weiter
 

Die alte Jungfer
Gedichtesammlung
 
Winter
Nach der Vorstadt
Im wilden Viertel
Der Leichenkutscher
Heruntergekommen
Am Sonntag
Mit Nadel und mit Scher
Lieben, lieben ist eine große Pein
Endlich
Der Anfang zum Ende
Wolf und Lamm
Ade! Ade!
Frömmeln und fromm sein
Die alte Jungfer
Die Inschrift

Winter

Kein Blümchen kann der Winter treiben
In eines Gartens frischem Schoß;
Doch emsig zieht er an den Scheiben
Versilberte Blüten und Blätter groß;
Doch Knospen malt er den bleichen Wangen,
Die helleren Lichts und frischeren Hauchs,
Mit süßerem Traum das Herz befangen,
Wie die lieblichen Kinder des Rosenstrauchs. —

Ihm fehlt das Lied der Nachtigallen
Für deine Liebestrunkenheit;
Er läßt sein Schlittenglöckchen schallen,
Es mahnt dich an eine holdere Zeit:
Da tauchet in der Erinnerung Grüften
Der Schneemann jung und lächelnd auf,
Der eisige Ball, er fliegt in den Lüften,
Es sauset über gefrorenen Klüften
Die Jugend in ungezügeltem Lauf. —
Ihm fehlt der West mit dir zu kosen,
Dir zuzufächeln den Duft der Rosen:
Doch fühlst du bei seiner Stürme Tosen
Den Ewigen wandeln in deinem Gebein!
Du sitzest im trauten Kämmerlein,
Es kommen die Träume bunt und bunter,
Mit allen Sinnen tauchst du hinunter

In Frieden und Selbstvergessenheit,
Und läßt der Beschränkung einzige Lust,
Mit ihrer schauernden Heimlichkeit,
Sich innig schmiegen an deine Brust.
Du glühest vor der Büchertruhe,
Drin Geister hausen in enger Haft:
Bei magdlicher Milde die herrschende Kraft,
Die hochgeschürzte Leidenschaft
So fahrlos bei der züchtigen Ruhe.
Nun mischt sich in den befruchtenden Samen,
Den deines Volkes beste Namen
In drängender Schöpferlust vergeuden,
Dein Geist mit eigenen Vaterfreuden.

Der Winter bringt den heiligen Christ,
Das schönste Fest in Jahresfrist:
Wenn Überraschung an allen Ecken
Im Vaterhaus sich mag verstecken;
Wenn die Erwartung mit drängendem Triebe
In Ungeduld die Stunden zählt,
Und wie ein Vorgefühl der Liebe
Das junge Herz wollüstig quält.
Wenn das Geheimnis kaum den Schleier
Im Angesicht bewahren kann;
Wenn heiter das Weib die liebliche Feier
Im Stillen beschafft dem ernsten Mann;
Wenn lächelnd sich die Bräute verschwören,
Und spinnen und sinnen früh und spat;
Wenn Mütter und Töchter sich wechselnd betören
Mit kindlichem Lug und erlaubtem Verrat.
O Zeit, die mild den Menschen erbaut,
Du wärest milder und doppelt traut —
Wenn nicht in der Brust des armen Buben,
Der elternlos in die festlichen Stuben
Des reichen Spielgenossen schaut,
Der Neid mit seiner ersten Sünde
Bei wüster Gotteslästerung stünde!
Ja, süß wie Nachtigallenchöre,
Und süßer, klänge beim Weihnachtlicht
Der Kinder Jubel in meinem Gehöre —
Wenn nur in feuchten Höhlen nicht
Auf schlechter Streu das Elend fröre!

Nach der Vorstadt

Gekommen war die liebe Zeit
Des Jubels und der Herrlichkeit.
Es war die Welt ringsum verschneit.
Die Sonne beschien das bereifte Gezweige,
Es blies der Sturm von Norden kalt;
Was froh und trüb, was Jung und Alt
Erging sich auf dem Bürgersteige.

Ich schloß das Buch. Ich ging hinaus;
Wie labte mich der Lüfte Braus!
Es senkte sich der Abend sacht.
Ich ließ die Stadt mit ihrer Pracht,
Mit ihrer Jagd nach neuem Genuß,
Nach trocknem Brot und Überfluß.
Es drängte mich hinaus zu schreiten,
Da wo die letzten Häuser sind,
Wo Teufel und Gott um die Seelen sich streiten;
Zu suchen das blasse Menschenkind
In seiner dunkeln, verfallenen Tonne,
Ein Stümpfchen Talg ist dort die Sonne.
Dort mag ich gern in stummen Schauern
Am Krankenbett des Mütterchens kauern.
Sie öffnet bereit ihr vergilbtes Gedächtnis,
Es ruht darin ein heilig Vermächtnis:
So manches Blümchen, das längst geknickt,
Das süß voreinst ihr Herz erquickt.
Ich lausche gern dem Holzzerspalter,
Dem Greise, der einst ein braver Soldat:
Die Jugend ist die Hand der Tat,
Ihr Mund jedoch ist gern das Alter.
So rührend klingt der Einfalt Laut!
Mir ist's, als säß ich fromm erbaut
Vor einer alten, bestaubten Chronik,
Mit Bildern im Holz, mit Sprüchen und Scherzen.
Der Frieden strömt nach meinem Herzen,
Die Kindlichkeit, wie Milch und Honig.
Gern geb ich hin die wenigen Dreier —
Was schenkt die Hand, die selber arm?
Kaum singen darf die deutsche Leier,
Die vogelfreie, des Sklaven Harm,
Und will ihn lösen? Daß Gott erbarm!


Im wilden Viertel

O, Schmerzensbild!
Die Hütten morsch, die Menschen wild.
Die frierenden Kinder hocken
Verlassen und müßig,
Barfüßig,
Mit ungekämmten Locken.
Ach, wer von ihnen in Lumpen und Socken
Gestohlen, erhandelt,
Ein Liedchen pfeifend im Viertel wandelt:
Dem folgen sie gern.
Der ist ein Auserkorener,
Zum Glück Geborener;
Den schauen sie an wie einen Stern.

