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III.
Gedichte

 

Der Turmwart
Zbyhon
Der Gottesleugner
Die Heimkehr
Das Wunderbild
Der Muselman
Papagei und Rabe
Sonntag
Die Glocke

Der Turmwart


In Straßburg prangt ein Münster,
Der reicht wohl himmelan,
Der blickt so trüb und finster
Die dunkeln Wolken an;
Der sieht so still und traurig
In's Weltgewühl hinab,
Als blickt' ein Phönix schaurig
Hin auf sein Flammengrab.

Und auf dem stolzen Recken
Ein ernster Turmwart wacht,
Der kennt des Sturmes Schrecken,
Der kennt die Wetternacht;
Der ward in hoher Kuppel
Gezeugt, gepflegt, beglückt,
Der hat von hoher Kuppel
Die Welt nur angeblickt.

Und wenn die Donnerworte
Aus fahlem Blitz erglüh'n,
Da tritt er vor die Pforte
Und blickt mit Ruhe hin,
Und wird nicht trüb noch finster,
Er steht zum Cherubim,
Und selbst der alte Münster
Fleht bebend stumm mit ihm.


So hat er lange Jahre
Im Riesenbau verlebt,
So hat der Wunderbare
Dort oben still geschwebt,
Hoch ob dem Weltgetümmel
Ein Bitter in der Not,
Ein Sterblicher im Himmel,
Ein Strahl im Morgenrot.

Die Stern' sind seine Bibel,
Der Schnee ist seine Blum',
Sein Dom der Turmesgiebel,
Das Horn sein Heiligtum;
Die Luft ist ihm das Liebchen,
Das ihn herzinnig küßt,
Sein Altar ist das Stübchen,
Das ruhig ihn umschließt.

Und als er einstmal nächtig
Im tiefen Sinnen sitzt,
Da ist's ihm, als ob mächtig
Ein Wetter niederblitzt,
Und vor das Pförtchen tritt er
Zagend und ungewiß,
Und keine Brüstung sieht er,
Weil sie der Sturm zerriß.


Doch plötzlich wird es stille,
Mild wird der Lüfte Chor
Und aus der Wolkenhülle
Tritt sanft der Mond hervor.
Da ist's ihm, als ob blühend
Ein Engelsbild er sah',
So schön und rosig glühend
Wie Nordlichtschein im Schnee.

Ein zartes Mägdlein scheint es,
Die Arme weiß und bloß,
So süße Tränen weint es
Wie Tau im Rosenschoß;
Die Lippen sind Rubinen
Von Lilienschmelz umhaucht,
Die milden Wangen schienen
In Morgenrot getaucht.

Es hüllt ein seidner Schleier
Der Formen üppige Glut,
Der Locken goldnes Feuer
Auf weißem Nacken ruht;
Es scheint der Arm zu winken
Und sehnend glüht der Blick,
Der Lippen Kuß zu trinken —
O namenloses Glück!


Da faßt ein glühend Leben
Mit hundert Armen ihn,
Das Herz erfaßt ein Streben,
Ein Sehnen seinen Sinn:
Ach, Alles wollt' er lassen,
Das Leben seiner Brust,
Dürft' er nur sie umfassen
In heißer Liebeslust!

Aus streckt er seine Arme
Und jauchzt und weint und glüht,
Sie will er nur umarmen,
Zu der der Sinn ihn zieht:
Und wie er zu dem Wunder
Hin will im lichten Rot —
Da stürzt er dumpf hinunter
In tausendfachen Tod.


Zbyhon
Altböhmisch

Es flog von Baum zu Baume
Ein Tauber girrend hin,
Es zog im Waldesraume
Ein Ritter mit trübem Sinn;
Der Tauber klagt den Blättern
Verlorner Liebe Schmerz,
Der Ritter möchte zerschmettern
Den Feind mit seinem Erz.

