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Visionen
 

Der Alchimist
Dies ist Gehenna!
Ein Zug des Todes
Hussiten-Lied
Rachel
Ein Juden-Kind
Lokis Bann
Bauern-Gebet
Firdusi
Diva Faustina
Felicitas
 

Der Alchimist

Wohl: in eingesunk'nen Schächten hab' ich Köstliches erbeutet,
Und des Lebens tiefstgeheimste Rätsel hab' ich ausgedeutet!
Wo die Andern irre gingen hab' nur ich den Weg gefunden —
Ein Geheimnis nur bleibt dunkel, und ich kann es nicht erkunden.

Flüssig Gold! Du, Born des Lebens! Kleinod, teuer, hochgefürstet,
Sieh, ich such' Dich unermüdet, Trunk darnach die Seele dürstet;
Nicht um Macht und nicht um Schätze, aber durch die Ewigkeiten
Lüstet's mich gehob'nen Hauptes, selbst ein Ewiger zu schreiten.

Was sie immer köstlich heißen, nichts ist d'runter, das ich neide,
Wär' ich ewig! Jählings fiele zwischen mir und Gott die Scheide;
Kampfgemut erhüb' ich Fehde selber mit des Himmels Mächten
Und ein Gleicher mit der Gleichen möcht' ich mit der Allmacht rechten.

Grausam ist die Zeit. Ich fühle meine Kräfte mählig schwinden;
Eines harten Knochenfingers Druck vermein' ich zu empfinden.
Fremdes Licht vor meinen Augen; irrer Ton in meinen Ohren —
Ach! ich sorg', um's ewig leben hab' mein Leben ich verloren.

Nicht verloren! Still mein Herze . . . Laß Dein ungestümes Pochen,
Welches Glüh'n in der Phiole! Dämpfe heben sich . . sie kochen . . .
Schwaden irren durch die Stube . . . Harre, harre . . . Wie sie sinken . . .
Flüssig Gold, du bist gefunden: Born des Heils, ich seh' Dich blinken!

Stille ward's. Die Laute schwiegen, die so hell durch's Zimmer hallten.
Tot in seiner Stube fanden früh am Tage sie den Alten;
Festgebannt lag irres Lächeln auf dem stummgeword'nen Munde —
Galt es dem zerschellten Träume? Galt es dem geträumten Funde?


Dies ist Gehenna!


"Dies ist Gehenna!" Rabba hub das Haupt
Und spähte aufwärts. Doch die Himmelsdecke,
Sonst Grenze seinen Blicken, war verschwunden,
Und ungeahnte Fernen lagen offen:
Kein Flimmerstern verstreute zagen Schein,
Die lohe Sonne selber war erloschen,
Und nur aus Schaitans Augen floß ein fahles,
Ein graues Zwielicht durch das Tal Gehenna.

"Halt still!" rief Schaitan. Rabba fühlte sich
Nun jäh gepackt. Ein ernst und tief Gewässer
Floß träg und reglos, sonder Wellenrauschen
Zu ihren Füßen; dies beschritten sie;
Und nicht ein Raunen, nicht ein stärker Flüstern
Der Flut verriet die Last, die sie bedrückte.
Weit war der Weg und endlos, meerflutgleich
War jener See und Rabba sprach zu Schaitan:
"Der Du auf Wogen wandelst, Starker! sprich,
Hast Du nicht Schwingen? Ist das Reich der Luft
Dir streng verwehrt?"  ""Für nun und immerdar!
Da mich der Andere vom Himmel warf,
Da brachen meine Flügel. Neuem Wachstum
Wehrt sein Gebot, denn dieses weiß er wohl:
Wüchs' mir der Fittig, sieh! ich höbe mich
Noch einmal auf zu seinen Herrlichkeiten —
Weh' mir, daß ich sie schaute! — fordert' ihn
Noch einmal dort zum Kampfe. Ich bestünd' ihn
Ein Mann den Andern, bis für Ewigkeit
Entschieden sei, wer stärker von uns Beiden:
Er oder ich!" gewaltig klang der Ton
Voll Höllenzornes durch das Tal des Schweigens.

