weiter
nächster Gedichtband
Quelle:
Lieder einer Verlorenen
Ada Christen
Gedichtband
Hamburg 1868
Verlag von Hoffmann & Campe.
Zueignung
Es mahnt mich aus Deinem blauen Aug'
Ein wüster Jugendtraum;
Da nickt ein blasses Mädchengesicht —
Ach, ich erkenn' es kaum.
Und ein entgötterter Himmel liegt
Vor mir – ach, Alles bricht! —
Doch mildert das letzte, grellste Bild
Das süße blaue Licht.
In der Irre
In der Irre
Abschied
Verloren
Champagner
WiedersehenEine Nacht
Einer
Elend
Menschen
WeiberIn der Kunstausstellung
Letzter Versuch
Auf!
Tragödie
Haltlos
Neue Liebe, neues Leiden
Rückkehr
Auf dem Maskenballe
Erklärung
Mahnung
Bitte
Mein KindTot
Erwachen
Erkenntnis
Mut!
So ist es
SehnsuchtLogik
Nichts mehr
Grau
Wiedervereinigung
Nach Jahren
Epilog
In der Irre
Über der dummen kurzen Komödie
Sind ernste lange Jahre vergangen;
Es ward eine dumme lange Tragödie
Und heiße Tränen durchfurchten die Wangen,
Ich hörte noch hinter mir zischen und lachen
Als Leib und Seele zusammenbrachen.
Abschied
Und als ich fortgezogen,
Hab' ich in der letzten Nacht
Der Straße, wo er wohnte,
Eine Abschiedsvisite gemacht.
Hab' angesehen die Steine,
Die oft sein Fuß betritt,
Und dachte, wär' ich reich,
Ich nähme sie alle mit.
Ich kam zu seinem Hause
Und wußte selbst nicht wie,
Und hin bis an das Tor –
Dort sank ich auf die Knie'.
Ich sah empor zum Fenster
Und hab' es schmerzlich gegrüßt;
Ich habe mit heißer Lippe
Die Stufen am Tore geküßt.
Ja selbst die kalte Mauer
Berührte mein brennender Mund;
Doch hielt ich zitternd inne,
Denn an mich hinan sprang sein Hund.
Und er stand hinter mir;
Ich sah ihn schweigend an.
Da fragte er mich lächelnd,
Was ich denn hier getan?
Dies Lächeln war vernichtend,
Ich rang nach einem Wort;
Dann sagte ich kaum hörbar:
"Herr, morgen geh' ich fort."
Und abermals dies Lächeln,
Das mich so elend gemacht:
"Ich wünsche glückliche Reise –
Und mithin gute Nacht."
Verloren
I.
Evoe! Es klingen die Becher;
Evoe! Es kreischen die Weiber,
Wilder, brünstiger klammern sich fest
Zum lüsternen Tanze die lüsternen Leiber.
Evoe! Die trunkene Lust
Kann uns der Himmel nimmer geben:
Aber die Hölle vergessen läßt –
Evoe! – Dieses wüste Leben!
II.
Es rauscht und schwirrt das Saitenspiel;
Sie faßten mich an zum Tanz.
Hei, wie der bacchantische Kreis sich schwang
Im blendenden Lichterglanz!
Sie preßten mir in die Hand ein Glas,
Bekränzten mit Rosen mein Kleid;
Ich ward in Bachus Namen getauft
Und der Frau Venus geweiht.
Und wie ich in dumpfer Betäubung
Im Wagen bin gesessen,
Da sagte man mir lächelnd:
So wirst du ihn vergessen.
Champagner
I.
Ist dein Leben freudenleer —
Trink' Champagner!
Ist das Herz von Gram dir schwer —
Trink' Champagner!
Spotten die Menschen um dich her —
Trink' Champagner!
Hast nicht Wunsch noch Tränen mehr —
Trink' Champagner!
Trink' Champagner! Es bannt die Trauer
Der leichte Franzose, der rosig glüht,
Jagt die sentimentalen Grillen
Aus dem schweren deutschen Gemüt!