Wie ist mein Herz voll Trauer,
Wie öde Wald und Welt,
Seit Zbyhon's goldner Bauer
Mein Lieb gefangen hält.
O gib zurück das Täubchen,
Um das der Gatte fleht,
So wie mein süßes Weibchen
Um mich in Gram vergeht!

Des Waldes Echo weckte
Im Grimm der Ritter laut:
"O daß ich dich entdeckte,
Du Räuber meiner Braut!
Fluch Zbyhon dir, du Frecher,
Auf deinem Felsensitz,
Erzittre vor dem Rächer
Und seines Schwertes Blitz!"

Sie ziehn durch Büsch' und Dorne,
Der Tauber mit Klaggesang,
Der Ritter in schwerem Zorne
Und wildem Rachedrang,
Als jetzt vor ihren Blicken
Die Burg des Räubers stand,
Ein Bau aus Felsenstücken
Auf kühner Felsenwand.

"O hätt' ich starke Waffen
Wie du, o Rittersmann,
Aus hartem Stahl geschaffen,
Dann stürmt' ich kühn hinan,
Mit Speer und Schwert zu wettern
In schwerem Stoß und Hieb,
Den Räuber zu zerschmettern
Und zu befrei'n das Lieb.

""O hätt' ich Armer Schwingen
Wie schwacher Tauber du,
Die Lüfte würd' ich durchdringen
Und schösse dem Räuber zu;
Die sichern Waffen übten
Dann an dem Frevler Gericht,
Und brächten der Geliebten
Der Freiheit goldenes Licht!""

Und rings die Burg umgeht er,
Den Felsenbau so stolz,
Und vor dem Tore steht er,
Das ist ja nur aus Holz.
Da blitzt ein Hoffnungsfunke,
Er stürzt in Waldes Schoß
Und löst vom festen Strunke
Sich einen Eichbaum los.

Die Streitaxt wird zum Keile
Und in das Tor gerammt,
Darauf in wilder Eile
Der Eichbaum niederflammt;
Nicht trotzet solchem Hammer
Das Tor, zersplittert bald,
Es brechen Riegel und Klammer,
Es stürzt vor seiner Gewalt.

Durch eilt und forscht der Ritter,
Wo weilt der freche Wicht?
Und von des Söllers Gitter
Der Tauber Antwort spricht:
"Im fernen stillen Erker
Da ruht er lüstern und weich,
Bei ihm mein Lieb im Kerker
Und deines tränenbleich."

""Tod dir, du frecher Geselle!""
Der Ritter ruft's und braust
Hinan und ist zur Stelle,
Sein treues Schwert es saust
In flammenden Streichen nieder
Und bringt dem Räuber Tod,
Es färben die zuckenden Glieder
Den Estrich blutigrot.

""Vergolten ist dem Bösen,
Mein süßes Lieb befreit,
Nun gilt es noch zu lösen
Die Pflicht der Dankbarkeit!""
Er gibt aus Käfigs Stäben
Das Turteltäubchen los
Und sinkt mit Wonnebeben
Dann in der Huldin Schoß.

 
Der Gottesleugner

Auf hohem Holzstoß trüb und blaß
Da steht ein nackter Mann,
Das Auge stier und tränennaß
Gerichtet himmelan;
Und rings der Flammen wilder Bund
Zuckt aus dem Holz herauf
Und sperrt den roten Mördermund
Nach seinem Opfer auf,
Und zischt und braust und knistert graus,
Gefacht vom wilden Wind,
Der rings mit furchtbarem Gebraus
Sein böses Spiel beginnt.

Und Tausend' stehen ringsherum,
Von Tränen übermannt,
Gekrampft die Hand, die Lippe stumm,
Das Auge abgewandt;
Zermalmt ist jedes Herz, erdrückt,
Der Blick schiefüber stahl
Zum Ort sich hin, wo unverrückt
Der Blasse lehnt am Pfahl.
Der aber sieht mit festem Mut
Rundum den Flammenschein,
Als ob die wilde Feuerglut
Ihm sollte heilend sein.