Nun rührt' ihr Fuß des andern Strandes Kies
Und grau umfing sie uferlose Heide;
Gestalten trieben d'rauf ihr spukhaft Wesen —
Als er sie schaute, zog in Rabba's Herz
Ein fledermausbeschwingtes Schrecknis ein:
Er sah den Geizigen ob reichen Schätzen
Mit gierig glühem Auge Wache halten;
Sie gleißten helle; jetztund schwoll der Hort
Bis in's Unendliche und schwand dann wieder;
Und machtlos, grimmvoll stand dabei der Hüter.
Dann sah er Zweie sich im Kampfe messen:
Dem Einen, Streiterprobten war das Schwert
Im Hieb gebrochen; nun erharrt' er dumpf
Den Todesstreich, der doch zu kommen säumte.
Sein Innerstes trieb ihn zu rascher Flucht —
Gewohnter Mut band seinen Fuß dem Boden,
Und tausend Todesschauer quälten ihn . . .

Sie zogen weiter. Und mit ihnen war
Ein trüb Geleite; ein Gespensterzug,
Mit Knaben, Greise, graue Mütterchen
Und Mädchen im Gedräng. — Rasch zogen Beide,
Und jeden ihrer Stapfen schied der Raum
Vom Andern, den ein rüst'ger Wandersmann
Vom Morgen bis zur Nacht durchmessen mag;
Doch immer war das Heer an ihrer Seite
Und spät erst grüßten sie das Ziel der Scharen:

Ein grau Gebirg. Kühn griff er in die Luft
Mit tausend Zacken. Rings um seine Flanken
Zog, schweren Odems keuchend, Wetterbraus.
Von seinen Schultern fiel Gerölle nieder.
Sein jähes Haupt verlor sich in den Wolken,
Draus Blitze zuckten, wirr in sich verschlungen,
Phantastisch blendend, vielgezackt und wandelnd
An Leuchten, daß ihr heller Glanz von ferne,
Ein Rätselkleinod durch das Wallen schien:
"Sie heißen's Ruhm und Ehre, Glück und Liebe
Und werben d'rum, Betrogene," sprach Schaitan.

Und diesem Glanze strebten Alle nach;
Mit müden Füßen drangen sie nach oben,
Des Sturms nicht achtend, der ihr Kleid zerzauste,
Nicht des Gestrüppes, das den Weg verlegte,
Der Spukgestalten nicht, die sie umdrängten.
Erschöpft vom Wege sanken Viele nieder,
Um Angesichts des Zieles zu verzweifeln.
Die Andern aber rangen aufwärts, aufwärts!
Bis endlich Einer auf der Spitze stand,
Das Rätselkleinod sich gewinnen wollte —
Er griff in Luft, er taumelt' und das Haupt
Vom Strahl getroffen stürzt er jählings nieder
In steile Schlüchte.

"Trug und eitel Blendwerk
Und sie verderben d'rum," sprach Schaitan leise.

Und Rabba's Auge suchte still den Boden
Vom Schauen müde. An sein waches Ohr
Drang Windesbrausen, fern und gell ein Schrei,
Gar bald vom stärkern Ruf des Sturms verschlungen.
Dann sah er auf: "Dies Alles kenn' ich, Alles!
Um das zu seh'n, bedurft ich kein Geleit,
Nicht der Kabbala tiefgeheime Kunst.
Erschreckt' es mich, war's nur weil körperhaft
Mir das entgegentrat, was ich als Schatten
In meiner Seele oft und oft bespähte:
Ein Geiziger hielt ich bei Schätzen Wacht,
Die äffend schwanden, daß ich drob verzagte;
Der Todesbängnis Schauer lebt' ich durch;
Ich rang um Alles, das sie köstlich heißen,
Um Ehre, Glück und Liebe — Alles trog.
In meiner Brust erloschen alle Sterne,
Die Sonne starb, die Himmel fielen ein.
Und Dein Gehenna selbst, Du mein Geselle,
Begreifen kann ich's, der ich's durchgelebt:
Auch ich rang mit dem Ewigen, der Herrlichkeiten
Der Seligen verlangend — ich erlag
Und an die Erde bin ich nun gebunden.
Führ mich auf die zurück — ich sah genug."
Mit starkem Schlage schlug er seine Brust:
"Dies ist Gehenna!"

