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Quelle:

Lieder vom armen Manne

Beck Karl Isidor

Leipzig 1846
Bernhard Hermann


Wer nie sein Brot mit Tränen aß.
Wer nie die kummervollen Nächte
Auf seinem Bette weinend saß,
Der kennt euch nicht, ihr himmlischen Mächte!

Ihr führt ins Leben uns hinein,
Ihr laßt den Armen schuldig werden,
Dann überläßt ihr ihn der Pein:
Denn alle Schuld rächt sich auf Erden.

Goethe
 

An das Haus Rothschild
O, streutet Ihr den goldnen Segen!
Warum sind wir arm?
Knecht und Magd
Der Trödeljude
Loreley
Trommellied
Der Bettler und sein Kind
Der Auswanderer
Stelzfuß
Die Kartoffel
Auch eine Dorfgeschichte

An Rothschild


                         1.

Verkühlet sind die römischen Blitze!
Kein Held mit drohender Degenspitze,
Kein Solon und keine Helena
Lenkt zaubergewaltig der Erde Zügel;
Du siegst, o Herr, mit kaltem Geklügel,
Der Könige König stehst Du da!
Es schauen die Menschen im Bangen und Staunen
Nach Deinen entscheidenden Augenbraunen;
Sie glauben an Deinen Federzug,
Wie an des Himmels Offenbarung.
Du willst — da wandelt sich im Flug,
Was Du berührst, in Glück und Nahrung.
Nach Deinen Launen herrscht das Gold,
Die Sorge steht in Deinem Sold.
Dein Name klingt wie eine Mähre
Aus duftiger Tausend und Einer Nacht.
O wär Dein Werk so schön! O wäre
Dein Herz so groß wie Deine Macht!


                           2.

Es tönt von Recht und Licht und Freiheit,
Vom echten Gott in seiner Dreiheit,
Die liedergesegnete Laute der Barden:
Da folgt das horchende Menschenkind
Den Geistern, die niedergestiegen sind
Von hohen heiligen Mansarden.
Es mahnt die wiedergenesene Jugend
Wie mit des Heimwehs zärtlichem Triebe,
Wie mit dem Rausch der ersten Liebe,
Wie mit der Väter eiserner Tugend;
Und der Begeisterung zeugender Samen
Geht auf in hundert herrlichen Namen!
Du aber prüfest die Herzen und Nieren,
Und rechnest und blätterst in Deinen Papieren;
Flugs wird der Erde Wohl und Kummer
In schweigende Ziffern hineingequält,
Es werden die Länder, die Völker gezählt,
Und jeglicher Thron hat seine Nummer.
Das Lied, was uns die Geister geboten,
Du nennst es Hunger nach Ruhm und Broten.
Ob mutig zum Kampf die Hörner blasen,
Du willst, daß friedlich die Völker grasen;
Drückst kalten Blutes mit Deinen Noten
Den Stahl in die Faust der gefürsteten Macht,


Uns pocht das Herz so laut in der Nacht —
Das törichte Herz, es fühlt die Bedrängnis,
Von einer göttlichen Empfängnis;
Doch lauter pochen die Hämmer der Schmiede!
Dort wird gezeugt der bewaffnete Friede,
Der barsch und klirrend auf die Gassen
Sein rohes Amt, sein Richtbeil trägt,
Und unser Lieben und unser Hassen
Nach ihren Heimatscheinen fragt.
Wir aber, verhandelt und verraten,
Wir fassen statt des Schwerts den Spaten,
Den Rausch erkältet der Betrieb;
Wir klagen und hoffen, umarmen das Lieb,
Und Kinder sprossen statt der Taten.
Nun füllt allmächtig der Väter Herz


Die Sorge für den Futterkasten;
Sie lassen sich ans Leben tasten,
Und lächeln noch im herbsten Schmerz;
Sie helfen binden, was ungebunden,
Was spitz und schroff, sie helfen es runden;
Sie helfen geschäftig das Grade biegen,
Und wässern des Gedankens Wein;
Sie lassen, statt des Adlers, die Fliegen
Die Würdenträger der Höchsten sein.
Ach, ob das Reich verschimmelt und faul,
Ach, ob die Jugend ein finsterer Saul,
Mit Gott und mit sich selber grollt;
Ob ewig auf zerbrochenen Achsen
Die deutsche Geschichte keuchend rollt;
Ob winzige Maulwurfshügel wachsen,
Wo Pyramiden stehn gesollt:
Sie küssen die Sohlen Deiner Schuhe,
Sie danken Dir die geheiligte Ruhe,
Die nur der Rebe Blut versprützt,
Und ihren Verdienst und — Deine Truhe,
O Herr, mit rührender Treue schützt.


Da naht der kindliche Bürgermeister
Aus Östreichs fetter Kaiserstadt,
Er reichet Dir, Du Lorbeerbereister,
Mit großen Siegeln ein würdig Blatt.
Wo Policinell in launiger Posse
Die Galle des Sklaven rosig bemalt,
Wo Dein gehetzter Glaubensgenosse
Sein Licht und seine Luft bezahlt:
Dort wird das Recht des Bürgers Dein.
Schlug hoch das Herz in Deiner Brust,
Du tratest verächtlich die schnöde Lust,
Des Freien Glück, das Dein allein
Und nicht der Brüder konnte sein! —
Es danken die Fürsten im Süden und Norden
Mit Band und Stern und Baronat;
Es sendet der heilige Kirchenstaat
Sein Lob und seinen Erlöserorden.


                          3.

Du ein Erlöser? — Trugst Du je
In Deiner Seele der Menschen Weh?
Rangst Du wie Jener in bittrer Nacht?
Hinopfernd die stolze, die irdische Macht,
Die Dein berauschter Blick geschaut
Zu Deinen Füßen in reichster Verschwendung,
Für eine milde beglückende Sendung,
Vom großen Geist Dir anvertraut?

Auf stand das mutige Frankenkind,
Es grollte dem Herrn und seinem Gesind.
Es zog für sein beleidigt Recht
Mit wachsendem Herzen ins heiße Gefecht.
Gerüstet trat es in die Schranken
Für seine mündigen Gedanken.
Warst Du bereit? Erklang Dein Gold,
Wie Lerchengezwitscher, jubelnd und hold
Zum Lenz, der in der Welt sich rührte?
Der, was an sehnlichen Wünschen tief
In unsrer Brust verschüttet schlief,
Verjüngt zurück ins Leben führte?


Laß Deine klirrenden Schlüssel fallen,
O Papst des Goldes, tritt heraus!
Dicht rankt sich an Deine beneideten Hallen
Ein heiliggesprochenes Bürgerhaus.
Drin waltete segnend ein Herzensreiner!
Wie jener hochgesinnte Lateiner,
Zu retten den Mut im zagenden Land,
Sein höchstes Gut, die Heldenhand,
Begeistert in die Flammen stieß,
Und schweigend sie verdorren ließ:
So warf er begeistert Hab und Gut
Und schweigend in der Freiheit Glut,

Daß schön der Mensch in ihrem Lichte
Gedeihe auf der schönen Erde,
Und das Jahrhundert gesehen werde
Im Angedenken der Weltgeschichte.
Zu seinen Vätern ging er hin,
So arm, so reich! — Ein schwärmender Knabe,
Ein Bettler freilich — in Deinem Sinn;
Ihn trug ein ganzes Volk zu Grabe!
Es ging im Leichenzuge mit
Gedämpften Schritts die Marseillaise.
Wer sprach? — So trugen sie Lafitte,
Den Bettler, auf den Père la Chaise.