"Und hab ich je getan, o Herr,"
So ruft er jetzt mit Macht,
"Und hab ich nur daran, o Herr,
Des man mich zeiht, gedacht,
Und hab ich je verleugnet dich,
Den Glauben frech entweiht,
So gib in Martern fürchterlich
Mir tausendfaches Leid,
Und laß die Flammen tausendfach
Mir geben bittern Tod,
Wenn ich dir je die Treue brach,
Und höhnte dein Gebot.

Doch wenn du Ew'ger, fromm und rein,
Erkannt mein armes Herz,
Das nur in deinem Gnadenschein
Gerungen himmelwärts,
So werde deiner Milde Strahl
Dem Sterbenden zu Teil,
Daß ihn der Erdenschmerzen Qual
Abwende nicht dem Heil;
Und laß, die mich so schwer verdammt,
Einsehen ihr Vergehn,
Doch mögen deshalb nicht verdammt
Vor deinem Thron sie stehn."

Und wieder wird es stille rings,
Kein Odem regt sich mehr,
Die Flammen zucken rechts und links
Mit roten Zungen her;
Dann ringen sie, ein wilder Greif,
Sich aus dem Holz hervor
Und schlagen mit dem Feuerschweif
An's dunkle Himmelstor.
Nicht ist der Arme mehr zu sehn,
Nur Glut allüberall
Und wirbelnd zu den Wolkenhohn
Von finsterm Rauch ein Schwall.

Stumm steht die Menge da, ein Stein,
Lang tobt die Loh' mit Macht,
Jetzt braust der Wind mit Wut hinein,
Der mitten sie zerfacht.
Und Grauen fasset jedes Herz —
Der Dulder steht verklärt,
Berührt von keinem Flammenschmerz,
Von keiner Glut verzehrt;
Denn wie sich teilt das Feuer weit,
Vom wilden Wind erschreckt,
Gleicht es dem roten Purpurkleid,
Das einen König deckt.

Da bricht das Volk aus träger Rast,
Das Wunder faßt es kaum,
Und nun aus tausend Eimern ras't
Die Flut zum Flammenraum.
Die Lohe lischt, sie wird zerstört,
Jetzt bricht sie dumpf hinein:
Da steht der Dulder neu verklärt
Wie Gold im Flammenschein;
Ein Lächeln lichtet sein Gesicht
Wie seliges Morgenrot, —
Der Herr ging huldvoll ins Gericht,
Längst ist der Fromme tot.

Die Heimkehr

Als aus seinen Purpurwiegen
In die Welt der Morgen sah,
Stand im liebenden Umschmiegen
Still das Paar der Gatten da;
Er blickt düster in die Weite,
Ach und sie an seiner Seite
Liest in seinen trüben Zügen,
Daß des Scheidens Stunde nah.

Jetzt im letzten Kusse ruhten
Ihre Lippen, kurze Lust,
Die in wenigen Minuten
Langem Schmerze weichen mußt'!
Er verläßt die liebe Hütte,
Sie ach, bleibt in ihrer Mitte;
Er enteilt auf Meeresfluten,
Sie im Wogen ihrer Brust.

Böse Trennung, die du den Trauerschleier
Über Alles breitest,
Was der Liebe heilig und teuer!
Böses altes Weib,
Das mit dem tränenfeuchten Zauberstabe
Einen Gespensterkreis um sich zieht,
Dem die Sehnsucht nach dem Grabe
Wie eine Espe der Angst entblüht:
Was schwirren so trübe Mahnungszeichen
Um dein im Sturme flatterndes Haar?
Die krächzende Eule der Ahnung
Flattert schreiend um deinen Altar;
Der Tiger des Schmerzes
Schleicht funkelnden Auges und stumm —
Die feuchte Lilie der Tränen
Schlingt sich um deine Schläfe herum;
Du aber, grausam und wild,
Bannst die Herzen in deinen Zauberkreis
Und gibst sie der Schrecknisse wirrem Gebild
Und all deinen Schauern Preis.
An ihrem Angstausruf ergetzt
Sich dein Sinn, an ihrem Geheul,
Und die träge, langsame Zeit verletzt
Sie zugleich mit dem vergifteten Pfeil.
Und so wechseln Schmerz und Pein
Im langen, unerträglichen Verein,
Bis endlich die Seufzer und die Wunden
Durch die Wolken den Weg gefunden;
Bis deinem Zorn und Grimme
Einzuhalten eine milde Stimme
Von oben gebot;
Oder bis der Tod
Deinem Zauberkreis mit flammendem Zug
Einschrieb das Wort: Genug!

