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Nesseln
 

Goldschnittlyrik
Im Frühling
Auf Ruinen
Mene – Tekel!
La Comtesse
Mutterliebe
Belle Helène!
Parvenü

 


Letzte Lieder
 


Goldschnittlyrik


Hübsch gelassen und hübsch zahm
Und der Sitte hübsch gehuldigt,
Die um jedes wahre Wort
Sich zehntausendmal entschuldigt!
Ist der Pegasus auch lahm,
Und gehörnt, anstatt geflügelt,
Trabt er hübsch solid doch fort,
Galoppiert nie — ungezügelt!

Im Frühling

Soll ich Euch singen das alte Lied
Von Jugend, Frühling und Rosen?
Soll ich Euch schildern mit süßem Wort
Das Sprießen, Knospen und Kosen?
Ihr höret, sehet und fühlt es nicht,
Wenn Dichter auch rührend leiern,
Daß wieder einmal die Wiese grünt,
Die Winterstürme nun feiern.
Als Gottesfriede und Frühlingsluft
Durch alle Welten gezogen,
Habt Ihr, wie am schmutzigsten Wintertag,
Geschachert doch nur und betrogen!

Auf Ruinen

Heißa lustig! denn das Bersten,
Rieseln, Säuseln hört Ihr nicht,
Höret nicht das leise Knistern,
Das doch so verderblich spricht.

Wenn auch morsch die alten Säulen,
Faul der Boden, trüb' das Licht,
Wenn auch das Parfum der Fäulnis
Prickelnd in die Nase sticht.

Heißa lustig! — auf Ruinen
Lacht und tanzt Ihr hochgeschürzt —
Ei was tut es, wenn der Plunder
Auch samt Euch zusammenstürzt!

Mene — Tekel!

Sitt'ge Mienen, weiße Schminke,
Greller Diamantenglanz,
Halbverhüllte üpp'ge Glieder
Und ein vornehm-freier Tanz.

Tief gesenkte keusche Augen,
Auf den Lippen lockern Scherz
Und französisch-seichte Phrasen,
In der Brust ein leeres Herz;

Schlaffe Züge, welke Lippen,
Näselnd, läppisch-träger Ton,
Pferd und Hunde ihre ganze
Wissenschaft und Passion!

Und das lebt so geistverachtend,
Selbstgenügend, sorglos hin,
Flammt auch auf den gold'nen Wänden:
Mene – Tekel – Upharsin!

La Comtesse

Sie kniet mit verschleiertem Antlitz
In der Kirche am Altar,
Erzählt dem geduld'gen Herrgott,
Wie tugendhaft sie war:
Für seine Krieger gesammelt
Hat sie an der Kirchentür,
Manch' schlanken Jüngling geworben —
Und wirbt noch für und für.

Mutterliebe

Wie bist Du blühend schön und hold,
Die Augen blau, die Flechten gold,
Dein weiches, liebliches Gesicht
Ein frommes, rührendes Gedicht!

Wie bist Du keusch und engelrein,
Gleich einem milden Strahlenschein;
Der Unschuld Zauber Dich umfließt,
Dein ganzes Wesen übergießt. . . . .

Schau' ich dich wieder über's Jahr,
Bist Du des süßen Zaubers bar —
Heut' zählt ja Deine Mutter schon
Für Zukunftsschmach erfeilschten Lohn!

Belle Helène!

Belle Helène! belle Helène!
Altberühmte Griechen-Schöne,
Dich bewundern uns're Väter,
Dich verehren uns're Söhne!
Die entblößende Gewandung,
Sie begeistert unsere Schönen,
Unten kurz und oben kürzer —
Wer wird nicht der Mode fröhnen?!
Unsere Frauen, unsere Töchter
Freuen sich der Menelause,
Und die Paris-Studien treiben
Sie sans-gène im eig'nen Hause!

Parvenü

Forschest Du nach seinem Glauben:
Klimpert er mit den Dukaten,
Fragst Du ihn nach seinem Namen:
Wird er nach dem Deinen raten.

Stiefelknarrend — Hüftenwiegend
Zeigt die Säle er, die großen,
Und erregt von Zukunftsplänen,
Schleppt er Dich zu seinen Sprossen. —

Klein und schmutzig sind die Jungen,
Grob und protzig, gleich den Alten,
Um die großen krummen Nasen
Zieh'n sie pfiffig-dumme Falten. —

Sprichst Du auch von seinen Freunden
Oder seinen Anverwandten,
Zeigt er nach den Bilderschätzen, —
Prahlt mit fürstlichen Bekannten.

