;
Über Rock und Patrontasche,
Über Heu und Stroh, Fourage —
Die k. k. Hofkriegsbuchhaltung nennt man das.

Die Soldaten sind große, kleine,
Haben kurze oder lange Beine,
Mensch ist einmal g'schaffen so;
Gleich für Alle durch die Mitten
Hosen und Stiefel hat zug'schnitten
Die k. k. Monturs-Kommission.

Menschen tun sich durch Essen nähren,
Der Soldat auch mag verzehren,
Wenn'r was hat, gern etwas schon; '
Sandig's Brod't gibt ihm indessen
Und das Fleisch hat gar vergessen
Die k. k. Verpflegs-Administration.

Prinz Engen der edle Ritter
War ein Held, ein hoch berühmter —
Ist vergess'n fast nach der Hand;
Und das laßt sich nicht abändern
In den deutschen Vaterländern,
In dem deutschen Vaterland!

Prinz Eugen den edlen Ritter
Wird umarmen einst Held Radetzky
In dem himmlischen Quartier;
Werd'n sich auf die Schulter klopfen,
Beider Augen werden tropfen:
"Bruder, sei willkommen mir!"
 
Nicht eingetroffen

Bei dem Wiener-Staatsmann, welcher gern als liberal gegolten,
Hab' ich über unsre Zuständ' viel geklagt einst und gescholten.

"Unerträglich der Zensur-Druck!" rief ich damals vor dem Märzen,
Ich war damals ziemlich dumm und nahm mir Alles gleich zu Herzen.

Und so schwatzten wir denn Beide viel hinüber und herüber;
Schließlich sagten Excellenz: "Warten Sie's nur ab, mein Lieber!

Änderungen stehn in Aussicht, bald die Zeit ist ausgezeitet;
Kommen müssen die Reformen, die ich längst schon vorbereitet.

Ihnen will ich's anvertrauen — daß es Niemand sonst erfahre!
An dem Neubau wirke still ich so ein dreißig, vierzig Jahre.

Östreich ist, Sie werden's wissen, ein Komplex von vielen Ländern;
Daran ist, wie am System auch, vor der Hand wohl nichts zu ändern.

Manches würd' ich zwar verbessern alle Tage, alle Stunden,
Ließe man nur frei mich walten, wär'n die Händ' mir nicht gebunden!

Aber all' die vierzig Jahre hab' ich mich herum gehetzt,
Meine liberale Ansicht — glauben Sie's? nie durchgesetzt.

Denn nur Eine Stimme hab' ich in dem Staatsrat wie die Andern;
Klippen dort und krumme Wege, und die gilt es durch-mäandern.

Hundertmal nahm ich den Abschied, folgt' ich meinem innern Triebe;
Doch ich habe ausgehalten bloß dem Vaterland zuliebe. —

Soll ich Ihnen, Bester, raten: schreiben sie nur unverdrossen
Ohne Rücksicht fort — doch aber halten Sie's im Pult verschlossen.

Kommen wird die Zeit - (jetzt heißt es sich in diese Zeit noch schicken) -
Kommen wird die Zeit, mit Ihrem Manuskript heraus zu rücken!" — —

Und die Zeit, sie kam. Doch aber mit den bösen Änderungen
Hat mein Manuskript mitsamt dem alten Staatsmann sie verschlungen!

Zwei Opfer


Völker sind gleich wilden Knaben — toll, unbändig ihre Weise,
Darum brauchen sie zu Lenkern Männer und nicht schwache Greise.

In der Zeit der wilden Gärung mancher Staatsmann hoch geboren,
Mancher im Bureau Ergraute hatte da den Kopf verloren.

Und es zagten um die Wette Gouverneure, Präsidenten,
Zeigten Mangel an Charakter und an Mut und an Talenten.

Kampfscheu zogen sich zurücke, boten manche schlimme Blößen,
In die offne Bresche wagte keine sich der alten Größen.

Aber dort ein Mann! Noch Einer! Jeder seiner Taten Sohn,
Großer Namen Klang erneuend: Schwarzenberg und Stadion.

Stadion starb wie er lebte, hat sich langsam aufgerieben;
Schwarzenberg fiel rasch, soldatisch, ist wie in der Schlacht geblieben.

