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V.
Nachklänge
Bekenntnis
Reue
Herbstschauer
VorwurfJulinacht
Verzeiht
Du weißt es nicht
MenschenlebenAn M.H.
Zurück
Umsonst
Rhythmen
Bekenntnis
Ich habe zerwühlt und zerbissen
Mein Kissen
In ächzenden Qualen der Nacht,
Am Tage dann Witze gerissen,
Das Gewissen
Betäubt und die Schmerzen verlacht.
Ich träumte von Lilienstirnen,
Von dunkler Augen Gewalt,
Und umgab mich mit Bestiengehirnen
Und umkrampfte der wüstesten Dirnen
Lusttolle Gestalt.
Ich schien ein Apostel des Lebens
In der Fäulnis betörendem Schein
Und spottete jeglichen Strebens,
Weil ich selber gerungen vergebens,
Um "Etwas" zu sein.
Ich sprach von Göttergenüssen,
Von Küssen,
Von schwellender Glieder Pracht,
Von Freude und Glücklichsein-müssen,
Zerrissen
Von ächzenden Qualen der Nacht.
Reue
Daß mir der Vater gar so früh gestorben,
Das war für mich der allerärgste Schlag;
Das ist's, was ich beweine Tag für Tag,
Das ist der Grund, warum ich ganz verdorben.
Ach, ungestüm und liebelechzend rollen
Die Flammenbäche meines wilden Bluts,
Und jene Gabe dann des Wankelmuts
Und jenes sieche, trotzig-scheue Wollen ...
O hätte meinem ersten Wollustlallen
Des Vaters gütig starke Hand gewehrt,
So wäre meine Stirn nicht lustentehrt,
Und nimmer wär ich gar so tief gefallen.
Herbstschauer
Hinter fernen dunklen Häusermassen,
Versinkt die Sonne,
Ein tränenverschleiertes,
Müdegeweintes,
Riesengroßes Menschenauge.
Der Himmel aber leuchtet
Aus schwarzen Wolkenbänken
Matt und fahl,
Schier wie ein totenblasses Menschenkind,
Ein gramgebeugtes,
Das gern, so gerne sterben möchte –
Und leben muß.
Es klingt so schaurig
Wie Krankenstöhnen
Durch kahle Bäume
Das Ächzen des Windes,
Und gelbe, dürre, verfaulende Blätter
Sie tanzen mit ihm einen taumelnden Reigen
Und flüstern und rauschen
Geschichten sich zu,
Sterbenstraurig,
Verwesungsduftig
Und totentanzlustig.
Schwer auf die kalte, starre Erde
Tropft meiner Tränen brennende Saat ...
Nicht der Taumel schreiender Lust,
Nicht verspäteter Arbeit eherne Fessel
Tilgt aus der Seele den marternden Stachel,
Den das Bewußtsein
Eines verlorenen,
Achtlos verstreuten Lebens
Qualvoll hineinbohrt.
Vorwurf
Ich seh' Euch mit den Fingern nach mir zeigen,
Die Achseln zucken, lächeln dann und schweigen.
Ihr rechnet mich seit jeher zu den Tollen,
Und Mitleid nur vermögt Ihr mir zu zollen;
Doch würdet Ihr in meine Seele schauen,
Euch überfiele namenloses Grauen,
Ihr würdet mich der schwersten Sünden zeihen:
"Auf! Kreuzigt ihn!" so klänge Euer Schreien, –
Und einen Vorwurf nur für mich es gibt:
Ich hab' im Leben viel zu viel geliebt.
Julinacht
Die Mondeslichter rinnen
Aus sterndurchsprengtem Raum
Zur regungslosen Erde,
Die müde atmet kaum.
Wie schlummertrunken schweigen
Die Linden rund umher,
Des Rauschens müde, neigen
Herab sie blütenschwer.
Nur manchmal, traumhaft leise,
Rauscht auf der Wipfel Lied,
Wenn schaurig durchs Geäste
Ein kühler Nachthauch zieht.
Mein Herz ist ruh-umfangen,
Ist weltvergessen still,
Kein Sehnen und Verlangen
Die Brust bewegen will.
Nur manchmal, traumhaft leise,
Durchzieht der alte Schmerz,
Wie Nachtwind durchs Geäste,
Das müdgeliebte Herz.
Verzeiht
Hab' ich Euch gekränkt, beleidigt,
Zugefügt Euch herbes Leid,
O verzeiht!
Ach die namenlosen Schmerzen,
Die da fressen tief im Herzen,
Machen böse oft mein Wort;
Bitter fliegt's und höhnend fort,
Trifft vielleicht Euch in die Seele,
Macht Euch herbe Qual,
Während schon mein Herz bereute
Tausendmal.