Da kommen geschlichen,
Vermagert, verblichen,
Aus den Fabriken der Reichen,
Aus den Gehöften ihrer Treiber,
Die Männer, die Weiber,
Ein langer, langer Zug von Leichen!
Es springen die Kinder der Mutter entgegen:
Bringst uns den Weihnachtsegen?
Schlau spricht das Bübchen:
"Ich machte gemächlich das Stübchen.
Ich steckte den Drachen in Brand,
Und was ich sonst noch fand
Auf unsers Nachbars Mist.
Was wird mir bescheren der heilige Christ?
Komm rasch, daß nicht der Ofen erkalte!"
Ich kann nicht, stöhnt die Alte.

Es zankt ein Mädchen von vierzehn Jahren
Mit ihrem Vater in grauen Haaren:
"Verdienest kaum den Silbergroschen,
Mir aber sind fast die Augen erloschen;
Die Finger sind wund,
Die Brust ist nicht gesund.
Ich möchte so gern ins Theater,
Der König hat es neu gebaut.
Ich hab es noch nie geschaut.
Warum, Du eigensinniger Vater,
Versagst Du mir
Zu küssen den schönen Offizier?
Er hat mich bestellt auf die Mittewochen,
Er hat mir einen Dukaten versprochen —
Wir könnten froh und friedlich leben!"
Drauf spricht der Alte mit Beben:
"Mag Dich ein Engel Gottes umschweben!
Wir können uns Beide kaum ernähren, —
Willst Du ein Drittes, du Närrin, gebären?"

Was täglich und unverdrossen
Nach Kehricht sucht in verpesteten Gossen;
Was wie der Spatz nach Futter schweift,
Was Töpfe flickt und Scheren schleift,
Was starren Fingers die Wäsche steift;
Was keuchend schiebt des Karrens Wucht,
Beladen mit kaum gereifter Frucht,
Und weinerlich singt: Wer kauft, wer kauft? —
Was um den Heller im Schmutze rauft;
Was täglich an den Steinen der Ecken
Den Gott besingt, an den es glaubt,
Kaum wagt die Hände hinzustrecken,
Dieweil das Betteln nicht erlaubt;
Was tauben Ohrs in Hungers Nöten
Die Harfen spielt und bläst die Flöten,
Jahr aus, Jahr ein denselben Chor —
Vor allen Fenstern, an jedem Tor —
Die Kindermagd zum Tanze stimmt,
Doch selber nie das Lied vernimmt;
Was Nachts die große Stadt erhellt
Und selbst kein Licht im Hause hat;
Was Lasten trägt, was Holz zerspellt,
Was herrenlos, was herrensatt;
Was beten und kuppeln und stehlen läuft,
Den Rest des Gewissens wüst versäuft;
Was — Herr des Himmels, die ganze Not,
Die giftigen Keims in giftigen Samen
Dereinst herauf zu schießen droht:
Die hauset hier, gewitterschwer,
Und keine Tränen hat sie mehr.

Ich gehe vorbei
Am bretterumzäunten Zimmerplatze;
Da steht des Elends Fratze,
Und drängt und zwängt mit wildem Geschrei.
Ein Kind bespöttelt mit witzigem Neid
Mein pelzverbrämtes Winterkleid.
Auf lacht es aus heller Kehle, —
Der Hohn erleichtert ihm die Seele.
Ans Tor, ans Tor!
Der Pförtner naht, bald wird es erschlossen.
Da kommt er hergeschossen
Der gierige Chor.
Heut ist der schmerzlich ersehnte Tag,
Da jeder in Lust und Lieb
An Splittern und Spänen sich suchen mag,
Was mächtig das Beil vom Balken hieb.

"Was drängst Du mich fort?
Ich war zuerst am Ort.
Dein Fuß ist warm, der meine starrt. —
Die Türe knarrt,
Habt Acht, habt Acht!
Hin schlagen die Ersten mit Macht, mit Macht,
Die Zähne knirschen.
Doch drüberhin saust mit schallendem Spotte
Die losgelassene Rotte,
Gleich atemlosen Hunden und Hirschen.

Halt! falkenäugiges Kind,
Geschwind wie der Wind.
Wie? schämst du dich nicht
Der Alten mit blödem Gesicht
Die Beute höhnend weg zu haschen?
Sie füllt sich die Taschen,
Sind groß und weit;
Sie füllt mit Zagen und Zittern,
Den Korb mit Spänen und Splittern,
Ist schon zum Scheiden bereit —
Da findet sie, o Seligkeit,
Im Schutt versteckt den größeren Scheit
Greift rasch darnach mit Herzklopfen,
Wirft freudig die kleinere Beute fort,
Und dankt dem ewigen Hort
Mit ihres Auges besten Tropfen.

Sie laufen und raufen,
Die rasenden Haufen;
Sie rauben und fechten
Mit ihrer Linken, mit ihrer Rechten.
Sie treten den Boden mit dumpfem Gestampf;
Es wächst die Kraft in ihren Röhren,
Sie wollen von keinem Ende hören:
Als gält es den großen, den letzten Kampf,
Der über das Heil der Welt entscheidet.

Leer ist das Feld geweidet!

Der Leichenkutscher

Ja, ich gesteh es frei und gern,
Daß ich, ihr reichen Fraun und Herrn,
Geweint an diesem Ort! — —
Vor einem schlechten Häuschen stand
Ein Kind und rieb sich frisch die Hand,
Und sprach mit leisem Wort:
                "Kommt, Herr Baron,
Und schenket mir ein Gröschelein." —
"Bin kein Baron, du Schmeichler klein,
                Nun geh, mein Sohn,
Ich folge dir sofort."