Jeder war ein Mann und Jeder wirkt' im Großen und im Ganzen,
Wagt' es mitten in der Sturmflut künft'ger Saaten Keim zu pflanzen.

Und als Opfer fielen beide ihrem Wirken, ihrem Streben,
Mit des nahen Tods Bewußtsein — groß verzehrten sie ihr Leben.

Poesie hat ihre Opfer, Staat und Staatsdienst sie nicht minder;
Er verschlingt, ein kalter Götze, wie Saturn die eig'nen Kinder!

Großer Väter wack're Söhne weihten sich dem Untergange,
Edle Geister, warme Herzen! Kalte Menschen leben lange.

Kleinen Geistern ist's beschieden, ohne Opfer auszudauern;
Um die letzten edlen Geister, warmen Herzen muß; ich trauern!

L'état c' est moi

Als einst ein Kaiser, feind dem Streite,
Der deutschen Krone sich entschlug,
Wir Wiener standen ihm zur Seite:
"Das Österreich ist groß genug!" —

Dem Einheitsstaat, jetzt im Beginne,
Ihm fügt der neue Herrscher sich,
Und so nur gilt, im neuen Sinne,
Das alte Wort: "Der Staat bin ich!"

Denn wie's begriffen der Franzose,
War's Willkür bloß und Tyrannei;
Es spielte mit dem Völker-Lose
Die Laune des Pariser-Dey.

Die Fürsten aber sind jetzt weiser,
Sie herrschen zwar mit mächt'ger Hand,
Doch nicht zu spielen denkt ein Kaiser
Mit Völkern, die er treu verband.

Ihr Wohl, er weiß, ist auch das seine!
So gilt in allen Landen hier
Für Volk und Kaiser im Vereine
Das neue Wort: "Der Staat sind wir!"

Prediger in Wien

"Hui und pfui der Welt!" so lehrte
Seine lieben Wiener Mores
Abraham a Santa Clara
Mit dem Salze des Humores.

Jener Zacharias Werner
War ein tiefer Denker, Dichter,
Buße-Prediger wie Keiner,
Mystiker und Selbstvernichter.

Diese Zeiten sind vorüber:
So der Kapuziner-Possen,
Wie der kranken Selbstzerknirschung,
Die in Reu' und Leid zerflossen.

Scheltet's materiell! Die Menschheit
Ward doch wieder frisch und kräftig,
Und die Welt, jüngst Magdalena,
Eine Martha-Welt, geschäftig.

Vor der neuen Tageshelle,
Vor der frischen Lüfte Wehen
Flüchten sich die Fledermäuse:
Die verwitterten Ideen.

Ausgegoltene Romantik
Mit den Ritterburgen-Riffen,
Und der alte Feudalstaat
Samt den Hegel'schen Begriffen.

Fördern gilt es jetzt und schaffen,
Tüchtig sein im Tagewerke,
Und die harte Prosa: Arbeit,
Ist des Staats, des Volkes Stärke.

Wack'res Können ist das Erste,
Edles Wissen sei das Zweite;
Wissen, Können — das ist Macht,
Und die Bildung, ihr zur Seite.

Jetzt, Ihr Pred'ger, auf die Kanzel!
Schenket frischen Trank des Lebens!
Doch mit Weihrauch und Zerknirschung
Nicht betäubet uns vergebens.

Edle Wahrheits-Künder sollt Ihr,
Tapfre Streiter auch auf Erden,
Prediger der Neuzeit — keine
Werner - Santa - Clara's werden!

Keine kirchlichen Bajazzi's,
Keine Hetzer, keine Schürer,
Keine mit den Höllenschrecken
Auf Gewissen Spekulierer!

Christi Lehre sollt Ihr künden
Bis sie Wahrheit wird hienieden:
Seine Lehre ist die Liebe,
Seine Lehre ist der Frieden.

Solche Predigt zu verbreiten
Mögt Ihr nimmermehr erkalten,
Euch dabei des Gott-Erlösers
Mahnung stets vor Augen halten: —

Gebt dem Kaiser, was des Kaisers!
Neben Kaiser-Recht kein Zweites!
D'rum, Ihr Herrn, kein Staat im Staate
Keine Fackel alten Streites!

