weiter
Quelle:
Gedichte
Deinhardstein Johann Ludwig
Berlin 1844
Duncker und Humblot
An die Leser
Ich ging allein durch Wald und Feld
Mit meinem Gram allein;
Die Welt war schlecht für mich bestellt,
Nichts konnte mich erfreu'n.
Da kam ein Weib, jung schön und schlank,
Sie schien so sanft, so gut.
Sie grüßte mich, ich bot ihr Dank
Und leichter floß mein Blut.
Und wie ich ihr in's Auge sah,
Da hob sich meine Brust;
Und alles glühte fern und nah
Vor mir in eig'ner Lust.
Sie war? — ich weiß es selbst nicht recht.
Mir war zu wunderbar;
Nehmt hin was sie mir gab und sprecht,
Ob es — die Muse — war.
Vor dem Dichten
So soll, was diese Brust so warm getragen,
Hinaus jetzt kommen in die kalte Welt!
Mit spitz'gen Krallen wird's der Hohn zerschlagen,
Dem Gift des Neides wird es bloßgestellt.
Die lichte Blüte von viel dunklen Tagen,
Von Lieb' erzeugt, von Sehnsucht aufgeschwellt,
Die soll ich jetzt mit ihrem zarten Leben
Der rauhen Hand der Feinde übergeben.
Du Vogel, dessen melancholisch Singen
Mein ahnend Herz mit Zaubermacht beschlich —
Ihr Rosen, deren Düfte zu mir dringen —
Du Quelle, die dem Mutterschoß entwich,
Ach! ihr dürft nicht mit bangen Zweifeln ringen,
Ihr alle seid glückseliger als ich;
Wie's euch gefällt, dürft blüh'n ihr, rinnen, singen,
Mag's Beifall euch, mag es euch Tadel bringen.
Den flüssigen Kristall von jener Quelle,
Ihn kümmert's nicht wer an den Ufern steht,
Ob sie nun eben sich an jener Stelle
Dem kleinen Fischlein nicht nach Willen dreht,
Das haschen möchte mit geschäft'ger Schnelle
Brotkrümlein, die man oben aufgesä't
Mit freud'gem Mut, die alte Kraft zu üben,
So eilt sie hin, von inn'rer Lust getrieben.
Aushaucht die Rose ihre milden Düfte,
Ob auch die Raupe ihr am Stiele kriecht,
Das schöne Haupt frei hebend in die Lüfte,
Bemerkt sie, was sich unten reget, nicht;
Am jungen Busen, wie am Felsgeklüfte
Versprühet sie dasselbe Zauberlicht,
Sie duftet nicht, daß Einem sie gefalle,
Für Keinen duftet sie, und doch für Alle.
Die kleine Nachtigall, die dort im Flieder
Den süßen Schmerz geheimer Sehnsucht klagt,
Auf schwankem Zweig wiegt sie sich hin und wieder,
Das Licht beäugelnd, das im Osten tagt;
Auszittern läßt sie ihre Liebeslieder,
Nicht achtend, ob's dem Sperling so behagt,
Sie singt und singt, und mit der Töne Beben
Verhallt zugleich ihr liederlust'ges Leben.
So will auch ich, wie Vogel, Blume, Quelle,
Dem Triebe folgen, der die Brust bewegt,
Vielleicht geschieht's, daß die bewegte Welle
Manchmal an ein bekanntes Ufer schlägt,
Vielleicht weiß nur die einsame Libelle
Das Plätzchen, wo sie sich um Blumen legt,
Gescheh' was mag, mich trieb nicht Sucht nach Ruhme,
Ich tat nur so, wie Vogel, Quell', und Blume.
An das Blut
Du kleiner Strom, der unsre Brust
Mit Schmerzen jetzt und jetzt mit Lust
Durchziehet für und für,
Von allen Strömen, wie sie kühn
In ihrer Wogen Allmacht zieh'n,
Scheinst du der kühnste mir.
In deinem schmalen Wellenhaus
Schläft Furcht und Hoffnung, Wonn' und Graus
Und was uns quält und freut;
Wie rennst du Gast mit keckem Lauf
Im Haus des Meisters ab und auf
In deinem Purpurkleid.
Des guten Ursprungs stolz bewußt
Schäumst du hier auf in rascher Lust
Gehst dort in stillem Gang,
Oft auch geschah's, daß deiner Flut
Zu ungestümen Übermut
Gerechte Kraft bezwang.
Wer nicht, dein Herr, mit wachem Fleiß
Als Diener dich zu lenken weiß,
Der muß dein Diener sein;
Du überschwemmst im Augenblick
Uralter Klugheit Meisterstück
Und bester Saat Gedeihn.
So wie der Schiffer Hab' und Gut
Der ungetreuen Meeresflut
Mit leichtem Sinn vertraut,
Vertrau'n wir Strom dir, der uns neckt,
Und schmeichelnd böse List versteckt,
Wie eine falsche Braut.