Du weißt es nicht
Du weißt es nicht, wie wohl es tut,
Wenn Deine feste, kühle Hand,
Die mir so manche Qual gebannt,
In meiner ruht.
Dann ist's, als ob versiegen wollt'
Der Glutstrom, der mein Herz durchrollt,
Dann naht so selig kühl,
Starkflutend, ein Gefühl,
Als könnt' auch ich auf Erden
Noch einmal friedlich werden,
Als könnt' ich überwinden
Und jene Stätte finden,
Auf der mir sternenweit
Die Lust und auch das Leid.
Menschenleben
Ein schrankenloses Sehnen und Verlangen,
Ein stetes Suchen und ein stetes Meiden,
Ein hoffnungsfreudiges Erwartungsbangen,
Und dann aufs neue der Enttäuschung Leiden,
Ein zornig-wildes Rütteln an den Ketten,
Ein heißer Fluch den namenlosen Plagen,
Ein Klageheulen auf den Marterstätten –
Und stumpfergebnes Wiederweitertragen.
Ein Sinnenrausch anstatt der echten Liebe,
Und doch nach ihr ein atemloses Streben,
Und Graus und Ekel vor dem Weltgetriebe –
Das gibt den Inhalt für ein Menschenleben.
An M.H.
Noch bin ich jung an Jahren,
Noch glänzt mein Scheitel braun,
Doch wärest Du im Klaren,
Was ich erlebt, erfahren,
Dir würde sicher grau'n.
Du würdest nimmer meinen,
Wie heut' so herzlos kühl,
Daß alt ich wollte scheinen, –
Du würdest mich beweinen,
Nicht höhnen mein Gefühl.
Zurück
Mein Innerstes wollt Ihr nach außen kehren,
Betasten wollt Ihr meiner Seele Schwären,
Durchwühlen wollt Ihr branderfaßte Wunden,
Bis Ihr zum Sitz der Qual Euch durchgefunden,
Erbarmungslos wollt Ihr das Spiel der Nerven
Zum wahnwitzwüsten Wirbeltanz verschärfen. – –
Ja, wenn Ihr kämt zu retten und zu heilen,
Ihr aber wollt Euch an der Qual begeilen,
Berauschen wollt Ihr Euch an Martertönen
Und Eurer Henker-Wollust wollt Ihr fröhnen.
O hütet Euch, ich bin ein Andrer worden,
Bin Keiner mehr vom zahmen Dulderorden;
Ich laß mich nicht auf Eure Folter schnüren,
Ich laß mich nicht durchstochern und durchspüren.
Fort, fort, hinweg, Ihr ahnt nicht, was Euch droht,
Vor meinen Augen flirrt es blutig rot.
Umsonst
Im sausenden Wettersturm,
Barhäuptig,
Bin ich hinangeklettert
An nebeltriefenden,
Feuchten Felsen,
Hinein in schauerliche Klüfte,
In des Hochgebirges
Grauenhafteste Einsamkeit
Hab' ich meiner Seele
Schäumenden Zorn,
Alle verbissenen,
Langverheuchelten Qualen gerufen;
Angeklammert an zackige Felsenbrüche,
Überhängend halb
Über den Abgrund,
Hab' ich todeslüstern
Hinunter gestarrt –
Und doch nicht Mut gefunden,
Loszulassen.
In starrendes Zwerggestrüpp
Schlug ich die fiebernde Stirn
Und vergrub meine Zähne
In knorrigem Wurzelwerk.
Aber weder der Schmerz, noch der Zorn,
Weder die Scham, noch die Reue
Tilgte meiner Gedanken
Krankhaft verzerrte,
Faulige Brut.
Rhythmen
Wär's nicht besser,
Tausendmal besser,
Statt langsam hinzusiechen,
Abzusterben Glied für Glied –
Dieses verschleuderte,
Sündenbesudelte,
Elende Dasein
Schnell zu enden?
Ich bin nichts und weiß nichts und kann nichts!
Mein Leben war Wollust
Oder hie und da
Halbersticktes Geflacker
Kaum empfundner,
Schnell verrauchter Liebe.
Wem zu Gefallen
Weiterschleppen
Mein verkommenes,
Verfehltes Dasein?
Ja, wenn mein Herz und mein Hirn
Zu schweigen lernten,
Oder vergessen könnten,
Wenn das ungestüme Wollen
Meiner Seele
Zu nichts verflöge,
Wenn ich vermöchte
Still, genügsam, bescheiden zu werden,
Ja, dann vielleicht! –
Aber so –
Mit Riesenwollen
Und Zwergenkönnen,
Mit lächelnden Lippen
Und brechendem Herzen.
Nein, o nein!
Hinaus mit mir,
Schnell, schnell dorthin,
Wo die gefallenen Äser
Still vergraben werden ...
Abgeschlossen im Dezember 1889.