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Gedichte
David Jakob Julius

Dresden und Leipzig 1892
Verlag von Heinrich Minden
Buchdruckerei T. Moritz Hofmann, Dresden.

Leben
 

Der Mutter
Not
Gebet
Nacht
Lang hielt ich meines Lebens Steuer
Entsagen
Glück
Frühling
Alpenglühen
Symbol
Befreiung
Absinth
Nächtig Leid
Ein seltsam Klingen
Späte Liebe
Ein Nachruf
Von Zweien

 
Einsamkeit
Herbst
Roman
Glaub' mir!
Lethe
Ich sang ein Lied
Das sind meine Toten
Mein Lied

 

Der Mutter


Du starbst, und ich war nicht zugegen,
Hab' nicht die treue Hand gedrückt;
Du starbst und gabst mir nicht den Segen,
Hast mir zu meinen wirren Wegen
Den Scheidegruß nicht zugenickt.

Ich bin allein seit vielen Jahren,
Und trag' es klaglos, wie ich muß;
Nur hätt' ich gerne doch erfahren,
Wie lind auf früh ergrauten Haaren
Liegt einer Mutter Abschiedskuß.

Still geh' ich weiter, ach alleine!
Und finster ist's, wohin ich seh',
Und wenn ich klage nicht, noch weine —
Mein ganzes Leben scheint mir eine
Tiefbange Klage und ein Weh!

Not

Du bist seit meinen Kindertagen,
Seitdem ich denke, mir vertraut;
Ich habe oftmals, sonder Zagen,
Ins ernste Auge Dir geschaut.

Ich habe viel mit Dir gerungen,
So sieglos und so ohne Ruhm.
Und ausgekostet, durchgerungen
Dein voll und ganz Martyrium.

Du gabst in's Herz mir bitt're Reue,
Nahmst jedes Glück, das sich mir bot:
Und doch, ich liebe Dich, Du Treue,
Du meine beste Freundin Not.

Denn ob vor Deinem rauen Walten
Mein Jugendglück — wie bald! — entschwand:
Wohl mir! ich habe ausgehalten —
Durch Dich gekräftigt hielt ich Stand!

Gebet

Allmächtiger! Du hast mir viel genommen,
Du weißt allein, was Alles ich verlor;
Mein Auge sieht die schöne Welt verschwommen,
Und nur gedämpft, gedämpft und leise kommen
Des Lebens Laute in mein krankes Ohr.
Einst tat mir's weh — und zwar zu meinem Frommen,
Ich dank' Dir's heute, schalt ich Dich zuvor —
Du hast mir vielen Jammer, manches Grauen
Erspart zu hören und erspart zu schauen . . .

Nacht

Schon deckt beschattend Dein Gefieder
Des Tages Licht, Du nahst mit Macht
Auf starken Schwingen steigst Du nieder,
Du meine Mutter, stolze Nacht!
Nun öffnen sich der Seele Pforten,
So streng geschlossen kaum zuvor,
Und meinem Weh und seinen Worten
Leihst Du Dein mir geneigtes Ohr

Nun steh'n die Gassen öd und düster
Und, wie in ewig regem Leid,
Haucht sein verhallendes Geflüster
Dein Wind durch Deine Einsamkeit;
Nun birgt das Kleine ernst Dein Schleier —
Den Blick beirrt' es kaum zuvor —
Doch riesenhaft und ungeheuer
Wächst wahrhaft Großes nun empor.

Ich liebe Dich, bin Dir entsprungen,
Und feind dem Tag, so laut und dreist;
Das Wenige, das mir gelungen,
Du gabst es dem verwandten Geist;
Dein Anhauch ist es, der zur Lohe
Der Seele trübes Licht entfacht —
Sei mir willkommen, ernste, hohe,
Sei mir gegrüßt, ersehnte Nacht!