Suchst Du mit poet'schen Worten
Ihm die Seele zu bewegen:
Starrt aus seinen trock'nen Zügen
Dir das gold'ne — Kalb entgegen!

 
Letzte Lieder

I.
Schwarz und still in meinem Hirn,
Schwarz und still in meiner Stube,
Nur der Pendel meiner Uhr
Hüpfet wie ein munt'rer Bube.
Plötzlich zuckt auf Deinem Bild,
Farblos, wie auf einem Grabe —
Ein verirrter Mondenstrahl,
Mahnt, daß ich noch Tränen habe.

II.
Ist es Friede, ist es Glück,
Was durch meine Träume zieht,
Unsichtbar, wie Blumenduft,
Leise, wie ein Kindeslied?

Kehrt die Jugend mir zurück,
Jene Sehnsucht, die mich mied,
Seit des Lebens kalte Luft
Mich und meine Seele schied?

III.
Durch die dicht verhängten Fenster
Dringt das dumpfe Wagenrollen,
Und verscheucht die Nachtgespenster,
Die im Traum mir nahen wollen.

Aber rauschend durch mein Zimmer
Wogt ein Meer von wirren Tönen,
Und aus all' dem Schmerzgewimmer
Hör' ich meine Seele stöhnen!

Hör' ich meine Seele weinen —
Nicht um dieses Leibes Sterben —
Doch es bangt ihr vor dem kleinen,
Müden, einsamen Verderben.

IV.
Über meinem Lager hängt,
Welk, bestaubt und abgestorben,
Ein beflorter Lorbeerkranz
Neben Myrthen, längst verdorben.

Und in meinem Fiebertraum
Schaute ich sie wieder blühen –
Und mich selber jugendfreudig
Unter ihrem Duft erglühen.

Aber ach, das Fieber schwand.
Welk, so wie mein eig'nes Leben,
Schaue ich die Kränze dort
Nur an dünnen Fäden schweben.

V.
Der alte Kampf ist ausgekämpft;
Weit hinter mir liegt jede Qual,
Es fiel in meines Lebens Frost
Der erste warme Sonnenstrahl.

Weit hinter mir liegt Groll und Leid
Durch milde Tränen aufgetaut.
Mein Auge hat zum ersten Mal
Die Wahrheit und das Glück geschaut.

VI.
Leg' auf mein Haupt, so fieberheiß,
Die kühle weiche Hand,
Mein brennend Antlitz wende leis'
Und sachte hin zur Wand;

Es ist so schwer mein Augenlied
Daß ich's nicht heben kann,
Und meine Lippe dürr' und müd’
O schaue mich nicht an! —

Wend' sachte mein Gesicht zur Wand;
Kann ich Dich auch nicht seh'n,
Fühl' ich doch Deine weiche Hand
Und Deines Atem's Weh'n.

VII.
Rasch durch das dunkle Zimmer huscht
Mein Vogel, traurig singend,
Er will hinaus in's Sonnenlicht,
Er zwitschert schüchtern-dringend.

Flieg' in die kalte fremde Welt,
Flieg' über Tal und Hügel,
Du kleiner Vogel, hast ja heut'
Noch ungebroch'ne Flügel. —

VIII.
Es pfeift der Wind sein frostig Lied,
Und eiserstarrte Tropfen
Wirft klirrend an die Scheiben er,
Die Kranken wach zu klopfen.

Die alte Frau an meinem Bett
Nickt müd', in Schlaf versunken,
Die Kohlen im Kamine sprüh'n
Bei jedem Windstoß Funken.

Aufhorchend knurrt der kleine Hund,
Um ächzend fortzuträumen,
Das Lampenlicht spielt flackernd rot
Mit der Tapete Bäumen.

Der nackten Göttin weißes Bild
Lacht höhnisch auf mich nieder.
Es pfeift der Wind — Gedanken zieh'n. —
Ich find' den Schlaf nicht wieder.

IX.
Leg' Du mich in den Sarg hinein,
Schließ Du den Deckel zu,
Und hinter meinem Sarg allein,
Geh' Du — Niemand als Du.
Den ich geliebt, und Leid's getan
Warst Du — nur Du allein. . . .
Komm' nie zu meinem Grabe Mann,
Ich will vergessen sein.