Auf Sprossen stieg ich ins Gemach,
Das ärmlich stak im mürben Dach,
In schauervoller Ruh.
Mit rohen Brettern ist's bedielt;
Der Holzwurm pickt, das Kätzchen spielt
Mit einem morschen Schuh.
                Am Fenster hangt
Der Schwalbe Nest, die fortgeschwirrt,
Und jetzt nach ihrem frommen Wort
                Mit Liedern bangt —
Die Schwestern hören zu.

Am Tische saß und grüßte kaum
Ein bleicher Mann, im schweren Traum,
Doch war sein Auge klar.
Es schmiegte sich an sein Gesicht
Die braune Locke sanft und schlicht.
Und wie des Menschen Haar,
               — So reimt und spricht
Das weise Volk, nach altem Brauch: —
So ist der Mensch im Tiefsten auch.
                Und lügt es nicht,
Ist dieser schlicht und wahr.

"Sei traurig nicht zu dieser Frist,
Ist Heute doch der heilige Christ!
Sag an, was Dir geschah?
Dein Weib ist jung und backenrot,
Dein Kind ist frisch — und hast Du Not,
So sprich ein ehrlich Ja.
                Man sagt: das Band,
Zu straff gezogen, reißt entzwei,
Ist eine alte Melodei —
                Und Gottes Hand
Ist jedem Dulder nah."

"Herr, Not? Ich bin kein armer Mann.
Ich tue, was ich soll und kann,
Hab, was ich haben muß;
Erwerbe frisch für Hof und Haus,
Mir gleich, ob Lenz, ob Winterbraus,
Hab öfter Überfluß.
                Doch seht, doch wißt:
Der Mensch lebt nicht von Brot allein,
Das Herz will auch gespeiset sein —
                Und meines ist
Gesättigt von Verdruß."

"Die Peitsche dort, der Mantel hier,
Am Ärmel sein, des Schmerzes Zier;
Am Hut der dichte Flor —
Vom schwarzen Tuch des Rosses Kleid
Sie geben ernst und rasch Bescheid
Vom düstern Kirchhofstor.
                Hin fährt im Schritt
Die Leichensärge klein und groß,
Mein Wagen in der Erde Schoß.
                Gern wandelt mit,
Wer je ein Herz verlor."

"Am Tore nimmt man mir den Schrein.
Ich zünde dann mein Pfeifelein,
Und hüte mein Gespann.
Ich fuhr die Menschen nach meiner Pflicht,
Ich kannte sie lebendig nicht,
Was gehn sie tot mich an?
                Doch Heute fuhr
Mein Wagen einen Engel klar,
Der fremd allhier auf Erden war,
                Der glücklich nur
Mit Engeln leben kann."

"Ihr scheint, mich dünkt es, mit Verlaub,
Ein Mann, der nicht fürs Elend taub,
Der nicht im Trüben fischt;
Und wenn Ihr schon bescheren mußt,
Gebt Wein, der männiglich bewußt
Das alte Blut erfrischt.
                Dann sag ich frei
Den Gram, der mir das Herz beschleicht. —
Arm Kind, Dir sei die Erde leicht!
                Rasch, Öl herbei,
Das Lämpchen, Weib, erlischt."


Heruntergekommen

"Arm sein ist Nichts,
Doch, Herr, verarmen?"
             — Der Prediger sprichts —
"Das ist ein Leid, das ist ein Erbarmen!
Geld ist die irdische Sonne,
Die Satan sich schuf zur Wonne,
Zu Nebenbuhlern mit dem Himmel;
Rasch laufen seine Pferde:
Die prächtigen Füchse, die herrlichen Schimmel,
Sie laufen um die ganze Erde. —
Was schwer der Vater erwirbt
Verschwendet leicht das Kind,
Und wenn er stirbt,
Schon halb die Truhen geleeret sind.
Der Nachbar merkts zur selben Stunde,
Und führt das grobe Wort im Munde. —
Was tut der arme Mann,
Der früher reich und stolz gewesen?
Sein Kind nur schreiben und lesen
Und vor dem Spiegel sich putzen kann;
Bis Zwölfe will es schlafen,
Und will die Braut sein eines Grafen;
Kann Nichts entbehren und Nichts erwerben,
Und muß zuletzt im Spitale sterben."
             So sprach der Prediger weiter,
             Nur schöner und lauter und breiter!

"In jener Gasse, die stolz und laut
Und eine ganze Stunde lang,
Da lebte mit allen Großen vertraut
Ein braver Mann in Amt und Rang.
Hat viel verloren und Nichts erworben;
Und als er selig verstorben,
Ach, ließ er dem Weib und dem Kinde sein
Den wackern Namen allein.
Auf solches Gut, Ihr wißt,
Borgt weder Jud noch Christ.
Sie nagten am Hungertuche.
Was half das Band und der Orden?
Die Kameraden im Süden und Norden
Sie standen in seinem Buche,
Und waren ihm nicht gerecht geworden;
Sein listiges Hausgesind,
Das Gott verfluche!
— Ihr wißt, die Reichen sind leicht und blind
Es stahl tagtäglich wie der Rabe,
Und schaffte sich Gut und Habe."

"Ach, wenn die Mutter vorüberging
Am Haus, das einst ihr eigen war,
In dem sie Lust und Pracht umfing,
In dem sie das einzige Kind gebar,
In dem sie fürstlich geschaltet,
Und segenreich gewaltet;
Wenn nun die neue Herrin stand
Auf dem Balkon, im Samtgewand:
Dann ging ein Schmerz
Ihr mitten durchs Herz,
Halb Scham und Neid,
Halb schweigendes Fügen
Ins unverschuldete Mißgeschick;
Dann malte sich unsägliches Leid
In ihren alten, redlichen Zügen,
Und eine Träne schoß in den Blick;
Sie schlich vorüber an den Mauern,
Wärs ihr vergönnt, o Himmel, sie flöge!
Auf, daß der Arme sie nicht bedauern,
Nicht grüßen und erkennen möge —
Der arme Mann, der nach wie vor
Allabendlich in trauter Gewöhnung,
Am Stabe schlich ans liebe Tor,
Wo sein geharrt die sichere Löhnung.
Nun öffnete sich kein Fenster mehr,
Kein Dreier fiel, die Lust ist gar.
Was einst sein Trost im Alter war,
Ging selber alt und arm einher."