Ein jeder Schiffer stellt sein Gut
Auf deine trügerische Flut,
Die ihm so viel verspricht;
Das Schiff ist uns're Leidenschaft,
Das Steuerruder Willenskraft,
Den Hafen kenn' ich nicht.
Wer Wellen bänd'gen kann heißt stark,
Ihm schwellt den Arm gesundes Mark,
Gesunder Sinn den Mut;
Doch dreimal bessern Sieg errang
Der stärk're Mann, der dich bezwang,
Gewaltigere Flut.
Es ras't der Sturm, die Woge schwillt
Der Schiffer sinkt — da unten hüllt
Ihm's all sein Leiden zu: —
Wenn du die Ufer überzwingst
Wenn du den Mann zum Abgrund bringst,
Bringst du ihn auch zur Ruh?
An die Kunst
Kunst, du reicher Segensquell,
Du Kind der Phantasie,
Vor dir, du dreimal heil'ge, beugt
In Andacht sich mein Knie.
Du, mehr als Freundschaft, mehr als Lust,
Mehr als der Liebe Glück,
Du bringst der armen kalten Welt
Die gold'ne Zeit zurück.
Der armen Welt, die dich so oft
Verspottet und verkannt,
Der armen, schalen, neuen Welt
Voll Torheit und voll Tand.
Der Welt, die dich mit Schmuck behängt,
Den ihr die Zeit verleiht,
Dich! die in nackter Schönheit Glanz
Siegt über alle Zeit.
O Kunst, o Kunst, die du so stark
Und doch so mild zugleich,
Wie wundervoll, wie wundervoll
Beherrschest du dein Reich.
Wer, Himmlische, dich angeschaut
In deiner Herrlichkeit,
Wie zieht ihm aus der Brust der Zorn
Und Neid und Eitelkeit.
Und fromme Demut ziehet ein
Wie warm sein Herz auch schlägt,
Und etwas wie's im Frühling sich
In jungen Zweigen regt.
Ob ihn die Menge höhnt, ob sie
Ihn nun vergöttert schier,
Er weiß es nicht, denn immerdar
Schaut er nur hin nach dir.
Und ringt und ringt den langen Tag
Und durch die läng're Nacht,
Und glüht und sinnt und wirkt und schafft
Und sä't, und hofft und wacht.
Bis ihn zuletzt zum Siegeslohn
Dein Lorbeergrün umlaubt,
Ob spät vielleicht, allein gewiß,
Und wär's um's blut'ge Haupt.
Mann und Weib
Wer macht das Leben mild und rein,
Wenn Nacht und Sturm es wild bedräu'n;
Wer hält bewahrt in Schmerz und Lust
Den frommen Blick, die treue Brust;
Wer zeigt uns wo die Blumen blüh'n?
Das ist das Weib, die Dulderin.
Wer aber ruft in Sturm und Graus
Den Frieden aus der Brust heraus,
Wer steht und schafft und wanket nicht,
Ob unter ihm die Erde bricht.
Wer ist's, der selbst den Himmel schafft?
Das ist der Mann mit seiner Kraft.
Wenn Kraft und Dulden sich verband
Ist das Erzeugte Gott verwandt,
Das stark und klar dem Nichts entflieht,
Das siegend herrscht und nie verblüht.
Der Mann erschafft, das Weib erhält,
Und aus dem Bund erwächst die Welt.
Glück und Regenbogen
Du Glück, du Regenbogen!
Wie seid ihr doch so ähnlich:
Ihr lächelt nur nach Stürmen
Ihr steigt nur auf aus Tränen
Mit euren bunten Farben
Den Augenblick bemalend.
Wie schnell seid ihr verschwunden
Ihr heuchlerischen Lügner!
Wie bald ist eingesunken
Die farb'ge Zauberbrücke
Die lockend von der Erde
Zum Himmel ihr gezogen.
Und wieder ach! wie gerne
Vertraut man eurem Schimmer
Der so, wie er geboren
Verbleichet — unter Tränen.
Nur seh'n will euch das Auge
Euch, ihr Versöhnungsstrahlen
Ausruh'n in eurem Anschau'n
Daß Kraft ihm wieder werde
Und Mut zu neuen Stürmen.
Wie segnet dich der Landmann
Du luft'ger Irisbogen
Wenn über seine Saaten
Von lauen Maienregen
Zum Leben neu erquicket
Süßlächelnd aufgestiegen
Du ihm die Botschaft kündest
Daß diese Himmelstropfen
Gelabt nur seine Felder
Und nicht im wilden Zürnen
Zerstörend übergossen.
Wie segnen wir dich Alle
Du Abendstern des Glückes
Wenn über unser Sehnen
Wenn über uns're Leiden
Vom Himmelstau getränket
Der aus dem Auge sinket
Süßlächelnd aufgestiegen
Du uns die Botschaft kündest
Daß diese Himmelstropfen
Gereinigt nur das Sehnen
Und nimmer — unversiegbar —
Das arme Herz getötet.
Du Glück, du Regenbogen!