II.
Die lustigen Champagnergeister
Die drehen mich jetzt im Kreis
Und im Kopfe summt mir
Eine seltsam wirbelnde Weis'.
O weh, im Magen ist mir
Auch gar so wunderlich;
Doch das allergrößte Übel
Ist, daß ich denk' an Dich!
Sie glauben, daß ich betrunken sei
Und wollen mit mir spielen;
O hütet euch, gerad' im Rausch
Erwachen die bösen Grillen.
Denn wenn ich's recht toll getrieben,
Getobt, mich heiser gesungen:
Hab' ich nur zu übertäuben gesucht
Meine bösen Erinnerungen.
III.
Wie man im Rausch noch denken kann?
Ihr meint wohl, daß die Gedanken,
So wie die matten, schweren Füße
Auch immer knicken und schwanken.
Mein Leben ist ein langer Rausch,
Und weil ich darin gar viel gedacht,
So hat mich das viele Denken
Zuletzt noch nüchtern gemacht.
Wiedersehen
Ich hatt' ihn lang nicht mehr gesehen —
Und mich beinahe tot gesehnt;
Ich kam zurück zu ihm —
Und habe mich glücklich gewähnt.
Drei Stunden stand ich vor dem Tor
Im Regen pudelnaß
Und holte mir einen Schnupfen
Und Husten so zum Spaß.
In später Nacht kam er nach Haus
Und lud mich mit Müh' nur ein;
Erzählte, er habe Kopfweh
Von schlechtem Ofnerwein.
Dann sprach er von seinem Windspiel,
Daß es kein schön'res gibt;
Und dann von einer Toten,
Die er vor Zeiten geliebt. —
Wir gingen plaudernd zu Bette,
Er schlief sehr bald auch ein;
Ich aber mußte noch lange,
Sehr lange wach noch sein.
Der Mond schien still durch's Fenster,
Goß über den Schläfer sein Licht
Und sah, wie ich weinend küßte
Des blassen Mannes Gesicht.
Eine Nacht
Ich hab' einen schönen Traum geträumt
In einer langen Nacht;
Da warst du gut und freundlich mit mir,
Doch hat's mich traurig gemacht.
Du hieltest mich an die Brust gedrückt,
Unser Atem hat sich vereint;
Ich habe dir die Hände geküßt
Und leise dabei geweint.
Du legtest die Hände mir auf's Haupt
Und sahst mich forschend an;
Ich aber weinte immer fort,
Du hast mir Leides getan.
"Und hab' ich dir auch Leides getan,
Vergiß es nur geschwind
Und weine nicht" – so sprachest du —
"Mein armes verlorenes Kind!"
"Du sollst nicht mehr verlassen sein,
Ich will dich hegen und pflegen,
Und weil du bald stirbst, so will ich
Dich selbst zur Ruhe legen." —
Ich aber weinte immer fort
In der langen bangen Nacht —
Und bin im Arm eines Andern
Am Morgen aufgewacht.
Einer
Alle Herzen, alle Menschen
Hatten sich von mir gewandt,
Und mit Abscheu alle Lippen
Meinen Namen bald genannt.
Da kam Einer, sah in's Antlitz,
In das tränenblasse mir:
"Unter Schweinen," sprach er traurig,
"Fand die Perle ich an Dir."
Elend
I.
Die Luft ist wie verpestet,
Vergiftet, was ich seh',
Und alle Blicke sind Dolche
Und jedes Wort ein Weh.
Die Herzen sind verschlossen,
Erkennen mich nimmermehr;
Von Allen aber, von Allen
Verkennt mich am meisten er!
Und würd' ich's ihm erzählen,
Ihm Alles sagen – o Gott!
Er würde auch dann noch lachen
Und ich – ich wäre tot!
II.
Und bist Du auch so höhnisch mit mir,
Und siehst du mich auch nicht gern,
So ist es mir dennoch manches Mal
Als ständ' ich dir nicht so fern.
Als wären deine Gedanken
Dennoch öfter bei mir;
Und wenn ich so denke und sinne,
Dann treibt's mich hin zu dir.