Lang hielt ich meines Lebens Steuer

Lang hielt ich meines Lebens Steuer
Ziellos in ungewohnter Hand;
Nach manchem Sturm und Abenteuer
Begrüß' ich nun ersehntes Land.
Ich fuhr um Glück nach allen Winden,
Und sieh! es war mir also nah . . .
Fast geht es mir wie jenem Blinden,
Da er, geheilt, die Erde sah.

Zum Himmel, ernst und blau und nächtig,
Hub er sein Auge, nachtbefreit;
Hoch oben sah er, still und prächtig
Unzählig Stern an Stern gereiht
Er sah die Erde schlafbefangen,
Ihr Bette perlenübersä't . . .
In seiner Seele war ein Bangen,
So heilig, wie ein fromm Gebet.

Es hielt ihm seines Herzens Hämmern,
Das allzu ungestüme, wach;
Er sah in falbes Grau verdämmern
Das nächt'ge Dunkel allgemach;
Wie aus geheimnisvollstem Bronnen
Ergoß sich plötzlich jäher Schein . . .
Da schrie er auf: "Zuviel der Wonnen!
Halt ein, Allmächtiger! halt ein!

Ich bin seit meiner Kindheit Tagen
An meines Lebens Nacht gewöhnt;
Ich hab' mein Leiden still getragen,
Wohl gar damit mich ausgesöhnt;
Nur stumm und nimmer ausgesprochen
Schrie in mir Sehnsucht um das Licht . . .
Nun ist mein Tag herangebrochen —
Oh Gott! und ich ertrag' ihn nicht!" . . .

Entsagen

Ich sah im Blauen tief verschwimmen
Die weiße Stadt, die grüne Flur,
Und zu mir sprach mit tausend Stimmen
Die ernsthaft schweigende Natur.

Und fremde Blumen sah ich glänzen
Hoch über mir auf jäh'ster Wand —
Ich griff dereinst nach reichern Kränzen,
Als die ergreifbar meiner Hand.

Ein Gießbach grollt — Du wirst versiechen —
Und wenn mein Herz einst stürmisch schlug,
Entsagen lernt es, sich besiegen —
Ach, Beides kostet Leid genug! . . .

Glück

Ich weiß nicht, was es war, vielleicht ein Traum,
Der mir in schwerer Winternacht erstand,
Ein Mädchenwort, gehaucht, geflüstert kaum,
Und schon verklungen, eh' ich's recht verstand.

Es war vielleicht ein scheuer Sonnenstrahl,
Der spät erhellte meinen dunkeln Pfad,
Vielleicht der Ausblick in ein tiefes Tal,
Ein lichtdurchfloss'nes, das ich nie betrat.

Es war vielleicht nach langem Einsamsein,
Ein Weggenosse für ein kurzes Stück —
Man sagt, ein Jeder müsse glücklich sein,
Nun, dieser Dinge Einem glich mein Glück!

Frühling

Mich trägt kein Flügel,
Kein starker Fittig;
Nur der Tauwind leiht mir
Gerne die Schwingen,
Daß ich der Erde
Weiten durchfahre,
Unsichtbar, gestaltlos

Doch naht das Dunkel,
Und schlägt das Mondlicht
Zwischen Himmel und Erde
Die silberne Brücke —
Dann steig' ich hernieder
In Menschengestaltung,
Durchschreit' ich den Hain,
Darin meinem Anhauch
Sich Knospen erschließen,
Und Blumen, die ich
Ferne gelesen,
Sie streu ich mit milder
Hand auf die Flur.

Bis der Morgen graut,
Bis die Wangen der schämigen
Nacht erröten;
Mit der ersten Lerche
Steig' ich dann auf.
Und ziehe weiter,
Den Menschen entschwind' ich
So rasch und so flüchtig
Wie holdester Nachttraum —
Und doch bin ich ewig
Wie das Wünschen und Sehnen
Verlangender Seelen
Nach mir — und dem Glück . . .