                          4.

Sieh hin! Sieh hin! Vorüber geht
Mit morschem Hut und morscher Sohle,
Und murmelt schämig ein Gebet
Vom täglichen Brot, ein bleicher Pole!
Es bettelt ein Held! Entmarkt der Knochen,
Der mächtig des Drängers Joch zerbrochen.
Das Auge sieh, das tränenfeuchte,
Voreinst der Begeisterung flackernde Leuchte!

Zu Kerkern entwürdigt die Grüfte der Väter
Der Freund zum Zobelfang gehetzt —
Sein Gut verschleudert an feige Verräter —
So darbt er in der Fremde jetzt.
Er sieht Dich in den Säcken kramen,
Nimmt freudezitternd das Silberstück,
Und segnet Dich und Deinen Samen.
Ich aber schleudre des Bettlers Glück
Verächtlich in Deinen Beutel zurück,
In der beleidigten Menschheit Namen!


Als sie mit Sensen und kühnen Fanfaren
Freischarten gegen die Knechte des Zaren;
Als Kirchen und Klöster die Kelche des Herrn
Zu Brot und Trank und Schwertern machten;
Glückselige Bräute von Nah und Fern
Die Ketten, die Perlen, das Ringlein brachten;
Gebärende Mütter des Säuglings Kissen
Stillweinend zu Verbänden zerrissen;
Als sie zuletzt verkauft und verraten,
Mit einem zürnenden Blick nach Oben
Erschöpft in alle Welt zerstoben:
Da schlug die Uhr für Deine Taten,


Da mahnten die Geister, labend und schnell
Zu sprudeln Deinen verschlossenen Quell
In ihr verschmachtend Eingeweide.
Du hast ein Herz im Busen gespürt,
O Herr, Du tatest es gerührt —
Dem Freund im Norden nicht zu Leide.
Ach wie das Wenn, das angeschossen,
Verstohlen sich trennt von seinen Genossen,
Daß nicht die Qual der Sterbestunde
Die Lieben störe, die wohlgemutet,
Ins Dickicht keucht und an der Wunde
Mit Tränen im Auge stumm verblutet:
So zogen sie mit rührendem Schweigen
Fort aus der Völker frischem Reigen,
An düstern, unbelauschten Ecken,
Aufs letzte Lager sich hinzustrecken.


                          5.

Hast Du den eigenen Stamm befreit,
Der ewig hofft und ewig duldet?
Der lächelnd die schimpflichen Ketten verguldet,
Ein fertiger Knecht, zu tragen bereit,
Was er verschuldet und nicht verschuldet?
Vom Himmel war der Haß bescheinigt,
Mit dem ihn schwer die Erde gepeinigt.
Kein Fürst, der willig die Unnatur,
Den Schaden seines Wesens, reinigt!
Das Schicksal aber wirkt und webt
Mit zögernder Hand am Banner nur,
Das sühnend eint in später Uhr,
Was jetzt noch wild sich widerstrebt.

Sie haben ihre Geschichte begraben,
Es duften die Psalmen vergessen und wild.
Wo blüht ihr Reich? Wo glänzt ihr Schild?
Doch einen König mußten sie haben!
Sie salbten Dich in Saus und Braus,
Du ragtest über die Häupter hinaus,
Dir waren die Blicke des Volkes hold,
Denn Du besaßest — das schwerste Gold.


O hättest Du Dein Volk bedacht,
Allhier es wieder zu Ehren gebracht!
O hättest Du mit goldener Lippe
Den zinsenberechnenden Bruder gelehrt,
Wie man fürs Wohl der Welt entbehrt,
Und nicht den hungrigen Säckel beschwert
Für sich allein und seine Sippe!
Die eigene Schuld und der Väter Vermächtnis:
Die Eigenliebe, die List und den Wucher —
Du strichest sie aus in seinem Gedächtnis
Wärst Du Erlöser und nicht Versucher!
Doch mochtest Du gern Dich selber ergötzen
Vor goldenen Kälbern und silbernen Klötzen!
Wie singt es, wie klingt es jubeltönig,
Es tanzen die Knechte mit ihrem König!


                           6.

Der Großen Größter stehst Du da,
Mit Deinem beherrschenden Nein und Ja!
Doch Herr, wenn alle die hungrigen Edeln,
Die jetzt an Deiner Kette wedeln —
Weil Du sie fütterst, Dich behüten
Wenn sie, zerreißend das lästige Band,
In Deine flüchtigen Fersen wüten —
Dann suchst Du vergebens die wehrende Hand.

Ob Deine Kisten und Kasten leer,
Ob strotzend und trotzend in späten Tagen:
Es wird verschüchtert und grollend und schwer
Dein Enkel an Deinem Namen tragen.
Gespenstig wird in des Dichters Sagen
Dereinst, ein zweiter Ahasver,
Von Land zu Land Dein Schatten schweifen;
Denn, Herr, Du lachtest, Du schautest kalt
Zum Opfertod die Völker schleifen,
Halfst nicht mit Deines Armes Gewalt,
Als sie nach Dir vertrauend blickten,
Und unter dem Kreuz zusammen knickten.


                          7.

Ja feilsche nur mit Staaten und Thronen,
Befestige Deine papierenen Kronen
Bedächtig in Deinen weißen Haaren!
Wenn Du des Bürgers Mark gesogen,
Erbaue Spitäler und Synagogen,
Es wird der Herr sie segnen und wahren!
Laß dann von hundert erhandelten Leiern
Dein mildes Herz geschwätzig feiern;

Ja kaufe mit Deinen verrosteten Dreiern
Dem Frommen den billigen Himmelstrost!
Mir aber graut vor einem Erbarmen,
Das auf dem Markt mit Bettlern kost,
Und heimlich, mit unersättlichen Armen
Die Fürsten verführt und die Völker verlost;
Mir aber graut vor einem Frommen,
Der stets des eigenen Heils gedenkt,
Großmütig uns in Tropfen schenkt,
Was er mit Eimern uns genommen.


                         8.

Gab mir der Himmel eine Sonne,
Sie müßte werden des Weltalls Wonne;
Sie lockte die Blüten, sie reifte die Frucht,
Sie zwänge das Dunkel zur schleunigen Flucht;
Sie brächte Verklärung schön und groß,
Wär nicht das Lämpchen des Mitleids bloß;
Beglühte mit ihrem unsterblichen Schein
Die Lumpen des Bettlers nicht allein,
Und schämte sich, bloß Würmer und Mücken
Auf eine Stunde zu beglücken.

