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Prolog
 


 


Ein Jugendtraum

Mir träumt', ich saß an einem Wasserfalle
Von Wünschen matt; — vorüber flog die Zeit
Und bot, indem sie einen Augenblick verweilt,
In einem grünumwundenen Pokale
Aus Lethens Quelle mir — Vergessenheit.
Ich wollte danken — wollte fragen,
Wie dies Geschenk zu brauchen sei?
Doch schnell war sie entflohn, Vergessen war mir neu,
Ich konnte nichts als ihre Flucht beklagen.

Da kam mit Zephir leichtem Schritt
Ein kleiner Genius gesprungen:
Er winkt: "Ich führe dich zu jenem Hain, komm mit!"
Schnell sprang ich auf: und folgte dem holden Jungen.
Eh' ichs versah, war ich im Musenhain;
Es herrschte da die feierlichste Stille.
"Nimm — sprach der Genius, es ist Apollens Wille —
Dies Saitenspiel, Du wirst es nicht entweihn.
Es hat die Kraft in schwermutvollen Stunden
Zu heilen durch die Töne jene Wunden,
Die Mißgeschick und Gram dir schlug.
Mit zärtlich rührenden Accorden
Tönt es vom Süden bis zum Norden
Und übereilt der Zeiten Flug."
      Ich atmete von nun an freier,
      Арolls Geschenk, die goldne Leier,
      War mein Gefährte Tag und Nacht.
      Ich sang zuerst nur kleine Lieder,
      Und sie gefielen, wie man spricht;
Doch Mädchen lieben Dichtermädchen nicht,
Ich sang zu laut und Echo hallt' es wieder,
Was jedes junge Herz sich wünscht und sich verspricht.
So sang ich mit umwölktem Sinn
Teils froh — teils klagend meinen Frühling hin.

An einem schwülen Sommertag,
Als Phöbus abwärts seine Rosse lenkte,
Allmählich sich ins Meer versenkte,
Ertönte meiner Leier Klag':
      "Apoll du holder Gott der Sonne!
      Nimm dein Geschenk zurück — die Wonne,
      Die mir es schuf, verdank ich dir,
      Gib mir Unsterblichkeit dafür!" —
"Dein Wunsch ist unbesonnen zwar",
Erwiderte Apoll, "doch will ich ihn gewähren;
Wirst du nun auch auf die Gefahr,
Die dich bedroht, gefaßt zu sein, mir schwören?" —
Schon stampfte Pegasus, und stutzt ob dem Verlangen,
Von mir — von mir Befehle zu empfangen; —
Daß Er, der stets nur Männer trug,
Von einem Mädchen sanft gelenkt, im raschen Flug
Von einem Alter hin zum andern, wie ich wollte,
Im vollen Trabe wandern sollte.

Dies wollt' ihm gar nicht ein. — — Die leichte Reiterin,
Gab sich indes den Schwung erhöhter Phantasien,
Und sah mit wonnigen Entzücken,
Mit schwärmerischen Liebesblicken
Schon ins Gebiet der fernen Zukunft hin; —
Sie schmiegte sich wie Bürgers Leonore,
In jenem Schreckenstraum am schwarzen Gittertore,
lm Geiste fest аn ihren Trauten an,
Und hielt statt Willhelm des ersehnten Gatten,
Nur sein Skelett und seinen bleichen Schatten
In ihren Arm — o, grauenvoller Wahn! —
So ging es mit verhängtem Zügel,
Unaufgehalten über Tal und Hügel,
Im sausenden Galopp durch Dorn und Distel fort;
Auch luftige Gestalten, so wie dort,
Umflattern ihren Weg, hier fletscht der Neid die Zähne,
(Ich hielt mich an des Flügelpferdes Mähne) —
Dort knirscht die Eifersucht die Zähne müd' und stumpf,
Und hier entsteigt dem schilfbewachs'nen Sumpf,
Ein Irrlicht um uns falsch zu leiten; —
Doch nie ließ Pegasus mich gleiten. —
Dies dank' ich ihm mit innigem Gefühl,
Er trug mich unerschrocken bis ans Ziel,
Trotz manchem rauhen kalten Winde.
Doch ungangbare Dorngewinde,
Zu jener Schauerbrücke hin,
Wo die Jahrhunderte vorüberziehn; —
Ein unverständliches Gemurmel machte,
Daß ich aus diesem Traum erwachte.

An dieser Grenze der Vergangenheit
Und Zukunft steh' ich nun entschlossen,
Entreiß' die Lieder und die zarten Sprossen
Des Jugendkranzes, der Vergessenheit. —
Euch Lieder, die so manchen Freund erfreuen,
Will ich dem künftigen Jahrhundert weihen.