| Der Gottesleugner 
 Auf hohem Holzstoß trüb und blaß
 Da steht ein nackter Mann,
 Das Auge stier und tränennaß
 Gerichtet himmelan;
 Und rings der Flammen wilder Bund
 Zuckt aus dem Holz herauf
 Und sperrt den roten Mördermund
 Nach seinem Opfer auf,
 Und zischt und braust und knistert graus,
 Gefacht vom wilden Wind,
 Der rings mit furchtbarem Gebraus
 Sein böses Spiel beginnt.
 
 Und Tausend' stehen ringsherum,
 Von Tränen übermannt,
 Gekrampft die Hand, die Lippe stumm,
 Das Auge abgewandt;
 Zermalmt ist jedes Herz, erdrückt,
 Der Blick schiefüber stahl
 Zum Ort sich hin, wo unverrückt
 Der Blasse lehnt am Pfahl.
 Der aber sieht mit festem Mut
 Rundum den Flammenschein,
 Als ob die wilde Feuerglut
 Ihm sollte heilend sein.
 
 "Und hab ich je getan, o Herr,"
 So ruft er jetzt mit Macht,
 "Und hab ich nur daran, o Herr,
 Des man mich zeiht, gedacht,
 Und hab ich je verleugnet dich,
 Den Glauben frech entweiht,
 So gib in Martern fürchterlich
 Mir tausendfaches Leid,
 Und laß die Flammen tausendfach
 Mir geben bittern Tod,
 Wenn ich dir je die Treue brach,
 Und höhnte dein Gebot.
 
 Doch wenn du Ew'ger, fromm und rein,
 Erkannt mein armes Herz,
 Das nur in deinem Gnadenschein
 Gerungen himmelwärts,
 So werde deiner Milde Strahl
 Dem Sterbenden zu Teil,
 Daß ihn der Erdenschmerzen Qual
 Abwende nicht dem Heil;
 Und laß, die mich so schwer verdammt,
 Einsehen ihr Vergehn,
 Doch mögen deshalb nicht verdammt
 Vor deinem Thron sie stehn."
 
 Und wieder wird es stille rings,
 Kein Odem regt sich mehr,
 Die Flammen zucken rechts und links
 Mit roten Zungen her;
 Dann ringen sie, ein wilder Greif,
 Sich aus dem Holz hervor
 Und schlagen mit dem Feuerschweif
 An's dunkle Himmelstor.
 Nicht ist der Arme mehr zu sehn,
 Nur Glut allüberall
 Und wirbelnd zu den Wolkenhohn
 Von finsterm Rauch ein Schwall.
 
 Stumm steht die Menge da, ein Stein,
 Lang tobt die Loh' mit Macht,
 Jetzt braust der Wind mit Wut hinein,
 Der mitten sie zerfacht.
 Und Grauen fasset jedes Herz —
 Der Dulder steht verklärt,
 Berührt von keinem Flammenschmerz,
 Von keiner Glut verzehrt;
 Denn wie sich teilt das Feuer weit,
 Vom wilden Wind erschreckt,
 Gleicht es dem roten Purpurkleid,
 Das einen König deckt.
 
 Da bricht das Volk aus träger Rast,
 Das Wunder faßt es kaum,
 Und nun aus tausend Eimern ras't
 Die Flut zum Flammenraum.
 Die Lohe lischt, sie wird zerstört,
 Jetzt bricht sie dumpf hinein:
 Da steht der Dulder neu verklärt
 Wie Gold im Flammenschein;
 Ein Lächeln lichtet sein Gesicht
 Wie seliges Morgenrot, —
 Der Herr ging huldvoll ins Gericht,
 Längst ist der Fromme tot.
 
 Die Heimkehr
 
 Als aus seinen Purpurwiegen
 In die Welt der Morgen sah,
 Stand im liebenden Umschmiegen
 Still das Paar der Gatten da;
 Er blickt düster in die Weite,
 Ach und sie an seiner Seite
 Liest in seinen trüben Zügen,
 Daß des Scheidens Stunde nah.
 
 Jetzt im letzten Kusse ruhten
 Ihre Lippen, kurze Lust,
 Die in wenigen Minuten
 Langem Schmerze weichen mußt'!
 Er verläßt die liebe Hütte,
 Sie ach, bleibt in ihrer Mitte;
 Er enteilt auf Meeresfluten,
 Sie im Wogen ihrer Brust.
 