Längst schon ist er fortgezogen,
Schon der Mittag bricht heran,
Als am düstern Himmelsbogen
Finstre Wolken drohend nahn.
Plötzlich ist der Sturm erschienen
Mit den Schauern, die ihm dienen,
Und der See empörte Wogen
Zischen wütend himmelan.

Aber sie, nur Kummer hegend
In dem tiefbetrübten Sinn,
Blickt mit Zagen nach der Gegend,
Wo ihr Gatte weilet, hin.
In dem Auge dämmern Zähren,
Die den wilden Sturm beschwören,
Ach und Seufzer angsterregend
Läßt sie zu dem Fernen ziehn.

Im Sturme der Welt und der Wellen,
Geschieden von den Seinen,
Pfadlos ins Ungewisse hinzurudern
Und um Hilfe vergebens zu weinen;
Fern sich wissen die harrende Liebe,
Des Hauses stillen seligen Frieden
Und Alles, was uns Lust und Glück, —
Fürwahr, ein fürchterliches Geschick!
Ein schauderhaftes Los,
In der Abgründe gähnenden Schoß
Bei der Blitze zuckendem Schein
So zu blicken hinein,
Und dann mit dem Gedanken an
Die Lieben zugleich den schrecklichen denken:
Vielleicht soll sich dein Kahn
Nie mehr zu ihnen lenken!
O entsetzliche Lage,
Die mit Angst, Verzweiflung und Klage
Die Seele erfüllt!
Und doch — Ein Bild
Schwächt und zerstört diesen Graus,
Schiffer, denke dich in dein Haus
Und sieh wie dort all die Deinen
Die Hände ringen und weinen,
Wie sie sich zum Gebet versammeln
Und flehend zum Himmel stammeln;
Wie sie für dein Heil, deine Rettung
Beten, rufen und empor blicken,
Und wie in brünstiger Verkettung
Ihre Gebete zu Brücken,
Zu Ankern, zu Booten werden,
Um dich zu entreißen den Gefährden.
Auf Schiffer, du hast noch Seelen,
Die für dich beben und zittern,
Die, um sich liebend mit dir zu vermählen,
Den Kampf nicht scheuen mit Gewittern.
Schiffer, fasse Mut!
Rette dein Leben und Blut
Für die Deinen!
Nicht in Verzweiflung sollst du versinken,
Hörst du sie weinen?
Siehst du sie winken?
Auf Schiffer, fasse Mut, Mut
Für dein höchstes Gut
Und besiege der Stürme Wut!

Später ist es schon geworden;
An des Ufers flachem Rand,
Den mit seinen goldnen Borden
Mild das Abendrot umwand,
Steht sie mit dem vollen Herzen,
Ohne Lindrung ihrer Schmerzen,
Ohne Lust an den Akkorden,
Die erklingen rings am Strand.

Ihres Kummers wäre gerne
Ledig sie und ihrer Pein:
Sieh, da regt sich's in der Ferne —
Gott, ein Nachen könnt' es sein!
Kaum dem Blicke zu erspähen,
Wie ein Punkt nur zu ersehen,
Aber doch gleich einem Sterne
Mit der Hoffnung süßem Schein,

