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In meinem Herbste
1861 - 1869
 

Allmutter
Vorbei
Getrost
Am Erntetag
Vergiß dem Herbste
Ein bißchen Menschenglück
Früh Morgens
Vom Herzen zu Herzen
Der Freund erscheint
Besser, gut
Abendgang
Die weiße Rose
Alte Knaben
Fragt die Gräber!
Einem Armen
Wunder in Schwaben
Schwerer Abschied
Muttersegen

Allmutter


Versagt der Schlaf, die Träne, das Gebet;
Vermag kein emsig Tun dich aufzurichten;
Wenn Freundeswort zu heilen nicht versteht,
Musik und Liebe nimmer dich beschwichten:

Dann suche dir in deinem stummen Schmerz
Den stillsten Grund, zur Erde wirf dich nieder,
Dann presse dein verwaistes Dulderherz
An ihre Brust, und du genesest wieder!

Daß du getröstet wirst, du fühlst es gleich,
Die gute Stunde kommt, die Zähren kommen,
Der Schlummer naht an sanften Bildern reich,
Allmutter, fühlst du, hat dich aufgenommen!

Vorbei

Einst! Liebe schlug uns hoch entgegen.
Wir flohen wild, wir flohen weit,
Zur schweren Sorge ward der Segen,
Zur Qual die stete Zärtlichkeit.

Nun, da sich lichten unsre Locken,
Das Herz sich bang und einsam fühlt,
Nun rufen wir zu Tod erschrocken:
Wie rings die Welt sich abgekühlt!

Ein Strahl der sonst verschmähten Wonne.
Und wir genesen wunderbar!
Im Herbste suchen wir die Sonne,
Die lästig uns im Sommer war.


Getrost

Wenn das am dürren Baum geschieht,
Was jetzt dein feuchtes Auge sieht,
Dann atme ferner nicht beklommen:
Urplötzlich wird in stiller Nacht
Auch über dich mit ganzer Pracht
Die Zeit der grünen Ostern kommen.

Was ihm der Regen, o das ist
Die Träne dir zu dieser Frist,
Befruchtet dich mit neuen Trieben;
Getrost, und wieder blühst du bald:
Denn minder als das Holz im Wald
Wird Gott ein Menschenherz nicht lieben!

Am Erntetag

Vor Jahren kam ein Schicksal bang
Und auserlesen,
Es furchte scharf, es furchte lang
Dein tiefstes Wesen.

Du fühltest nur in deiner Not
Sein stetes Graben,
Doch nimmer, was es gnädig bot
An Liebesgaben.

Es legte still das Samenkorn
In deine Wunde,
Und sorgte für den warmen Born
Zur rechten Stunde.

So wars! Du hattest unbewußt
Und rasch empfangen,
Die Keime sind zu deiner Lust
Nun aufgegangen.

Kornblümchen hat sich eingestellt
Am Fuß der Halme
Die Lerche sich empor geschnellt
Mit ihrem Psalme,

O segne fromm am Erntetag
Die Frucht der Schmerzen,
Und was noch ferner pflügen mag
In deinem Herzen!


Vergiß dem Herbste

Wolle nicht den Herbst befehden
Weil die Tage rasch verglimmen,
Weil er barsch in deinem Eden
Dämpft die Farben und die Stimmen.

Sturm gesellt sich gern den Flammen,
Kalte Hand und warmes Lieben
Gehn auf Erden gern zusammen,
Also steht es angeschrieben.

Ewig deiner selbst gedenkend
Wohlgemut im Grünen schwärmen?
Endlich itzt nach Hause lenkend
Lerne dich um Andre härmen.

All das ungeschlachte Wesen
Wolle freundlich ihm verzeihen:
Reife Trauben läßt er lesen,
Dich den Göttern anzureihen.

Immer mag er Rosen stehlen,
Astern schont er auf den Auen,
Pflücke sie, zu Allerseelen
Deinen Toten aufzubauen.