 Böse Trennung, die du den Trauerschleier
 Über Alles breitest,
 Was der Liebe heilig und teuer!
 Böses altes Weib,
 Das mit dem tränenfeuchten Zauberstabe
 Einen Gespensterkreis um sich zieht,
 Dem die Sehnsucht nach dem Grabe
 Wie eine Espe der Angst entblüht:
 Was schwirren so trübe Mahnungszeichen
 Um dein im Sturme flatterndes Haar?
 Die krächzende Eule der Ahnung
 Flattert schreiend um deinen Altar;
 Der Tiger des Schmerzes
 Schleicht funkelnden Auges und stumm —
 Die feuchte Lilie der Tränen
 Schlingt sich um deine Schläfe herum;
 Du aber, grausam und wild,
 Bannst die Herzen in deinen Zauberkreis
 Und gibst sie der Schrecknisse wirrem Gebild
 Und all deinen Schauern Preis.
 An ihrem Angstausruf ergetzt
 Sich dein Sinn, an ihrem Geheul,
 Und die träge, langsame Zeit verletzt
 Sie zugleich mit dem vergifteten Pfeil.
 Und so wechseln Schmerz und Pein
 Im langen, unerträglichen Verein,
 Bis endlich die Seufzer und die Wunden
 Durch die Wolken den Weg gefunden;
 Bis deinem Zorn und Grimme
 Einzuhalten eine milde Stimme
 Von oben gebot;
 Oder bis der Tod
 Deinem Zauberkreis mit flammendem Zug
 Einschrieb das Wort: Genug!
 
 Längst schon ist er fortgezogen,
 Schon der Mittag bricht heran,
 Als am düstern Himmelsbogen
 Finstre Wolken drohend nahn.
 Plötzlich ist der Sturm erschienen
 Mit den Schauern, die ihm dienen,
 Und der See empörte Wogen
 Zischen wütend himmelan.
 
 Aber sie, nur Kummer hegend
 In dem tiefbetrübten Sinn,
 Blickt mit Zagen nach der Gegend,
 Wo ihr Gatte weilet, hin.
 In dem Auge dämmern Zähren,
 Die den wilden Sturm beschwören,
 Ach und Seufzer angsterregend
 Läßt sie zu dem Fernen ziehn.
 
 Im Sturme der Welt und der Wellen,
 Geschieden von den Seinen,
 Pfadlos ins Ungewisse hinzurudern
 Und um Hilfe vergebens zu weinen;
 Fern sich wissen die harrende Liebe,
 Des Hauses stillen seligen Frieden
 Und Alles, was uns Lust und Glück, —
 Fürwahr, ein fürchterliches Geschick!
 Ein schauderhaftes Los,
 In der Abgründe gähnenden Schoß
 Bei der Blitze zuckendem Schein
 So zu blicken hinein,
 Und dann mit dem Gedanken an
 Die Lieben zugleich den schrecklichen denken:
 Vielleicht soll sich dein Kahn
 Nie mehr zu ihnen lenken!
 O entsetzliche Lage,
 Die mit Angst, Verzweiflung und Klage
 Die Seele erfüllt!
 Und doch — Ein Bild
 Schwächt und zerstört diesen Graus,
 Schiffer, denke dich in dein Haus
 Und sieh wie dort all die Deinen
 Die Hände ringen und weinen,
 Wie sie sich zum Gebet versammeln
 Und flehend zum Himmel stammeln;
 Wie sie für dein Heil, deine Rettung
 Beten, rufen und empor blicken,
 Und wie in brünstiger Verkettung
 Ihre Gebete zu Brücken,
 Zu Ankern, zu Booten werden,
 Um dich zu entreißen den Gefährden.
 Auf Schiffer, du hast noch Seelen,
 Die für dich beben und zittern,
 Die, um sich liebend mit dir zu vermählen,
 Den Kampf nicht scheuen mit Gewittern.
 Schiffer, fasse Mut!
 Rette dein Leben und Blut
 Für die Deinen!
 Nicht in Verzweiflung sollst du versinken,
 Hörst du sie weinen?
 Siehst du sie winken?
 Auf Schiffer, fasse Mut, Mut
 Für dein höchstes Gut
 Und besiege der Stürme Wut!
 
 Später ist es schon geworden;
 An des Ufers flachem Rand,
 Den mit seinen goldnen Borden
 Mild das Abendrot umwand,
 Steht sie mit dem vollen Herzen,
 Ohne Lindrung ihrer Schmerzen,
 Ohne Lust an den Akkorden,
 Die erklingen rings am Strand.
 
