weiter
 

Leben 2
 

Eine Szene auf Java
Der Himmel
Die Entsagende
Alte Frauen
Die Wiese
Ein Abendgang
Sylvesterabend
Die Säule
Vom Garten

 
Salomo's Ring
Die Felsenhöhle
Allein
Genesung im Lenze

 

Eine Szene auf Java


Da wo der Jakkatarg die heiße Welle
Hindrängt in's dunkle Tal von Samarang,
Steht eine Hütte an umbuschter Stelle,
Ein leichtes Zelt aus grünem Blätterhang.

Die Palme und der Pisang mußten fügen
Mit ihrem Laube sich zur grünen Wand,
Worüber gitterartig Stäbe liegen
Aus Pfefferrohr, als festerer Verband.

Von rückwärts legt die Samaka- Zitrone
Die goldnen Äpfel auf das niedre Dach,
Und vorne nickt aus seiner hohen Krone
Der Brotbaum dem Geräusch des Flusses nach.

Ein stiller Friede liegt auf dieser Hütte,
So scheint's; kein Tier, kein Vogel störet ihn;
Indessen wälzt in ihrer grünen Mitte
Verzweifelnd sich ein Mann am Boden hin.

Das krause dunkle Haar zeigt den Malayen,
Schwarzgelb die Haut, vom eig'nen Nagel wund:
Vor Kurzem noch der Schmuck von Java's Freien,
Jetzt liegt er da, hinwinselnd wie ein Hund.

Sie haben heimlich ihm sein Weib entrissen
Und an den Sklavenhändler hingefeilt,
Drum ist sein Herz und Angesicht zerrissen
Und seine Lippe bebt und flucht und heult.

Am Tage wälzt er sich in seinen Pfühlen,
Doch wenn im heißen Ostmousson die Nacht
Vampire schickt, der Menschen Schlaf zu quälen,
So schleicht er nach dem tiefen Tale sacht.

Dort steht der Bohon-Upas giftgeschwollen
Und pflanzt in Trauerlauben selbst sich fort,
An seinem Stamme siehst du niederrollen
In reichen Tropfen tausendfachen Mord.

Und aus dem Hemde reißt hier der Malaye
Den hohlen, dreigeschliff'nen kurzen Stahl,
Und dreht ihn in dem schwarzen Todesbreie,
Bis er gefüllt, wohl zehn- und zwanzigmal.

Dann geht er still nach Haus die grüne Gasse,
Grimm lachend, wie er nie gelacht zuvor,
Und holt vom Dach die kleine Calebasse,
Ein unberührtes Vatererbe, vor.

Ein Zaubertrank ist's, hohen Mut verleihend,
Tun sich der Schlacht, des Todes Pforten aus:
Er trinkt ihn rasch, dem Tode still sich weihend,
Denn morgen gilt's den wilden Amoklauf.

Als nun der Tag anbricht im vollen Strahle,
Wie fiebern alle seine Pulse da,
Wie glüht sein Kopf! Fort stürzt er aus dem Tale
Und läuft zur Straße von Batavia.

Blutlechzend rennt er fort: es ist als flöge
Geschwung'nen Dolch's durch Straßen er und Feld,
Malaye, Christ, Chinese auf dem Wege,
Wer ihm begegnet stirbt durch ihn und fällt.

An Allen will sein Weib er blutig rächen,
Der gift'ge Dolch hat Leichen rings verstreut',
Und immer weiter stürmet sein Verbrechen,
Bis jetzt das Volk: "ein Amokläufer!" schreit.

"Ein Amokläufer!" hallt es furchtbar wieder,
Geschart in Waffen brechen Alle auf,
Vom Tode zu erretten ihre Brüder,
Zu enden der Verzweiflung Mörderlauf.

Jetzt blitzen die Gewehre ihm entgegen;
Er sieht's und wendet sich zur raschen Flucht;
Doch sie verfolgen ihn auf seinen Wegen
Hin an des Jakkatarg entfernte Bucht.