"Gewiß, Du störest mir den Sinn,
Bald läufst Du her, bald läufst Du hin.
Die Mutter betet mit Dir, mein Kind,
Schlaf wohl und Gott behüt Dich lind.
Herr, schönen Dank!
Mein Herz erfrischt der rote Trank.
Wie niedlich ist das Kraut gedreht,
Das Ihr in Ringelwölkchen raucht.
In Duft ists ganz und gar getaucht,
Der würzig durch die Stube weht.
Gelt, Mutter?
Mein Pfeifchen hat freilich anderes Futter.
Nun, Jeder nach seiner Weise:
Der fette, der magere Speise,
Wie Gott es beschieden.
Ich bin zufrieden.
Doch kam ich in des Reichen Gemach,
Und mußte zur Frau des Hauses reden:
Da gabs ein Weh und Ach!
Man roch zu Rosen und Reseden;
Und wie der schwedische Bernadotte
Den kommandierenden Hauptmann der Wacht
— Habt Acht! —
Besprützt mich mit riechenden Wässern die Rotte,
Schob eifrig mich zur Tür hinaus,
Ließ räuchern das ganze Haus,
Als käm ich von den türkischen Grenzen,
Geschlagen mit allen Pestilenzen. —

Der Knabe schläft, nun will ich sagen,
Was weiter im Haus sich zugetragen."


Am Sonntag

"Bei der Wittib ging ich ein und aus,
Die Wäsche wusch mein Weib ins Haus.
Blutwenig sah heraus,
Wir nahmens nicht genau:
Wir liebten die gute Frau,
Die wohl in ihren guten Tagen
Viel Heil auf unser Haupt getragen.
Hättens gern umsonst getan,
Doch schwere Zeiten kamen heran,
Jener Bursch war auf dem Wege.
Da sprach mein Weib: Mann, überlege!"

"Ging eines Sonntags zu ihr in die Stadt,
Das Leben war in den Straßen matt.
Ungestört vom rasselnden Rad der Karossen
Tänzelte der Spatz
Mit diesem und jenem Schatz,
Im Kreis der verliebten Genossen.
Wie ausgestorben war der Platz,
Fast hat michs verdrossen."

"Wohl länger und friedlicher können
Die Mägde den Knochen,
Die schwielig und zerbrochen,
Am heiligen Tag den Schlummer gönnen."

"Wohl dürfen sie später das Wasser holen,
Wohl zünden sie später die Kohlen;
Betreten später die Zimmer der Frau
Mit ängstlichen Sohlen;
Sie freuen sich auf die Fensterschau;
Rasch lüpfen sie die Gardine
Mit neubegieriger Miene,
Und blanken mit kühlerem Fleiß die Scheiben,
Und möchten ewig am Fenster bleiben."

"Der Ladendiener stolziert vorbei,
Pfeipft eine Theatermelodei.
Noch gestern war mit Stift und Feder
Sein Ohr bewehrt,
Sein Herr war Jeder,
Der Ware für Geld begehrt;
Sein Lächeln war nie beendet:
Kaum war das eine verschwendet,
Flugs war das zweite bereit,
Das Vierte war in des Dritten Geleit,
Und immer so weiter in Ewigkeit.
Einst hab ich einen Gaukler gesehn,
Weiß nimmer den Namen;
Der gab den Herrn und den Damen,
Die drängend nach der Bude kamen
Die schönsten Rosen behende,
Die auf der Erde Gottes stehn.
Wohl hundert Sträußchen warf er hin!
Nun, dachte Jeder, nun ist er am Ende.
Bei Leibe! flugs waren die frischen
In seinem Zauberhütchen drin,
Und wieder begann er aufzutischen."

"Doch müßt Ihr ihn am Sonntag sehn
Den Diener in Samt und Seide gehn,
Da ist er guter Dinge
Am Finger erglänzen die goldenen Ringe;
Die Linke geschäftig am Kettlein der Uhr,
In seiner Rechten die schlanke Zigarre —
Kennt er die reichen Kunden nur,
Der liebe Narre!
Das Haar gekräuselt auf dem Scheitel,
Die Gläser scharfgeschliffen,
Ins blinzelnde Auge gekniffen:
So blickt er siegesgewiß und eitel
Zu Frauen und Mädchen hinauf,
Nimmt Gift darauf,
Daß er allenthalben die Augen weidet,
Daß man von ihm ins Ohr sich raunt,
Daß er geliebt ist und bestaunt,
Ersehnt und beneidet."

"Ja, mich verdroß der lumpige Zwerg
Im stolzen Riesenkleide.
Fast tat ich ihm was zu Leide.
Auf meiner Seele lag ein Berg,
Sie war nicht wie sonst beschaulich und heiter.
Trübselig ging ich weiter."

"Es zogen Paar für Paar,
In Kleidern grau,
Die Waisenkinder zum Altar,
Geführt von einer würdigen Frau.
Die Großen voran,
Die Kleineren dann,
Die Jüngsten waren zuletzt geblieben,
Und trippelten Lämmer, zur Weide getrieben."

"Mit ging ich in das heilige Haus.
Und kannst du beten, so dacht ich stille,
Und ist es Gottes Wille,
Dann fährt der böse Geist heraus.
Ich dankte dem Herrn für seine Gnade:
Daß er mich nicht zu Verworfenen stieß,
Daß er mich handeln hieß
Und wandeln ließ
Auf ehrlichem, ob auch holprigem Pfade.
Ich bat für mein gebärend Weib,
Ich bat für einen gesunden Leib.
Ich bat zuletzt den Schöpfer brünstig:
Sei immerfort,
An jedem Ort
Der alten, armen Witwe günstig!"