Wie seid ihr doch so ähnlich!
Wir schauen euer Trugbild
All' an von tausend Seiten,
Und Jeder glaubt, er sehe
Dasselbe — aber Jedem
Zeigt trüg'risch sich ein and'res.
Auf dem Johanniskirchhofe zu Leipzig
Ich grüße dich, du Haus der Nacht
Mit deiner schaudervollen Pracht,
Ich grüße dich, du gastlich Haus
Das Sturm um Ruhe tauschet aus.
Gleich einer Mutter grüß' ich dich,
Die ihre Kinder ruft zu sich,
Und alles, was sie schmerzt und schreckt
Mit ihren Schleiern überdeckt.
Ein froher Lebenspilger steht
Hier, wo nur Leichen ausgesä't,
Und weiter tritt der Wandersmann,
Und nackte Schädel schau'n ihn an,
Ihm winken Särge rings umher,
Es starrt vor ihm ein Knochenmeer,
Und über all dem Schreckenstag,
Erhebt der Tod den Flügelschlag.
So wär'st du hier der Herr vom Haus,
Der Meister du von all dem Graus
Du kalter Tod; du mähtest hier
Statt voller Garben, Menschen dir? —
Der Regenbogen kündet fern
Den Schläfern einen andern Herrn,
Zeigt, daß, wie weit dein Reich auch ist,
Du hier nichts, als der Diener bist.
Dort jener hohe Marmorstein,
Er sank nun selbst in's Grab hinein.
In Staub zerfallen liegt der Sarg,
Der andern Staub zuvor verbarg;
Der dort ist von Bewohnern leer,
Hier ist das Grab nicht einmal mehr.
Verwesung! was du eingewiegt,
Du hast zuletzt dich selbst besiegt.
Wie doch sich mit so eig'ner Art
Der Tod hier mit dem Leben paart.
Dort trägt ein prunkvoll stolzer Bau
Statt Trauer, Eitelkeit zur Schau.
Geheim verblutet hier ein Herz,
Mit Blumen tändelt dort der Schmerz,
Hier stürmt das Leben mit Gebraus,
Durch's ernste stille Leichenhaus.
Auch du, mein alter G e l l e r t hier!
Dies Plätzchen, wohl gebührt es dir,
Von weißen Rosen eingefaßt,
Umfängt's so eng den lieben Gast;
Der Trauerweide hängend Laub,
Es säuselt über deinem Staub,
So mild, so leicht, so grambewegt,
Daß jedes Herz hier leichter schlägt.
Und jener graue Würfelstein,
Den guten Weisen schließt er ein.
Das Leben, liedersüßer Greis,
Es machte dir die Locke weiß.
Da hat der Tod dir Recht verschafft
Und gab dir wieder Jünglingskraft.
Wohl dir, von dem man sagen kann:
Er war ein makelreiner Mann!
Dort spielt der Kinder munt're Schar,
Die Brust so frei, das Aug so klar;
Der Eltern ernster Ruheplatz
Ist ihnen nun ein Blumenschatz.
Des kalten Inhalts unbewußt,
Blüht selbst aus Gräbern ihnen Lust.
O gold'ne Kindheit, schöne Zeit,
Du weißt nichts von Vergänglichkeit.
Und noch so manch' gebrochen Herz
Schläft aus hier von des Lebens Schmerz,
Und noch so manche wunde Brust
Ist sich des Dorns nicht mehr bewußt.
Die Schläfer, welche Niemand kennt,
Und die, die laut der Marmor nennt,
Sie ruhen jetzt zusammen aus,
All' in demselben stillen Haus.
Wer wandelt dort so trüb und stumm
An jenem grünen Grab herum?
Wer wohl das bleiche Weib dort ist,
Das Rosen mit dem Aug begießt?
Gewiß muß unter jenem Stein
Ihr etwas gar zu Liebes sein,
Weil ihr die Träne schier gebricht,
Weib! Tränen wecken Tote nicht!
Sie aber stehn von selber auf,
Und winken dir zu sich hinauf,
Wo Sonnen, die nicht blenden, glüh'n,
Und Rosen ohne Dornen blüh'n,
Dort stehen sie im Brautgewand,
Mit grünen Palmen in der Hand,
Und zeigen lächelnd auf ihr Grab,
D'rum trockne dir die Tränen ab.
An mein Stammbuch
Du stiller Zeuge meiner besten Freuden,
So halt' ich dich denn wieder in der Hand,
Verscheuche du mir alle meine Leiden,
Du, schöner Stunden gutes Unterpfand!
Laß mich an deinen Liebeszeichen weiden,
Umschlinge mich mit deinem Liebesband,
Das treu an mich die Freunde hält gebunden,
Die ich umarme und die mir verschwunden.
Welch' stolze Zier von Männern und von Frauen
Umfassest du in deinem engen Raum;
So blumenreich ein einzig Beet zu schauen,
Das überraschte Auge glaubt es kaum,
Und es umflüstert mich ein heimlich Grauen,
Ob, was ich meine, nicht vielleicht ein Traum,
Und sturmvoll jetzt, jetzt wieder bang und leise
Schlägt mir das Herz in diesem Zauberkreise.