Ich stehe zitternd vor deinem Haus,
Mir ist, du müßtest mich holen;
Doch Niemand kommt und Niemand ruft —
Und weinend enteil' ich verstohlen.
III.
Ist es nicht töricht und kindisch schwach,
Wenn ich so seufze und schwärme
Und tugendhaft und tränenreich
Leib und Seele hinunter härme.
Das Gestern mag vergessen sein
Samt allen dunklen Sorgen,
Das Heut' ist mein – und dieser Wein
Vergessen macht das Morgen.
IV.
Lebend unter Niedern und Rohen
Zieht's mich mächtig empor zum Hohen;
Doch die Flügel beschwert mit Steinen,
Sink' ich auf's neue herab zum Gemeinen.
Müde des Eklen und Kleinen
Eil' ich zu Orgien aus bitterer Not —
Und so, begeistert vom Reinen,
Erstick' ich noch im Kot!
V.
Daß im Herzen mir erstorben
Alle, alle guten Keime,
Daß vom Laster überfluten
Meine Worte, meine Reime;
Daß in der entweihten Brust
Wüste Leidenschaften toben:
Menschen, das verdank' ich euch!
Teufel müssen euch belohnen!
VI.
Es gibt viel Elend in der Welt,
Viel tausend gebrochene Herzen;
An allen Ecken und Enden hallt
Der Aufschrei großer Schmerzen.
Ein Elend aber kenne ich —
Es kann kein größ'res geben;
Zwei kleine Worte schließen's ein —
Es heißt: verfehltes Leben.
VII.
Hab' oft nicht zurecht mich gefunden
Da draußen im Gedränge,
Und oft auch wieder wurde
Die Welt mir fast zu enge.
Dann liebt' ich schnell und lebte schnell
Und schürte mein Verderben;
Der Pöbel johlte – ich lachte
Zu meinem lustigen Sterben.
VIII.
So kommt und seht und staunt mich an!
Ich bin schon, die ihr sucht:
Das Wundertier, das, noch so jung,
Die ganze Welt schon verflucht.
Doch fürchtet euch nicht, ich bin kein Tier,
Das Menschen zerreißt und verschlingt:
Ich bin ein armes Wesen nur,
Das von seinem Elend singt.
Menschen
Als ich, mit der Welt zerfallen,
Schweigend ging umher,
Da fragten die lieben Menschen:
Was quälet dich so sehr?
Ich sagte ihnen die Wahrheit;
Sie haben sich fortgedrückt
Und hinter meinem Rücken
Erklärt, ich sei verrückt.
Weiber
Ich kam mit Tränen und wollte büßen,
Was ich und Andere verschuldet;
Sie aber traten stolz mit Füßen
Das Herz, das schon so viel erduldet.
Und Weiber waren es immer wieder,
Die mich entrüstet mit Geißelhieben
So tugend-dumm und weiblich-nieder
Von neuem stets in's Elend trieben.
In der Kunstausstellung
Was drängt die bunte Menge
Sich gaffend um dies Bild?
Es ist ein junges Mädchen
Mit Zügen krampfhaft wild.
Ihr alten eitlen Gecken
Drängt euch nicht so nahe hin,
Reizt nicht an den zarten Formen
Den abgestumpften Sinn.
Seht hinter euch – o sehet!
Dort an der dunkelsten Stell'
Lehnt bleich, ohnmächtig von Hunger,
Des schönen Bildes Modell.
Letzter Versuch
Ich habe mich zu erhängen gesucht:
Der Strick ist abgerissen.
Ich bin in's Wasser gesprungen:
Sie erwischten mich bei den Füßen.
Ich habe die Adern geöffnet mir:
Man hat mich noch gerettet.
Ich sprang auch einmal zum Fenster hinaus:
Weich hat der Sand mich gebettet.
Den Teufel! ich habe nun alles versucht,
Woran man sonst kann verderben —
Nun wird' ich wieder zu leben versuchen:
Vielleicht kann ich dann sterben.