Bange Nacht der Ahnung
Mit dem schaurigen Dunkel,
Das ohne Strahl und Sterngefunkel
Auf die Seele sich lagert
Mit Bildern gespenstischer Mahnung, —
Wer weiß es, bange Nacht,
Ob an deinem Schlusse
Ein Morgen neubelebend erwacht
Oder ein Gerippe mit dem Todeskusse?
In deinem Schoße schlummern die Keime
Unendlicher, glücklicher Träume;
Unreife, leise Gedanken
Die geträumt nur, aber nicht gedacht,
Die Seele wie zitternde Ranken
Umschlingen, bevor sie erwacht.
Sie fährt empor aus ihrem Sinnen,
Zu haschen das flüchtige Glück, —
Sie aber flogen längst von hinnen
Und stiegen von der Erde Zinnen
In's Meer der Träume zurück.
Aber auch Gedanken blaß und bleich
Steigen gespenstergleich
Aus deinen Finsternissen empor
Als des Entsetzens Furienchor.
O laß diese entsetzlichen, abscheulichen
Weichen den ergötzlichen, erfreulichen;
Wirf deinen Schleier zurück
Und gönne dem zagend forschenden Blick
Einen Tropfen Himmelslicht' —
Wie? du gewährst? du weigerst es nicht? —
Habe Dank, o Himmel, er bricht herein,
Der Hoffnung süßer, goldener Schein;
Er gießt das rosige Morgenlicht
Dem müden Kranken in's Angesicht,
Gott! und nicht er allein,
Sichre Gewißheit erscheint sogar.
Auf Zweifler, stürz dich in's Licht hinein,
Erfasse sie an dem lockigen Haar!
Wie wird dir das Auge so hell und klar,
Wie wird das Herz so selig und weit,
Was dämmert für eine himmlische Zeit:
Hoffnung — Liebe — Glück und Licht —
Mehr hat die Seligkeit nicht!

Und es hat sie nicht getrogen
Ihrer Hoffnung leises Wort,
Näher kommt er hergezogen
Zu der Heimat stillem Ort;
Ja, er ist es, dem entgegen
Pocht ihr Herz mit bangen Schlägen,
Den das eitle Roß der Wogen
Heute trug in's Weite fort.

Aus dem Nachen steigt er schnelle,
Seines Glückes sich bewußt;
Bei des Abends milder Helle
Drückt er sie an seine Brust.
Aller Schmerz, der erst gewaltet,
Hat in Glück sich umgestaltet,
Und es sieht die leise Welle
Glückliche in stiller Lust.

Das Wunderbild

Die Lüfte wogten heiß und schwer,
Kein Wind flog labungsvoll einher,
Die Sonne schaute sengend drein,
Da zog ein armes Mägdelein
Mit andachtvollem Herz und Sinn
Zum Bild der Himmelskönigin,
Das sie im Glanz der Wunderwelt
Am heil'gen Berge ausgestellt.

Gemalt in Gold und hellem Blau,
Dort in des Tempels Wunderbau
Steht hehr der Jungfrau Huldgestalt,
Zu der das zarte Mägdlein wallt;
Die Luft ist heiß, die Sonne brennt,
Kein Wölkchen schwebt am Firmament,
Das Mägdlein schwanket für und für,
Die schwachen Kräfte brechen ihr.

Und wie der Weg auch lang und weit,
Doch muß sie ihn vollenden heut,
Noch heut im weiten Tempelbau
Hinknieen vor die Himmelsfrau,
Bis sie im brünstigen Gebet
Der Mutter Segen hat erfleht,
Die heim, verzehrt von Fieberglut,
Auf hartem Krankenlager ruht.

Und endlich ist erreicht das Ziel,
Im Gotteshause hält sie still;
Der Ampeln tausendfacher Schein
Spinnt schon das Wunderbildnis ein
Der allerreinsten Himmelsbraut,
Die von dem reichen Altar schaut,
Im Arm das hohe Gotteskind,
Das unsre schwere Schuld gesühnt.

Die weiten Hallen ringsherum
Wie sind sie leer, wie sind sie stumm,
Allein im heiligen Gebiet
Das arme Mägdelein nur kniet
Und betet heiß und inniglich, —
Doch ihre Müde mehret sich,
Vor ihrem Aug flirrt bunter Schein,
Sanft sinkt sie hin — und schlummert ein.