Ein Zug des Todes

Ein schneller Reiter ist der Tod,
Allnächtig zieht er durch die Lande,
Sein Kleid ist weiß; bedeutsam Rot
Färbt rings am Saume die Gewande.
Von Gliedern hoch und stark von Arm,
So gleicht er einem tapfern Streiter,
Und seinem Pfade folgt ein Schwarm
Vom Kummer und vom Leid Befreiter.

Vom Abendgrau zum Morgenlicht
Nie rasten seines Rosses Hufe,
Der Hütte Schwelle wehrt ihn nicht,
Nicht des Palastes Marmor-Stufe.
Da tritt er schwer und wuchtend ein
Und dort ergeht sein Laden leise:
Nun tretet an in meinen Reih'n,
Und rüstet Euch für meine Reise!

Hier findet sich, wer stark und laut
Zu dem, dem träge Tage schlichen;
Hier halst der Bräutigam die Braut,
Den Lieben, der ihr früh verblichen;
Hier hebt der Tod ein Kind auf's Roß,
Daß nicht das Wegemüde weine —
Dann stürmt er fort, vorauf dem Troß
Umzuckt vom fahlen Wetterscheine.

Oh! unabsehbar ist die Schar,
Und nirgend, nirgend darf sie weilen,
Hier blondes, dorten graues Haar
Verfliegt in einem Windeseilen.
Sie ziehen rasch, ein Möwenflug
Von Wirbelstürmen fortgerissen —
Doch welches Ende diesem Zug?
Wer darf um Gottes Wunder wissen? . . .

Hussiten-Lied

Für den heiligen Kelch, für die reine Lehr',
Für das Blut, das am Kreuze geflossen,
Im Kampfe zu sterben ist unser Begehr,
Nur suchen im Tod wir Genossen.

Wir wollen in Schlachten, im währenden Streit
Den Himmel der Seligen erben —
Und hinter uns schweige die Einsamkeit
Und vor uns brause Verderben.

Und die Städte sind wüst, und die Fluren steh'n leer,
Wie versengt, wie verödet von Schloßen;
Wir haben's getan: für den Kelch, für die Lehr',
Für das Blut, das am Kreuze geflossen.

Rachel

Das graue Haupt zum Schoß gesenkt,
So weilst Du stumm in weiten Wüsten;
Die hagern Arme sind verschränkt
Fest über ausgesog'nen Brüsten;
Für immer ist versiegt der Born —
Sie werden Dir kein Kind mehr stillen,
Du leidenvollste der Sybillen
So brütest Du ob Deinem Zorn.

Für Worte ward Dein Gram zu groß:
Es sah Dein Auge sie erschlagen,
Die Kinder Alle, die Dein Schoß
Zu fruchtbar nur dereinst, getragen.
Nunmehr umgibt Dich finst're Nacht —
Nur Dir im Geiste lodern Flammen . . .
Du kennst die Glut: d'rin sank zusammen
Der Tempel Salems, reich an Pracht . . .

Dein Auge hat kein Schlaf geletzt
Seit vielen, vielen bittern Stunden;
Mit kühlem Öle ward genetzt
Nicht eine Deiner tiefen Wunden —
Du sitzest gramverloren da,
Fühlst kaum den Schmerz in Deinen Schwären —
Sinnst an verfallenden Altären,
Ob der Erlösung Stunde nah . .

Ein Juden-Kind

                       I.

Sie war ein Kind, da durch die Lande
Sie hell und blendend lodern sah
Den Schein von Judas letztem Brande,
Die Riesenfackel Masada.

Ein Kind und heimlos und gefangen!
Und willenlos, dem Hündlein gleich,
Durchzog sie, in der Brust ein Bangen,
Das weltengroße Römerreich.

Sie wußte nichts von ihren Ahnen,
Von ihrer heil'gen Sprache Laut;
Und dennoch sprach ein dumpfes Mahnen
In ihrer Seele überlaut.

Wohin sie nur des Sturms Gefieder,
Ein nestlos Vögelein, enttrug,
Ersah sie die gebroch'nen Glieder
Des Stamm's, den Gottes Zorn zerschlug:

Im Zirkus vor Germanenlanzen
Sank manch ein jüdisch Haupt in Sand;
Gefang'ne Juden sah sie schanzen
Im nebelschweren Britenland.