Alpenglühen

Das Licht verwebt im Blauen,
Der Nachtwind irrt und raunt:
Das Auge, müd vom Schauen,
Besinnt sich kaum und staunt:

Es steht der Berge Ketten
In roten Gluten steh'n —
Dort will auf Rosenbetten
Der Tag zu schlafen geh'n

Symbol

Im Westen siehst Du grau zu Tal
Die schwersten Wolken hangen —
Das mahnt der Tage mich zumal,
Die mir vergangen . . .

Im Osten schläft im Wetterlicht
Die künft'ge Glut verborgen —
Gewittert's mir, gewittert's nicht?
Das ist mein Morgen . . .

Dazwischen guckt ein Endchen Blau,
Als ob's vor Beiden scheute —
Die Deutung kennst Du, edle Frau:
Das ist mein Heute . . .

Befreiung

Ich möchte nimmermehr die Drohne
Im Immenstock des Lebens sein;
Doch bin ich allzulang im Frohne,
Die frißt mein innerstes Gebein.

Ich nahm noch nie von fremden Tellern,
Was milde Hand mir aufgespart;
Nur münz' ich allzulang zu Hellern
Das Gold, das mir gegeben ward.

Zu lange nur schnürt meine Schwingen,
Lähmt jeden Aufschwung starres Erz —
Geduld mein Herz! die Ketten klingen,
Bald bist du frei, Geduld mein Herz!

Absinth

Mein Lieben, Träumen, Grollen,
Ist früchtelos verrauscht.
Wenn meine Segel schwollen,
Hat sie der Sturm gebauscht;
Gewaltig klingt sein Gellen
Im Takelwerk, den Raa'n,
Mein Schifflein will zerschellen —
Ei nu – was geht's mich an?

Es starb das heil'ge Feuer,
Das auf dem Mast gesprüht:
Die Hand verließ das Steuer —
Sie war wohl allzumüd.
Sie sucht nicht mehr durch Sunde
Die klippenfreie Bahn . . .
Sie hebt das Glas zum Munde —
Ei nu – wen geht's was an?

Und hab' ich nie besessen,
Was je mein Herz begehrt —
Du Taumeltrunk Vergessen,
Du bleibst mir immer wert!
In Dir versenkt zur Stunde
Sei, was man mir getan . . .
Ihr sagt, ich geh' zu Grunde?
Ei nu – was geht's Euch an?

Nächtig Leid

Das ist das allerschlimmste Leid,
Davon macht Dich kein Arzt gesunden,
Das bang das Licht der Sonne scheut,
Und Dich beschleicht in Dämmerstunden

Wenn Dir des Tages Lärm verrann,
Wenn seine Sorgen Dir verbleichen,
Stumm tritt es an Dein Bett heran,
Setzt sich dazu und will nicht weichen.

Es spricht nicht und es regt sich nicht,
Sieht Dich nur an mit ernsten Brauen —
Du bangst, in seinem Spukgesicht
Bekannte Züge zu erschauen.

Und tote Liebe, stummer Gram,,
Ein jedes Arg, das Dir geschehen,
Sie feiern, wenn die Stunde kam,
Ihr herzbeklemmend Auferstehen.

Wie bluten in der Einsamkeit
Jäh aufgegriffen alte Wunden —
Glaub' mir! es ist das ärgste Leid,
Das Dich beschleicht in Dämmerstunden. . .

Ein seltsam Klingen

Vor jähem Schrecken bin ich aufgewacht:
Ein seltsam Klingen kam mir durch die Nacht.

Um mich die Finsternis, stumm, ernst und groß,
Ich aber saß und horchte regungslos

Dem fremden Tone, der bald also bang
Wie nachtverirrten Kindes Weinen klang.

Dann wieder gellend, wie wenn alle Kraft
Ein Mann im Todesschrei zusammenrafft.

Verhallend schwang dies Rufen in mir nach —
Ein alt Erinnern ward mir jählings wach.

Und Jener dacht' ich, die mich einst umfing,
Bis Jedes seine sondern Pfade ging.

Als uns ein graues Scheiden da getagt,
Den letzten Gruß hat sie mir zugesagt.