O du lieber Augustin
als Epilog

Bruder Lustig, der vor langer,
Langer Zeit gelebt in Wien,
Einen Gassenhauer sang er:
"O Du lieber Augustin!"

Sehr beliebt beim großen Haufen
War der Bruder Augustin,
Konnte musizieren, saufen,
Und dann sang er: "S' Geld ist hin!"

In der Pestzeit, trunkbefließen,
Plumpt er auf die Steine hin;
Zu den Toten wird geschmissen:
"O Du lieber Augustin!"

Und das Räuschlein ist im Weichen,
Lümplein dehnt sich da und reckt,
Sieht sich liegen zwischen Leichen —
Manchen hätte das erschreckt!

"Ei, wie komm' ich auf den Schragen?"
Ruft der Augustin erstaunt:
Und mit unverdorb'nem Magen
Säuft auf's Neue, froh-gelaunt.

Säuft und singt und musizieret
Munter durch das Leben hin,
Hübschen Dämchen auch hofieret:
"O Du lieber Augustin!"

So in alter Wiener-Weise
Lebt das lust'ge Halb-Genie;
Also spinnt sich weiter leise
Die naive Melodie.

Lust'ge Brüder mochten gelten
In der muntern Wiener-Welt;
Zwar Genies, die waren selten,
Lümplein haben nie gefehlt.

Sagt, die letzten "Augustiner,"
Sagt mir doch, wo sind sie hin?
Einst so sangesfroh, die Wiener,
Seufzen jetzt: "S'ist Alles hin!"

Keine Liedlein, keine Verse,
Kein Gesang beim Glase Wein!
Denn sie brockten auf der Börse
Ihre letzten Groschen ein.

Und die kleinen Lumpe pumpen,
Große jagen nach Gewinn;
Sagt, wo sind die Bacchus-Humpen?
"O du lieber Augustin!"

So in uns'rer nackten Blöße
Stehen wir voll Nüchternheit;
Wo, wo ist die trunk'ne Größe,
Wo die große Trunkenheit?

Zwar es sind dieselben Gassen
Und dieselben Menschen auch,
Leben gilt's und leben lassen
Nach dem alten Wiener-Brauch.

Machst Du gleich das Börsen-kalte,
Spekulierende Gesicht —
Ei, mein Wien, Du bist das alte!
Kenn' ich Dich denn etwa nicht?

Hab' mit manchem "Augustiner"
Schöne Jahre ja durchlebt,
Und mit jedem echten Wiener
Ist mein Dasein eng verwebt.

Ja, es waren schöne Zeiten,
Wohl auch schmerzliche dabei!
Auf des Narrenbüchleins Seiten
Hab' ich sie verzeichnet frei.

Gibt es Stellen, die verwunden,
Liebe Freunde, pardoniert;
Schrieb ich doch, wie ich's empfunden,
Wie es mir das Herz diktiert!

Etwas Wahrheit Euch zu sagen
Schien mir eine heit're Pflicht,
Und ihr werdet sie vertragen,
Schont' ich mich doch selber nicht.

Nimmer frommt's, Vortrefflichkeiten
Stets sich anzulügen bloß,
Und kein Mensch — was hilft das Streiten!
Und kein Staat ist fehlerlos.

Tadelt' ich mit keckem Mute,
Galt's der Schale, nicht dem Kern,
Und das Wahre und das Gute
Griff ich niemals an von fern.

Ewig feind dem Alltagsgleise
Ist ein freier Dichtersinn,
Und in Bruder Lustig's Weise
Spottet er: "S'ist Alles hin!"

Doch wir leben und wir lieben,
Wer verzweifelt, ist ein Tor;
Wack're Freunde sind geblieben,
Und wir haben noch Humor.

D'rum wir lassen Hoffnung walten
So im Leben, im Gedicht:
Immer bleibt es nicht beim Alten,
Dunkle Mächte siegen nicht!

Ist nicht Alles wie es sollte,
Werden muß es doch zuletzt,
Und wenn Der und Jener wollte,
Traun, es wäre wohl schon jetzt!

So Ade und guter Dinge,
Du mein altes liebes Wien!
Lache du mit mir und singe:
"O du lieber Augustin!"