Und auf des Nordens kahlen Heiden
Erklang mit schwermutsvollem Ton
Das Lied, ersonnen unter Weiden,
Am Tränenbach von Babylon.

Das Herz durchbebt' ihr stark sein Klagen,
Der Ton erklang ihr überall;
Und so, aus Liedern und aus Sagen
Erkannte sie der Ihren Fall.

Von Schatten sah sie sich umschweben,
Und kam die Nacht, dann träumte sie
Vom Libanon, von seinen Reben,
Und dem Rosental von Engadi.

                       II.

Im wilden Wald ward sie begraben,
Der Heimat ferne und entrückt.
Woran sie starb? Die Schatten haben
Die junge Seele ihr erdrückt.

Im Spätherbst war's, vorm Braus des Windes
Flog Wolk' um Wolke hin zu Hauf —
Da stieg das Bild des Judenkindes
Vor meinem Geiste jählings auf.

Es war ein Raunen im Gesträuche,
Der Himmel fahl und aschenfarb;
Ich aber sah die Stille, Bleiche,
Und wie sie heimatferne starb.

Und in des Nordlands Nebelschwaden
Vorm Anhauch ihrer Toten schwand,
Die Brust von einem Fluch beladen,
Den sie doch selber kaum verstand:

Beklemmend wie die graue Heide,
Und wie ein Bannwort rätselschwer —
Von ihres Volkes Riesenleide,
Dem Trauerlos des Ahasver . . .

Lokis Bann

Du wolltest nicht weinen, als Balder starb,
Als ganz in Tränen und Trauerfarb'
Die Welt hinterm Sarge gezogen;
Nicht klagen, als Allen der Frühling verblich:
So sei denn für nunmehr und ewiglich
Um Blühen und Frühling betrogen.

Im Lande, das ewiger Nordsturm umkreist,
Sei nun am Felsen, graniten, vereist,
Gebunden mit ehernen Banden.
Dir kreische zu Häupten des Adlers Brut,
Zu Deinen Füßen soll aber die Flut
In schäumenden Gischten verbranden.

Dein Herz verstöre der Wogen Gegroll,
Und eine sturmfrohe Möwe soll
Die Kunde vom Frühling verkünden;
Von Sonnengluten, vom blumigen Strand,
Und Dir nach dem Glücke, daraus Du verbannt,
Unendliches Sehnen entzünden.

Und dort, im Brausen der Einsamkeit,
Erkenne, wie Allen gemeinsam das Leid
Und der Kummer die Herzen durchwittern.
Und die graue Sorge, vor deren Gruß
Die Seelen erstarren, vor deren Fuß
Die Festen der Erden erzittern . . .

Bauern-Gebet

Nun betet Alle, Mann für Mann —
Das Bitten gilt ein' Schwur:
"Herr! hilf uns von der Pfaffen Bann,
Und von der Herren Schur!
Laß' Freiheit uns erwerben —
Doch wenn der Salzbund bricht,
Gib, Herr! ein fröhliches Sterben,
Darnach ein mild Gericht!

Es drohen Wetter um und um,
Und fährlich ist der Streit —
Und zeigt Dein Evangelium
Den Weg zur Seligkeit!
Doch müßten wir verderben,
Nun Satan mit uns ficht —
Gib, Herr! ein fröhliches Sterben,
Darnach ein mild Gericht!"

Firdusi

Nun höre, was der Müde, greise spricht,
Verschließ' Dein Ohr des Sängers Weise nicht:
Ob einer Ruhm erstritt, ob ihn ersang,
Bestaun' ihn, doch ihn selig preise nicht;
So mancher, der die Welt mit sich erfüllt,
Hat Rast nach seines Lebens Reise nicht.
Heimkehrt er, müd' vom Wege, seiner Fahrt,
Ihn hungert und er hat der Speise nicht,
Er fleht zum Herrn: Erlösung oder Rast!
Der horcht auf sein Gebet, das leise, nicht.
In Deinem Umkreis wirke, was Du kannst,
Und weich' aus dem gewohnten Gleise nicht;
Nach Allem frage, was der Mensch begreift —
Warum die Welt verworren kreise, nicht!