Mit einmal ruft der Sakristan
Hinein zum weiten Marmorplan:
Wer sich im hohen Gotteshaus
Verspätet, eile schnell heraus;
Denn sieben Rüden laß ich ein,
Des Tempels Hüter Nachts zu sein,
Das Heiligtum zu schirmen treu
Vor Diebeshand und Frevelei.

Still ist's wie vor im Gotteshaus,
Es eilt durchbebt kein Mensch heraus;
Das arme Mägdlein schlummert dort,
Hat nicht gehört das Schreckenswort;
Da stürzen die sieben Rüden los,
Der schweren Tagesketten bloß,
Und hinter ihnen wie das Grab
Schließt sich die Riesenpforte ab.

Hall' auf und ab, hin und zurück,
So rennen sie mit spähendem Blick
Bis zu dem Hochaltare hin,
Wo's Mägdlein ruht auf ihren Knien
Und träumt von einem Paradies,
Von einer Jungfrau mild und süß,
Und nicht von solchem Schreckenstod,
Wie der sie jetzt so nah bedroht.

Und wie sie nahn der Schläferin,
Da streckt die Himmelskönigin
Vom Altar aus die Lilienhand,
Und sieh', mit einemmal umspannt
Ein blaues Wolkendach die Maid,
Mit wundersamem Glanz umfeit,
Und Englein halten dort und hier
Die Hände schützend über ihr.

Wie sind die Doggen plötzlich zahm!
Gebannt vom Strahle wundersam
Legen sie sich zu Füßen hin
Der gottbeschirmten Schläferin,
Dann springen sie auf und hüpfen im Kreis
Für Freuden auf gar lustige Weis,
Und wiederum mit einemmal
Liegen dem Mägdlein zu Füßen sie all'

Die aber träumt noch immerdar
Von goldgewirkter Blumenschar:
Da blickt der Morgen in den Dom
Mit seiner Augen Feuerstrom,
Durch all die Scheiben rot und blau
Hinein zum weiten Säulenbau,
Und gießt sein helles Purpurlicht
Dem Mägdelein ins Angesicht.

Und horch! auftut der Sakristan
Der Kirchenpforte weite Bahn,
Und hinter ihm in bunten Reih'n
Die frommen Waller hinterdrein:
Die alle sehn das Wunder stumm
Und knieen betend ringsherum
Dort vor dem hohen Gnadenbild,
Das Schutz dem Mägdlein war und Schild.

Der Muselman

Als er Soristan durchwandert,
Kam ein Franke, Sohn des Handels,
Zu dem alten edlen Faruk,
Seinem Handelsfreund in Haleb.
"Segen auf das Haupt des Gastes",
Grüßte der, "doch muß er warten,
Bis dem Himmel ich genügte,
Weil ein Glück mir Allah sandte,
Da ein Sohn mir ward geboren,
Und verpflichtet mich zum Danke."

Und drei Tage lang war Zeuge
Dieses Dankes nun der Franke. —
Speisen ließ am ersten Faruk
In den Kerkern die Gefangnen,
Ihre Leiden zu erleichtern,
Und er selbst, gleich einem Sklaven,
Reichte Reis, Sorbet und Brote
Ihnen bis zum späten Abend.

Und am zweiten Tag bestellen
Ließ er reichgedeckte Tafeln
Und mit Schüsseln sie beladen,
Die des Sultans würdig waren;
Öffnen dann des Hauses Türen
Und die Armen von der Straße,
Die er freundlich selbst bewirtet,
Alle her zu Gaste laden,
Bis die Wohlgenährten Abends
Mit Geschenken er entlassen.

Und am dritten Tage sendet,
Da gar heiß die Sonnenstrahlen,
Diener er vor alle Tore,
Schläuche frischen Wassers tragend,
Es als Opfertrank der Liebe
Anzubieten jedem Wandrer,
Der des Spenders segnend denket,
Wenn die Schale ihn erlabte.
Und um selber nachzusehen,
Ob gereicht auch wird die Gabe,
Wandelt er vom Weg zum Wege
In des Tages Glut bis abends.