Du bist der Sünder nicht allein,
Ich weiß es — aber im Felsgestein,
Das goldgeschwängert, doch kalt und hart
Hinein in unser Elend starrt,
Bist Du, o Herr, die höchste Spitze,
Drum treffen Dich des Dichters Blitze!
Du saßest beredt im Lehrerstuhle,
Es lernten die Reichen in Deiner Schule;
Du mußtest sie führen ins Leben hinein,
Du konntest ihr Gewissen sein.
Sie sind verwildert — Du hast es geduldet,
Sie sind verworfen — Du hast es verschuldet.


O Schmach! der Sendung schwindelnde Größe,
Die gern die Nornen Dir bescheiden,
Zu lindern der Welt gesamte Leiden —
Zum Lappen für eines Bettlers Blöße
Mit knickernder Schere zu verschneiden!
O Schmach! zu füllen den hungrigen Schrein
Für sich und seine Kinder allein!
Weh mir, wenn ich in langer Nacht
Mit heißem Hirn es durchgedacht:
Dann starb die Jugend in meinem Busen,
Die Musen flohen — ich sah Medusen.
Dann hob sich bäumend meine Locke,
Mir war's, als riß ich an Gott Herzen,
Ein Glöckner an der Feuerglocke,
In jener Stunde der wildesten Schmerzen,
Als hätten die Geister der Geschichte


Geheimnisvoll mir anvertraut
Das Losungswort zum Weltgerichte —
Ich darf's nicht sagen, noch leise noch laut;
Kaum darf ich in meinen Träumen lallen,
Auf schweigenden Kissen des Sängers Fluch:
"Weh euch! weh euch! ihr stolzen Hallen!"
Doch einst im modernden Leichentuch
Wird wonnig schaudern mein Gerippe,
Wenn nieder zu mir die Kunde taucht,
Daß auf den Altären das Opfer raucht.
Nimm diesen Kelch, o Herr, und nippe,
Und mundet er bitter, dann wisse nur:
Es ist der Schaum, der von der Lippe
Der hingeschlachteten Menschen fuhr;
Es ist die Träne der Angst und des Krampfes,
Es ist der Schweiß des Todeskampfes.


                           9.

Ich brachte die feurigen Kohlen getragen
Auf Deinen Scheitel. Ich weiß, es kann
Dein mächtiger Arm mich blutig schlagen.
Wie's Gott befahl, und sonder Zagen,
So sang ich offen, was ich sann.
Gern gönn ich Dir den Trost, zu sagen:
Ich sänge nur der Armut Klagen,
Dieweil ich selbst — ein armer Mann.

Lies, Lies! in diesem Buch der Lieder,
Warum mein Herz sich abgegrämt.
Mir wars, als hätt ich die giftige Hyder,
Indem ich sang, mit Milch gezähmt.
Mag's wie Lawinen und Wasserfälle
Allmächtig durch die Stille toben,
Wie Aar und Gemse die Freiheit loben,
Und starren wie des Gletschers Wälle,
Wie Alpenglühen zum Himmel brennen,
Verbürgend ein herrlich Morgenrot,
Und gastlich, gleich der Hütte des Sennen,
Sich öffnen dem müden Kind der Not;
Gleich üppigen Matten und kühlendem Born,
Die Seelen erquicken im schwülen Brande,
Wie Herdenglocken und Alpenhorn
Das Herz vermählen dem Vaterlande:


Denn auf den Alpen empfand ich die Wehen
Des Lieds, das mir im Geist erwachte,
Als ich die Gesundheit der Erde gesehen,
Und ihrer hinsiechenden Menschen gedachte.
Frei ist's und stolz, es darf Dich meistern,
Dir sagen, worauf es gläubig schwört:
Daß Dir und Deinen Lügengeistern,
O Herr, die Zukunft nicht gehört!
Der Glanz, der prahlend Dich umlichtet,
Ist nur ein sterbend Abendrot.
Beherrsche die Sklaven mit Deinem Gebot —
Die Freien haben Dich gerichtet.


O, streutet Ihr den goldnen Segen!

O, streutet Ihr den goldnen Segen,
Dem Dürftigen den Grund zu legen,
Darauf er bauen kann,
Und sprächet: "Nimm des Freundes Gabe,
Bis Dir der Fleiß ein sichres Habe
Für Weib und Kind gewann!
Nimm, daß Du Dir den Frieden gönnest,
Nimm, daß Du gut verbleiben könnest,
Ein Bürger und ein Mann!"

Ihr kauft die Kräuter, kauft die Gräser
Für Euern kranken Bologneser,
Und pflegt den Liebling mild;
Ihr gebt Schabracken Euern Rossen,
Deckt weit und breit mit seinen Schlossen
Der Winter das Gefild!
Euch rührt das Würmlein auf der Erde,
Doch nicht mit flehender Gebärde
Ein trostlos Menschenbild!


Warum sind wir arm?

Ihr sitzet, im Glanz und in Ehren geboren,
Und spielt mit Dukaten und Louisdoren;
Wir scheuern die Wappen an Euern Toren
In Hunger und in Harm.
             In Hunger und in Harm.

Wir werben um Ketten und nennens Erwerben.
Ha, trinkt und schlagt die Gläser in Scherben!
Ha, laßt uns sterben und laßt uns verderben —
Denn — w a r u m  s i n d  wir arm?
             Denn — w a r u m  s i n d  wir arm?

Ihr Seligen könnt Euch pflegen und mästen.
Wir spähen für Euch nach Kohlen und Ästen,
Wir frieren und hacken vor Euern Palästen,
Doch Euch ist wohl und warm.
             Doch Euch ist wohl und warm.

Ihr habet Orden und Ämter und Pfründen.
Wir leben um Euer Lob zu verkünden,
Wir schmeicheln Euern Launen und Sünden,
Denn — w a r u m  s i n d  wir arm?
             Denn — w a r u m  s i n d  wir arm?

Wenn unsere Töchter ums Glück sich raufen,
Euch in die lüsternen Arme zu laufen,
Wenn die Mütter die eigne Brut verkaufen,
Daß Gott, daß Gott erbarm, —
             Daß Gott, daß Gott erbarm: —

Dann fürchtet nimmer der Väter Rache,
Verloren und faul ist unsere Sache.
Schlagt auf die weithin schallende Lache!
Denn — w a r u m  s i n d  wir arm?
             Denn — w a r u m  s i n d  wir arm?

Wir sinds; dafür ein Fluch den Alten,
Die uns gelehrt die Hände falten:
Wer nur den lieben Gott läßt walten,
Der ist erlöst von Harm.
             Der ist erlöst von Harm.

Wir borgen und sorgen, Ihr häufet die Gulden,
Wir füllen die Kirchen und beten und dulden.
Dies Dulden ist unser unendlich Verschulden,
Und — d a r u m  s i n d  wir arm.
             Und — d a r u m  s i n d  wir arm.

 
Knecht und Magd

Es lüstete nicht den Verwaisten, den Ball in die Lüfte zu schlagen,
Ach, war er doch selber ein Ball, vom Sturme des Schicksals getragen;
Er fing die Vögelein nicht, die sorgend im Laube nisten,
Er spähte, wie sie; nach Körnern umher, sein Leben zu fristen.

Er schleppte die Stufen hinan die Körbe, mit Scheiten belastet,
Den Eimer, mit Wasser gefüllt, und hat erst am Abend gerastet,
Hat frierend den müßigen Hund ums bergende Lager beneidet,
Das spinnende Kätzlein, das Gott mit wärmendem Felle bekleidet.