"Fort lief ich erfrischten Mutes,
Lebendigen Blutes;
In meinem Gemüte lebte nur Gutes.
Hier wohnte die Witwe mit ihrem Kind.
Ich stieg die Treppen geschwind.
Ich trat ins Zimmer hinein.
Da will michs ersticken.
Schwarz wirds vor meinen Blicken.
Im Winkel steht das Töchterlein,
Verstummt, versteint,
Die Augen wund geweint.
Die Witwe liegt im Totenschrein.
Keine Verwandten,
Keine Bekannten!
Zwei Kerzen brannten!"


Mit Nadel und mit Scher

"Weit ab vom wackern Gatten ruht
Die Wittib in des Grabes Hut;
           Im Himmel oben
Sind sie vereint und aufgehoben."

"Verstehen die Seligen noch den Schmerz,
Dann klagt zu Gott ihr treues Herz:
           Daß auf der Erde
Ihr Kind gehetzt vom eignen Herde."

"Der Gläubiger kam mit gieriger Hand,
Er nahm im Grübchen, was er fand.
           Die Wirtin suchte
In Fach und Schrank und schnob und fluchte."

"Ich sprach: mein Dach ist heimlich und traut,
Das Schwälblein durch das Fenster schaut;
           Helft meinem Weibe,
Und schneidet vom Brot die größte Scheibe."

"Sie sprach: ich bin des Unglücks Kind;
In meiner Hand verkehrt sich geschwind
           Zum Fluch der Segen;
Drum laß uns gehn auf geteilten Wegen!"

"Den muß ich fliehen, der mich liebt,
Den suchen, der mir Schmerzen gibt:
           Dann sind sie Beide,
Ich weiß es, gesichert vor jedem Leide."

"Ich sprach: Ihr hadert zu dieser Frist
Mit Dem, der strafend ein Vater ist.
           Die böse Stunde
Sie geht vorüber, es kommt die gesunde."

"Ernst sprach sie: Beten will ich, Mann,
Wenn ich in Andacht beten kann —
           Denn keinem Schmerze
Ging feig aus dem Weg jemals mein Herze."

"O, rüttle wach in Deiner Brust
Das Dankgefühl für jede Lust,
           In guten Tagen
Von meiner Hand Dir zugetragen;"

"Und zahle mir rasch, ja zahle die Schuld
Mit einem Dienst, mit einer Huld:
            Laß mich alleine
Im Leben, ob auch mein Auge weine." —

"Ja, sprach ich, doch lieber sprach ich Nein.
So blieb sie mutterseelallein
           Mit ihrer Jugend
In einer Welt, die ohne Tugend."

"Schön war sie nicht, doch morgenklar,
Doch zart und stolz. Ihr Auge war
           Nicht groß und zündend,
Doch blau wie der Himmel und Gott verkündend."

"Ja hob sie vertrauend und stumm den Blick,
Im Jubel oder im Mißgeschick:
           Dann tat er Wunder,
Treu war er und warm und machte gesunder."

"Eng war ihr Bodenkämmerlein,
Kaum zwängte sich das Bett hinein,
           Ein grobes Kissen
Mit Stroh gefüllt, die Decke zerrissen."

"Ihr Fähnchen schwarz, ihr Mahl gering;
Ein kleiner Spiegel am Fenster hing,
           Ein trüber Scherben,
Sie konnte keinen bessern erwerben."

"Frühzeitig ging sie Morgens fort,
Sie nähte hier, sie häkelte dort,
           So manchen Schleier
Wob ihre Hand zu bräutlicher Feier."

"Zur alten Wirtin ging sie vor,
Wenn sie im finstern Stübchen fror,
           Am Herd sich labend;
Gab einen Dreier für jeden Abend."

"Und stellte sich der Sonntag ein,
Da kam sie mit ihrem Bündel klein.
           Schmuck ließ sie waschen
Die Hemden, die Tücher, die Kragen und Maschen."

"Zwei Sommer verstrichen. Ihr rührend Gesicht
Es blühte nicht, es lächelte nicht.
           Mit Einem Male
Wars leuchtend von einem seltenen Strahle."

"Sie redete gern, sie scherzte gar,
Sie trug in schmachtenden Locken das Haar,
           Sang süße Lieder,
Und trug ein farbiges Röckchen wieder."

"Sie drückte verstohlen sich selber die Hand,
Sprach mit sich selber und schrieb in den Sand,
           Und weinte leise,
Und sah und hörte Nichts im Kreise."

"Schrak auf, in Scham und Furcht erglüht,
Als spann sie Verrat im stillen Gemüt,
           Als wüßte Morgen
Die ganze Stadt, was sie verborgen."

"Da sprach mein kluges Weib zu mir:
Sie hat der Jahre Zwanzig und Vier,
           Ihr steckt im Leibe
Die Liebe, wie jedem gesunden Weibe."


Lieben, lieben ist eine große Pein

"Wenns Euch beliebt,
Mein wackrer Gast,
       Wenn du befiehlst, du lieber Mann" —
Begann die Frau,
"Ich künde gern,
       Wie sich geheim die Lieb entspann;
Der Mann vergißt,
Doch nie das Weib;
       Ich weiß den Tag, die Uhr genau:
Es war im Mai,
Da sie begann,
       Die Erde grün, der Himmel blau."