 Ihres Kummers wäre gerne
 Ledig sie und ihrer Pein:
 Sieh, da regt sich's in der Ferne —
 Gott, ein Nachen könnt' es sein!
 Kaum dem Blicke zu erspähen,
 Wie ein Punkt nur zu ersehen,
 Aber doch gleich einem Sterne
 Mit der Hoffnung süßem Schein,
 
 Bange Nacht der Ahnung
 Mit dem schaurigen Dunkel,
 Das ohne Strahl und Sterngefunkel
 Auf die Seele sich lagert
 Mit Bildern gespenstischer Mahnung, —
 Wer weiß es, bange Nacht,
 Ob an deinem Schlusse
 Ein Morgen neubelebend erwacht
 Oder ein Gerippe mit dem Todeskusse?
 In deinem Schoße schlummern die Keime
 Unendlicher, glücklicher Träume;
 Unreife, leise Gedanken
 Die geträumt nur, aber nicht gedacht,
 Die Seele wie zitternde Ranken
 Umschlingen, bevor sie erwacht.
 Sie fährt empor aus ihrem Sinnen,
 Zu haschen das flüchtige Glück, —
 Sie aber flogen längst von hinnen
 Und stiegen von der Erde Zinnen
 In's Meer der Träume zurück.
 Aber auch Gedanken blaß und bleich
 Steigen gespenstergleich
 Aus deinen Finsternissen empor
 Als des Entsetzens Furienchor.
 O laß diese entsetzlichen, abscheulichen
 Weichen den ergötzlichen, erfreulichen;
 Wirf deinen Schleier zurück
 Und gönne dem zagend forschenden Blick
 Einen Tropfen Himmelslicht' —
 Wie? du gewährst? du weigerst es nicht? —
 Habe Dank, o Himmel, er bricht herein,
 Der Hoffnung süßer, goldener Schein;
 Er gießt das rosige Morgenlicht
 Dem müden Kranken in's Angesicht,
 Gott! und nicht er allein,
 Sichre Gewißheit erscheint sogar.
 Auf Zweifler, stürz dich in's Licht hinein,
 Erfasse sie an dem lockigen Haar!
 Wie wird dir das Auge so hell und klar,
 Wie wird das Herz so selig und weit,
 Was dämmert für eine himmlische Zeit:
 Hoffnung — Liebe — Glück und Licht —
 Mehr hat die Seligkeit nicht!
 
 Und es hat sie nicht getrogen
 Ihrer Hoffnung leises Wort,
 Näher kommt er hergezogen
 Zu der Heimat stillem Ort;
 Ja, er ist es, dem entgegen
 Pocht ihr Herz mit bangen Schlägen,
 Den das eitle Roß der Wogen
 Heute trug in's Weite fort.
 
 Aus dem Nachen steigt er schnelle,
 Seines Glückes sich bewußt;
 Bei des Abends milder Helle
 Drückt er sie an seine Brust.
 Aller Schmerz, der erst gewaltet,
 Hat in Glück sich umgestaltet,
 Und es sieht die leise Welle
 Glückliche in stiller Lust.
 
 Das Wunderbild
 
 Die Lüfte wogten heiß und schwer,
 Kein Wind flog labungsvoll einher,
 Die Sonne schaute sengend drein,
 Da zog ein armes Mägdelein
 Mit andachtvollem Herz und Sinn
 Zum Bild der Himmelskönigin,
 Das sie im Glanz der Wunderwelt
 Am heil'gen Berge ausgestellt.
 
 Gemalt in Gold und hellem Blau,
 Dort in des Tempels Wunderbau
 Steht hehr der Jungfrau Huldgestalt,
 Zu der das zarte Mägdlein wallt;
 Die Luft ist heiß, die Sonne brennt,
 Kein Wölkchen schwebt am Firmament,
 Das Mägdlein schwanket für und für,
 Die schwachen Kräfte brechen ihr.
 
 Und wie der Weg auch lang und weit,
 Doch muß sie ihn vollenden heut,
 Noch heut im weiten Tempelbau
 Hinknieen vor die Himmelsfrau,
 Bis sie im brünstigen Gebet
 Der Mutter Segen hat erfleht,
 Die heim, verzehrt von Fieberglut,
 Auf hartem Krankenlager ruht.
 