Er reifte heran, es ward sein Geschick, sich im Dienste zu plagen,
Im farbigen Kleid ein farbiges Elend im Leben zu tragen,
Zu lächeln im Leid, zu füttern den Hund, zu satteln den Schecken,
Ein Blümlein der Sünde zu Nacht an die Brust des Gebieters zu stecken.

Er dachte mit redlichem Sinn, sein wonniges Liebchen zu heuern;
Sie hatte nicht Hände wie Samt, sie hatte die Dielen zu scheuern,
Es floß statt des würzigen Öls der Rauch in die wallenden Locken,
Die zarte Sohle, wie schien sie so plump in den bauschigen Socken.

Ihr Bildnis sandte sie nicht, noch Briefe mit güldenem Rändchen;
Er schenkte kein Ringlein ihr und brachte kein girrendes Ständchen;
Sie sahen sich spärlich, sie blieben getrennt in der Jugend Tagen,
Im rauschenden Lenz, wann die Lerchen der Brust am lautesten schlagen.

Sie alterten rasch, doch jugendlich blieb ihr gläubig Vertrauen,
Ihr Hoffen, es war wie die Blümchen im Korn, die schönen, die blauen;
Und hast Du tagüber gepflückt — Du schaust am künftigen Morgen
Ein letztes, ein eheletztes, ein allerletztes verborgen.

Ach nur im Traume schien's den gottgefälligen Seelen,
Als müßten sie dienen nicht mehr, als dürften sie selber befehlen;
Ihm war's, ob ein Bürger vor ihm den Hut in Demut gerücket
Und freundlich Herr ihn genannt und tief vor ihm sich gebücket.

Und als sie gespart und zusammengescharrt die Kreuzer und Gulden,
Und als sie der Priester getraut nach jahrelangem Gedulden,
Da kauft sie die Spindel, den Flachs, um schneeiges Linnen zu spinnen,
Da kauft er die Hütte, mit Röhricht gedeckt, und sie wohnten darinnen.

Sie starrten ins züngelnde Licht, die Alten, die Endlichvereinten;
Es war nicht die Wonne der Liebe, daß sie nun lachten und weinten:
Das war ja vorüber, sie waren getrennt in der Jugend Tagen,
Im rauschenden Lenz, wann die Lerchen der Brust am lautesten schlagen.

Sich küssen? sie täten es schämig! Sich necken? sie täten es leise!
Ach, Blumen waren es wohl, doch waren es Blumen im Eise;
Ein Tanz auf Krücken, o Gott! ein armer verspäteter Falter,
Der halb ein blühendes Kind und halb ein verwelkender Alter.

Es ist nicht Wonne der Liebe, daß sie nun jauchzen und beben,
Nein! nur daß am eigenen Herd die eigenen Pfühle sich heben;
Nur Gott ist ihr Herr, der die Sterne beruft, zu leuchten, wenns nachtet,
Den Knecht, der die Kette zerbricht, mit seligem Auge betrachtet.


Der Trödeljude

Rasch aus dem Bett! Den alten Kummer
Entbietet Dir das junge Licht.
Inbrünstig drehst Du gegen Morgen
Dein abgewelktes Angesicht.
Kaum gönnst Du Dir des Brotes Rinde,
Und schlichtest kaum Dein kraus Gelock;
Dann greifst Du nach dem bunten Trödel,
Es bringt Dein Weib Dir Hut und Stock.

Es feilscht Dein Freund an dieser Türe,
Du wandelst in das nächste Haus,
Blickst schlau hinauf nach allen Fenstern,
Verächtlich sieht die Magd heraus.
Die Treppen auf, die Treppen nieder,
Der Köter bellt auf Schritt und Tritt;
Roh lacht das Volk. Du stehst und lächelst,
O, Mann, vielleicht noch selber mit!

Froh klapperst Du mit Deiner Münze,
Dich reizt das Brüssler Spitzenband,
Der Ring, das Bild, der alte Degen,
Die Pendeluhr, das Pelzgewand.
Du greifst in Bangen und Verlangen
Nach jenem blanken Kruzifix,
Verbirgst es vor den frommen Brüdern,
Und siehst es an verstohlnen Blicks.

Die Straßen auf, die Straßen nieder!
Die Knochen matt, die Stirne heiß!
Die Woche flieht, die Woche bietet
Nur fünf der Tage Deinem Fleiß.
O, spute Dich, Du Atemloser,
Wirb, wirb um Deinen Tagelohn.
Am Samstag will es nicht der Vater,
Am Sonntag will es nicht der Sohn.

Des Abends kehrst Du still nach Hause,
Es sieht Dein Weib Dich fragend an.
Du schweigst, sie geht hinaus und weinet,
Und liebt Dich um so wärmer dann.
Sie reicht Dir lächelnd Salz und Brote,
Sie bringt ihr schönstes Kind herein,
Es fallt Dich an mit hundert Küssen,
Und forscht in allen Taschen Dein.

Du suchst den weichsten Pfuhl dem Knaben,
Ein kurz Gebet, da schläft er schon.
Du aber sprichst: "Ich will Dich wahren,
So lang ich bin, geliebter Sohn.
Doch, wenn ich ging zu meinen Vätern,
Wenn Du verarmt und schwer gebeugt,
Ach, wirst Du nicht den Eltern suchen,
Die Dich geboren und gezeugt?"

"Ein jüdisch Kind — auf deutscher Erde —
Ich trug es kaum, Du trägst es nie.
Du willst des Christen Herz gewinnen,
Und sinnst und strebst und weißt nicht wie.
Er grollet, nicht um Jesu willen,
Er grollet, bis Dein Atem stirbt, —
Weil Deine Hand um Gold und Güter
Geschwinder und beglückter wirbt."

"Du mußt ja schaffen, mußt erraffen,
In steter Gier nach Gut und Geld;
Sie gönnen Dir kein Handgewerke,
Sie gönnen Dir kein Ackerfeld.
Du darfst ja nicht zur Jugend sprechen
Von eines Lehrers hohem Pfühl;
Kein Sternchen scheint dem wackern Busen,
Der sich bewährt im Kampfgewühl."

"Du bist kein Mann in Amt und Würden,
Dein Eid ist matt, Dein Herz ist lau;
Doch Gold, o Kind, das darfst Du geben
Für einen frommen Kirchenbau.
Du darfst im Land die Kranken heilen,
Den Bettlern reichen Brot und Wein,
Und darfst wie ich und Deine Brüder
Ein schlechter Trödeljude sein."

"Du bist zu schwach, um Holz zu spalten,
Doch ehrlich bleibst Du fort und fort;
Ach, willst Du nach der Ferne schweifen?
Ein Laut verrät Dich hier und dort.
Wirst Du die Heimat lassen können?
Dein hochbetagtes Mütterlein?
Wer wird nach Jahren einst begraben
Zu mir ihr heiliges Gebein?"