Und hin zu jenen, die so kräftig rangen,
Und hin zu jenen, die so kühn gestrebt,
Zieht mich ein ewig glühendes Verlangen,
Das mir den Geist, das mir die Brust belebt;
Wohin ich schau', fühl' ich mich süß umfangen,
Wohin ich schau', fühl' ich mich mild umschwebt,
Und meinem heißen, ungestillten Sehnen
Taucht Bild auf Bild auf, aus Erinn'rungstränen.
Ob mir die nächste Stunde mag zerschlagen
Was die vergangene mir aufgebaut,
Ob mir beim Spiel von gut und bösen Tagen
Der Tod auch stets ins frische Leben schaut,
Und Keiner da ist, der vermag zu sagen,
Daß er der Witterung des Glücks vertraut,
Blick ich in den Kalender meiner Lieben,
Und rufe froh: die sind mir doch geblieben!
Und sind sie's nicht, und haben sich gewendet
Die Herzen alle, alle von mir ab,
Und sind sie's nicht, und hat mein Glück geendet,
Und liegt erstarrt mein Hoffen all' im Grab:
Denk' ich, was einst das Glück an mich verschwendet,
Als es so Viel mir und so Viele gab;
Und meine Jugendzeit, sie kehrt mir wieder,
Und streut in Nacht den Morgen auf mich nieder.
Bewußtsein
Willst deines Lebens froh du sein,
Wähl' lieber Tun als Scheinen,
Vor allem aber präg' dir ein:
Sei mit dir selbst im Reinen.
Wer Allen recht es machen will,
Der treibt ein bös Geschäfte,
Beständig fern von seinem Ziel,
Kommt er um Lust und Kräfte.
Ein blauer Himmel dem gefällt,
Dem Andern Regenwetter,
Der möchte göttlicher die Welt,
Der menschlicher die Götter.
Der Krämer in dem großen Rom
Vertauscht um Gold die Musen,
Dem Künstler an Sankt Peters Dom
Zerspringt das Herz im Busen.
Ein Jeder sagt die Meinung sein
Und Kein's will einen Zügel;
Wer fern steht, hält den Berg für klein,
Wer nah', für groß den Hügel.
Du mußt, was du erschaffen magst,
Zuvor im Innern spüren,
Und was du zu beschließen wagst,
Das wag' auch zu vollführen.
Abschied
Nur den Abschied schnell genommen,
Nicht gezaudert, nicht geklagt,
Schneller als die Tränen kommen,
Losgerissen, unverzagt.
Aus den Armen losgewunden,
Wie dir's in der Brust auch brennt,
Was im Leben sich gefunden,
Wird im Leben auch getrennt.
Sollst du tragen, mußt du tragen,
Trage nur mit festem Sinn,
Deine Seufzer, deine Klagen
Wehen in die Lüfte hin.
Soll der Schmerz nicht dich bezwingen,
So bezwinge du den Schmerz,
Und verwelkte Blüten schlingen
Frisch sich um dein wundes Herz.
Im Frühling
Wie ist deine Welt
Doch so wohl bestellt,
Du allmächt'ger Gott!
Wie so voll so reich
Deinem Herzen gleich,
Alles webt und glüht
Alles treibt und blüht;
Wie die Quelle springt,
Und die Lerche singt
In der blauen Luft
Bei der Blumen Duft;
Wie am Berg, im Tal,
Und am Wasserfall
Alles frisch und frei
Alles jung und neu;
Wie nicht Baum und Blatt
Wird des Anschauns satt
Und der Schöpfung Pracht
Und des Schöpfers Macht
Und der Liebe Geist
Alles segnend preist.
Und der Mensch beschaut,
Was du aufgebaut,
Und der Haß entflieht
Und die Liebe zieht
Mit der Frühlingslust
Auch in seine Brust.
An den Mond
Dich grüßt' ich in den blauen Höh'n,
Als ich ein Kind noch war,
Als ich so treu dich wandeln sehn
In deiner Kinder Schar.
Dich grüßt' ich, als ich nicht gewußt,
Wie gut du mir's gemeint;
Dich grüß' ich noch aus voller Brust
Wie meinen treusten Freund.
Wie wurde stets das Herz mir weit,
Wie schwand in Lieb' mein Zorn,
Wenn du dein Silber ausgestreut
Aus deinem gold'nen Horn.
Wenn du mich brüderlich gegrüßt
Und weggehaucht den Gram,
Und jede Träne weggeküßt,
Die mir im Auge schwamm.
Wenn ich so gut, so fromm dich sah,
Und so beständig doch,
Wie war mir da die Lust so nah,
Wie nah bringst du sie noch!
Du gehst am Himmel auf und ab,
Gehst über Berg und Tal
Und schickst den Himmel uns herab
In deinem milden Strahl.