Ein bißchen Menschenglück

Ich schnitte gern vom Lebensbrote
Noch einmal mir ein kleines Stück,
Genösse noch vor meinem Tode
So gern ein bißchen Menschenglück.

Nicht Liebe: nur die karge Wonne,
Daß mich die Freundin dulden mag,
Ihr Blick mich streife, gleich der Sonne,
Die flüchtig streift den Wintertag.

Nicht Jugendlust! Dahin die Falter,
Die Purpurrosen abgeblüht!
O, nur die Gnade, bis ins Alter
Mich jung zu fühlen im Gemüt!

Nicht Schätze: nur die Kraft zu geben
Den freien Groschen dann und wann,
Denn ach, des Armen Freund im Leben
Ist doch zumeist der arme Mann.

Nicht Weisen, eine Welt zu meistern:
Nur segnend, wie die Glocke tönt,
Die heim uns läutet zu den Geistern,
Ein Lied, das allen Streit versöhnt.


Früh Morgens

Ins Nest der Schwalbe schießt das junge Licht,
Sie flattert aus, sie jauchzt aus heller Kehle,
Dann weiht sie schweigend sich der Mutterpflicht
Dem kleinen Herde die besorgte Seele,
An liebgewordne Häuslichkeit gekettet,
Beneidet sie die zarte Schwester nie,
Das Sonntagskind mit frischer Fantasie,
Die Lerche, so in goldner Saat sich bettet,
So aus des Lebens quälerischem Drang
Sich leichtgesinnt in ihre Himmel rettet,
Die Zeit verträumt mit eitel Sing und Sang,
Ein Kind verbleibt in Lust und Überschwang,
Nun regt sich das Gewürm, der Käfer schwirrt,
Der Falter tummelt sich, die Taube girrt,
Die Rose badet schon und säuget traut
Ihr jüngstgebornes Paar an süßen Brüsten,
Das Bienchen hat sich in den Reiz verschaut,
Und fällt sie an mit ungezähmten Lüsten
Noch hat die Unschuld nicht der Tag verloren,
Sein Eden nicht verscherzt; Gewalt und Groll
Sind heute noch auf Erden nicht geboren;
Noch flucht den Sternen nicht, was dienen soll;
Noch jagt der Köter nicht umher und bellt,
Er hetzt den Sperling nicht, die Turteltauben,
So am verstreuten Korn gelassen klauben;
Noch sieht den Todesengel nicht die Welt,
Noch pflückt der Gärtner nicht die Frucht vom Baume
Noch pirscht der Jäger nicht am Waldessaume.

Vom Herzen zu Herzen

Nun bin ich in die Fremde gegangen,
Nun hab ich die Hochalp, hab den See!
Gestilltes Verlangen
Wird mir zum Weh,
Nun erst beginnt das Hangen und Bangen.

Ach, Frieden suchend, geriet ich in Fehden;
Herr, betete Adam, gedenke mein!
Was soll mir das Eden?
Ich bin allein!
Wem kann ich vom Herzen zum Herzen reden?

Der Freund erscheint

Und nun erfüllt sich wunderbar,
Urplötzlich ist ins Leben eingetreten,
Was mir geträumt so manches Jahr,
Was ich erbat in brünstigen Gebeten.

Ich suchte dich, ich rief nach dir
In meinem Lenz, — umsonst, er ist geschwunden;
Nun ich entsagt, erschienst du mir,
In meinem Herbste hab ich dich gefunden.

Gefunden doch! Wie bangt die Brust!
Ich darf von neuem um ein Herze werben?
Ach, oder ist die hohe Lust
Mir nur geliehen, kurz vor meinem Sterben?


Besser, gut

Verstand ich je zu hassen,
Den Gegner rauh zu fassen.
Bis daß ich obgesiegt?
Ich habe bis zur Stunde
— Noch brennt so manche Wunde —
Mich selber nur bekriegt.

Ich strebte gut zu werden,
Ein harter Kampf auf Erden,
Es dünkte mich so leicht:
Darüber sind die bangen
Jahrzehnte hingegangen,
Ich hab es nicht erreicht.