Auf!
Komödianten ziehen vorüber,
Wüst verwitterte Gestalten
Mit verblichenen Gewändern,
Lügnerisch verschminkten Falten.
Dieses übertünchte Elend
Diese rohe Prahlerei
Ist doch einmal etwas Neues
In dem eklen Einerlei.
Nehmt mich mit! Ich will das spielen,
Was mich Welt und Liebe lehrte,
Und ihr sollt euch wundern, Leute,
Wie mein Elend ich verwerte!
Tragödie
Die Glocke ruft – aufrauscht der Vorhang.
Ach, Kleine, ich seh' dein Ringen:
Du bist so elend und mußt lachen;
Ich hör' die Tränen kichernd klingen,
Ich seh' Begeist'rung mit Verzweiflung streiten —
Armes Kind, du leidest viel!
Lachend sterben, sterbend lachen
Ist ein herzzerreißend Spiel!
Haltlos
Moderne Zigeuner,
Wüste Gesellen,
Vagabunden des Lebens.
Die ringen
Und wandern
Und suchen —
Doch immer vergebens!
Einsame große Kinder
Mit halbem Wissen
Todkrankem Herzen. —
Und immer hinaus, immer weiter!
Nach außen keck,
Nach innen verjammert,
Den Rücken zerschlagen von der Hand,
An die sie vertrauend sich geklammert!
Verheiratet
I.
Links die zischelnden Komödianten,
Rechts von mir mein Bräutigam;
Hinter ihm die Anverwandten
Zucken sich die Achseln lahm.
Vor mir mild der greise Priester,
In mir keine Harmonie,
Auf den blonden lichten Locken
Grüne Myrthenironie.
II.
Ausgespannt die magern Gäule
Von dem morschen Thespiskarren;
Engagiert bin ich für's Leben,
Nimmer weiter wird gefahren.
Auf dem kleinen Stückchen Erde
Ist die Bude festgestellt –
Und der Kreis, der oft kopierte,
Ist nun wirklich meine Welt.
III.
Eine lange graue Fläche,
Mitten drauf ein Schlößchen traut;
Weiß und voll im Winde schwanket
Rings umher das Heidekraut.
Bei des Schlößchens Erkerfenster
Steht ein Mann und jubelt laut;
Denn er hat jetzt in der Ferne
Sein geliebtes Weib erschaut.
Jauchzend springt er ihr entgegen,
Küßt sie heiß auf Mund und Hand,
Ordnet die zerstreuten Locken
Und das flatternde Gewand.
Und wie Kinder selig plaudernd
Gehen sie nun Hand in Hand,
Und des Weibes Seele segnet
Dankbar Mann und Haus und Land.
IV.
O habe Mitleid, laß mich nimmer
Die Wunden der Gesellschaft schauen!
Denn bis in meine tiefsten Träume
Drängt sich ein scheues, kaltes Grauen.
Auch hier die Sünde und das Elend,
Das sich so leicht vergessen ließ?
Auch hierher weht der gift'ge Odem? —
Ich glaubte an ein Paradies!
V.
Das Herz zerfetzt und zerrissen,
An allen Kräften gelähmt,
Gestürzt aus dem falschen Himmel
Und ob des Glaubens beschämt! —
Von dem, was ich gelitten
In kurzen, doch ewigen Tagen,
Versteinern alle Tränen,
Verstummen alle Klagen! – –
VI.
Ich grüße dich, du alte Nacht,
Bekanntes, schwarzes Elend,
Du nahst dich mir so bitter vertraut,
Erhaben stumm befehlend.
Ich wehre mich nicht; du bist mir lieb,
Du bist verderbliche Wahrheit:
In deinem Dunkel liegt für mich
Meines wirren Jammers Klarheit.
Rückkehr
Zuckt nicht die Achseln, grüßt nicht so höhnisch
Und wendet euch nicht spöttisch ab!
Ich will kein Geld von euch entlehnen,
Will nicht zurück, was ich euch gab.