 Und endlich ist erreicht das Ziel,
 Im Gotteshause hält sie still;
 Der Ampeln tausendfacher Schein
 Spinnt schon das Wunderbildnis ein
 Der allerreinsten Himmelsbraut,
 Die von dem reichen Altar schaut,
 Im Arm das hohe Gotteskind,
 Das unsre schwere Schuld gesühnt.
 
 Die weiten Hallen ringsherum
 Wie sind sie leer, wie sind sie stumm,
 Allein im heiligen Gebiet
 Das arme Mägdelein nur kniet
 Und betet heiß und inniglich, —
 Doch ihre Müde mehret sich,
 Vor ihrem Aug flirrt bunter Schein,
 Sanft sinkt sie hin — und schlummert ein.
 
 Mit einmal ruft der Sakristan
 Hinein zum weiten Marmorplan:
 Wer sich im hohen Gotteshaus
 Verspätet, eile schnell heraus;
 Denn sieben Rüden laß ich ein,
 Des Tempels Hüter Nachts zu sein,
 Das Heiligtum zu schirmen treu
 Vor Diebeshand und Frevelei.
 
 Still ist's wie vor im Gotteshaus,
 Es eilt durchbebt kein Mensch heraus;
 Das arme Mägdlein schlummert dort,
 Hat nicht gehört das Schreckenswort;
 Da stürzen die sieben Rüden los,
 Der schweren Tagesketten bloß,
 Und hinter ihnen wie das Grab
 Schließt sich die Riesenpforte ab.
 
 Hall' auf und ab, hin und zurück,
 So rennen sie mit spähendem Blick
 Bis zu dem Hochaltare hin,
 Wo's Mägdlein ruht auf ihren Knien
 Und träumt von einem Paradies,
 Von einer Jungfrau mild und süß,
 Und nicht von solchem Schreckenstod,
 Wie der sie jetzt so nah bedroht.
 
 Und wie sie nahn der Schläferin,
 Da streckt die Himmelskönigin
 Vom Altar aus die Lilienhand,
 Und sieh', mit einemmal umspannt
 Ein blaues Wolkendach die Maid,
 Mit wundersamem Glanz umfeit,
 Und Englein halten dort und hier
 Die Hände schützend über ihr.
 
 Wie sind die Doggen plötzlich zahm!
 Gebannt vom Strahle wundersam
 Legen sie sich zu Füßen hin
 Der gottbeschirmten Schläferin,
 Dann springen sie auf und hüpfen im Kreis
 Für Freuden auf gar lustige Weis,
 Und wiederum mit einemmal
 Liegen dem Mägdlein zu Füßen sie all'
 
 Die aber träumt noch immerdar
 Von goldgewirkter Blumenschar:
 Da blickt der Morgen in den Dom
 Mit seiner Augen Feuerstrom,
 Durch all die Scheiben rot und blau
 Hinein zum weiten Säulenbau,
 Und gießt sein helles Purpurlicht
 Dem Mägdelein ins Angesicht.
 
 Und horch! auftut der Sakristan
 Der Kirchenpforte weite Bahn,
 Und hinter ihm in bunten Reih'n
 Die frommen Waller hinterdrein:
 Die alle sehn das Wunder stumm
 Und knieen betend ringsherum
 Dort vor dem hohen Gnadenbild,
 Das Schutz dem Mägdlein war und Schild.
 
 Der Muselman
 
 Als er Soristan durchwandert,
 Kam ein Franke, Sohn des Handels,
 Zu dem alten edlen Faruk,
 Seinem Handelsfreund in Haleb.
 "Segen auf das Haupt des Gastes",
 Grüßte der, "doch muß er warten,
 Bis dem Himmel ich genügte,
 Weil ein Glück mir Allah sandte,
 Da ein Sohn mir ward geboren,
 Und verpflichtet mich zum Danke."
 
 Und drei Tage lang war Zeuge
 Dieses Dankes nun der Franke. —
 Speisen ließ am ersten Faruk
 In den Kerkern die Gefangnen,
 Ihre Leiden zu erleichtern,
 Und er selbst, gleich einem Sklaven,
 Reichte Reis, Sorbet und Brote
 Ihnen bis zum späten Abend.
 
 Und am zweiten Tag bestellen
 Ließ er reichgedeckte Tafeln
 Und mit Schüsseln sie beladen,
 Die des Sultans würdig waren;
 Öffnen dann des Hauses Türen
 Und die Armen von der Straße,
 Die er freundlich selbst bewirtet,
 Alle her zu Gaste laden,
 Bis die Wohlgenährten Abends
 Mit Geschenken er entlassen.
 