Er sucht erschöpft das traute Lager,
Ein kurz Gebet, da schläft er schon.
Er spricht im Traum: "Ich will Dich wahren,
So lang ich bin, geliebter Sohn;
Doch, wenn ich ging zu meinen Vätern,
Wenn Du verarmt und schwer gebeugt,
Ach, wirst Du nicht den Eltern fluchen,
Die Dich geboren und gezeugt?"

Der Tag beginnt! den alten Kummer
Entbietet ihm das junge Licht.
Inbrünstig dreht er gegen Morgen
Sein abgewelktes Angesicht.
Er schlichtet kaum die krausen Locken,
Er gönnt sich kaum den kargen Schmaus.
Es feilscht sein Freund an dieser Türe,
Er wandelt in das nächste Haus.


Loreley

Dich sah zu seinem Untergange
Der Mensch in seinem Forscherdrange,
O Gold! und gab dich frank;
Du teiltest des Geschickes Ruder
Mit deinem weißen, frechen Bruder,
Da ward die Erde krank;
Da trat in des Gemütes Reinheit
Mit breiten Wogen die Gemeinheit,
Und jedes Heil ertrank.

Zu Führern durch das dunkle Leben
Hat Engel uns der Herr gegeben,
Wie schien die Welt so klar!
O, welchen hast du nicht geworben,
Verführt, bestochen und verdorben,
Bis er gefallen war?
Es gab für deine großen Lose
Die Unschuld ihre weiße Rose
Aus dem gesalbten Haar.

Es läßt der stolze Ruhm sich locken,
Und willig zieht er seine Glocken
Für Seelen klein und kalt;
Es legt der Mut die Löwenmähne,
Sein Mark zerfließt zur feigen Träne,
Wenn dein Gesang erschallt.
Er schallt und zieht die Menschen nieder,
Ach, wie der Loreley süße Lieder
Mit schmeichelnder Gewalt.

Sie ging in Schönheit vor dem Volke,
Wie einst Jehovas Feuerwolke,
Durch Nacht und Sturm, die Kunst!
Nun baut sie für des Prassers Lüste
Aus Marmor prahlende Gerüste;
Du läßt um Fürstengunst
Die Hohe Bettellieder schreiben,
Und läßt sie ihre Farben reiben,
Für schwüle Kirchenbrunst.

Du hast berauscht die holde Minne,
Hast ihr verwirrt die jungen Sinne,
Die Freunde kennt sie kaum:
Die Nachtigall, den Mai, die Rosen,
Den Mond, das Flüstern und das Kosen,
Das Ständchen und den Traum;
Sie späht nach Talern, nach Juwelen,
Nach Herzen nicht und gleichen Seelen,
Und eines Hüttleins Raum.

Von dir verblendet harrt der Erbe,
Daß der betagte Vater sterbe,
Und flucht der Mutter roh.
Das Recht? Es dienet überwunden.
Die Treue? Sucht sie bei den Hunden!
O mit dir sündigt froh,
Wen lockend deine Gunst bescheinet;
Und für dich sündigt, rennt und weinet,
Wen deine Liebe floh.

Fahr hin, fahr hin, du schlechter Klumpen,
Ich spotte dein, ein Mann in Lumpen,
Der mit dem Elend ficht.
Ja wär ich Herr von Gottes Gnaden,
Mit Macht und Majestät beladen —
Ich ließ mein Wappen nicht
Mit nimmermüden Hammerschlägen
Auf deine freche Stirne prägen,
Mein ehrlich Angesicht.


Trommellied

1.
Es ziehn die Soldaten von Ferne her,
Es flattern die Fahnen, es blinkt das Gewehr.
Es rasseln die Karren mit plumpen Geschützen,
Mit grünenden Reisern prangen die Mützen.
Es zügelt der Reiter das bäumende Tier,
Nach dem Takte steigt der Grenadier:
       Trarum, Trarum, Trarum.

2.
Die Fenster öffnen sich allesamt,
Der Bettler vergißt sein trauriges Amt;
Da feiert die Axt, da stürzt aus der Bude
Die Feder hinter dem Ohre der Jude;
Hochbusige Amme und drängst du dich vor,
Zu grüßen den liebsten Tambourmajor?
       Trarum, Trarum, Trarum.

3.
Das Herz des Knaben wird weit und warm,
Er rücket die Mütze, er reckt den Arm;
Ausrauschen vor ihm mit unsterblichen Adern
Die Helden Homers mit stolzen Geschwadern.
Ha schmettre, Trompete, ha wirble fort
Tambour, bis dir die Hand verdorrt:
       Trarum, Trarum, Trarum.

4.
Verwünschend das morsche Schilderhaus
Ruft die Wacht ihr donnernd: Gewehr heraus!
Muß stille stehen, muß präsentieren,
Indes die Gefährten ins Lager marschieren.
Und willenlos nach dem Takte wallt,
Durch Gassen und Straßen Jung und Alt,
       Trarum, Trarum, Trarum.

5.
Ihr tapfern Soldaten, was bringt ihr herbei?
O brächtet ihr Brot statt Pulver und Blei!
Es wandeln die Reichen in Samt und Seide,
Uns mangelt ein Hemd, das die Blößen bekleide!
Du Schütze, du spannst ja nicht den Hahn?
Du wirbelst ja leiser mein Rataplan,
       Trarum, Trarum, Trarum.

6.
Nicht wahr, ihr erkanntet den Jammer sogleich
Auf unsern Gesichtern morsch und bleich?
Ihr füllt nicht die Büchsen; ihr füllet die Herzen
Mit unsern himmelschreienden Schmerzen;
Ihr rücket mit uns in Reih und Glied
Vor die trächtigen Speicher, da donnert das Lied:
       Trarum, Trarum, Trarum.

7.
Uns trug ja einer Heimat Schoß,
Euch zog ja wie uns das Elend groß.
Den Mächtigen hinter den trotzigen Mauern
Seid ihr nur Kinder von Bürgern und Bauern;
Sie spotten des Knechts, der darbt und friert,
Den des Kalbes fühllos Fell regiert:
       Trarum, Trarum, Trarum.

8.
O, laßt nicht kommen den blutigen Tag,
Da euch das Volk bekriegen mag;
Da funkelnden Blicks der verzweifelnde Haufen
Im Sturm euch kommt entgegengelaufen;
Wenn er selber den blitzenden Säbel führt,
Wenn er selber die grollende Trommel rührt:
       Trarum, Trarum, Trarum.

9.
So träumt ein Jüngling, dem's Herze brennt,
Schaut sinnend das stolze Regiment.
Geduld! Nach folgt die gaffende Menge
Gedankenlos dem Waffengepränge,
Und dröhnend predigt der Trommelschlag:
Es ist des Kaisers Namenstag!
       Trarum, Trarum, Trarum.


Der Bettler und sein Kind

"Bist schwach, verblaßt und mager,
Jüngst frisch und rot!
Kein Hemd, das Stroh verfault am Lager!
Es bellt die Not
In Deinen Eingeweiden;
Geh, tröste Dich mit Andern, Kind.
Die gar noch Dich beneiden,
Die ärmer sind."

"Die Alten und die Kranken
Sind ärmer noch.
Wir sind gesund, laß Gott uns danken.
Einst hilft er doch.
Zwar fehlt Verdienst jetzunder;
Kommt aber rauh der Herbst ins Land,
Tun Axt und Säge Wunder
In starker Hand."