Ich hab im Tiefsten immer
Mich besser nur, doch nimmer
Mich einfach gut gefühlt:
Ein Nippen wars vom Schaume,
Ein Trinken wars im Traume,
Das nicht den Durst gekühlt.

O, schaffen, stets bescheren,
Und lüstern nicht begehren
Nach Dank und Opferrauch;
Verborgen in der Wolke
Ein Tröster sein dem Volke,
Ein Hort nach Geisterbrauch;

Ein Blatt vom Zweige schwinden,
Im Kranz sich wiederfinden,
Ergänzend und ergänzt;
Ein Quell mit raschen Fluten
Im Strome sich verbluten,
Den bald das Meer begrenzt;

Mit wachsenden Gedanken
Sich um das All zu ranken,
Im Ganzen aufzugehn:
Das ist die volle Güte,
Das Menschenherz in Blüte,
Das große Auferstehn!

Abendgang

Im Walde wars, der unverdrossen
Bis er des Lenzes Ruf erfüllt,
Stets reicher läßt die Blätter sprossen,
Stets tiefer sich in Weihe hüllt.

Ob tausend Lippen ihn beloben,
Ob er verschmäht und einsam bleibt —
Allmächtig fühlt er sich gehoben
Vor Wonne, daß er wächst und treibt!

Ich sah an mir vorübergaukelnd.
Bewußt und träumend, stolz und mild,
Das erste Kind im Arme schaukelnd,
Selbst Knospe noch, ein Frauenbild.

O Siegesstolz in Muttermienen,
Du bist so schämig, hold und zag,
Daß Jeder dir ergeben dienen
Und lächelnd dir verzeihen mag! —

Als nun der Tag entschlief, die Erde
An seinem Grab in Flören stand,
Doch ein ersehntes neues Werde
Im Busen schauernd vorempfand;

Als Abendlüftchen lind und leise
Ringsum die Wipfel angeweht,
Als es wie zarte Liebesweise
Im Laub geflüstert, wie Gebet;

Als nach der freien Au verlangend
Die Rehe sich dahin geschnellt.
Mit Augen, bangend und befangend
Sich zahm den Menschen zugesellt;

Als ferne Glocken fromm geklungen;
Im Busche, wundersam gewürzt,
Sein Herz der Sprosser eingesungen,
Das sich in Minne jäh gestürzt;

Als nun den Zauber zu bekrönen
Des Mondes Gnadenlicht erfloß,
Und sein unendliches Versöhnen
Auch mir, ins Allertiefste goß:

Da, plötzlich, nach der kranken Stunde,
Die meine Geister lang beschlich,
Erschien mit Tränen die gesunde,
Und sprach den Segen über mich.

Und wieder sah ich, daß hienieden,
Ob auch die Welt dem Wüsten front,
Noch viel an reinem Tempelfrieden
Den schwerverkannten Stern bewohnt!

Daß ewig, trotz dem Sündenfalle
Ein Paradies uns offen steht,
Daß nur den Weg zur Götterhalle
Der Sturm des Lebens oft verweht.

Mein ganzes Denken ward ein Blühen,
Mein Fühlen jauchzendes Getön,
Ein Quellen wars, ein mildes Glühen,
Ein rascher Flug in klare Höhn.

Du Erde, stets in gleichem Schwunge,
Ob Licht, ob Dunkel dich beschickt;
Du Laub mit dankberedter Zunge,
Bei jedem Hauch, der dich erquickt;

Du Stamm, der hoch und höher bauend
Am Glück des Schaffens sich begnügt;
Unschuldig Reh, dem Feind vertrauend,
Der gern von neuem dich betrügt;

Du Mutter, die mit tausend Sorgen
Zu sühnen strebt die stolze Lust;
Vieledler Vogel, scheuverborgen,
Mit Sang beschwichtend deine Brust:

Ihr Bilder all im trauten Bunde,
So warm an dieses Herz gepreßt,
Ihr Engel all der guten Stunde,
O hielt ich euch für immer fest! . . .