"Ihr wißt, die Dirn,
Die makellos,
       Und nicht verlobt mit ihrem Schatz —
Sie schweift mit ihm
Und liebelt nicht
       Vor Jedermann, auf offnem Platz.
Und kann er nicht
Zu ihr ins Haus,
       Dieweil sie jung und ganz verwaist;
Und weil die Welt
So rasch und froh
       Den guten Ruf zu Schanden reißt:
Dann schleichen sie
Geheim sich nach,
       Und gehn im Kreis um sich herum;
Sie sehn sich an,
Und werden rot,
       Und werden blaß — und bleiben stumm.
Genüber zieht
Er in das Haus,
       Schaut, wann sie kommt, schaut, wann sie geht;
Das weiße Tuch,
Es sagt: Ade,
       Sagt: Gott zum Gruß und winkt und weht.
Wie um das Licht
Der Schmetterling:
        So gaukeln sie ums Fensterlein,
Und Jeder lauscht
Und schreibt ans Glas
         Mit leiser Hand den Namen sein;
Und schreibt: o Herz,
Ich liebe Dich —
       Wohl vielemal in einer Stund;
Und fragt: Hast Du
Von mir geträumt,
       Und bleibe treu, und bleib gesund!
Der Vorhang spielt,
Man forscht versteckt
       Durch Ritz und Spalt, und hat in Acht:
Ob hüben bang
Das Auge sucht,
       Was drüben späht und heimlich lacht. —
Sonst, wenn sie früh
Ans Fenster ging
       Besah sie gern die bunte Welt;
Den Hund, der rasch
Die süße Milch
       Im Karren zieht und munter bellt;
Den Burschen auch,
Der wüsten Haars
       Und grellen Pfiffs vorüberhetzt,
Das Mädchen neckt,
Das Wasser holt, —
       Was schaut sie nun? was freut sie jetzt?
Im Hause kühn —
Im Freien feig —
       Arm vor der Welt — geheim so reich!
Er fleht für sie —
Sie fleht für ihn —
       Sind lebend und sind tot zugleich. —
Ja, daß es so,
Ich wüßt es nicht,
       Ich bin ein arm und albern Ding;
Doch, daß es so
Im Leben geht,
       Und unserm Paar also erging:
Das hat es selbst
An hundertmal
       Mir vorgesagt in Jahr und Tag,
Mir ward es alt,
Ihm blieb es neu,
       Wie erstes Grün und Lerchenschlag."

Endlich

"Sie beichtete mir und weinte sich satt,
Da sprach ich: So kanns nicht bleiben!
Was hilfts auf duftendes Rosablatt:
Ich lieb Dich, Du liebst mich, zu schreiben?"

"Ihr sagt, daß Ihr den üppigsten Strauß
Von diesen Rosen besäßet,
Tagtäglich, ein Bienchen, den süßen Schmaus
In diesen Blättern äßet?"

"Ja schrieb er nicht, daß Eure Not
Das tiefste Herz ihm rühre?
Und daß er, nach des Himmels Gebot
Euch gern zum Weib erküre?"

"Ja, daß er nimmer die stachelnde Pein
Ertragen könnt im Gemüte:
Daß Ihr so duldend und allein
In Eures Lebens Blüte?"

"Ja, daß er in Euren Augen sah
Für Liebe belohnende Liebe? —
Daß ihm in Eurer geheiligten Näh
Das Wort versaget bliebe!"

"Ich ruf ihn noch heute zum Stelldichein;
Baut Euch bei mir die Nester;
Doch wachsam will ich und sorglich sein
Wie eine ältere Schwester."

"Ists mir zur Qual? so klang ihr Wort,
Ists mir zum seligsten Glücke?
Bald trieb sie mich lächelnd zur Eile fort.
Bald hielt sie mich weinend zurücke."


Der Anfang zum Ende

"Was soll ich sagen lang und breit
Von ihrer Seligkeit?
Ob auch die Wege schlecht und weit,
Ob es geregnet oder geschneit,
Sie kamen zur siebenten Abendzeit.
Nur Küsse gab es und keinen Streit."

"Ich sprach: der Himmel hängt voll Geigen!
Das Glück ist Euer eigen.
Ihr dürft es nur dem Himmel zeigen.
Ihr müßt es den neidischen Menschen verschweigen.
Sonst huschet der Vogel von den Zweigen.
Dann mögt Ihr vergebens locken und steigen!"

Sprach ihre Freundin: "Hast Gewand,
Und bist in gutem Stand.
Wächst eitel Geld in unserm Sand?
Verdienest ja wenig mit Deiner Hand.
Dein Herze wohl den Bräutigam fand?
Wirst rot wie Scharlach und weiß wie die Wand?"

Die Ärmste sprach: "Hast Du gesehen
Mich schlechter Wege gehen?
Dann mögen dorren meine Zehen.
Du liebst mich, — ich will es Dir gestehen:
Er hat versprochen mich zu ehen,
So Gott will, wirds in Bälde geschehen."

Die Freundin sprach: "O nimm mich mit!
Will gehn mit raschem Schritt,
Wenn er herein zur Stube tritt.
Seid Ihr alleine, oder zu Dritt?
Und wenn er in Deine Arme glitt —
Ich sag es keinem Lebendigen nit."

Sie kam. Es sprach in Engelgüte
Die Braut: "Schau diese Blüte!"
Und freudig ihre Wange glühte,
Weil heiter sein dunkles Auge sprühte.
Da dacht ich bekümmert in meinem Gemüte:
Verratenes Lieb, daß Gott Dich hüte!

Es sprach der falsche Bräutigam:
"Der Witz der Freundin nahm
Von jeder Stirne rasch den Gram.
Doch unser Geist ist nüchtern und lahm,
Und im Genuß, der über uns kam,
Sitzt auf der Neige der Neid und die Scham.

"Dich, Liebste, hab ich anzuklagen,
Muß mir zum Leide sagen:
Du weißt nicht fröhlich zu verjagen
Die Sorgen, die mir am Herzen nagen.
Du quälst Dich mit eingebildeten Plagen,
Und alterst rasch in der Jugend Tagen."

Sie sprach: "Hart gehst Du ins Gericht!
Mein Schweigen war mir Pflicht.
Es trug mein Herz die Sorge nicht,
Trug eines Gebetes bedrängend Gewicht:
Ich dankte dem Herrn fürs heitere Licht,
Das er Dir goß in das Angesicht."

"Hat Gold im Sack und in den Haaren,
Das Auge von den Aaren,
Doch seine Predigt konnt er sparen.
Schon wirst Du verblüht in jungen Jahren,"
So sprach er mit polterndem Gebaren —
"Wär ich wie Du, ich ließ ihn fahren."

Dies sprach die Falsche mit leisem Laut
Zur stillbewegten Braut.
Der Bräutigam verstohlen schaut
Den Blick, der mit der Sünde vertraut,
Und ihm verlockend entgegenblaut —
Mir lief es eisig über die Haut.