"Drum bete nur um Flocken,
Um Sturm und Braus;
Doch jetzt, es rufen zwölf die Glocken,
Jetzt geh hinaus.
Auf Markt und Straßen klage
Dein bittres Los, Dein Herzeleid.
Gib klug auf jede Frage
A l s o  Bescheid:

"Die Mutter, ach, ist leider
Beraubt des Lichts.
Mein Bruder trägt des Königs Kleider,
Hat selber nichts.
Der Vater liegt im Sterben,
Die Schwester trägt den Kies zum Bau,
Ich aber muß verderben —
Helft, schöne Frau."

"Sie hilft, von Deinem Harme
Das Herz gerührt.
Dann juble nicht, daß Du die Arme
Mit List verführt.
Errötend schäm Dich dessen,
Was gnadenvoll in Jahresfrist
Der Himmel kann vergessen,
Du — nie vergißt."

"Nein, sage Dir, die Gute
In ihrer Huld
Wird nun gestraft mit herber Rute
Für fremde Schuld.
Sie büßt für hundert Reiche,
Die Dich bezahlt mit wüstem Hohn,
Von Deiner halben Leiche
Zu Festen flohn."

"Nein, bete für die Reine;
Dann — kauf mir Brot.
Ich harre Dein am Eckensteine.
Du brichst die Not.
Du sollst den Vater lieben,
Auf daß Du lebst auf Erden lang.
So steht es fromm geschrieben
Im Kirchensang."


Der Auswanderer

"Was hilfts, sich wild zu gebärden?
Was hilft des Dulders Mut?
Einst kann es besser werden,
Doch niemals wird es gut.
Es gibt der armen Narren
Zu viel an einem Ort;
Was hilft das ewige Harren?
Heraus du morscher Karren;
Mein Pferdchen, trabe fort."

"Ich mochte lieber erschießen
Das Reh in meiner Pein,
Als Menschenblut vergießen,
Als Dieb und Räuber sein.
Ich brach den Zweig vom Stamme,
Der Förster gab Rapport.
Da band der Herr mich stramme,
Und schlug mir diese Schramme —
Auf Mähre, trabe fort."

"Was hilft's die Hände zu falten?
Man schmälert uns den Lohn.
Es folgt dem harten Alten
Dereinst der harte Sohn.
Wir heizen die Maschinen,
Bis uns der Arm verdorrt.
Er sieht mit lächelnden Mienen,
Wie wir den Tod verdienen. —
Auf Roß, wir traben fort."

"Ich konnte ja nicht bescheren
Dem Pfarrer die Gebühr,
Er mußte drum verwehren
Dem Weib die Kirchhoftür.
Ich grub es in den Garten,
Bei Blumen schläft es dort;
Dort wird es ferne dem Harten,
Den jüngsten Tag erwarten. —
Mein Gaul, ach, trabe fort."

"Fort durch die sandige Strecke!
Ist dir die Last zu schwer?
Spitz, auf des Karrens Decke,
Was kläffst du nur so sehr?
Magst über Lumpen wachen,
Wie über einem Hort?
Es nimmt, o schließe den Rachen,
Kein Mensch die Siebensachen —
Mein Klepper, trabe fort."

"Von ihrem Grab ein Veigelein
Und eine Scholle Sand,
Vom Fliederstrauch ein Zweigelein,
Wo ich zuerst sie fand —
Es schützt dies Pfand der Trauer,
Wie Schwur und Ehrenwort,
Mit süßem und schmerzlichem Schauer
Mein Herz auf alle Dauer —
Marsch Schimmel, trabe fort."

"Fort! Tag und Nacht zu hantieren,
Fort durch die wilde See.
Deutschland, ich muß marschieren,
Deutschland, Du tust mir weh.
Ob Dir das Mark erfroren,
Wer sagts am fernen Port?
Ob Dir ein Heiland geboren?
O halte steif die Ohren
Mein Tier — und trabe fort."

"Du weißt um unsre Narben,
Aar Preußens, fliege zu!
Lebt wohl, schwarzweiße Farben,
Mein vierter Friedrich Du!
Du brächtest gern den Morgen
Dem Volk mit Tat und Wort;
Doch seine bedrohlichsten Sorgen
Man hat sie Dir verborgen —
Lithauer, trabe fort."

"Am Meer dort müssen wir scheiden,
Du alte, treue Haut.
Wer wird dich fürder weiden?
Wer ist mit dir vertraut?
Wen dauert dein Geschlenker,
Wenn dir der Muskel dorrt?
Wer wird dein freundlicher Lenker?
Sie schleppen dich zum Henker,
O Freund, auf ewig fort."

"Nie ließ ich dich Bürden ertragen,
Gaul, die zu schwer für dich;
Nie hab ich dich geschlagen;
Dir nur mit sanftem Strich
Die Kraft erfrischt im Blute,
Dann zogst du wacker fort.
Hätt mir zur Hälfte dies Gute
Ein Mensch getan — dann — Stute,
Siehst du die Schiffe dort?"


Stelzfuß

Los ist der Sturm — es stäuben die Flocken,
Raben umkrächzen das polnische Feld;
Drüber hinkt mit versilberten Locken
Hölzernen Beines, ein bärtiger Held.

Trotzt dem Wetter mit tapferem Nacken;
Schon vernimmt er der Hunde Gebell,
Schon verriet sich mit seinen Baracken
Dorten das Dörfchen, das blanke Kastell.

Forschend betritt er den Hof des Palastes. —
Sitzen die Knechte beisammen im Nest,
Hören das Wimmern des frierenden Gastes,
Aber sie sitzen warm und fest.

Laß das Gefletsch und das wilde Gebärden,
Laß das Geheul, du zottiger Hund;
Naht er doch nimmer mit Waffen und Pferden,
Wie der Bandit zur nächtlichen Stund.

Steht am Fenster des Schlosses Dame,
Wischt von den Scheiben den trüben Hauch,
Lächelt und winkt — da gehorchet der Lahme,
Küßt ihr die Hände nach ländlichem Brauch.

"Herb ist das Wetter, doch Trotz in den Zügen
Geht der Soldat und blindlings drein.
Gönnt mir am Ofen ein stilles Vergnügen,
Gönnt mir ein Gläschen gebrannten Wein."

"Unter den Fahnen des Erivansky
Hab ich um persischen Boden gefreit;
Gegen den donnernden Sabalkansky
Zog ich hinaus in den heiligen Streit."

"Seid Ihr verwitwet? Ist er gefallen
Groß, auf Ostrolenkas Feld?
Oder gräbt er nach schnöden Metallen
In den sibirischen Gruben, der Held?"

"Unser Einen ließen sie fahren,
Schwingend die Knute mit gnädiger Hand:
Wen beherrschte das Zepter des Zaren
Sonst, im ausgestorbenen Land?"

Und sie reicht ihm blanke Moneten,
Hemden und Sohlen und Trank und Brot.
"Will für Euch zum Himmel beten,
Herrin, Ihr handelt nach seinem Gebot!"