Du führst mich hin zum Blütenbaum,
Wenn er am schönsten blüht,
Du steigst zu mir im Frühlingstraum,
Hebst mich zu dir im Lied.
Du guter Sternenfürst hast oft
Das wunde Herz gestillt,
Das Herz, das hier umsonst gehofft,
Wo nur die Lüge gilt.
Hast oft den Trauernden umschwebt
Mit deinem blassen Schein,
In deiner stillen Nähe lebt
Das wahre Glück allein.
Du kamst an meine Wiege schon
Dem Wachenden herab,
Komm auch von deinem Freudenthron
Zum Schlafenden in's Grab.
Wenn sie mich, frei von allem Harm,
Nach ihrer Art geschmückt,
Die Erde mit dem Mutterarm
Mich an die Brust gedrückt. —
Wenn dann mich lang' nicht mehr umlaubt
Der roten Rose Zier,
So schmück' ein treuer Freund das Haupt
Mit weißen Rosen mir.
An einen Schmetterling
der über den Rhein flog
1843
Kühner Segler du am Rheine
Mit dem kleinen Flügelpaar,
Hin und her im Abendscheine
Über dir der alte Aar.
Kannst du sie denn auch ertragen,
Diese ungeheure Lust,
Wie der Adler dich zu wagen
An des Vaters starke Brust?
Fliege nur! auf deinen Zügen
Müssen Lenz und Frieden blüh'n,
Kleiner Segler magst du fliegen
Immer — immer her und hin!
Klage
Flücht'ge Vögel, ach! wie seid ihr milder,
Und ihr Blumen und ihr andern Kräuter,
Und ihr Wolken selber als die Menschen,
Die das Herz verwunden und zerfleischen
Kalt und fühllos, indes ihr — ihr Guten
Singt und duftet und laßt Tränen fallen
Nach den alten, ewigen Gesetzen,
Die die Herzen zu den Herzen ziehen.
Ach! wie seid ihr wahrer als die Menschen,
Um den Vogel klagt und singt der Vogel
Und die Blume duftet um die Blume,
Und die Wolke läßt der Träne Regen
Fallen um die Wolke, doch die Menschen
Folgen nicht den ewigen Gesetzen,
Sie entstellen sie nach eigner Willkür;
Ihrem Vorteil, dem geringen, armen,
Opfern sie die Blüte ihrer Herzen,
Fühlen nicht und heucheln doch Gefühle;
Armes, elendes Geschlecht von Lügnern,
Wen'ger wert, als Vogel, Blum' und Wolke!
Rhapsodie
Was fürchtest du den Tod?
Hast du denn nie gehört, was sterben heißt?
Hast du denn nie geseh'n im Abendwind
Ein Licht verlöschen leis' und still und leicht,
So wie der Hauch, der es hinweggeküßt?
Was fürchtest du?
Was ist der Tod denn anders als ein Hauch,
Der von der Erde weg uns küßt, und du,
Du fürchtest ihn? — Ist denn das fürchterlich,
Daß deine Qual nun aufhört, daß dein Schmerz
Einmal ein Ende nimmt, daß dir der Tod
Vom Dorn den Stachel nimmt, der deine Brust
So blutend aufgeritzt, daß du nun frei,
So wie ein Wiegenkind, von aller Not
Noch einmal jung sein darfst,
Ist denn das fürchterlich?
Wenn du nicht schlafen kannst, ein langer Schlaf
Und süßer Traum vielleicht — vielleicht auch nicht,
Doch Ruh' gewiß — ist denn das fürchterlich?
Schlaf ein, schlaf ein — Schlaf ist der Müden Glück, —
Dir drückt der Freund die Augen zu, es schwimmt
Vor dir wie Glut, das ist das Morgenrot.
Die Palme wiegt sich kühlend über dich,
Schließ nur die Wimper fest und ruhe sanft,
Vielleicht weckt man dich nie, und weckt man dich,
Wie's dort auch sei, 's ist besser doch als hier.
Der Mensch und die Erinnerung
Der Mensch:
Du schöne Freude, warum enteilst du so
Mit all den Blüten, die dich umgaukeln, mit
Der ersten Liebe zitternder Seligkeit
Und mit der Jugend lachendem Morgentraum?
Die Erinnerung:
Was dir von Lust als Perle hinunterfällt,
Ich heb' es auf und samml' es zum Kranze dir,
Bewahrst du mich dir heiter und warm, so ist
Nichts dir verloren, was einmal dein war.
Der Unglückliche an das Unglück
So seh' ich dich schon wieder vor mir stehn,
Muß ich denn stets und nichts als dich nur sehn?
Heraus zum Kampf! heraus zum Kampf! sag an:
Was hab' ich, Würge-Engel, dir getan?
Ich pflanzte still mit hoffendem Gemüt,
Ein rauher Sturm nimmt meine Saaten mit,
Ich murre nicht, und pflanze noch einmal
Und wieder stürmt Vernichtung durch das Tal.