Sein Hüttendach erklimmt er jähen Satzes,
Den Dolch noch immer in gekrampfter Hand,
Die dichtbelaubten Bäume rings des Platzes,
Sie decken ihn, wie eine grüne Wand.

Jetzt nahen sie in dichtgedrängten Kreisen,
Sie sehen ihn, schon zielet ihr Geschoß:
Da schwingt er schnell das blutgefärbte Eisen
Und führt in's eigne Herz den Todesstoß.

Und niederkollert wie ein Ball die Leiche,
Es fließt das Blut vom Dache und im Staub,
Die zwanzig Schüsse fuhren ins Gesträuche
Und trafen der Zitrone dichtes Laub.

Sie schüttelte wie eine goldne Träne
Die Frucht auf Java's Schmerzensohn herab:
Das war die erste und die letzte Träne,
Die da getropft auf des Malayen Grab.

Der Himmel

Der Himmel ist ein wundervoller Dichter,
Er hat auf blaues Pergament geschrieben
Die Lieder all, die zauberhaften, lieben,
Die unserm Auge scheinen milde Lichter.

Und all die sanften holden Sterngesichter,
Buchstaben sind es, welche Engel drüben
Zum großen Liederspruch zusammenschieben,
Zum Spruch, den nun der Mensch besieht als Richter.

Er schaut und schaut, und kann den Sinn nicht fassen,
Und hängt mit Angst an Formen und an Worten,
Das Himmlische in Erdenschranken fugend;

So fühlt er von den Engeln sich verlassen,
Verbannet von des Paradieses Pforten,
Und mißversteht das hohe Lied der Tugend.

Die Entsagende

Es war ein Ball. Rings durch den weiten Saal
Spann sonnengleich der Kerzenstrahl
Sein goldnes Netz mit glühendem Verlangen,
Den milden Engel, Freude, drin zu fangen.
Der süße Zauber der Musik erscholl
So wunderbar, so lieb und wehmutvoll,
Daß Alles in den Wirbel seiner Wogen
Unwiderstehlich ward hineingezogen;
Und all die holden Wesen, schön und jung,
Sie rauschten in des Taktes sicherm Schwung
Vorbei bald rasch, bald schwebend nur, bald leise
Wie eines Traumes märchenhafte Kreise.

Da ging die Türe auf. Und an dem Arm
Des Gatten in den buntbewegten Schwarm
Trat eine Frau. Wie sie sich rings verneigte,
War's, wie wenn ein Gnadenbild sich niederbeugte.
Jung, blühend nicht, doch zart und weich und weiß
Hinschmachtend war das Aug', die Stimme leis',
Dies Antlitz war ein Buch voll stillem Lieben,
Das Zug für Zug die Sehnsucht vollgeschrieben,
Dies Angesicht, auf welches flammendheiß
Die Schönheit ihre Zauberküsse prägte,
Bis drauf der Schmerz den weißen Schleier legte.

O, sie war schön! Noch schien um ihren Mund
Das stille Liebelispeln hinzufließen,
Das Einem Glücklichen gegeben kund,
Zwei Wesen hätte selig machen müssen!
Nie bebte ihre Lippe diesen Laut,
Denn jener, den sie einst gebebt als Braut,
Er ward von fremdem Munde vorgesagt
Und duldend nur von ihrem nachgezagt.
O Glück, wie bist du kalt und schonungslos!
Zwei arme Worte bilden hier ein Los:
Das Eine, das sie ewig hat verschwiegen,
Es ruht, ein stiller Glanz, auf ihren Zügen;
Das Andre, das die Dulderin gesprochen,
Es hat, ein stiller Gram, ihr Herz gebrochen.