Ich sah ihr nach — talabwärts war ihr Gang —
Bis sie der Schmutz der Straße mir verschlang,

Bis sie in Not und leichtem Sinn verdarb —
Wer weiß, in welchem Spittel sie mir starb,

Ihr Mund verstummte, der so hell gelacht?
Ein seltsam Klingen kam mir durch die Nacht . . .

Späte Liebe

                   Er spricht:

Ein feines Rieseln ist's, das mich umtaut,
Was ist die Nacht so atemlos und laut!

Wie eingewiegt in Liebes-Seligkeit
Umfängt mich schlummertrunken das Gebreit.

Kaum daß ein leiser Hauch mein Stirnhaar rührt
Vom Nachtwind, der den späten Reigen führt.

Und regungslos und schweigsam ist die Welt —
Da sieh, welch' seltsam Leuchten sie erhellt!

Welch' ahnungsvolles, dämmerschönes Licht
Um Berg und Tale sich verklärend flicht!

Bracht' es der Mond, der just durch Wolken drang?
Der firne Schnee auf ferner Berge Hang?

Wie, oder hat die Nacht in Tag verkehrt
Die späte Liebe, die mein Herz verklärt? . . .

                   Das Mädchen:

Das schien mir immer schlimm getan,
Mußt' junges Blut den Greis umfahn.
Nun weiß ich selber, wie das sei,
Wenn man dem Winter gibt den Mai.

Die Schwestern brachten reich Geschmeid,
Dazu ein überteuer Kleid:
Mit Seide ward ich angetan —
Ich hatte reine Freude d'ran.

Mir sprachen Alle herzlich zu,
Und sagten: Selig Liebe Du!
Mir wies der Spiegel an der Wand
Zwei Augen, d'rin ein Weinen stand.

Sie priesen ihn gar überlaut,
Er selber kam, er hieß mich Braut,
Er sprach gar liebevoll und klug.
Was nur mein Herz so ängstlich schlug?

An meinem Finger stak der Ring —
Der Freier schied — wie müd' er ging!
Was er gewollt? Weiß nicht genau —
Ich sah nur eins — sein Haar ist grau! . . .

Ein Nachruf

Und als er starb, der friedelose Mann,
Und Urlaub nahm von seines Lebens Leide,
Die allerletzte Schlummerstadt gewann
Der Müde auf der winteröden Heide.

Der Tag war grau, und nicht ein Sonnenstrahl
Hat jener Stunde das Gewölk gelichtet.
Sie haben ihm ein dürftig Totenmal
Aus unbehau'nen Steinen aufgerichtet.

Der Frühling kam; man sah ein junges Grün,
Sah Knospen allenthalben sich erschließen;
Im Sommer durfte dann ein spätes Blüh'n
Aus einem blütenlosen Herzen sprießen:

Denn auf dem Hügel stand das Heidekraut
Und wogte sacht mit seinen blauen Glocken —
Ein Pärchen kam zum Grab; die junge Braut
Brach eine Blüte, starrte, stand erschrocken:

Ein Wehen zog — sie horchte unverwandt —
In ihr erklang's wie dumpfe Totenklage;
Sie faßte, den sie liebte, an der Hand:
"O komm! entfliehen wir zum grünen Hage!

So traurig, wie ich nimmer sie vernahm
Erklingen hier des Windes leise Sänge,
Als ob ein tiefer, worteloser Gram
Darin nach Ausdruck und Erlösung ränge.

Mir ist, als ob ein ruheloser Geist
Zum Licht, das er haßte, auferstünde.
O komm! Mein tiefstes Herze ist vereist,
Und unser Glück erscheint mir hier wie Sünde . . ."

Von Zweien

                   Er spricht:

Ich bin die Glut, ich bin die Flamme,
Du bist wie Seehauch sanft und lind;
Ich bin aus Juda's finsterm Stamme,
Du bist ein blond Germanenkind;
Dir starb von Bethlehem der Seher,
Ich habe Heiland nicht noch Heil;
Und jedem Anderen wird eher
Als mir Dein reines Herz zu Teil.