Und am vierten Tag frühmorgens
Tritt er an des Franken Lager:
"Nun dem Himmel ich genügte,
Bin ich ganz des lieben Gastes."

Papagei und Rabe

Rabe im Gewand der Trauer,
Papagei im grünen Taft,
Saßen in demselben Bauer
Beide eingesperrt in Haft.
Seinem schwarzen Mitgenossen
Zürnte da der Psittich viel,
Weil mit solchen eingeschlossen
Hier zu leben ihm mißfiel.

Welch absonderliche Kleidung,
Welche trennende Manier,
Welche Sittenunterscheidung,
Rabe, zwischen dir und mir!
Ich im grünen Federglanze,
Du so schwarz, als wie die Nacht;
Ich zur Freude und zum Tanze,
Du zum Abscheu nur gemacht.

Stünden wir doch streng geschieden,
Wie es Gegensätzen paßt:
Ich von solchem Gast gemieden,
Der im Herzen mir verhaßt;
Ich mit Lustgefährten wiegend
Mich im schönen grünen Wald,
Du nach alten Mauern fliegend,
Deiner Brüder Aufenthalt. —

Aber wunderbar, der Rabe
War erbost in gleicher Art:
Sagt, was ich verbrochen habe,
Götter, daß ihr straft so hart,
Daß ihr mich zu diesem Schwätzer,
Dem geputzten Unverstand,
Zu dem Lästerer und Ketzer
Als Genossen habt verbannt!

Ist's ein Greuel doch dem Frommen,
Wenn sein reiner Genius
Unter Sündervolk gekommen,
Bösen Wandel sehen muß.
So entweihst du diese Stelle,
Bist zum Ärgernis nur hier,
Du weltlustiger Geselle,
Hebe dich hinweg von mir! —

Saadi, der dies aufgeschrieben,
Flicht die gute Lehre ein:
Weise wohl und Toren lieben
Nah beisammen nicht zu sein.
Doch wenn Weise Toren meiden,
Sind sie diesen gleich verhaßt,
Denn es hält sich von den Beiden
Jeder für den klügern Gast.

Meint ein späterer Erklärer:
Wer ist Weiser hier, wer Tor?
Nur das Leben ist der Lehrer,
Überzeugend Herz und Ohr.
Doch die gegen Lebenskluge
Sich mit Frömmigkeit verschanzt,
Haben meist nur zum Betruge
Ihre Fahne aufgepflanzt.

Sonntag

Der Sonnabend zum Sonntag flüstert
Sieh, Alles schläft so feierlich
Und Mitternacht ist angedüstert,
Jetzt kommt die Reihe, Freund, an dich;
Ich werde müd' der Tagesplagen
Und süßer Schlummer sei mein Lohn;
Komm, hörst du deine Stunde schlagen!
Der Sonntag spricht: Da bin ich schon.

Er steigt empor aus dunklen Schatten,
Geht durch der Sterne blaue Bahn,
Die Augen reibt er sich, die matten,
Und zieht sich gähnend vollends an.
Dann fertig mit der Toilette
Und nun zum Gange frohgemut,
Schleicht er sich weckend an das Bette,
Wo seine Freundin Sonne ruht.

Auf! ruft er, und von deinem Pfühle
Sollst du o Schläferin, erstehn,
Schon will in frischer Morgenkühle
Dein Zöfchen Venus schlafen gehn.
Es stimmen rings die Lerchenscharen
Die Lieder deinem Flügelschritt,
Und weil wir heut zum Feste fahren,
Nimm deine schönsten Strahlen mit.

Der Sonntag jetzt, den Berg ersteigend,
Nimmt Alles ringsherum in Acht:
Die Menschen schlafend noch und schweigend,
Spricht er, drum kein Geräusch gemacht!
Und in des stillen Dorfes Nähe
Schleicht er mit leisen Tritten bei,
Und sagt zum Hahn: Laß dein Gekrähe,
Damit ich nicht verraten sei.