Dies Herz, so reich an süßer Liebesglut,
Gefesselt an ein starres, marmorkaltes,
Dies Aug', noch jüngst voll Jugendübermut,
Es taucht sich in ein halbverloschnes, altes;
Dies Wesen, dessen Odem haucht Gesänge,
Gebunden an den kühlen Ernst der Strenge:
Wer faßt den Jammer in ein Bild zusammen?
Ein Gottestempel ist's im Raub der Flammen,
O viel zu wenig wäre das gesprochen,
Ein Tempel von Vandalen abgebrochen!

Sie sitzt und schweigt. Jetzt steht sie auf zum Tanze,
Gesenkten Blicks; sie ahnt es nicht einmal,
Wie sie in ihrer Würde stillem Glanze
Die Königin des Festes ist im Saal.
Es pocht ihr Herz im raschbewegten Schlage,
Der Busen wogt, die Wange färbt sich mild, —
Es ist, als ob Erinn'rung schön'rer Tage
Mit ihrem, ach erträumten, Wonnebild
Noch einmal jetzt sie überraschen wolle,
Noch einmal ihren Frieden stören solle:
Um dann für ewig schweigend und begraben
In jenem armen Herzen ruhn zu müssen,
Dem fremde Seelen aufgetragen haben,
Das Leben in Entsagung hinzubüßen.

Der Reigen wiegte sie in meine Nähe,
Sie ruht, und wie ich nach ihr sehe,
Die stillverklärt, ein Opfer der Ergebung,
Rings überstrahlt die ärmliche Umgebung,
Wie ich hinblicke nach dem schönen Wesen,
Worin ich still des Schmerzes Schrift gelesen,
Trifft mich ihr Blick, — ein langer, langer Blick,
Doch ach, in diesem Blicke lag kein Glück,
Ein Blick, den man verwandten Herzen gibt,
Und dabei denkt: du weißt was mich betrübt!

Da wurde mir der weite Saal zu enge,
Fort eilt' ich aus dem lärmenden Gedränge;
Ich ging nach Haus. Dort dacht' ich still allein
An Menschenschicksal und an Menschenpein,
Und weiß mein eignes schmerzliches Entsagen
Seither mit festrem Mute zu ertragen.

Alte Frauen

Wie sich um ein alt Gemäuer
Wunderbare Sagen spinnen:
Bald, daß es nicht ganz geheuer,
Bald, daß gute Elfen drinnen.

Also liegt auf alten Frauen
Oftmals etwas Tiefgeheimes,
Wunderbarlich anzuschauen
Spuren eines Zauberkeimes,

Spuren einer Vorgeschichte,
Die zum Märchen jetzt verwandelt
Noch mit halb erloschnem Lichte
Über Wang' und Lippen wandelt.

Ach, was mochten diese Blicke,
Dacht' ich heimlich oft, in Herzen
Wecken nicht an süßem Glücke,
Und erregen nicht an Schmerzen.

Was für Glut, nicht zu verhehlen
Mochte diesem Mund entströmen,
Stark, die Tatkraft andrer Seelen
Anzufachen und zu lähmen.

Welche reichverzweigte Ranken
Des Gefühles zoh'n als leise
Unaussprechliche Gedanken
Oft durch dieses Herzens Kreise.

Bis sie, halb mit eignem Willen,
Halb gefangen sich ergeben,
Die Bestimmung zu erfüllen,
Die gewürfelt ihr das Leben.

Nun sie alt ist, zieht ein Mahnen
Manchmal über ihre Miene,
Wie die Geister großer Ahnen
Über eine dunkle Bühne.

Wie die ungewissen Schatten
Jener Macht, die einst sie übte,
Als sie noch in Frühlingsmatten
Stand, befahl, bezwang und liebte.

Dieser trüb und Jener heiter
Ziehn vorüber sie in Scharen
Eine ganze Jakobsleiter
Von verlebten lieben Jahren.

Drum ist trüb und froh ihr Wesen
Auch, worüber ich nicht staune;
Statt das Rätsel aufzulösen
Nennt die Welt es vorschnell Laune.