Wolf und Lamm

"Ja, wie gesagt: ob's draußen mondenhell,
Ob's finster war, ob Regen oder Flocke —
Sie kam des weiten Weges schnell
Und atemlos zur anberaumten Glocke.
Nun kommt es wohl zuweilen,
Daß man ein paar Minuten länger geht;
Daß ein Bekannter just im Wege steht,
Er hat uns Dies und Jenes mitzuteilen;

Daß man vor Tores Schluß
Ein angefangnes Werk vollenden muß:
Ob auch in Ungeduld das Herze klopft,
Ob an der Uhr die Zeiger springen —
Man forschet rechts und links, man webt und stopft,
Und kann es nicht zu Ende bringen.
Wenn sie, was spärlich nur geschah,
Um fünf Minuten es versah:
Dann schalt er sie, wie Schnecken faul,
Und grollte wie der König Saul.

Sie aber konnte stundenlang verziehn!
Oft blieb er aus, sie bangte sich im Stillen,
Ach, sprach sie, soll er meinetwillen
Den Freund, den treubewährten fliehn?
Er muß den sorgenvollen Sinn zerstreuen;
Er liebt Musik, wie kann ich ihn erfreuen?
Kein Flügel steht im ärmsten Kämmerlein;
Ich weiß es, daß er still im Kreis der Treuen
Mich leben läßt, bei Sang und Wein. —

Und kam er, war die Stirne kraus,
Den guten Abend blieb er schuldig,
Die Uhr besah er ungeduldig,
Geschäfte riefen ihn nach Haus.
Sprang sie ans Tor, vor Freude stöhnend,
Er sprach: Wie leichtgesinnt Du bist!
Und nicht bemerkst, wie Dich verhöhnend
Die Nachbarin am Fenster ist?

Doch harrte sie im Stübchen schüchtern,
Er sprach: Wer holt mich ein nach altem Brauch?
Dein Herz ist kalt? Nun, meins ist nüchtern.
Du trotzest? Nun, ich kann es auch.
Los riß ich mich von lieben Kameraden,
Ich gab mich preis dem Regen und dem Wind,
Der schweren Brust noch töricht aufzuladen
Ein trotzig ungezognes Kind.

Zwar kamst Du auch im Naß mit dünnen Sohlen,
Gerührt erkennt mein Herz es an;
Ich weiß, es geht das Weib auf heißen Kohlen,
Wenn es den Buhlen sehn und tändeln kann;
Ob auch der arme, kranke Mann
Sich pflegend, gern im Bette bliebe —
Er muß aus seiner Ruh heraus
Zum Stelldichein, im kalten Braus,
Gelt Kind? so wills die wahre Liebe!

Und wird zuletzt der Mann begraben,
Kann rasch das Weib den Zweiten haben.
Ein Trauerkleid — gebleichte Wangen —
Es blieb daran so Mancher hangen!
Sie sprach kein Wort. Es sah ihr Angesicht
Zum Himmel auf in tiefgekränkter Lieb,
Als sagte sie: O, Herr, vergib!
Denn was er sprach, er weiß es nicht. —

Laß spärlicher, so fuhr er grausam fort,
— Und mag Dich hart bedünken dieses Wort —
Uns hier begehn des Wiedersehens Freuden.
Die Stunden, die wir hier vergeuden,
Du mußt sie Deinem Schlummer stehlen,
Und wachst bis in die späte Nacht hinein:
Dann muß ja Deinem Blick der frische Schein
Und Deinem Angesicht die Jugend fehlen.
Sie sprach: Dein Geist ist atemlos und wund,
Dich quält von Zeit zu Zeit die böse Stund,
Ich weiß gewiß, die gute kehrt zurück;
Entbehren will ich, wenns zu Deinem Glück."

"Oft schlief er ein, oft tat er, ob er schliefe.
Sie strich sein Haar mit weicher Hand;
Nahm ihren Mantel von der Wand,
Die warmen Kissen aus des Bettes Tiefe,
Bedeckte seinen Fuß; blies in die Kohlen;
Vom Tische nahm sie rasch die Kerze fort;
Schlich durch das Kämmerlein auf leisen Sohlen,
Und bat um Frieden und gedämpftes Wort;
Saß ihm zu Füßen auf der kleinen Bank,
Ihn mit dem Hauch des Mundes wärmend —
Bis sie zuletzt in stummer Angst sich härmend
Wohl selbst in leisen Schlaf versank.
Dann konnt er freilich nimmer schelten,
Die Reue kam, er wehrte sich vergebens.
Er sprach: Bist doch das Beste meines Lebens,
Sein Kern und Stern wie kann ich Dir vergelten?


Ade! Ade!

Ja, soll es einmal Winter sein,
Dann sind wir auch auf Frost und Sturm gefaßt;
Wohl selten ist der liebe Sonnenschein,
Wohl öfter dann der Nebel unser Gast.
Ein bißchen Licht — dann ward es um so trüber —
Es gingen ihr und mir die Augen über!

Ja, ob sie heiter oder trist,
Und wie sie stund und saß und lief,
Er schalt, er sah es scheel und schief —
Er war des Mädchens satt, der schlechte Christ.
Es lag sein Haus dem ihren gegenüber;
Kaum kam er mehr ans Fensterlein,
Und sah in Lieb und Lust, wie sonst, hinüber;
Nur stirnerunzelnd sah er drein.