"Zwei der Schuhe? Für einen Knochen?"
Also lächelt in Tränen der Greis.
"Aber wird einstens die Schande gerochen,
Geb ich in Freuden den andern preis."

"Polen, mein Leben, Dein Angesichte
War noch wie der Morgen hold —
Krukowiecky, daß Gott ihn vernichte,
Hat dich zerrissen für Judasgold."

Stöhnend drückt sie die zitternden Finger
Rasch an die Lippen dem zürnenden Mann.
"Rede nicht aus, Du Schmerzensbringer,
Rede nicht aus den entsetzlichen Bann!"

"Laß ihm Erbarmen und Milde werden,
Bist ein guter katholischer Christ.
Denn ich weiß es, daß auf Erden
Er der Ärmste der Armen ist."

"Weiß es, ich hab ihn schlafen gesehen;
Weiß es, daß der verlorne Mann
Weder in Reue zum Himmel flehen,
Weder vergessen noch weinen kann;"

"Weiß es, daß Weib und Kind ihn beweinet;
Nahe von hier verkümmert sein Haus! —
Still ist der Sturm, die Sonne scheinet,
Freund, nun geh in das Weite hinaus!"

Segnend verläßt er die Beste der Guten,
Die zu vergeben dem Sünder gewußt.
Ach, verharschte Wunden bluten
Wieder von Neuem in seiner Brust.

Summend ein altes verbotenes Liedel,
Hinkt er zur Schenke — Hallo, Hollah!
Würfel rollen, es jubelt die Fidel, —
Vivat, Vivat, Polonia! —

Freudig erzählt er beim Klange der Becher
Von dem erhabenen Edelweib.
Aber zur Seite der glühendste Zecher
Hebt sich und zittert am ganzen Leib:

"Weißt Du, wer die verherrlichte Dame?
Bring ihr ein Hoch und stirb daran!
Krukowiecka, ist ihr Name,
Schurken und Schergen stoßen mit an."

Still ist's. Die Lippen des Kriegsmanns beben:
"Wär ich verhungert in meiner Not!
Nimmer kann ich es mir vergeben,
Daß ich genossen unehrliches Brot. —"

Was ihm das Weib des Verräters geschenket,
Klingendes Silber, das Hemd und den Schuh,
Schweigend wirft er es fort und schwenket
Rechts um — weiterem Elend zu.


Die Kartoffel

          Heilig Brot!
Das du kamst für unsre Not,
Das du kamst um Himmels Willen
In die Welt, das Volk zu stillen —
          Fahre wohl, du bist nun tot. —

          Ach, es läßt,
Das Geschick den kleinen Rest,
Der aus Eden uns geblieben,
Kalt in seiner Hand zerstieben —
          Unter Engeln tobt die Pest.

          Armer Mann!
Gehe hin, leg Trauer an.
Völlig bist du nun gerichtet,
Ach dein Letztes ist vernichtet. —
          Weine, wer noch weinen kann.

          Tot im Sand
Liegt dein Gott, du trauernd Land.
Laß jedoch den Trost dir sagen:
Kein Erlöser ward erschlagen,
          Der nicht wieder auferstand!


Auch eine Dorfgeschichte

1.
Es war einmal
Ein stolzer, unbändiger Schotte.
Er wußte von keinem Gotte.
Stets trug er im Gurt den geschliffenen Stahl.
Es zitterten die Kinder
Wie vor dem rußigen Essenmann,
Keins sah er freundlich an.
Die Männer fürchteten ihn nicht minder.

Er trieb die Pächter von Hof und Haus,
Er trieb die Bauern zur Frone hinaus.
Sie mussten zum Bau die Steine tragen,
Sie mussten das Holz in den Wäldern schlagen,
Sein Rösslein in die Schwemme reiten,
Den Teich in seinen Garten leiten,
Sie mussten zur Jagd auf Sechzehnender —
Er strich den Sonntag in ihrem Kalender.
Hieb lustig drein mit dem Haselstock;
Auf Bettler ließ er den Köter hetzen,
Und ließ in den schimpflichen Block
Die atemlosen Mägde setzen.

Es gießt der Regen, es sticht die Sonne,
Sie schmachten im Block. O, Wonne!
Beschnüffelt von müßigen Hunden,
Geknebelt und gebunden,
Auf offenem Markt zu liegen;
Mit nassem Blick zu schauen,
Wie hoch im Blauen
Die freigeborenen Lerchen fliegen. —
Es geht der Morgen, es kommt der Abend,
Sie sitzen und schmachten.
Weh, weh den Müttern, die heimlich und labend
Ein Brötchen in der Schürze brachten!
Geschmückte Dirnen ziehen vorbei,
Bekannte, Verwandte,
Der liebe Musikante
Mit füßebeschwingender Melodei.

Was steht ihr gaffend und spottet und lacht?
Heute Mir,
Morgen Dir.
Ihr kennt den Spruch. Habt Acht, habt Acht!
Es fragen sich die Bauern:
Soll ewig dieses Elend dauern?
Ja, spricht ein alter Mann:
Denn Schierling muß Schierling bleiben;
Denn niemals kann
Ein faulend Herz in die Höhe treiben.

2.
Der Edelmann, der hatte
Ein Töchterlein, ein Gotteswunder.
Stets ward sie schöner und gesunder.
Wer ist ihr Buhle? Wer wird ihr Gatte?
Schwarz war ihr Gelock wie des Vaters Seele,
Sie sprach wie Philomele.
Ihr Auge war rasch und braun wie das Reh,
Die Hand wie frisch gefallener Schnee.

Habt Acht, ihr liebberauschten Bübchen
Vor ihrem gefährlichen Wangengrübchen!
Ja, steht sie da, so leicht und hell,
Dann wähnet ihr, es müßten schnell
Zwei glänzende Schwingen
Aus ihrer weißen Schulter springen;
Sie müßte, gleich den Engeln, sich heben,
Und auf in die goldenen Wolken schweben.

Es folgte dem schönen Heute
Der schönere Morgen.
Sie war so mild, doch blieb ihr verborgen
Das wüste Weh der armen Leute.
Die glücklichen Tauben, die ohne Sorgen
Ihr Mahl und ihre Zelle haben,
Sie fassen nicht die Angst der Raben,
Die heimatlos ihr Futter suchen.
Wer will darob der Einfalt fluchen? —
"Euch fehlt das Brot? Dann speiset Kuchen!"
So sprach sie harmlos und gerührt.
Und wenn das beschenkte Bettelkind
Ihr Händchen an seine Lippe geführt,
Da sprach die Amme geschwind:
"Verwöhnet nicht das falsche Gesind.
Fort, fort, ins Kämmerlein,
Mit Seifen und Salben, frisch und rein
Die Finger zu säubern,
Entwürdigt von diesem Volk von Räubern."

3.
Es lebte schlecht und recht
Zwei Meilen vom Schloß, ein gräflich Geschlecht.
Die Väter waren sich hold,
Gleich wogen die Ahnen und das Gold —
Nun mußten sich wohl die Kinder lieben!
Vertraute Zeilen wurden geschrieben,
Stets waren die Boten auf der Reise.
Man sann auf süße Gedichte.
Die zärtlichen Vergißmeinnichte
Die Veilchen und Rosen stiegen im Preise.