Und wenn sie nun die Augen reiben,
Die Leute, nach vollbrachter Ruh,
So lächelt ihnen durch die Scheiben
Der Sonntag und die Sonne zu.
Und streckt ein kleiner Müßiggänger
Sich länger noch im weichen Flaum,
So läßt er ihn in Frieden länger
Austräumen seinen süßen Traum.

Geschenke bringet er und Pfänder,
Für Groß und Klein gar wohlgesinnt,
Für Mädchen hat er Schmuck und Bänder
Und süße Kuchen für das Kind.
Entpfropfen läßt er dann die Flasche,
Gesang und Lachen schall' im Chor,
Und Abends zieht er aus der Tasche
Die Flöt' und Geige lustig vor.

Der Sonntag zaubert alle Räume,
Mit ihm der Mai, der Lustgesell,
Weißblühend zeigen sich die Bäume,
Der Himmel blau, das Wasser hell;
Die Blumen knospen aus dem Moose
Und feiern zärtlich ein Idyll,
Das Veilchen flüstert mit der Rose,
Die Eiche mit der Linde still.

Als er den Morgenruf vernommen,
Der Fink vom Neste singend fährt
Und heißt die Schwalbe froh willkommen,
Aus fernem Süden heimgekehrt.
In seinem schmucken Sonntagsstaate
Der Stieglitz hüpft von Ast zu Ast,
Und singt die trillernde Kantate
Im grünbeblätterten Palast.

Heute feiert Arbeit und Gewühle;
Wie still sich heut das Dörfchen zeigt!
Das laute Räderwerk der Mühle,
Der dumpfe Schlag des Hammers schweigt.
Die Rinder kauen an der Krippe,
Von Joch und Karren auszuruhn,
Im Schoppen liegen Pflug und Hippe
Und haben heute nichts zu tun.

Heut nirgend Kummer oder Sorgen,
Zufriedenheit in Wort und Blick.
Ei Nachbar Steffen, guten Morgen! —
Zur Stadt, Gevatter? Nun viel Glück! —
Gut Wetter für die Frucht, meint Einer,
Der Andre: Wein gibt's auch vielleicht!
An Müh und Arbeit denkt heut Keiner
Als Abends der die Fidel streicht.

Die Glocke

Im Turme da schwebet die Glocke so sehr
Und blickt durch die Fenster zum Himmel hinauf,
Tief unten dehnt sich das Häusermeer
Und schweigende Dämmerung lastet darauf.

Und plötzlich wird's glänzend und hell und licht,
Der Himmel öffnet das blaue Tor,
Und durch die schweigenden Lüfte bricht
Ein Strahl wie Gold und Purpur hervor.

Und in dem schimmernden Morgenschein,
Da hüpfen wohl tausend Englein mild,
Die schweben so leise zur Glocke herein
Und nahen sich still dem ehernen Bild.

Die Einen die sind so ernst und lieb,
Die Träne zittert in ihrem Blick,
Den Busen schmerztragend und trüb,
Ihn strahlet das treue Auge zurück.

Die Andern die tanzen so fröhlich und schön
Wie Mondschein auf kristallener Flut;
Doch schweigende Ehrfurcht scheint sie zu umwehn,
Als sei ihre Wonne nur himmlische Glut.

Drauf reihen sich Alle, Alle zum Bund
Und küssen der Glocke erzenen Rain,
Als küßten sie gerne dem eisigen Mund
Ernst, Freude, Ehrfurcht und Trauer ein.

Doch plötzlich wird es still und stumm,
Die rosigen Englein verschwinden all,
Und aus dem azurenen Heiligtum
Steigt hehr der goldene Sonnenball.

Und die Glocke verstand das Losungsbild,
Verstand, was bedeutet der Englein Nahn,
Und ruft mit tönender Stimme mild
Die Menschen zur Andacht heran.