Diva Faustina

Durch den ungeheuren Zirkus
Klang der Abschiedsgruß der Tuba;
Und in stolzen Doppelreihen
Zogen nunmehr den Quiriten
Auf der Gladiatoren Rotten.
Schwerterklirrend, panzerrasselnd
Nahten, die im heißen Kampfspiel
Ihre Gegner überwunden.
Riesen waren's und ihr Schreiten
Ließ den Boden dumpf erdröhnen,
Donnergrollend klang ihr Grüßen:
"Ave, Ave, Imperator!"

Nur ein Einz'ger blieb zurücke;
Er erhob nicht seine Stimme
Mit den Andern, müde schritt er
Und des Schwertes starke Klinge
War ihm Stütze, wenn er wankte.
In der Mitte der Arena,
Atemholend, blieb er stehen.
Sein umflortes Auge kehrte
Sich zu jenen Marmorbänken,
D'rauf der Senatoren Töchter
Lächelnd, reichen Putzes saßen,
Jene suchend, der die besten
Seiner teuern Fechterkünste
Stets gegolten, die in heißen
Sommernächten sein gewesen;
Sein in schwülen, atemlosen
Nächten Rom's . . .

Als er sie schaute,
Überlief ein starkes Beben
Seinen Leib; der Riese schwankte,
Fahl zum Tod rang er nach Luft.
Und er riß mit jähem Griffe
Auf sein Wams. Er wies dem Volke
All die vielen schweren Narben,
Ihm in wilden Zirkus-Spielen
Schon geschlagen: Hier die Spuren
Unbarmherz'ger Thraker-Lanzen;
Dort den Krallengriff des Löwen,
Dann die Spur des Partherpfeiles.
Und aus tiefster und geheimster
Todeswunde floß gewaltig,
Unaufhaltsam, heiß und schäumend
Rotes Blut.

Der Fechter neigte
Sacht sein Haupt, daß blonde Haare,
Es umwallend, vorwärts fielen,
Hub mit letzter Kraft die Klinge,
Rief: "Faustina!" Zuckend fiel er.

Doch Faustina? Sie erhob sich.
Vorgebeugt verfolgt sie jede
Todeswindung des gestählten
Riesenkörpers und ein leiser
Schauer lief durch ihre Brust.
Auf dem Sande der Arena
Flammte grell die Mittagssonne;
Ihre Wimper senkt' sie schattend —
War's davor? War es Trauer?

Dann, am Arme eines holden
Wohlduftvollen Ritter-Jünglings
Stieg sie der Arena Stufen
Nieder sittig, zagen Ganges.

Felicitas

Was sie dort festhielt, war die Einsamkeit,
So weltvergessen lag das stille Eiland,
Und dennoch weltnah. Hart vor ihrem Fenster
Floß breit der Strom und schied sie von den Menschen,
Davor sie floh; doch sah ihr helles Auge
Noch stolze Türme, Rebgelände glänzten,
Und in der Lesezeit scholl Böllerknallen
Und heller Juh-Schrei in die grüne Wildnis.
Sie hört's und sann. Ihr blonder Knabe aber
Kam atemlos herangestürmt, umschlang
Die schöne Mutter: "Horch nur, was sie lärmen!
Du bist so still." Da neigte sie das Haupt
Und küßt' ihn stark und stieß ihn doch von sich:
"Gelüstet's Dich nach Lärm?" daß er verstummte.

