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Quelle:
Neurotica
Felix Dörmann
München und Leipzig 1914
bei Georg Müller
Widmung
Wenn grauenhaft Dir meine Verse scheinen
Und ungelenk und wüst, o so verzeih'!
Du weißt es ja, es ist mit mir vorbei,
Und hast Du Lust, so kannst Du mich beweinen.
Dir lagen offen meiner Seele Schlünde,
Du hast mein reines Wollen ganz gesehn,
Du sahst auch dann mein Ich zu nichts vergehn,
Zuerst im Elend, dann im Rausch der Sünde.
Nimm diese Verse denn als Liebeszeichen,
Als letztes wehmutsvolles Grüßen an,
Von einem seelensiechen, armen Mann,
Der Alles oder gar nichts wollt' erreichen.
I.
Präludien
Sturmflut
Am Kamin
Vergebens
Mon âme est née avec une plaieIm Kampf ums Dasein
Obwohl ich jung
Ins fremde Land
Lebensanker
Sturmflut
Gleichwie des Meeres Wogen dann und wann,
Den Damm zerreißend, mächtig überfluten,
Erscheinen jedem Menschen auch Minuten
Wo er sein Elend nicht verschweigen kann.
Sich selber überstürzend, naht es dann,
Aufwachen Qualen, die nur scheintot ruhten,
Vernarbte Wunden fangen an zu bluten,
Und es zerbricht des Schweigens starrer Bann.
Und wie das Meer, gepeitscht, der Stürme Spiel,
Aufrast und tobt und um Erlösung schreit,
So gellt der Mensch sein namenloses Leid
Hinaus zur Welt, wenn nur der Bann erst fiel.
Und rast und tobt und eher schweigt er nicht,
Als bis er todesmatt zusammenbricht.
Am Kamin
Im Ofen knistert lustig laut das Feuer,
Phantastisch zucken Lichter hin und her,
Ins Spiel der Flammen starrt' ich, weltvergessen,
Mich überflutet der Gedanken Meer.
Vorüber zogen meiner Kindheit Tage,
So freud- und freundlos, wie bei Andern kaum,
Ein stumpfergebnes Tragen und Entsagen,
Kein sorgenloser, sonnenheller Traum – – –
Und halbzerdrückt sich von den Wimpern löste
Wohl eine Träne nach der andern leis',
Weiß nicht, ob Zornes- oder Sehnsuchtstränen –
Doch bitter waren sie und brennend heiß.
Vergebens
Nimmer löschen, nimmer stillen
Kann ich diese dunkle Sehnsucht
Nach dem Tode.
All mein atemloses Kämpfen,
Sie zu zwingen, ist vergebens.
Jene Zeiten, wo ich glaubte
Eine heiße, tiefe Liebe
Könnte tilgen diese Sehnsucht,
Sind vorüber – tot – begraben;
Denn die Liebe ist gekommen
Und die dunkle Sehnsucht blieb,
Und die Liebe ist geschieden,
Und die Sehnsucht stieg und stieg.
Nimmer löschen, nimmer stillen
Kann ich diese dunkle Sehnsucht
Nach dem Tode.
All mein atemloses Kämpfen,
Sie zu zwingen, ist vergebens.
Mon âme est née avec une plaie
(Lamennais)
Ich bin nicht eine von den Machtgestalten,
Die sich im Leben ihren Platz erringen,
Die sich mit starker Hand ihr Schicksal zwingen
Und ihres Daseins feindliche Gewalten.
Mir graut vor dieser Welt, der fühllos kalten,
Ich kann es, kann es nicht zustande bringen,
Ihr meines Willens Stempel aufzudringen,
Mir graut es vor brutalem Kraftentfalten.
Zum Leidertragen bin auch ich erkoren,
Weil mir zu wenig Roheit mitgegeben;
Ich weiß es längst, daß alle Müh' verloren,
Jedwedes starkseinwollende Bestreben.
Auch meine Seele wurde krank geboren:
Ihr fehlt die Lust, die Kraft, der Mut zum Leben.
Im Kampf ums Dasein
In schlafberaubter stiller Nacht,
Wenn Alles müde ruht,
Steigt auf aus meiner Seele Schacht,
Mit trotzig ungestümer Macht
Der Qualgedanken Brut.
Es schwillt und quillt so heiß und rot
Das Blut empor zur Stirn,
Daß in des Denkens wilder Not
Zu bersten, zu versagen droht
Das müde Hirn.
Will ich des Lebens Kampf bestehn,
Mein Herz im Schmutz verdirbt – –
Nein! – ich will schlafen, schlafen gehn,
Wenn kühl des Herbstes Winde wehn
Und Alles ringsum stirbt.
Obwohl ich jung
Dem Kelch der Leiden hab' ich viel enttrunken,
Obwohl ich jung,
Der Traum von Erdenglück ist mir versunken,
Obwohl ich jung.
Ich sah genug von Menschenlos, dem herben,
Obwohl ich jung,
Und ich bin müde, müde bis zum Sterben,
Obwohl ich jung.
Ins fremde Land
(An B.R.)
Auch Deinem Mund ist scheu und dumpf entglitten,
Was Jeder, Jeder schmerzlich noch erkannt,
Der nachzudenken nur die Muße fand:
Das Leben wird ertragen und gelitten.
Du hast es einst voll Leidenschaft bestritten,
Hast Lug und Trug, Komödienspiel genannt
Das Heimweh nach der Toten stillem Land;
Heut' aber brauch' ich leise nur zu bitten,
Und wir verreisen traulich Hand in Hand.
Lebensanker
Nur Eines kann mich halten noch im Leben
Und kann die dunkle Stunde weiter schieben:
Ein schrankenloses, weltvergeßnes Lieben
Und Gegenliebe heischendes Bestreben.
Denn Jeder, der das Dasein will ertragen,
Muß sich auf irgend eine Art berauschen,
Um nicht verzweifelnd und entsetzt zu lauschen
Der armen Erde wehevollem Klagen.
Dem Einen wird im scharfen, reinsten Denken
Des Sonderdaseins seliges Vergessen,
Ein Andrer muß den Schmerz in Wein ertränken,
Ich aber muß ein trautes Weib umpressen,
In heißer Liebe ihm die Seele schenken,
Wenn nicht, – so eines Abgrunds Tiefe messen.