Heim zog die Mutter mit dem Knaben,
Heim ich in heller Seligkeit,
Bis an den Saum des Waldes gaben
Uns treu die Rehe das Geleit.

Die weiße Rose

Im Garten schlief ich unter Blumen,
Mich kühlte lind der Walnußbaum;
Was mich alsbald bestürmen sollte,
Ich sah es ahnungsvoll im Traum.

Mit einemmal die weiße Rose
Der Ruhe bar vom Hage sprang,
Im Mutterarm ein Knöspchen wiegend
Durchwallte sie den Laubengang.

Vergebens, daß in Gold und Seide
Verliebte Falter sich geschart,
Ein Sprosser all die Gotteswunder
Der Sängerkunst geoffenbart;

Vergebens, daß die Bienen freiten,
Sich still gegrämt der Abendwind —
Sie wallte hin mit kühler Hoheit,
Ihr Kind behütend, selbst ein Kind.

Sie nahte mir, im feuchten Auge
Bei stummer Qual ein stummes Glück,
Und überschritt meine Herze jählings,
Und sah im Fliehen bang zurück.

Ich war erwacht, ich rief, ich spähte.
Schmerzselig brach mein Lied hervor,
Ihr dankend , auch für alle Dornen,
Die sie in meiner Brust verlor.


Alte Knaben

Ich kenne dich mein alter Baum
Seit einer Flucht von Jahren,
Du hast so manchen Blütentraum
So manchen Sturm erfahren.

Du schmückst dich wieder frischen Drangs,
Der Lenz ist eingetreten,
Hast viele Meister des Gesangs
Sofort zu Gast gebeten.

Die Bäumchen rings, sie spotten dein:
Zu fühlen will er wagen,
Ach, laben und gelabet sein
In vorgerückten Tagen!

Hast du vielleicht den losen Spott
Zu Herzen dir genommen?
Nein, nein, du opferst treu dem Gott,
Der über dich gekommen.

O blühe fort, o siehe zu,
Daß es kein Ende habe!
Ich ward, das wisse, jung wie du,
Es blüht der alte Knabe.

Ich preise nun den süßen Drang,
Der meiner Herr geworden,
Von dir beschattet, stundenlang
In zärtlichen Akkorden.

Die Jugend rings, die spottet mein!
Zu fühlen will er wagen?
Nach Klang und Kränzen lüstern sein
In vorgerückten Tagen?

Mich stört es nicht in meiner Lust!
Daß Gott in seiner Güte
Mir lange noch die Sängerbrust
Vor gelbem Laub behüte!

Fragt die Gräber!

Ob die Seelen fromm und frisch,
Oder welk und gleißnerisch,
Ob sie gütig und getreu,
Oder schwank und opferscheu,
Möchtet ihr erkunden!

Rettet euch vom Stadtgebraus
Auf geweihten Grund hinaus.
Fragt die Gräber! Sie allein
Spiegeln ab das Leben rein,
Sprechen unumwunden.

Wenn mit Augen, rotgeweint,
Dorten oft das Volk erscheint,
Gern vergilt der Gärtnerhand
Was sie wahrte, goß und band,
Moos und Epheureben:

Solches Volk, so jauchzet laut,
Ist von Gottes Huld betraut!
Gräber mit gepflegtem Grün
Sagen, daß die Herzen blühn
Jener, so da leben.

Aber, wenn es ferne weilt,
Seine Toten nicht beteilt;
Fehlt die Weide, fehlt der Kranz,
Sind zuletzt die Rasen ganz
Mit dem Kreuz versunken:

Sagt sodann, verwildert ist,
Wer der Toten je vergißt,
Tät er auch mit glatter Art,
Süßem Zungenspiel gepaart,
Und Gefühlen prunken.

Wißt, allein die Sündenschuld
Weilt alldort in Ungeduld,
Schaudert in des Friedens Bann
Ewig vor dem Knochenmann
Mit der Mähderhippe.