Die Wiese

Eine große Wiese,
Ein sprossendes Reis darin,
Es schießt in die Höhe lustig,
Es rauschen die Winde dahin.

Düster wandelt ein Knabe
Mit stillem traurigem Sinn,
Er gießt das Reis mit Tränen,
Es rauschen die Winde dahin.

Eine große Wiese,
Ein grünender Strauch darin,
Der Knabe ward zum Jüngling,
Es rauschen die Winde dahin.

Er sitzt mit dem Mädchen
Im blühenden Strauche darin,
Geschehn ist, was nicht sollte,
Es rauschen die Winde dahin.

Eine große Wiese,
Ein schattiger Baum darin,
Der Jüngling ward zum Manne,
Es rauschen die Winde dahin.

Er hat sein Weib verlassen,
Er flieht zum Baume hin,
Den Wanderstab zu schnitzen,
Es rauschen die Winde dahin.

Eine große Wiese,
Ein alter Stamm darin,
Zurück kehrt der greise Flüchtling,
Es rauschen die Winde dahin.

Er ringt die kranken Hände
Mit verzweifelndem Sinn:
Sein Weib ist Leides gestorben,
Es rauschen die Winde dahin.

Eine große Wiese,
Ein alter Stamm darin,
Dran hängt eine fahle Leiche,
Es rauschen die Winde dahin.

Ein Abendgang

1.
Der Himmel liegt in Abendruh,
Dem greisen Tag von allen Wegen
Geht still das Heer der Lüfte zu
Wie Kinder um den Abendsegen.

Es wähnt das Herz allüberall
Den milden Frieden ausgebreitet,
Ich ging allein, vom Glockenhall
Des fernen Kirchleins nur begleitet.

Da fiel ein Schuß, ein greller Ton
Durchzuckt die feierliche Wehmut,
So wie ein Fluch mit wildem Hohn
Durchschneidet das Gebet der Demut.

Es war ein Fluch, den Einer schrie,
Weil ihn die Welt um ihn verdiente,
Der er sein Blut in's Antlitz spie,
Als er des Lebens sich entsühnte.

Es schied das letzte Abendrot
Von einem blut'gen Flecken Erde,
Der erste Mondstrahl sah den Tod
In seiner gräßlichen Gebärde.

Der Himmel lag in Ruh wie eh',
Die Erde log noch immer Frieden,
Indessen ihr zermalmend Weh
Ein armes Herz zum Tod beschieden.

2.
Ich sann noch lang im Abendstrahl,
Da sah ich einen Bettler wanken,
Der von der Leiche fort sich stahl,
Auf die still seine Tränen sanken.

Rasch frug ich ihn, ob er gekannt
Den, der so kläglich hier geendet,
Da faßt' er schluchzend meine Hand,
Und sprach, mir in's Gesicht gewendet:

"Herr, Ihr seid jung, und jung ist gut,
Auch der war's, der hier elend blutet;
Es war sein Herz von Glut und Mut,
Sein Geist von Wissen überflutet.

So reich an Geist, so arm an Brot,
Sein nacktes Kämmerlein nächst meinem
Ließ mich gewahren seine Not,
Sein Leben und sein stilles Weinen.

Doch ließ sein Geist, ein treuer Hund,
Nicht ab von jenem großen Schatze,
Den er, wiewohl mit leerem Mund,
Vergrößert und bewacht am Platze.

Und hochgelehrt und ohne Scheu
Vernahm ich, o wie mich das rührte,
Daß er zum Landhaus gangen sei
Und volkvertretend Wort dort führte.

Des zürnten ihm die Herrn, man ruft:
In's Hundeloch den starren Schädel!
Und ihrer Einer ward zum Schuft
Sogar an seinem armen Mädel.

Sie haben's richtig durchgesetzt,
Jetzt liegt er still im Todeshafen,
Der liebe Gott weiß doch zuletzt,
Wer für den Frevel zu bestrafen."