Nicht euern Liebsten mehr gefährlich
Bin ich und nimmer eurem Ruhm;
Der Kummer nahm mir meine Schönheit
Und all mein Unglück macht mich dumm.
Ich komm' zu euch, weil fortgetrieben
Vom sichern Strand mein Lebensschiff;
Ganz soll es scheitern, darum lenk' ich's
Zurück zu euch: ihr seid das Riff!
Auf dem Maskenballe
I.
Ei, wie schön du warst, als Laune,
Wein und Lust im Aug' dir glühte!
Wofür hältst du mich denn plötzlich,
Daß du schwärmst jetzt von Gemüte?
Lasse, Freund, doch die Komödie —
Wir sind viel zu klug zum schwärmen,
Heut' sich küssen, morgen scheiden,
Gibt uns keinen Grund zum härmen.
Dort die kurzgeschürzten Weiber
Mit den kecken Schellenmützen
Werden vor Gemütsbewegung
Und vor Trennungsschmerz dich schützen.
Diese flinken Ballerinen,
Diese schönen nackten Sünden
Werden schwatzhaft, freundlich-boshaft
Was ich war und bin dir künden.
Sieh', ich schütz' dich vor Enttäuschung;
Um uns wogt und rauscht das Leben:
Was das Heute rasch dir bietet,
Mag das Morgen nimmer geben.
II.
Du schaust mein Antlitz ohne Maske,
Und doch verlässest du mich nicht;
So reizt dich noch das tränenblasse
Verhärmte Leidensangesicht?
Du drängst dich auch zu dem Gelage,
Das meiner Wiederkehr geweiht;
Du hörst es still und seltsam lächelnd,
Wie Jeder meinen Namen schreit.
Du sprichst so ruhig mit den Männern,
Die frech mir Mund und Arme küssen;
Du stimmst mit ein in die Toaste,
Womit sie jauchzend mich begrüßen.
Was willst du mit den starren Blicken —
Ist's Spott, der mir entgegenschaut?
Laß ab von mir! Du bist ein Wesen,
Vor dem mir bangt, vor dem mir graut!
III.
In deiner Stimme bebt ein Ton,
Der Alles überklingt,
Und der mir wie ein schneidend Weh
Zum tiefsten Herzen dringt.
Wie riß doch dieser eine Ton
Mir auf die alten Wunden;
O daß ich nimmer ihn gehört
Und nimmer dich gefunden!
O laß das Heut' vergessen sein
Und mich samt meinen Scherzen;
Es sind ja doch die Schreie nur
Der unheilbaren Schmerzen!
Erklärung
Ich hörte heute deine Schwüre —
Und es bewegt das Herz mir nicht,
Glaub' ich auch selbst, daß heiße Liebe
Aus jedem deiner Worte spricht.
Denn unwillkürlich muß ich denken
Der Zeit, wo du dich wirst bemühn,
Mit leeren Phrasen zu verhüllen
Des leeren Herzens matt'res Glühn.
Wo endlich du des Kämpfens müde
Und satt der selbstgewählten Ketten,
Schamlos dein eignes Wort verleugnend,
Ein Judas vor mich hin wirst treten.
Mahnung
Es beugt das stolze Haupt sich schwer,
Und schwer der starre Sinn,
Und dennoch fühl' ich, daß ich längst
Nicht mehr ich selber bin.
Ich weiß nicht, was noch kommen wird,
Doch ist mir oft so bang;
Oft reißt mich dir zu Füßen hin
Ein mächt'ger Seelendrang.
Dein Aug' ist treu; du siehst mich an
So innig und so tief —
Und dennoch ist's, als ob hinweg
Von dir mich mein Engel rief'.
Bitte
Sei nicht so hart, wenn aus der Brust
Ein Mißton sich mir ringt,
Wenn oft ein trotzig-wildes Wort
Gar zu unweiblich klingt.
Hab' sonst nicht viel danach gefragt,
Was zahme Weiberart,
War niemals sanft und selten still —
O sei darum nicht hart!