Trauet nicht der holden Braut,
Welche dort gelassen schaut,
Was den Busen freut und quält
Nicht der Elterngruft erzählt
Mit gelöster Lippe!

Wer dem Weibe, frühversenkt,
Nimmer dort ein Röslein schenkt,
Schmachten läßt der schnöde Gauch
Wohl daheim die Kinder auch,
Darben das Gesinde.

Herzensgüte, voll und acht,
Liebt zu spenden ungeschwächt;
Den zumeist, der jeden Tag
Zahlen will und nie vermag,
Krönt ihr Angebinde.

Wer des Jugendtraums vergißt,
Alte Freunde nie vermißt,
Ihre Hügel nie besucht,
Läßt von neuen gleich verrucht,
Trauet nicht dem Wichte!

Wo der Weise, der Tribun,
Lied und Schwert vergessen ruhn,
Fehlt den Völkern Sturm und Drang,
Neigen sie zum Niedergang
In der Weltgeschichte . . .

In die Gondel stieg ich froh,
Schwamm nach Sankt Christophoro:
Wehe ward mir! Menschenleer,
Ungepflegt im blauen Meer
Lag die Toteninsel;

Wo die Grabzypresse stand
Schliefen Lords aus Engelland;
Wo bemoost der Hügel schwoll.
Deutsche Jünger im Apoll,
Wunder schuf ihr Pinsel!

Schwamm zurück zur Dogenstadt,
Sah das Leben welk und matt:
Schnöde Künste statt der Kunst,
Statt der Leidenschaft die Brunst,
Weibisch Wort und Mienen;

Ihren Traum der Blütenzeit
Schob der Enkel längst beiseit.
Fremde nur mit wüster Hatz
Wühlten nach dem Geisterschatz,
Hausend in Ruinen.

Für den Krämer, den Lakai
Trieb umsonst ein Völkermai;
Nur die Meerfrau schoß empor,
Träumte sie vom Bucentor?
Von verrauschtem Glücke?

Innen roh und außen zart!
Leichter Sinn bei Frömmlerart!
Shylocks Geiz und Rachelust
Erbte hier des Christen Brust,
Und Othellos Tücke. —

Pilgernd nach dem Morgenland
Fand ich offen Haus und Hand,
Traf die Seelen karg erhellt,
Aber auf der Herzenswelt
Lags wie Frühlingssonne;

Manneswort ein Heiligtum!
Unverwischt der Väter Ruhm!
Saladin, Hafis, Schamyl,
Waffentanz und Liederspiel,
Unerschöpfte Wonne!

Draußen auf dem Friedhof auch
Gäste viel nach gutem Brauch,
Schattenlaub und Sprosserschlag,
Rieselquell und Rosenhag,
Turbans an den Mälem;

Nargyljes und Moccaduft
Würzten süß die Abendluft.
Weise Rede ward getauscht,
Gern ein Märchen abgelauscht
Sinnigen Erzählern . . .

Ob die Herzen wahr und frisch,
Oder welk und gleißnerisch,
Fragt die Gräber! Sie allein
Spiegeln ab das Leben rein,
Zeugen unumwunden.

Dein Gemüt, o Kaiserstadt
Prangt annoch im grünen Blatt
Deinen Toten hast du still
Jederzeit, wie Gott es will
Kränze reich gebunden.


Einem Armen

                            1.
Der Tag beginnt und wieder mußt du wandern
Ins altgewohnte Joch nach deinem Brot;
Du hörst im Schmerzenssang der Andern,
Das Echo nur der eignen Not.
Ach, was du denkst ist Zahl und Maß und Waage,
Ach, was du treibst ist Trug und Streit;
Die Plage teilt sich mit der Klage
Erbarmungslos in deine Zeit.