Ich nannte nie ein Heim mein eigen,
Du wohnst in wohlgefugtem Hag;
Mein Reich sind Finsternis und Schweigen —
Du selber bist ein Maientag;
Und doch, ich lasse Dich mitnichten:
Nah ist die Stunde, wie mir scheint,
Da Deinem Tag, dem ewig lichten,
Die Nacht zum Dämmern sich vereint . . .

                   Das Mädchen:

Vorüber zog er mir im ersten Grauen:
Ich sah ein todesfarb' und ernst Gesicht;
Zwei Augen glühten unter dunkeln Brauen
So traurig, wie ein Allerseelen-Licht;
Im Abendwinde flog sein schwarzes Haar,
Gehob'nen Hauptes durch die Menge schritt er:
Vorüber zogst Du wie ein Ungewitter
Und meine Seele folgt Dir immerdar . . .

Einsamkeit

Die frischbegrünten Zweige deuten
Mit zarten Fingern himmelan;
Verhallend tönt gedämpftes Läuten
Von fernher über Flur und Plan . . .

Mir sendet wohl zum Gruß dies Klingen
Die Stadt, so weltenferne weit —
Mein Herz umschnürt mit tausend Ringen
Die schreckhaft stumme Einsamkeit . . .

Herbst

Spätsommer war's und kahl das Land,
Der Tag ging just zur Neige;
Zwei Mädchen brachen Hand in Hand
Durch rankendes Gezweige.

Sie wandten singend sich zur Stadt —
Ich aber stand erschrocken:
Ein erstes, herbstverwehtes Blatt
Lag auf der Einen Locken . . .

Die Welt entschlief, es sang der Bach
Sein Schlummerlied den Landen . . .
Ich aber sah den Beiden nach,
Die mir im Duft entschwanden . . .

Roman

Er war verwaist, durch frühe Not gestählt,
Sie ihres Hauses allerbest Geschmeide,
Und dennoch hat sie gleiches Leid beseelt:
Sie waren liebesarm und elend Beide.

Sie kannten sich, sie sah'n einander gern,
Begehrten, sich in Liebe zu umfassen;
Sie mieden sich, eins blieb dem Andern fern,
Und konnten nicht entsagen noch sich lassen.

Nun kam der Tag, todtraurig, sonnenlos —
Ein schwerer Tag im Spätherbst ist's gewesen —
Da ruhten müde Hände ihr im Schoß.
Die Runen ihr im Antlitz durft' er lesen.

O trübe Schrift! Da sprach ein Leidenszug
Von Tränen, ungeweint in Dämmerungen,
Vom Kummer, den ein starkes Herz ertrug —
Da sprang er auf und hielt sie heißumschlungen.

Kein Liebesfrühling war's; den Reigen schlang
Der Nebel in der Stadt, auf grauer Heide . . .
Ein Kuß . . . Was Beide zu einander zwang?
Sie waren liebesarm und elend Beide . . .

Glaub' mir!

Sang nur die Amsel nicht so helle
Ihr süßes Abendlied vom Lieben,
Und zog mein alter Spielgeselle,
Der Wind, nicht raunend um die Schwelle:
Glaub' mir! ich wär' daheim geblieben . . .

Und lag nicht hell auf Bergeszinnen
Ein letztes Abendlicht der Sonnen,
Und sprach's nicht laut zu meinen Sinnen:
Eil' denn! dein Tag will auch verrinnen —
Glaub' mir! ich ward Dir nie gewonnen . . .

Lethe

Im Irren war ich überlang gegangen,
Nun senkte heimwärts sich mein müder Pfad;
Ich saß allein; der Himmel war umhangen,
Und schluchzend schlug die Seeflut an's Gestad.

Zum Ufer sah ich starke Wogen rollen,
Stahlgrün geharnischt und die Helme blank;
Ich sah ihr Drängen und vernahm ihr Grollen,
Indes ein Träumen meine Brust bezwang.