Die Einzige, die mir das Leben gab,
Warfst du mit Räuberhänden mir in's Grab,
Und als ich weinte, Eumenidenhaupt,
Hast du nicht selbst die Träne mir geraubt?
Hin sink' ich an den Aschenkrug der Lust,
Der Schmerz hat Mitleid mit der wunden Brust,
Er deckt sie zu, da steigt der Traum herauf,
Und reißt mir meine Wunden wieder auf.
Mir ward kein Freund, mir ward kein heimisch Land,
Die Blume senkt das Haupt in meiner Hand,
Mein Wunsch verwelkt, so wie er aufgewacht,
Und was ich denke, stirbt, wie ich's gedacht.
Dir Unglück, dir verdank' ich all die Pein,
An meiner Wiege lachtest du allein;
Wohin ich schau', schaust du mir in's Gesicht,
Ich kenne dich, allein ich bebe nicht.
Stürm' du nur fort, du Teufel meiner Ruh,
Du hast den Pfeil und ich die Brust dazu;
Der Sieger heißt: der nicht die Kraft verliert;
Wir wollen sehn, wer früher müde wird.
Es bricht der Fels, es donnert der Orkan,
Die Woge wirft den Schiffer himmelan,
Es hat der Blitz der Sinne ihn beraubt,
Der Donner wütet um sein schuldlos Haupt.
Und immer wächst und schwillet die Gefahr,
Er gibt die freie Brust den Stürmen dar,
Da sieht in Osten er es glänzend glüh'n,
Es ist die Sonne — und die Nebel fliehn.
Ich, Unglück, bin der Schiffer auf der Flut,
Brich mir das Herz, du brichst mir nicht den Mut;
Mein ist der Sieg! — gerettet — oder tot —
Auf deine Nacht folgt doch ein Morgenrot.
An das Jahr
Am Neujahrstage
So kommst du wieder, wie du bist gekommen
Als ich zuerst an deiner Brust erwacht,
Sei wieder freundlich bei uns aufgenommen
In deines Morgens frischer Jugendpracht;
Wir bringen dir ein freudiges Willkommen,
Wie man es etwa einem Freund gebracht,
Der uns, wenn wir einmal ihn wieder finden,
Manch ernsteres Geheimnis kann verkünden.
So nahst du uns, und Zauberbilder ragen
Vor, unter deinem faltenreichen Kleid,
Wir schaun sie an, und wagen's kaum zu fragen,
Was Jedem deine Hand davon verleiht;
Die Träne kommt, denn Keiner weiß zu sagen,
Daß du ihn stets und immer gleich erfreut,
Und Jeder denkt, wie er in allen Jahren
Zwar viel von Lust, doch auch viel Schmerz erfahren.
Ich grüße dich! — mir bist du nie gekommen
Du brachtest freundlich eine Gabe dar.
Hat mir auch eines Viel hinweggenommen,
Viel brachte mir dafür ein ander Jahr.
Wohl manches freilich ist hinabgeschwommen,
Was nimmer wieder wird, wie's einmal war;
Doch wer begreift nicht leichter das Vergehen,
Wenn er der Blume zarten Kelch gesehen.
Und schlugst du mir auch manchmal tiefe Wunden,
Hast du doch bald den Balsam d'rauf gelegt,
Du schicktest in mein Leben schöne Stunden,
Wovon der Nachhall noch im Herzen schlägt;
Und sind auch manche jetzt hinweggeschwunden
So tu' ich doch, wie man zu tuen pflegt,
Wenn man in monderhellten Sommernächten
Den Traum will mit der Wirklichkeit verflechten.
Ein zahlreich Heer von gut und bösen Tagen,
Es steht erwartend da in deinem Haus,
Wie du es ihnen anbefiehlst, so tragen
Sie Sarg und Wiege in die Welt hinaus.
Wohl möcht' ich dich geheim darum befragen:
Wie wähltest du für mich die Diener aus?
Ist's ihr Geschäft, mir Freuden aufzuwecken,
Mich mit dem Leichentuche zuzudecken?
Wie dir's gefällt! — wirst du mich jetzt verschonen,
Weiß ich, daß einmal du mich nicht verschonst;
Wie du verschwend'risch strafen magst und lohnen,
Muß doch vergehn, womit du strafst und lohnst.
Mit dir zugleich wird die Zerstörung thronen,
Weil du auf deiner Kinder Leichen thronst.
So lang du lebst, sind wir dir preisgegeben,
Doch stirbst auch du, und dann kommt unser Leben.
Am ersten Mai
Im Mai, im Mai, am ersten Mai
Da kommt die Lust ins Leben,
Da hat der Meister seiner Welt
Den ersten Kuß gegeben;
Was lange schlief, da wacht es auf
Und will nicht ruhen länger,
Und voller wird da jede Brust
Und jede Knospe enger.