Sie sprach: — "Ich will es stets behalten —
Mein Freund, das Maß ist übervoll.
Lass, wie es mag, das Schicksal walten!
Wir scheiden rasch und ohne Groll!
Was quälst Du Dich mit einer Alten,
Die Du vielleicht im Innersten verfluchst?
Aus Mitleid nur zu lieben suchst?
Freund, was in Feigheit und in falscher Scham
Dein Herz noch nicht zurücke nahm:
Dein Wort, die Freiheit und das Leben —
Da nimm sie hin — was könnt ich sonst Dir geben?
Nie hab ich in der schwersten Not
Gebettelt um ein irdisch Brot;
Wie soll ichs um ein überirdisch können?
Freiwillig darf es nur das Herz vergönnen,
Denn Liebe sei nicht Qual und Pflicht!
Um Liebe betteln kann ich nicht.
Verachten soll mich nicht der Mann,
Der ferner nicht mich lieben kann.
Lass meine Hand auf Deinen Scheitel legen;
Für alles Glück, für alle Leiden,
Die Du mir gabst — nimm meinen vollsten Segen;
Noch diesen ewigen Kuß! Nun lass uns scheiden!"

Er wollte nahn. Sie winkte fort. Er ging.
Er ging und niemals kam er wieder.
Stolz stand sie da. An ihrem Auge hing
Und fiel auf meine Hand die Träne nieder.
Sie zitterte. Sie lauschte bang. Wer naht?
Bewußtlos sank sie auf die Erde. —
Es war mein Mann, der ein zur Türe trat,
Da stand er bleich mit fragender Gebärde.

Frömmeln und fromm sein

Es schwieg das Weib.
Sie bebte am ganzen Leib.
Es nahm nun wieder der Mann das Wort:
"Aus ihrem Kämmerchen zog sie fort.
Sie wollte nimmer sehn
Den teuren Mann mit dem schweren Vergehn.

Sie kam zu uns in Regen und Wind
Und küßte mit Gierde unser Kind;
So wild an seinen Lippen hing,
Daß es bitterlich an zu weinen fing.
Hat sie gedacht an vergangene Stunden?

Auf einmal war sie wie verschwunden.

Doch bald erfuhr ichs genau.
Sie diente bei einer frommen Frau.
Die Herrin war noch in den besten Jahren,
War lieb und hold,
Hatte Silber und Gold;
Doch hat sie wohl viel Übles erfahren,
Und übte sich in strenger Tugend,
Um abzubüßen die Sünden der Jugend.
Den halben Tag
Auf ihren Knien lag;
Hielt Predigten in ihrem Haus,
Es war ein rechter Seelenschmaus;
Die Armen gingen ein und aus;
Sie pflegte die Kranken,
Und verbat sich das Danken.
Wenn der Bettler sie von fern geschaut,
Da fiel er nieder,
Sang fromme Kirchenlieder;
Doch war sie fort, er lachte laut.

Sie diente brav und fleißig;
Wohl viele nannten sie Leben und Glück,
Sie aber wies die Werber zurück.
Nun zählte sie dreißig:
Denn fünf der Jahre gingen vorbei;
Sie war noch immer frei.
Sie fegte die Kleider und die Stuben,
Und betete für den schlechten Buben.

Oft sah ich ihn mit prächtigen Rossen,
Im Kreis der Genossen.
So hämisch schien mir sein Gekicher.
Ich sprach: o Gott in den Himmeln weit,
Was übst Du nicht Gerechtigkeit?
Und warum geht sein Roß so sicher?"

Die alte Jungfer

"Nun ward ihr wohl! Sie war gestorben,
Sie hatte das Himmelreich erworben.

Ich ging zu meinem Kameraden,
Und sprach: Erzeug mir eine Gnaden!

Du fährst in jenem Viertel die Toten;
Gib heute die Zügel in meine Pfoten.

Ich kenne die Pferde, laß mich walten!
Das Leichengeld magst Du behalten. —

Ich fuhr den lieben Leib hinaus,
Es ging nicht mit noch Mann, noch Maus.

Auf dem Wege sprach ich Gebet um Gebet,
Hab oft mein Haupt nach dem Sarg gedreht.

Geweinet hab ich, wie ein Kind,
Vor den Häusern lachte das rohe Gesind.

Handwerker kamen des Wegs daher,
Und zogen den Hut und fluchten nicht mehr.

Im Kirchhof waren so viele Leut,
Denn man begrub ein Fräulein heut.

Sie fragten, wer die Tote wär?
Ich stöhnte bündig die Trauermähr.

Sie sahen sich an und lächelten heiter:
Ein altes Jüngferchen? Laßt uns weiter!

Der Totengräber, ich und mein Weib
Wir haben bestattet des Engels Leib."

Die Inschrift

Ich ließ des braven Mannes Haus,
Und ging in die schwarze Nacht hinaus:

Sie haben Dich "alte Jungfer" gehöhnt,
Nicht ahnend, wie sie Dich gekrönt;

Daß sie so viel an Ehren und Gnaden
Auf Dein vereinsamt Haupt geladen!

Ein Herz ist Dein nicht wert gewesen,
Du mochtest Du kein zweites erlesen.

Dich trugen nicht die rollenden Räder
In südliches Land, in die heilenden Bäder.

Du warest arm, drum bist Du verdorben;
Du bist mit reinem Gewissen gestorben. —

Es trieb der Lenz die Gräser heraus,
Da stand ich vor des Mädchens Haus.

An ihres Fensters Simse hing
Ein schlichter, schneeiger Schmetterling.

Ich sprach: Und ists ihr Geist vielleicht,
Der um die geliebte Stätte streicht?

Ans Haus die frischen Buben kamen,
Und schrieben an die Wand den Namen.

Ich sprach: Unsterblich will Jeder sein,
Und hält er ein Leben noch so klein.

Was kaum der Blick des Nachbars kennt,
Sucht seinen Stern am Firmament;

Hat seinen eigenen Schöpferdrang,
Und seinen Auf- und Niedergang;

Bohrt seinen Namen emsig und stolz
Mit großen Lettern ins Eichenholz;

Und gräbt ihn gern in des Schlosses Ruinen,
Viel tausend Jahr vom Mond beschienen.

Wer aber weiß, daß Du gewesen?
Auf keinem Grabstein ists zu lesen.

Schriebst einst in eine harte Seele
Mit Deinem Blut den Namen: Adele!

Dort war er verwischt nach wenig Tagen,
Das hat Dich, mein armes Veilchen, erschlagen.