                            2.
Kannst du mit eines Trödlers schlauer Kunst
Den alten Kram des Lebens neu zu schmücken.
Mit neuem Schwank, mit neuer Brunst
Mit neuem Wahn die Menge zu berücken;
Hast du das Losungswort getroffen
Zu einem Tagesheldentum,
Und siehst verzückt die Türen offen
Zu Gut und Geld, zu Macht und Ruhm:
Dann mußt du klug den Blick des Nächsten meiden,
Dann glätte wohl die Falten deiner Stirn,
Dann lasse dein gebärend Hirn
Geheim sein schmerzlich Wochenbette leiden:
Ein Wort, ein Lächeln auch, ein Schritt verrät
Was mälig dir in dunkler Brust erstarkte,
Und schelmisch bringt ein Zweiter es zu Markte,
O säume nicht! Bedächtig, heißt: Zu spät!
Rasch zeige die Geburt in allen Gassen,
Ihr, eh sie stirbt, noch huldigen zu lassen.
Dem Schwärmer laß die seltne Grille,
Mit Ernst und Kraft, nach weiser Ahnen Brauch.
Ein dauernd Werk zu schaffen in der Stille,
Erschaffe du, mit einem Hauch!
Die wildbewegten Pulse dieser Zeit
Sind Ungeduld und Atemlosigkeit,
Den Schnellsten nennt die Welt den Ersten auch
Sei schnell, du bist der Herr zu dieser Frist,
Bis Morgen dich besiegt der schneller ist.

                            3.
Du alte Zeit, da noch auf allen Wegen
Erwerb mit flinker Faust zu greifen war;
Da vor des Ehebettes Segen
Noch nicht gezagt ein brütend Elternpaar;
Da noch die Zunft mit anerkanntem Fug
Den Fremden wies aus den bedrohten Hallen;
Da noch der Krieg den Völkern allen
Die übervollen Adern schlug!
So elend ist die Welt geworden!
Sie wünscht den Krieg, die Pest zurück,
Allmächtig im Gewühl zu morden.
Wie Fliegen um ein winzig Zuckerstück,
Um eines Tropfens halbverwischte Spuren,
So schwärmen um ein jedes Pünktchen Glück
Geräuschvoll tausend Kreaturen.

                            4.
Willst du nach Brot in fremde Täler ziehen?
In deines Herzens Angst die Heimat fliehen?
Mit Weib und Kind fort auf der falschen See?
Auswandern, ach, es ist das herbste Weh!
Wohl längst befrachtet steht der Leiterwagen,
Wohl steht geschirrt der Klepper vor dem Haus.
Doch können sie dein Hüttlein weiter tragen?
Und gibt das Grab die Teuern dir heraus?
Erinnerung an deinen Jugendtraum
Umgaukelt dich, ein heller Sommerfaden,
Und hängt sich hier an deinen liebsten Baum,
Und dort an deinen besten Kameraden.
Wenn gar zuletzt dein quellend Auge schaut
Das Nest im Turm, vom Klapperstorch gebaut,
Der scheiden muß im Herbst, ja scheiden,
Doch stets mit überstürztem Flügelschlag
Gezogen kommt am ersten milden Tag,
In treuer Brust des Heimwehs holde Leiden:
Dann geht wie Kirchensang und Orgelton
Durch dein Gebein ein tiefes Selbsterbarmen,
Und wieder hält den halb verlornen Sohn
Und doppelt fest die Heimat in den Armen.

                            5.
Geh hin und spanne dich ins alte Joch,
Du wirst, das wisse nur, beneidet!
Wer auserwählt, wer stolz von dir sich scheidet,
Wer aufgebläht am Eigentum sich weidet,
Der seidne Mann ist ärmer noch!
Er fürchtet die verschwenderischen Kinder,
Die schnelle Pest im Stall der Rinder,
Den Brand der Speicher und Kastelle.
Im Lenz den jähen Zorn der Welle,
Er zittert vor dem kleinsten Faltenzug,
Der auf der Stirn des Staates dunkelt
Den Schrein, darin sein Silber funkelt,
Wo birgt er ihn? wer hütet ihn genug?
Du fürchtest Nichts! Du willst nicht mehr,
Willst kaum genug die Not zu stillen;
Was übrig bleibt ist dein Begehr,
Das Allerletzte nur um Gottes Willen!
Du fragst ja nicht, obs deiner armen Seele
An allem Licht, an jedem Blümchen fehle?
Du willst ja Nichts vom Zufall erben.
Verlangst ja nicht des Glückes Gnadenschein.
Du willst ja gern und mühevoll erwerben;
Genießen willst du nicht, nur nicht verderben.
Nicht leben — nur am Leben sein!