Da schaut der Herr zum ersten Mal
Auf Erdenlust herunter
Die Blumen blicken schüchtern auf
Und werden immer bunter;
Die duftet schon, und die versucht
Die Farben d'rein zu mischen,
Die Sonne glüht, die Quelle springt,
Und Vogelsang dazwischen.
Und Blum' und Quell, und Sonn' und Sang
Und alles Lebens Flammen,
Sie schmelzet Lieb' und Sehnsucht jetzt
In eine Lust zusammen;
Da schließt der Herr die junge Welt
In seine Schöpferarme;
Daß sie an seiner reichen Brust
Zu Farb' und Glut erwärme.
Im Mai, im Mai, am ersten Mai
Da kam ein Sproß' in's Leben,
Der sich entfaltend aller Zeit
Hat Duft und Frucht gegeben.
Da hat ein zweiggewalt'ger Stamm
Die Wurzeln eingeschlagen;
Ein Eichenstamm, der auch zugleich
Viel Lorbeern hat getragen.
Rudolph der Held, der Kaiser Ahn,
Der Hort vom deutschen Reiche,
Die Sturm- und Donner- trotzende
Allmächt'ge Riesen-Eiche. —
Geboren ward an diesem Tag
Den sich die Zeit erkoren,
Zu retten sie von Schmach und Not,
Rudolphus ward geboren.*
*Rudolph von Habsburg ward geboren am 1. Mai 1218.
D'rum sei uns auch der neue Mai
Tag der neuen Freude;
Wie sich die weiße Erde färbt
Mit grünem Hoffnungskleide,
So wollen wir der Hoffnung auch
Der Tage Wechsel weihen,
Was uns der Winter weiß gebleicht
Wird wieder grün im Maien.
Am Sylvesterabend
Wir steh'n an einem off'nen Grab
Geheimnisvoll bewegt,
Es legt die Zeit ein Jahr hinab
Wenn zwölf die Glocke schlägt.
Ein Schauder schleicht durch uns're Reih'n,
Denn unwillkürlich fällt uns ein
Im Sinken zieht der Leiche Hand
Uns näher an des Grabes Rand.
Doch rufen Heil! wir nach dem Jahr
Wie einem alten Freund,
Der's, ob auch manchmal rauh er war,
Doch gut mit uns gemeint.
Der oft am Besten uns beglückt
Wenn er uns mürrisch angeblickt,
Und, scheidend, das was er uns gab
Nicht mit hinunter nimmt ins Grab.
Den Glauben an des Wahren Macht,
Der Schönheit Zauberlicht;
Des Guten Sieg trotz Sturm und Nacht
Raubt Jahres Scheiden nicht.
Ja, tilgt es alles Glückes Spur
Und ließ uns die Erinn'rung nur,
Wir schwelgten süß, von Qual umdräut,
Im Angedenken beß'rer Zeit.
D'rum sei befreit auch uns're Brust
Vom Grame, der sie preßt,
Aus einem Sarge steigt die Lust
Von einem Wiegenfest.
Das junge Knäblein schön und zart
Ist von des Vaters guter Art
Aus seinen klaren Augen bricht
Der Hoffnung morgenhelles Licht.
Und Myrthen in der Bräute Haar
Und junger Rosen Glut,
Und grüne Lorbeer reicht es dar
Und frisches Traubenblut,
Und noch so manches liebe Los
Streut es aus seinem reichen Schoß.
D'rum sei ihm froher Gruß gebracht,
Und froh des alten Jahr's gedacht.
Bei Übersendung meiner
dramatischen Dichtungen
Der Frühling kommt, es rührt sich in den Ästen,
Der Vogel singt, es schwätzt der Bach dazu,
Die Rose koset mit den lauen Westen,
Die kleine Biene fliegt der Zelle zu,
Und alles schwelget bei den muntern Festen,
Nur aus des Dichters Busen flieht die Ruh;
Er irrt allein auf den beblumten Gründen,
Für das verwaiste Herz ein Herz zu finden.
Doch was er sucht will nimmer sich ihm zeigen,
Da wählt er seine Muse sich als Braut,
Der Einzigen gibt er sich ganz zu eigen,
Nur sie versteht es was er ihr vertraut,
Und sieht er freundlich sie zu ihm sich neigen
Da werden plötzlich Lust und Klagen laut,
Und was er fühlt er muß es ihr gestehen,
Mag auch das nächste Lüftchen es verwehen.
D'rum denke du, wirst du die Verse lesen,
Nur Boten sind's aus einem fernen Land,
Den Schwalben gleich, die, wenn sie da gewesen,
Erschienen als des Frühlings Unterpfand.
Sind doch die Dichter sonderbare Wesen,
Weich ist ihr Herz, doch seltsam ihr Verstand,
Sie können weinen mitten unter Scherzen,
Und wieder lachen mit gebroch'nem Herzen.
Und dennoch, mein' ich, sind sie zu beneiden
Mit ihrem leicht beweglichen Gemüt,
Sie fühlen lächelnd noch der Rose Freuden
Wenn man den Dorn aus ihrem Busen zieht;
So wie die Sonne, glühend noch im Scheiden,
Folgt ihnen — ihr gleich, manche Träne mit.