Ich müh' mich jetzt, so recht zu sein
Wie andre Weiber sind,
Und der Beweis, wie sehr mir's Ernst,
Ist wohl mein kleines Kind.
Mein Kind
Ich habe keine Schmerzensworte,
Hab' keine Tränen, kühlend lind,
Hab' nicht Gebete, stille fromme —
Und sterbend liegt vor mir mein Kind!
Es preßt mir Kopf und Herz zusammen,
Die Luft, sie flimmert blutig rot —
Stirb nicht! Mit dir stirbt Alles, Alles —
Mein letzter Halt wär' mit dir tot! – –
Ist tot! – Ein leiser, kurzer Schrei —
Das Köpfchen sinkt, das bleiche,
Und an die schmerzerstarrte Brust
Drück' ich die kleine Leiche.
Tot
Mir ist, als wär der Himmel leer,
Die Erde nur ein weites Grab,
Und jeder Stern rings ausgeglüht,
Dem Herzen gleich, das Alles gab.
Und ich, das Grabmal meines Ich's,
Steh' öd' und still und ganz allein;
Es braust der Wind, der Regen weint
Kalte Tränen auf kalten Stein.
Erwachen
Mir war, als ob in dumpfem Schmerz
Die Seele wollt' erlahmen —
Da plötzlich, schier halb unbewußt,
Nannt' still ich deinen Namen.
Und nun im selben Augenblick
Hat es mich überkommen:
Hab' mehr dich als mein Kind geliebt,
Drum ward es mir genommen.
Erkenntnis
Wenn mir's oft wie kalter Wahnsinn
Durch das öde Denken rinnt,
Wenn die Seele, Hilfe suchend,
Das Unmögliche ersinnt;
Wenn aus abgrundtiefen Schmerzen
Sie empor zum Himmel schreit:
Fühl ich ganz und voll den Fluch erst,
Der da heißt "Vergangenheit."
Mut!
Zahmer Narrheit wäßrig Seufzen,
Feiges, kindisch-weiches Beten;
Was man töricht selbst verschuldet,
Daraus soll uns Gott erretten!
Unser Gott ist vielbeschäftigt,
Läßt uns jammern hier auf Erden,
Sagt: "Wer viel geliebt (gelitten),
Dem wird viel vergeben werden."
So ist es
Du kennst mich nicht, du liebst mich nicht,
Und Alles bist du mir;
Du hältst mich wie ein Spielzeug nur,
Und Alles zieht mich zu dir.
Aus Moder, Schutt und Elend
Schlagen heilige Flammen,
Dich wärmen sie nicht; – mein Leben
Brennen sie zusammen.
Sehnsucht
Die Nacht ist ruhig und duftig,
Die Luft weht lau und lind;
Unter den Sternenaugen
Such' ich die deinen, mein Kind!
Ich möchte dich sehen und küssen,
Mein Einz'ges, das Alles mir gab,
Ich möchte still bei dir liegen
Im kleinen stillen Grab!
Logik
Es liegt voll seichter Logik
Dein Brief in meinen Händen;
Du meinst, was einen Anfang gehabt,
Das müss' auch wieder enden.
Ich kann mit solcher Weisheit
Mich heute nimmer raufen;
Doch meine beste Logik wär',
Mir einen Strick zu kaufen.
Nichts mehr
Nicht mehr die heißen, süßen Küsse,
Nicht mehr die Worte mild und warm,
Nicht mehr den treuen Blick der Augen,
Nicht mehr den Druck von deinem Arm.
Nichts mehr von allen jenen Wonnen,
Die Liebe hat und Liebe gibt,
Nichts will ich – um noch fortzuleben —
Sag' nur, daß du mich einst geliebt!
Grau
I.
Ist denn mein ganzes Sein verwirrt,
Daß Alles ich jetzt anders schau';
Erscheint mir doch die ganze Welt
Ein schmutzig Bild nur, Grau in Grau.
Ich lebte gern und lachte gern
Wie sonst ein Menschenkind —
Doch Alles glotzt so fratzenhaft —
Dies Grau, es macht mich blind!
