Vergessene Lieder
Oft schon wollt' ich mich ermessen,
Was ich einst im bunten Leben
Halb gedacht und halb vergessen,
Im Gedichte kund zu geben.
Halb vergessen? Und worüber?
Über manchem bösen Kummer,
Der umfing mich, wie ein trüber,
Qualenvoller, langer Schlummer.
Nun der schöne Gott der Lieder
Seinen goldnen Köcher schüttelt,
Fühlen die Gedanken wieder
Sich aus tiefem Schlaf gerüttelt.
Und vergleichbar einem Strauche
Scheinet meine Seelenlaute,
Den, umwölkt vom Nebelrauche,
Nah und fern kein Aug' erschaute.
Nun die Nebel vor dem Drucke
Goldner Strahlen sich verflüchten,
Steht er da im vollen Schmucke,
Reich an Dornen, Blatt und Früchten.
Wollt ihr an die Zweige klopfen?
Tropfen sinken rings hernieder,
Tränenhelle, reine Tropfen,
So wie diese kleinen Lieder.
Knabenlos
Als Knabe, da kannt' ich ein Mädchen,
Das hatt' ich gar so lieb,
Daß ich ihr bald ein Billetchen
Voll süßer Worte schrieb.
Schnell folgte ein zweites, ein drittes,
Ich lebte ganz in Glut,
Das süße Blondinchen litt es,
Und war sonach mir gut.
Ach, aber zum größten Leide
Erfuhr ich hinterher,
Daß Vater und Mutter beide
Gelesen den Verkehr.
Und fingen sie an mich zu necken,
Mit meinem Schäfersinn,
Da huscht ich, mich schnell zu verstecken,
In einen Winkel hin.
Doch, kam erst die kleine Schlange,
Die so mein Herz verriet,
Hockt' ich in der Ecke so lange,
Bis sie von hinnen schied.
Selbst später, als ich schon manierlich
Als Jüngling vor ihr erschien,
Blickt' ich oft ganz unwillkürlich
Noch nach der Ecke hin.
Ein Glück, daß es so nicht geblieben,
Kommt Zeit, so wird man klug:
Wo gäb' es für spätere Lieben
Auch Ecken und Winkel genug?
Die Sängerin
Noch aus meiner frühen Jugend
Denk' ich einer Sängerin,
Die der Schönheit holde Tugend
Reichlich hatte zum Gewinn.
Jeder ihrer Töne bebte
Leise an's entzückte Ohr,
Und dem trunknen Auge schwebte
Reizender sie viel noch vor.
Um den Nacken wogten Haare,
Eine weiche goldne Flut,
Und das wunderliebe, klare
Auge flammte süße Glut.
Und der Lippen Purpurspange
Ein Geheimnis; hielt sie fest,
Das die bleiche schöne Wange
Halb und halb erraten läßt.
Ach, zu fest hielt sie verschwiegen,
Was sie innen ganz durchglüht,
Bis auf ihren starren Zügen
Es im Sarge sich verriet.
Und von Allen, die entboten
Einst Bewundrung ihr genug,
Sah ich Keinen, der zur Toten
Jetzt sein Tränenopfer trug.
Einer nur von hohem Wesen,
Der zu ihrer Stätte kam,
Wenn kein Lauscher nah gewesen,
Schien vernichtet ganz vom Gram.
Einsam kniet' er an dem Grabe,
Ach, er seufzte tief und schwer,
Und ich armer kleiner Knabe
Stand von fern und weinte sehr.
Die Schwester
In dem elterlichen Hause
Gab es großes Festgelag,
Doppelt Butterbrot zur Jause
Und kein Lernen an dem Tag.
Denn der Storch, zwar ungesehen,
Doch mit Lärmen und Gebraus
Brachte, Morgens war's um Zehen,
Mir ein Schwesterchen in's Haus.
Ach! da gab es eine Freude,
Wie ich's gar nicht sagen kann,
Und die Eltern sahen beide,
D'rüber sich so herzlich an.
Lieblich über alle Maßen
War die Kleine zart und fein,
Und ich konnt' es gar nicht fassen,
Wie man gar so hübsch kann sein.
Lustig sprang ich durch die Zimmer,
Alles Spielzeug ward geholt,
Und ich wartete nur immer,
Daß die Kleine reden sollt'.
Doch sie wollte nicht gewähren,
Weder reden, weder schrei'n,
Und ich konnt' mir's nicht erklären,
Wie man gar so still kann sein.
Und sie blieb so still und schweigend,
Sah recht trüb die Mutter an,
Bis sie einst, das Köpfchen neigend,
Ihre Äuglein zugetan.
Und sie sprachen in der Stube
Von dem Engel, der da schied,
Und von mir: der tolle Bube,
Daß ich fast in Angst geriet.
Vater, Mutter sah ich weinen,
Ach, wie war mir da so schwer,
Und sie sagten von der Kleinen
Mir, daß sie gestorben wär'.
Als ich all das Leid gesehen,
Stimmten meine Tränen ein;
Doch ich konnt' es nicht verstehen,
Wie man kann gestorben sein!
Der Kranke
Noch nicht Jüngling, nicht mehr Knabe,
Sieh, da hielt mich schwer und bang
Siechtum an dem Rand zum Grabe,
Und ich war recht tödlich krank.
Stumm und keines Sinnes Meister,
Lag ich hin in böser Ruh,
Und dem Heimatland der Geister
Strebte schon die Seele zu.
Da, ich denk' es noch mit Freude,
Schlief auch tiefumwölkt mein Sinn,
Bog der Vater sich im Leide
Über mich im Bette hin.
Und er sah mich an so lange,
Seufzte tiefbewegt und bang,
Bis auf meine kalte Wange
Seine heiße Träne sank.
Diese Träne, welche Schauer
Flammte sie durch mein Gebein!
Wie wenn Gott der Wintertrauer
Schickt den Frühlingssonnenschein.
Bald war jene Nacht gewichen,
Alle Sinne tauten auf,
Und ein Siecher, halbverblichen,
Stand zum neuen Leben auf.
Und die Alle dem Verlornen
Ihren vollen Schmerz geweiht,
Schenkten jetzt dem Neugebornen
Tausendfache Zärtlichkeit.
Doch wie sie's auch um mich trieben,
So an Huld und Güte reich,
Kam doch nichts von all dem Lieben
Jener heil'gen Träne gleich.
Jahre kamen und entflohen,
All das Liebe schwand gemach,
Und der Kummer schlich dem frohen
Jünglingsalter neidisch nach.
Wie auch jetzt der Abgrund winket
Und Gefahren trüb und schwer,
Auf die blasse Wange sinket
Keine solche Träne mehr!
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