Der Hochzeitsabend war gekommen,
Von Fackeln war das Schloß beschienen.
Es gingen die Knechte mit wichtigen Mienen,
Sie hatten ihr festlich Kleid genommen.
Es mußte das älteste Faß sich verbluten;
Es klirrten die Teller und lustig knatterten
Auf allen Herden die Gluten;
Die Hühner und Enten flatterten,
Und ahnten die nahe Sterbestunde.
Man futterte doppelt die gierigen Hunde,
Vergessen wurden die täglichen Hiebe;
Man fütterte doppelt das Kalb und die Kuh,
Man drückte mit christlicher Liebe,
In Gott vergnügt, die Augen zu,
Wenn um den süßen Brei
Das Kätzlein schlich, in Diebesgelüst.

Die Bauern aber? Nun, da ihrs wissen müßt
Sie durften dreimal mit Jubelgeschrei
Ein Lebehoch dem Pärchen rufen,
Und kauern an des Schlosses Stufen.

Spiel auf Musikant!
Was hast du Neues gelernt? —

4.
Das Alter bebändert und besternt,
Es trinkt und mischt die Karten gespannt.
In Lügen überfließt
Ein Herrchen von seiner großen Reise,
Im gläubigen Damenkreise.
Man kühlt das Entzücken mit leckerem Eise.
Hin an den Flügel schießt
Ein bleiches Kind, in Ruhmes Nöten
Ein neuestes Lied zu flöten: —
Da donnert die Axt
Mit Macht, mit Macht;
Es bellt der Hund,
Die Türe kracht.
Der Tänzer starrt,
Die Fidel ist stumm;
Es geht die Furcht
Mit großen Schritten im Saal herum.

Hui, fliegen die Knechte hinaus!
Es steht kein Räuber vor dem Haus.
Schaut auf, ein riesiger Zettel
Ist fest ans schwarze Tor genagelt.
Da ruft der Herr: Gebt her den Bettel!
Und ein Gewitter hagelt
Von seiner schäumenden Lippe nieder.
Und er liest und es lesen die Gäste wieder:

"Du mußt sterben, Du mußt sterben!
Deine Tage sind gezählt.
Uns und unsers Elends Erben
Hast Du unerhört gequält.
Bleiben darf es nicht beim Alten,
Und wir müssen ins Gericht;
Selber müssen wir uns halten,
Selber unser Heil verwalten —
Denn der Himmel tut es nicht.
Früh und spät mit straffen Sehnen
Wird der Rächer Dich umschleichen.
Fasse diesen, fasse jenen —
Einer wird Dich doch erreichen!

Ausschlägt der Herr die gellende Lache,
Doch bleibt es still im stillen Gemache;
Doch mögen nicht zum Sausen der Pfropfen,
Zum Ruf der Hörner und Trompeten
Lebendig wie sonst die Herzen klopfen —
Sie möchten beten, beten!
Die Luft wird nimmer frisch und gesund,
Das Rot ist fliegend auf ihren Wangen.
Die Säle veröden zur zwölften Stund,
Die Gäste schieden in Angst und Bangen.

5.
Streng läßt der Herr behüten das Haus,
Er sieht zu keinem Fenster hinaus.
Findt keinen Trost bei seinem Kinde,
Und wittert Verrat bei seinem Gesinde.
Es darf nicht sprechen geheim und leise,
Vorkosten muß es von jeder Speise,
Und muß mit unerschrocknen Lippen
Von jedem Becher nippen.
Er stöbert des Abends in allen Ecken,
Forscht unter dem Bett mit prüfender Hand;
Läßt vor sein Lager die Hunde sich strecken,
Es schimmern die Waffen an jeder Wand.

Es schläft in den Kleidern der Dienertroß.
Licht muß es sein im ganzen Schloß.
Und wenn er des Morgens erwacht
In seinen marmorgetäfelten Räumen —
Hat er die lange, lange Nacht
Gekriegt mit seinen gespenstigen Träumen.
Er traut dem treuen Arzte nicht;
Mißt ängstlich den alten Herrn,
Den Pfarrer des Dorfs, der Abends gern
Und viel den Lauf der Welt bespricht;
Das Schachbrett stellt, sich schlagen läßt;
Die heisere Kehle
Mit edlem Franzwein näßt,
Die sanfte, gottesfürchtige Seele.

Und reitet er aus dem Haus
In seine Gärten und Felder hinaus —
Da reiten die Knechte vorn und hinten
Mit Säbeln und Flinten. —
Es kommen und gehen die Wochen.
Es rührt sich Nichts in seinem Kastell.
Es kommt kein wilder Gesell
Aus finsterem Busch hervorgekrochen.
Es zeigen die Bauern den willigsten Eifer,
Sie tragen im Nacken den Kopf nicht steifer,
Sie springen und singen, sie scherzen
So recht aus kindlichem Herzen —
Da schilt er sich lächelnd einen Toren,
Läßt aus der Seele die Sorgen fahren,
Und ist mit grau gewordenen Haaren
Wie neu geboren.
Nun will er genießen des Lebens Reste,
Und wiederum gibt es Jagden und Feste.

6.
Eines Morgens wird ihm die Kunde
Aus eines Briefleins Munde:
Es sei das ferne Töchterlein
Des lieblichsten Knaben genesen.
Es zittern die Hände sein,
Kaum können die nassen Augen lesen.
Vorfährt vierspännig der Wagen,
Er soll ihn rasch zur Tochter tragen.
Er hat zum ersten Mal geweint. —
Die Luft ist so frisch. Die Sonne scheint
So warm und schön.
Im Dorfe hallt der Glocken Getön.
Der Sonntag war gekommen
Für alle Bösen und alle Frommen.

Fort braust das Gespann. Ein treuer Knecht
Begleitet ihn die kurze Reise.
Es grüßen die Kinder, es grüßen die Greise.
Er lächelt und dankt. Man wundert sich recht.
Dort, wo die letzten Häuser stehen,
Dort läßt er träger die Rosse gehen.
Ein Mütterchen sitzt in der Schwelle,
Und schält den Apfel mit welker Hand;
Ach, ihre Tränen fließen helle
Und heiß herunter in den Sand.

"Was weinst Du so bitter am frühen Morgen?" —
"Ich weine des Morgens und weine zu Nacht.
Still trug ich die Not, still trug ich die Sorgen
Nun bin ich um das Letzte gebracht.
Mein süßer Enkel mit goldenem Haar,
Drin liegt er auf der Totenbahr.
Der Mutter ist er nachgegangen,
Sie ruhen im Himmel und freuen sich Beide.
Ich aber bin allein im Leide.
Wann, Ewiger, willst Du mich verlangen?"

Er folgt ihr ins enge Kämmerlein,
Dort liegt der schöne Bub im Schrein;
Dort liegt er im weißen Gewand,
Hat Blumen in der Hand.
Ein Lächeln vergaß sich auf seinem Munde,
Er freute sich der letzten Stunde.
Die Alte bedeckt ihn mit Tränen und Küssen,
Sie betet ein Vater Unser leise.
Da schauert die Seele dem Greise. —
Zum ersten Mal hat er beten müssen.