II.
Ein trüber, grauer Regentag,
Kalt und unheimlich öde;
Der Himmel starrt so grau herein,
Die grauen Menschen so blöde.
O schnell ein rotes Licht herein —
Den roten Vorhang herab —
Da hust' ich helles, rotes Blut —
Bestellt mir ein graues Grab!
Wiedervereinigung
I.
Küsse mich, denn, ach! sie bluten
Alle noch die alten Wunden,
Küsse mich, daß ich vergesse
Alle die verfluchten Stunden!
Laß mich von den süßen Lippen
Wieder Glück und Liebe saugen,
Laß mich sterben, überstrahlet
Von dem Himmel deiner Augen!
II.
Nein, ich will dich nimmer fragen,
Ob du mich auch wirklich liebst;
Mit geschlossnen Augen nehmen
Will ich, was du gnädig gibst.
Mit gebundnen Händen stelle
Ich mich schweigend deiner Macht,
Nichts mehr hoffend, nur befürchtend
Einer Trennung ew'ge Nacht!
Nach Jahren
Wie seltsam! Unser feiger Mut
Läßt alles Elend uns tragen;
O hätten wir doch den echten Mut,
Das lösende Wort zu sagen.
Wir laufen neben einander her
Und werden müder und müder;
Ich werde blässer und kränker stets
Und du wirst kälter und rüder.
O raffe dich auf und fasse Mut
Und sei zum letzten Mal ein Mann.
Brich du mit einem Wort entzwei,
Was ich nicht länger tragen kann!
Epilog
Und sie beugt sich zähneknirschend,
Aber seht, sie beugt sich doch!
Und sie trägt mit dumpfem Schweigen
Jahrelang das ekle Joch.
Sie versteht, ermißt ihr Elend,
Ihren Jammer, ihre Schmach;
Sie erkennt, was sie verbrochen
Und was man an ihr verbrach.
Und sie rüttelt an den Ketten —
Fürchtet nicht, daß sie sie bricht:
Denn sie beugt sich zähneknirschend
Und – sie jammert ein Gedicht.
Herzblut
I.
O könnt' ich alles geben,
Was dieses Herz bewegt,
Und all die tausend Gedanken,
Die wüst mein Schädel hegt! —
Es dränget heiß zur Lippe,
Was mir das Herz zerbricht;
Ich kenn' es, ach, ich fühl' es —
Doch sagen kann ich's nicht!
II.
Es fragen mich die Menschen,
Was mich so elend gemacht;
Ich sag' euch, ich habe mein Elend
Mit auf die Welt gebracht.
Es liegt in meinem Fühlen
In dem halbentfesselten Geist,
Der aufwärts will und der Alles
Zur Erde doch wieder reißt.
III.
Ich blickte jüngst in mich —
So recht in's Herz hinein
Und glaubte noch etwas zu finden
Von dem, was einstens mein.
Ich sah mein verlornes Eden,
Mein versunkenes Paradies,
Mich selbst den gefallenen Engel,
Den Himmel und Erde verstieß.
IV.
Ach nur e i n m a l möchte' ich sinken
Noch in deine Arme hin,
Und nur e i n m a l noch vergessen,
Was ich war und was ich bin!
Ach nur e i n m a l so dich sehen
Wie du einst gewesen bist:
Und dann Alles wieder leiden,
Was schon war und was noch ist.
V.
Nur eine Träne gebt mir wieder,
Nur eine einz'ge will ich haben!
Mit dieser Träne aber will ich
Das todeskranke Herze laben.
In diese Träne will ich senken
Mein ganzes namenloses Weh,
Mit dieser Träne will ich sagen,
Was ich stets fühl' und kaum versteh'!
VI.
Ach, ihr wißt nicht, wie sich's lebt,
Atmet in der Trunkenheit
Einer Liebe, die befreit,
Die begeistert, die erhebt!
Ach, ihr wißt nicht, wie sich's lebt,
Atmet in Versunkenheit
Einer Liebe, die entweiht,
An der Schmach und Elend klebt!