Wunder in Schwaben

Wieder in die Fremde ging ich,
Bist verschollen, sprach ich bang.
Aber einen Freund umfing ich
Schon auf meinem ersten Gang,
Alle Furcht zerstob wie Zunder,
Nun ein Auge mich geheilt,
Das, ein blühend Gotteswunder,
Guten Blicks auf mir verweilt.

Jahre sinds! Vergrämelt hing ich
Meine Harfen an die Wand;
Fürder, um die Wette sing ich
Mit den Meistern laut im Land.
Runder tönt das Lied, gesunder,
Seit ich klar erkennen mag,
Daß ein achtes Sangeswunder
Schlicht erklingt wie Lerchenschlag.

Zeitig schon vom Lager spring ich,
Fort durch Gärten nach den Höhn
Durch Kastanienwälder dring ich,
Rote Blut, wie bist du schön!
Ruf das Menschenkind jetzunder.
Nachtigall, zum Kampf heraus —
Tausendmal besungnes Wunder,
Frühling. Keiner singt dich aus!

Um den Freund die Arme schling ich
Auf gen Marbach! Zögre nicht!
Wie die Memnonssäule kling ich,
Angeglüht vom Morgenlicht.
Kraft und Milde! Wirt, Burgunder.
Weibertreu vom Mutterfaß!
Dreimal benedeites Wunder,
Schiller, dir dies Flammennaß!

Heimwärts mit dem Freunde ging ich.
Ruhte bald auf lindem Flaum;
In der Mondennacht empfing ich
Einen allerschönsten Traum:
Käthchen unter dem Hollunder!
Rotraut lockt den Knaben fein!
Und die Dritte voll der Wunder
Nur das Lorle kann es sein!

Schwerer Abschied

Ach, ich weiß mich kaum zu fassen,
Breche zag in Tränen aus:
Morgen muß ich dich verlassen
Helles, holdes Gartenhaus.

Kannst mich nimmer in die Weiten
In den Nachen, auf den Grat
Wie ein gutes Buch begleiten,
Mir zum Troste, früh und spat;

Nicht begleiten wie ein liebes
Sanftgeaugtes Konterfei
In den Lärm des Weltgetriebes,
In die Waldeinsiedelei.

Danken laß, bevor ich gehe
Dir ein Übermaß der Lust:
Wahres und erträumtes Wehe
Fielen hier von meiner Brust;

Glücklich, doch wie lang verspätet
Wurden Fehle hier gesühnt,
So ich träge nicht gejätet,
Als die Jahre mir gegrünt.

Freunde kann der Freund behüten,
Also spricht die Sage traut,
Wenn er lang mit frommerglühten
Augen auf die teuern schaut

Bösem kann er stark begegnen,
Singend rühren das Geschick:
Teures Haus, ich will dich segnen
Mit der Stimme, mit dem Blick!

Saß ich an der Felsenquelle,
Ging ich durch den Nadelwald —
Jederzeit, an aller Stelle
Riefst du leis: o komme bald!

Deine Güte wuchs im Geben,
Wirtlich, ohne Rast und Ruh
Führtest du ein farbig Leben
Unbelauscht dem Gaste zu;

Botest zu des Müden Wonne
Schlummerkissen, blank und fein,
Und das Heil der Morgensonne
Ausgeruhtem Fleisch und Bein.

Brauste dann vom Turme nieder
Weihevoll der Frühchoral,
War das Kind im Manne wieder
Auferwacht mit einemmal;

Tränen kamen lind gequollen,
Schüchtern kam ein frommer Reim,
Engel, jahrelang verschollen
Fanden auf ihr altes Heim.