 Und am dritten Tage sendet,
 Da gar heiß die Sonnenstrahlen,
 Diener er vor alle Tore,
 Schläuche frischen Wassers tragend,
 Es als Opfertrank der Liebe
 Anzubieten jedem Wandrer,
 Der des Spenders segnend denket,
 Wenn die Schale ihn erlabte.
 Und um selber nachzusehen,
 Ob gereicht auch wird die Gabe,
 Wandelt er vom Weg zum Wege
 In des Tages Glut bis abends.
 
 Und am vierten Tag frühmorgens
 Tritt er an des Franken Lager:
 "Nun dem Himmel ich genügte,
 Bin ich ganz des lieben Gastes."
 
 Papagei und Rabe
 
 Rabe im Gewand der Trauer,
 Papagei im grünen Taft,
 Saßen in demselben Bauer
 Beide eingesperrt in Haft.
 Seinem schwarzen Mitgenossen
 Zürnte da der Psittich viel,
 Weil mit solchen eingeschlossen
 Hier zu leben ihm mißfiel.
 
 Welch absonderliche Kleidung,
 Welche trennende Manier,
 Welche Sittenunterscheidung,
 Rabe, zwischen dir und mir!
 Ich im grünen Federglanze,
 Du so schwarz, als wie die Nacht;
 Ich zur Freude und zum Tanze,
 Du zum Abscheu nur gemacht.
 
 Stünden wir doch streng geschieden,
 Wie es Gegensätzen paßt:
 Ich von solchem Gast gemieden,
 Der im Herzen mir verhaßt;
 Ich mit Lustgefährten wiegend
 Mich im schönen grünen Wald,
 Du nach alten Mauern fliegend,
 Deiner Brüder Aufenthalt. —
 
 Aber wunderbar, der Rabe
 War erbost in gleicher Art:
 Sagt, was ich verbrochen habe,
 Götter, daß ihr straft so hart,
 Daß ihr mich zu diesem Schwätzer,
 Dem geputzten Unverstand,
 Zu dem Lästerer und Ketzer
 Als Genossen habt verbannt!
 
 Ist's ein Greuel doch dem Frommen,
 Wenn sein reiner Genius
 Unter Sündervolk gekommen,
 Bösen Wandel sehen muß.
 So entweihst du diese Stelle,
 Bist zum Ärgernis nur hier,
 Du weltlustiger Geselle,
 Hebe dich hinweg von mir! —
 
 Saadi, der dies aufgeschrieben,
 Flicht die gute Lehre ein:
 Weise wohl und Toren lieben
 Nah beisammen nicht zu sein.
 Doch wenn Weise Toren meiden,
 Sind sie diesen gleich verhaßt,
 Denn es hält sich von den Beiden
 Jeder für den klügern Gast.
 
 Meint ein späterer Erklärer:
 Wer ist Weiser hier, wer Tor?
 Nur das Leben ist der Lehrer,
 Überzeugend Herz und Ohr.
 Doch die gegen Lebenskluge
 Sich mit Frömmigkeit verschanzt,
 Haben meist nur zum Betruge
 Ihre Fahne aufgepflanzt.
 
 Sonntag
 
 Der Sonnabend zum Sonntag flüstert
 Sieh, Alles schläft so feierlich
 Und Mitternacht ist angedüstert,
 Jetzt kommt die Reihe, Freund, an dich;
 Ich werde müd' der Tagesplagen
 Und süßer Schlummer sei mein Lohn;
 Komm, hörst du deine Stunde schlagen!
 Der Sonntag spricht: Da bin ich schon.
 
 Er steigt empor aus dunklen Schatten,
 Geht durch der Sterne blaue Bahn,
 Die Augen reibt er sich, die matten,
 Und zieht sich gähnend vollends an.
 Dann fertig mit der Toilette
 Und nun zum Gange frohgemut,
 Schleicht er sich weckend an das Bette,
 Wo seine Freundin Sonne ruht.
 
 Auf! ruft er, und von deinem Pfühle
 Sollst du o Schläferin, erstehn,
 Schon will in frischer Morgenkühle
 Dein Zöfchen Venus schlafen gehn.
 Es stimmen rings die Lerchenscharen
 Die Lieder deinem Flügelschritt,
 Und weil wir heut zum Feste fahren,
 Nimm deine schönsten Strahlen mit.
 