Zertritt sie auch der Fuß der nächsten Stunde,
Lebt doch ihr Lied in manchem lieben Munde.
An eine junge Fürstin
Es ward Dir Alles, was des Menschen Wunsch
Mit gier'gen Armen nur erfassen mag.
Die festen Säulenreihen deiner Burg
Erheben stolz sich in die blaue Luft,
Die Meere decket deiner Schiffe Schwarm,
Hell blüht die Jugendschöne deines Leibs,
Ihm gleich dein Gatte, und die Kinder auch.
Die Ersten neigen demutsvoll sich Dir,
Und dein Verstand strahlt ein bewundert Licht
Um Dich, und Alles das, was Dich umgibt.
Du hast so Viel, daß von den Göttern Du
Nichts mehr begehren kannst — als Eines nur:
"Beschützt, Ihr Götter, mich vor Übermut!"
An eine Mutter
die den Sarg ihres Kindes trug
Drücke, du Schweigende
Deines entschlummerten
Engeleins Ruhebett
Sanfter an dich!
Sage, was wankt dein Fuß,
Sage, was sinkt vom Aug',
Weib! jener Tropfen dir
Heimlich hinab?
Soll's eine Perle sein
Um deines Kindleins Haupt?
Wind' ihm die Perle nur
Lächelnd in's Haar.
Soll's eine Träne sein,
Die deinem starren Aug'
Langsam der Schmerz entpreßt,
Trockne sie, Weib!
Sinken die Blumen nicht,
Rosen und Lilien,
All' in der Erde Schoß
Müde, zur Ruh!
Weib, warum klagst du denn,
Daß dir dein Blümlein sank,
Steh'n die gesunkenen
Nicht wieder auf?
Was in der Erde liegt
Liegt in der Mutter Schoß —
Mütter, das weißt du ja,
Lieben ihr Kind!
An Belinden
Als ich in manchen trüben Stunden
Mein Haupt an deine Brust gelegt,
Und du des Dichters tiefe Wunden
Mit Lieb' und Treue mild gepflegt;
Als ich in frohen Stunden gerne
Im Buche deiner Schönheit las,
Und Sonne, Mond, und alle Sterne
Bei deiner Augen Licht vergaß;
Als in entschwund'nen Frühlingstagen
Beim Singen jener Nachtigall
Nicht lauter ihre Brust geschlagen
Als uns'rer Freuden Widerhall;
Als glühend dich mein Arm umwunden
Wie überselig glaubt' ich da,
Daß ich es einmal doch gefunden,
Was ich so oft in Träumen sah.
Und als bestand der süße Glaube,
Da zog die Lust mir durch's Gemüt,
Wie eine weiße Friedenstaube
Nach Stürmen durch die Lüfte zieht.
O täusche diesen Glauben nimmer,
Der mit des Siegers Herrlichkeit
Die unruhvolle Brust auf immer
Von Zweifel und von Furcht befreit.
Laß einen Garten um uns bauen
Von Hoffnungsbäumen jung und grün
Die wir mit freudigem Vertrauen
Für alle Tage auferziehn.
Die Freundschaft pflanze diesen Garten,
Die Liebe sei sein Sonnenschein,
Die Sehnsucht soll der Blumen warten,
Die Treue muß der Gärtner sein.
Nur keinen Stein
Werft keinen Stein auf Jene, die gefallen,
Der Mensch ist schwach, Versuchung über allen,
Vielleicht hat nichts euch mit der Welt entzweiet,
Vielleicht das Glück nur euch vom Fall befreiet,
Nur keinen Stein!
Habt Ihr denn auch in ruhelosen Stunden
Der Kränkung Qual, des Mangels Pein empfunden,
Empfandet ihr bei leicht bewegtem Blute
Tyrannen-Druck, den Hohn vom Übermute —
Nur keinen Stein!
Ihr seht die Tat, doch auch des Täters Schmerzen?
Habt ihr gelesen auch in seinem Herzen?
Er fiel — allein, er hat wohl auch gestritten,
Er hat gefehlt, doch hat er auch gelitten —
Nur keinen Stein!
Und müßt mit Abscheu wenden ihr die Blicke
So wendet sie zu Besseren zurücke;
Nicht soll durch euch sein kaltes Herz erwarmen,
Nehmt Hilfe ihm, ja nehmt ihm selbst Erbarmen,
Nur keinen Stein!
Der Stein, den ihr geschleudert auf die Sünder
Er fällt auf euch vielleicht, auf eure Kinder —
Man fragt euch einst an eines Thrones Stufen
Wer hat zu And'rer Richter euch berufen?
Nur keinen Stein!
Als reuerfüllt, mit stehender Gebärde
Das Weib gekniet vor dem Herrn der Erde,
Und als der Herr sie All' betrachtend, fragte
"Wer wirft zuerst?" — Wer war es, der es wagte?
Nur keinen Stein!