VII.
Von dem, was ich besessen,
Ist wenig mir geblieben,
Von meinen süßen Träumen,
Von Glauben, Hoffen, Lieben!
Nur schmerzliches Erinnern
Ist's, was das Herz behielt,
Verachtung, Haß und Flüche —
Und eines Mannes Bild.
VIII.
"Heut haben wir schönes Wetter."
""O ja, recht schönes, mein Herr!""
Das sind so unsre Gespräche,
So kalt, so dumm, so leer.
Du streichelst mir fragend die Wange,
Du kennst das gewisse Rot;
Für dich ist's nichts als Schminke —
Für mich: in der Brust der Tod.
IX.
Ich hab' in langen Tagen
Gar oft an dich gedacht,
Ich hab' in langen Nächten
Gehofft, geweint, gewacht.
Wie einstmals sitz' ich wieder
Beim abgebrannten Licht;
Ich wache – aber hoffen
Und weinen kann ich nicht.
X.
Ich weinte um den Frühling —
Ich Törin!
Ich weinte um die Blumen,
Die alle verblüht und verwelkt —
Ich Törin!
Wer weint um meine Jugend?
Wer weint um meine Träume?! – –
XI.
Sieh', in dies dein teures Bildnis
Möcht' ich mich so ganz versenken;
Könnt' ich, ach! dem Bilde doch
Atmen, Leben, Sprache schenken!
Könnt' ich in die kalten Formen
Glut und Blut und Liebe gießen,
Könnt' ich diese lieben Hände
Heiß zu heißem Drucke küssen! —
Ach, ich kann es nicht. Es bleibet
Kalt und stumm in stolzer Ruh';
Aber du bist gut getroffen:
Denn es ist so ganz wie du!
XII.
Wenn ich ihn manchmal sah,
Hab' ich gezittert, gebangt;
Und dennoch wieder hab' ich
Nur ihn zu sehen verlangt.
Und wenn er im Vorbeigehen
Nur leicht mein Kleid berührt,
Hab' ich noch lang darüber
Mit den Blumen diskutiert.
XIII.
Da sprach er so lieb und so freundlich,
So zärtlich, gütig und mild;
Man konnte beinahe glauben,
Er hab' auch Alles gefühlt.
Doch plötzlich dieser Blick,
Dies Lächeln – o mein Gott!
Dies höhnische Kompliment —
Ich wollt', ich wäre tot!
XIV.
Ach ja, es ist nur allzu wahr,
Was nützt dir mein Lieben und Leben,
Und würd' ich aus den Adern
Mein rotes Blut dir geben.
Blut ist Blut und bleibt es,
Und wird ja nie zu Geld,
Und Geld gehört zum Leben:
Das ist der Lauf der Welt.
Mein Leben nützt dir nichts;
Bezahlte man mich für's Sterben,
Ich stürbe ja gerne morgen
Um Alles dir zu vererben.
XV.
Ich sehne mich nach wilden Küssen,
Nach wollustheißen Fieberschauern;
Ich will die Nacht am hellen Tag
Nicht schon in banger Qual durchtrauern.
Noch schlägt mein Herz mit raschem Drang,
Noch brennt die Wang' in Jugendgluten —
Steh' still, lösch' aus mit einem Mal!
Nur nicht so tropfenweis verbluten!
XVI.
Du hast mich unsäglich elend gemacht,
Und doch, ich kann dich nicht lassen;
Ich liebe dich stets mehr und mehr —
Und sollte dich endlos hassen.
Mein letzter Stern ging unter,
Als du dich von mir gewandt:
Da bin ich mit vollem Herzen
In's leere Leben gerannt.
XVII.
"Dein Vers hat nicht das rechte Maß,"
So will man mich verweisen,
"An Fluß und Glätte fehlt es ihm" —
Und wie sie's sonst noch heißen.
Sie zählen an den Fingern ab,
Verbessern wohl zehnmal wieder;
Ich leg' die Hand auf mein blutendes Herz:
Was d a s sagt, schreib' ich nieder.