 Der Sonntag jetzt, den Berg ersteigend,
 Nimmt Alles ringsherum in Acht:
 Die Menschen schlafend noch und schweigend,
 Spricht er, drum kein Geräusch gemacht!
 Und in des stillen Dorfes Nähe
 Schleicht er mit leisen Tritten bei,
 Und sagt zum Hahn: Laß dein Gekrähe,
 Damit ich nicht verraten sei.
 
 Und wenn sie nun die Augen reiben,
 Die Leute, nach vollbrachter Ruh,
 So lächelt ihnen durch die Scheiben
 Der Sonntag und die Sonne zu.
 Und streckt ein kleiner Müßiggänger
 Sich länger noch im weichen Flaum,
 So läßt er ihn in Frieden länger
 Austräumen seinen süßen Traum.
 
 Geschenke bringet er und Pfänder,
 Für Groß und Klein gar wohlgesinnt,
 Für Mädchen hat er Schmuck und Bänder
 Und süße Kuchen für das Kind.
 Entpfropfen läßt er dann die Flasche,
 Gesang und Lachen schall' im Chor,
 Und Abends zieht er aus der Tasche
 Die Flöt' und Geige lustig vor.
 
 Der Sonntag zaubert alle Räume,
 Mit ihm der Mai, der Lustgesell,
 Weißblühend zeigen sich die Bäume,
 Der Himmel blau, das Wasser hell;
 Die Blumen knospen aus dem Moose
 Und feiern zärtlich ein Idyll,
 Das Veilchen flüstert mit der Rose,
 Die Eiche mit der Linde still.
 
 Als er den Morgenruf vernommen,
 Der Fink vom Neste singend fährt
 Und heißt die Schwalbe froh willkommen,
 Aus fernem Süden heimgekehrt.
 In seinem schmucken Sonntagsstaate
 Der Stieglitz hüpft von Ast zu Ast,
 Und singt die trillernde Kantate
 Im grünbeblätterten Palast.
 
 Heute feiert Arbeit und Gewühle;
 Wie still sich heut das Dörfchen zeigt!
 Das laute Räderwerk der Mühle,
 Der dumpfe Schlag des Hammers schweigt.
 Die Rinder kauen an der Krippe,
 Von Joch und Karren auszuruhn,
 Im Schoppen liegen Pflug und Hippe
 Und haben heute nichts zu tun.
 
 Heut nirgend Kummer oder Sorgen,
 Zufriedenheit in Wort und Blick.
 Ei Nachbar Steffen, guten Morgen! —
 Zur Stadt, Gevatter? Nun viel Glück! —
 Gut Wetter für die Frucht, meint Einer,
 Der Andre: Wein gibt's auch vielleicht!
 An Müh und Arbeit denkt heut Keiner
 Als Abends der die Fidel streicht.
 
 Die Glocke
 
 Im Turme da schwebet die Glocke so sehr
 Und blickt durch die Fenster zum Himmel hinauf,
 Tief unten dehnt sich das Häusermeer
 Und schweigende Dämmerung lastet darauf.
 
 Und plötzlich wird's glänzend und hell und licht,
 Der Himmel öffnet das blaue Tor,
 Und durch die schweigenden Lüfte bricht
 Ein Strahl wie Gold und Purpur hervor.
 
 Und in dem schimmernden Morgenschein,
 Da hüpfen wohl tausend Englein mild,
 Die schweben so leise zur Glocke herein
 Und nahen sich still dem ehernen Bild.
 
 Die Einen die sind so ernst und lieb,
 Die Träne zittert in ihrem Blick,
 Den Busen schmerztragend und trüb,
 Ihn strahlet das treue Auge zurück.
 
 Die Andern die tanzen so fröhlich und schön
 Wie Mondschein auf kristallener Flut;
 Doch schweigende Ehrfurcht scheint sie zu umwehn,
 Als sei ihre Wonne nur himmlische Glut.
 
 Drauf reihen sich Alle, Alle zum Bund
 Und küssen der Glocke erzenen Rain,
 Als küßten sie gerne dem eisigen Mund
 Ernst, Freude, Ehrfurcht und Trauer ein.
 
 Doch plötzlich wird es still und stumm,
 Die rosigen Englein verschwinden all,
 Und aus dem azurenen Heiligtum
 Steigt hehr der goldene Sonnenball.
 
 Und die Glocke verstand das Losungsbild,
 Verstand, was bedeutet der Englein Nahn,
 Und ruft mit tönender Stimme mild
 Die Menschen zur Andacht heran.
 
 
 
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