An den Simsen wob die Spinne,
Silber floß aus ihrem Mund:
Schaffe, rief ich mir, beginne
Auszutönen dich jetzund!

Wie der Vogel im Gewälde
Schlug ich an den ersten Ton.
Stimmend, stammelnd, doch in Bälde
Wogten frei die Läufe schon;

Nicht verzeichnet auf dem Blatte,
Wie gekommen, so verschwebt,
Läufe bloß, — jedoch, ich hatte
Mich auf Stunden ausgelebt!

Dir zu Füßen Draht und Schienen,
Puls und Hirn der neuen Zeit;
Oben, in den Burgruinen
Sagen der Vergangenheit

Aber, zwischen Tal und Gipfel,
Wüstem Schutt und jungem Bau
Duftgewürzt, belaubte Wipfel,
Rebenland und Rosenau:

Freundlich ließ der Frühling lächeln
Eine Welt, die längst erstarrt,
Und den Hauch der Götter fächeln,
Um den Schweiß der Gegenwart.

Träumend sah ich in die Ferne,
Bis die Taube kam geschwirrt,
Hastig speisend, was ich gerne
Ihr gestreut, ein reicher Wirt.

Wieder gab es nun ein Wesen,
Dem zu helfen ich vermocht,
Das, vom Himmel mir erlesen,
Sein Geschick in meines flocht.

Täglich wird sie früh erscheinen,
Harren mit getreuem Sinn,
Schlummernd noch den Freund vermeinen,
Der im Sturme fuhr dahin;

Unwirsch mit den Flügeln schlagen,
Daß er ihrer heut vergißt,
Und sich bang am Ende sagen,
Daß er ihr — verloren ist! . . .

Ach, ich weiß mich kaum zu fassen,
Breche zag in Tränen aus:
Morgen muß ich dich verlassen
Vielgeliebtes Gartenhaus!

Hier genoß ich jenen Frieden,
Dem des Meisters Lied erscholl:
Einsam, nicht allein, geschieden
Von der Welt, doch ohne Groll! . . .

Gilts im gelben Herbst zu reisen,
Sammelt sich die Schwalbenschar,
Segnend um den Ort zu kreisen,
Welcher ihr zum Heile war.

All mein Denken und Empfinden
Möchte nun wie Schwalbenflug
Dir zu Häupten sich entbinden,
Und dich segnen, nie genug!

Muttersegen

Was wunderhold auf Erden tönet,
Und rasch ein Menschenkind entzückt,
Hat zeitig schon mein Ohr verwöhnet,
Hat zeitig mir das Herz berückt.

Mit Schauern süß, wie Regentropfen
Am Fensterglas, zur Schlafenszeit,
Begann das Märchen anzuklopfen,
Wie tat sich auf die Seele weit!

Und kam der Lehrer, hoch zu preisen
Der Welten Pracht, des Herrn Gebot,
Die Helden, Troubadours und Weisen,
Wie blühte mir die Wange rot!

Dem Armen ging ich gern entgegen,
Er sah vergrämt und bat verschämt:
Sein warmer Dank, sein frommer Segen,
Hat stetig mir die Brust gezähmt.

Dann, als ich unerfahren toste
Und hadernd durch die halbe Welt,
Verblieb der Freund mit mildem Troste
Mit klugem Rate mir gesellt.

Zu bald gewann mit Schmeichelstimmen
Mein junges Herz der Liebe Drang:
Wo Blüten, dort die Honigimmen
Mit Stacheln und verbuhltem Sang.

Dann später, als um meinen Namen
Ein helles Frühgeläut erscholl,
Erschrak ich; erst der Meister Amen,
So rief ich, macht die Weihe voll.

All das erklang, mein Herz erlabend;
Doch süßer tönte, wenn gelind
Die Mutter sprach an jedem Abend:
Ich segne dich mein gutes Kind!