Doch es geschah auch, daß in stillen Nächten
Der Knabe aufschrak. Neben seinem Bettchen
Lag auf den Knien Felicitas. Sie preßte
Ihr dunkellockig Haupt an seins; die Wangen
Von Tränen fühlte sie das Kind gefeuchtet.
Dann hob es sich; es schlang die weichen Ärmchen
Um ihren Nacken: "Sag' was tut Dir weh?
Ich bin so schläfrig, habe Dich so lieb,
Du liebe Mutter!" Dann erklang's in ihr
Wie heller Jubel: Sieh! er liebt Dich doch!
Und wieder traurig: Aber ach! wie lang
Wird Dich das Kind der Sünde lieben dürfen?
Und sie verharrte still und regungslos,
Bis das der Knabe sanft entschlummert war.
Dann stand sie auf, ging durch die stille Stube,
Die Säle durch, in denen Moderduft
Die Brust beengte, die ein hoher Herr
Einst ihrer Ahnfrau fürstlich eingerichtet,
Ein süß verschwiegen Glück im Wogenbraus
Mit jener, die er liebte, zu genießen;
Den Garten durch, an dessen Hecken nie,
Den wildverwachs'nen, eines Gärtners Schere
Gerührt seit Jahren, d'rin ein Marmorlöwe
Sein Wasser spie in längst geborst'nes Becken,
Und trat zum Strom und horchte seiner Weise,
Der ruhelosen, hörte das Geflüster,
Im wilden Röhricht, lauschte dem Georgel
Der Flut, die am geheimem Riff sich brach,
Dem Pfiff des Seeaars, der gebauschten Fittigs
Dem Strom entgegenzog, dem Schrei des Reihers,
Und ungeregt sah sie die Sterne sterben
Und neues Licht erglüh'n. Oft schrie sie auf
In Todesqualen: wirre Bilder zogen,
Ihr junges Leben schritt an ihr vorüber,
Und in dem Raunen rings erklang's ihr wieder:
"Ich hab' Dich lieb, Felicitas, so lieb!" . . .
Das war verweht. Vorbei, wie jene Stunde,
Drin ihr zum erstenmal ein Mann genaht:
Da um das heimlos frühverwaistes Mädchen
Ein schwüler Gluthauch zog der Leidenschaft,
Ihr Herz bezwingend. Da sie, schier verwundert,
In einer Stimme, sonst Befehl gewohnt
Und streng gebietend, weicheres Metall
Des allertiefsten Fühlens tönen hörte:
Da er ihr zugeflüstert, sie umschlingend:
"Nun mache Deine Märchenaugen zu,
Die Kinderaugen schließ', Felicitas!"
Und sie's getan. Verweht, wie jener Tag,
Da sie zum erstenmal das Heim betrat,
Das er ihr aufgerichtet. Da sie Samt
Und starre Seide allenthalben fand,
Und sich nicht drob verwunderte und still
Die tausend Freuden trug, die unablässig
Auf sie herniedertroffen. Denn ein Märchen
Schien ihr das Leben; was ihr Liebes ward,
Verschwand vor dem, was Holdes ihr begegnet,
Und noch beschieden schien.

Nur, daß ihr manchmal
Ein leiser Schauer kam, bedachte sie,
Wie einem andern Weib der Mann zu Eigen,
Der all ihr Glück. Sie schmiegte sich dann bänglich
Und eng an ihn und sah ihn traurig an.
Und er verstand die stumme Frage, nahm
In beide Hände dann ihr sinkend Köpfchen,
Bis sie beseligt lächelte und schweigend —
Sie sprach so ungern — zu der Wiege trat,
Darin ihr Knabe schlummerte. Sie hielt
Des lieben Mannes Hand in ihrer, so
Daß Beider Hände auf des Kleinen Deckchen
Wie schützend lagen. Ihr erschien's ein Eid,
So heilig, wie noch Keiner ihn geschworen.

Nur einmal lieh sie ihrem Grämen Laut.
Zu Abend war's. Sie zogen Beide sinnend
Durch stille Straßen und ein Zweigespann
Schoß raschen Lauf's den Flüchtigen vorüber.
Da strauchelte ein Roß. Mit starkem Huf,
So schlug's das Pflaster, daß die Funken stoben,
Und schwanden Augenblicks. Da seufzte sie,
Und preßte seinen Arm und seufzte wieder:
"Ein flüchtig Fünkchen in der Nacht verwehend,
So stirbt mein Glück." Er aber rief ihr zu,
Und seine Lippen fanden ihren Mund
Durch dichten Schleier: "Laß vom Sorgen ab!
Ich hab' Dich lieb, so lieb, Felicitas."