Und da ich so, die Augen halb geschlossen,
In wachem Schlummer saß und einsam sann:
Ahnt' ich, wie Alles, das ich kaum genossen,
Wie selbst das helle Bild um mich zerrann.

Das Leid verflog, das ich als mein empfunden,
Die Stürme schwiegen, die in mir gewühlt;
Ich rührte sacht die Narben alter Wunden,
Ich hab' verwundert keinen Schmerz gefühlt . . .

Begehrt' ich einst, das Glück der Welt zu zwingen?
Und schlug mein Herz verlangend einst und heiß?
Mir schien mein Sein, mein Wollen und mein Ringen
Ein wüster Traum, des Ende Niemand weiß.

Geträumt die Schläge, die zu tiefst mich trafen,
Geträumt auf meinem Pfad das späte Licht . . .
Als wäre meine Seele längst entschlafen —
Woran und wie? — Ich weiß es selber nicht . . .

Ich sang ein Lied

Ich sang ein Lied, doch mir verklang die Weise,
Das Wort verflog und ich kann's nimmer fah'n.
Zag meldet's sich — Du pochst, verirrte Waise,
An fremdes Tor, Dir wird nicht aufgetan.
Bist Du mein Kind? Ich muß mich erst besinnen;
In meiner Seele ist es tot und stumm . . .
Ich sang ein Lied, ich sang ein Lied vom Minnen,
Ich hab's verlernt. Wer lehrt's mich wiederum?

Nur dünkt mir oft, in meiner Seele Tiefen
Schläft arg verzaubert immer noch Gesang;
Oft scheint es mir, als ob da Quellen riefen
So lebenheischend und erstehungsbang.
Als wollt' ein Born in Einsamkeit verrinnen —
Wer deckt ihn auf? Ich seh mich träumend um . . .
Ich sang ein Lied, ich sang ein Lied vom Minnen,
Ich hab's verlernt. Wer lehrt's mich wiederum?

Das sind meine Toten . . .

Das sind meine Toten. Laut pochen sie an,
Kam die Stunde zum Träumen und Sinnen;
Dann seh' ich den Vater, den zornigen Mann,
Und die Mutter — längst zog sie von hinnen;
Dann ziehen mir auf mit ernsthaften Brau'n
Die frühe gestorb'nen Geschwister —
Das sind meine Toten. Es bringt sie das Grau'n,
Der Nachtwind, der Dielen Geknister.

O lang ist, so lang ist, o lang ist die Schar,
Und Jeden weiß ich zu nennen:
Ein Fremder scheint d'runter; blond weht ihm das Haar
Und die Blicke verlangen und brennen.
Jach schreck' ich zusammen; die Augen hohl
Starr' ich nach dem frischen Gesichte:
Du trutziger Knabe, ich kenne Dich wohl —
Doch sage: Du weilst noch im Lichte . . . ?

"Ja, hälftig" . . . Zur Hälfte der Finsternis
Und den Toten bist Du verbunden;
Die Wunde, die Dir in's Leben riß,
Die hast Du nimmer verwunden:
Dein g'rader Fuß geht krumme Bahn,
Und Dein wahrhafter Mund spricht Lüge . . .
Das sind meine Toten; ich sehe sie nah'n,
So stumm und voll heimlicher Rüge . . .

Mein Lied

Ich weiß, mein Lied wird nie gesungen
Von jungen Stimmen hell im Chor;
Doch sagt's, vom Dämmern lind bezwungen,
Vielleicht ein Träumer gern sich vor.
Ob Vieles zur Vollendung fehle,
Er hört, in Lauten trüb und bang,
Das Atmen einer müden Seele,
Die hart um Licht und Leben rang.

Es dunkelt. Und wenn lind und leise
So Form wie Farbe rings verschwimmt,
Erklingt in seiner Brust die Weise,
So dämmerfroh und unbestimmt.
Und wenn dann, tief in seinem Innern,
Ein Abglanz meines Leid's ersteht,
Soll er des Dichters sich erinnern,
Des Name längst im Wind verweht . . .