Ob solchen Träumen spann die Einsame,
Und sie verwirrten ihr die bange Seele.
Doch war es Winter, saß sie still im Zimmer,
Und großgeaugt ihr Knabe neben ihr —
Der längst verlernt, die Mutter drum zu fragen,
Warum sie hier so trübe Zeit verbrächten,
So abgeschieden — zog dann Sturmesodem
Mit schwerem Wehen durch die öde Stube,
Daß flackernd Lampenlicht die Wand beschien
Und fratzenhaft von hoher Decke nieder
Die Schildereien blickten rauchgeschwärzt
Und ernst — dann sprang Felicitas vom Stuhle
Und starrte leerer Augen in das Dunkel
Und sah doch Alles: wie er zögernd kam
Nach langer Pause, scheu und schuldbewußt.
Und wie er dann von seinem Leide sprach,
Und von der Pflicht, die ihm zum Weibe rufe.
Und sah sich selber: fest verschränkt die Arme,
Und hörte wieder, was sie damals hart
Und tonlos rief: Du lügst, Du lügst, Du lügst!
Und wandte sich und sah den kahlen Raum
Und wußt' nun Alles: ihre rasche Flucht
In Sturmesnacht, zum allerletzten Heim,
Das ihr geblieben, da sie sterben wollte,
Und schluchzte laut und stieß nach ihrem Buben:
"Du hast des Lügners Augen, fort, nur fort!"
Doch wenn er weinte, küßte sie ihn wieder:
"Oh wär' ich tot und du lägst neben mir,
Mein liebes, armes, glückverlass'nes Kind!"

So schwanden Monde. Also ging der Herbst,
Der Winter kam. Und wie der Knabe stiller
Und täglich bleicher ward, durchzogen Schauer
Und dumpfe Freude streitend ihren Busen.
Wenn der verbliche? Wenn er wie ein Lichtlein
In Nacht verglömme? Wär' das nicht das Beste
Für sie? Für ihn? Und doch erbangte sie,
Gedacht' sie dran. Oft schritt sie ernst zum Ringdamm,
Erhöht dereinst, vor Wogendrang dem Eiland
Ein Schutz zu sein, versinkend jetzt, gebrochen,
Und stand daran, im Haare weiße Flocken.
Der Ahne dachte sie, die oftmals so
Geharrt des Liebsten, bis die Pflicht ihn freigab.
Die harrte, harrte, keine Freude kam . . .

Der Winter schied; mit rätselvollem Laut
Erklang das Eis. Es kam der Fischersmann,
Der Beide mit dem Wenigen versorgte
Des sie bedurften, der der stolzen Frau
Vertraut war noch von ihrer Eltern Zeiten,
Mit mehr beladen, als er sonst wohl brachte,
Und trat zur Frau und sprach: "Entfliehet, Herrin,
Das Eis will brechen!" Sie verstand ihn nicht.
Und wieder: "Herrin, schwillt der Strom, verloren
Seid Ihr und Euer Kind!" — "Du meinst?" Sie schrie's
Und faltete die Hände, und ein Leuchten,
Ein selig Schimmern flog durch ihr Gesicht,
Und kehrte sich und schwieg. Der Knabe aber
Dem Fischer kam er hastig nachgelaufen:
"Ich soll Dir danken, Lieber! hieß die Mutter,
Wir aber bleiben!" . . .

Schwarze Wolken zogen
Von Mittag auf. Ein schweres Rieseln ward.
Der Eisstoß barst. Ein ungestümes Brausen
Durchzog die Welt. Der Fischer saß am Strand
Und späte nach der Insel, sah die Wellen
Anklimmen um den Ringdamm; sah ihn brechen
Und durch das Dröhnen klang ihm Wehlaut.
Er sah des Schlosses Turm versinken, sah
Nur schwanke Wipfel alter Bäume ragen,
Sonst nichts im wilden Wogenflutgebraus.
Und als er endlich wieder seinen Kahn
Durch's Wallen zwingen konnte, lag das Eiland
Verlassen wie vor eh. Nur Trümmer ragten.
Er schritt sie durch und sann und säumte lange,
Doch keine Spur erzählte von den Zweien.
Nur in den Erlen raunt' es wie von Trauer,
Und schwanke Weiden flüsterten die Sage
Von jener Frau, die leidvoll hier verdarb —
Felicitas genannt und also elend . . .