Der Alte ging still betend fort,
Der Mond schnitt kleine scharfe Schatten,
Ich aber blieb noch lange dort:
Dies Herz in Tränen zu bestatten.

Es kräuselte der Wind den Staub,
Doch ließ er rein die schöne Leiche,
Und wehte nur das grüne Laub
Auf sie der treuen deutschen Eiche.

Sylvesterabend
Epistel

Zwei hohe Bäume siehst du nebensammen,
Verwelkt der eine, abgedorrt und kahl,
Der andre streckt die grünen Blätterflammen
Frischsäuselnd in den feuchten Morgenstrahl.

Es ist das Jahr der Eine, das vergangen,
Und der das neue, das die Welt gesandt;
Inmitten beider siehst du eine Rose prangen,
Die sie Sylvesterabendlust genannt.

Ernst ist der Weg von Einem zu dem Andern:
Ein Reich versinkt, indessen wir ihn geh'n;
Viel Lebensblüten über diesem Wandern
Pflegt Zeit als welkes Laub herabzuweh'n.

Der alte Baum, er war, im vollen Grünen,
Ein Freund gar oft uns ohne Falsch und Lug,
Und wem er nicht so liebevoll erschienen,
Dem war er doch ein Stamm, der kräftig trug;

Der sicher trug wie eine feste Eiche,
Und Schirm gewährt für Lustgelag' und Schlaf,
Der alle Sonnenpfeil' und Hagelstreiche
Auffing, daß keiner allzuschmerzlich traf;

Und der noch jetzt, wo sie sein Mark zersplittern,
Und er dir im Kamine knistern wird,
Erinn'rungsbilder dir entgegenzittern
Und, prasselnd, süße Grüße flüstern wird,

Was ist der Frische drüben? Kannst du's sagen? —
Ahnst du, wie oft sein Rauschen dich umweh'n,
Wie viele Blüten er dir je wird tragen,
Wie oft vergnügt du unter ihm wirst steh'n?

Und dennoch stürzest du, im Freudenrausche,
Zur kleinen Rose hin, die dicht vor ihm,
Gleich einem Freibrief zu dem großen Tausche,
Du küssest in erhitztem Ungestüm.

Du flicht'st in's Haupt sie, die, kaum eingeflochten,
Dir unbewußt entsinket und verwelkt,
Weil in dem scharfen Licht von hundert Dochten
Der Blüte zartes Leben du verschwelgt. —

O Freund! die rätselhafte Memnonsäule
Der Zeit tönt nur dem reinen Sonnenstrahl',
Nicht jenem Schimmer, der mit schwanker Eile
Vom vollen Becher schlüpft zu ihrem Mahl.

Du fragtest: zürne nicht! — Mir scheint's verwegen,
Daß Taumel über einem Rätsel wacht;
Und willst mein Wort vielleicht du überlegen:
Bedenk' es still — in der Sylvesternacht!

Die Säule

Iskender war's, den Griechenland
Hat Alexander zubenannt,
Der zog vorbei in Siegereile
Mit seinem Heer an einer Säule.

Leer war das nied're Capital;
Doch schien's, als ob darauf einmal
Gestanden eine Statue habe;
Da sprang vom Troß ein kecker Knabe

Hinauf, und wie er oben stand,
Da zuckte plötzlich sein Verstand;
Sein Mund, vom heil'gen Drang bemeistert,
Erklang prophetisch und begeistert.

Er drehte sich im Kreise rings,
Und wie sein Auge rechts und links
In die verschied'nen Pole blickte,
Sprach auch verschieden der Verzückte.

Als König da, als Weiser hier,
Und dort als kundiger Wesir:
Iskender fragte die Begleitung
Um solcher Rätseldinge Deutung.

Da sprach der weise Stagirit,
Der immer ihm zur Seite schritt:
"O Herr, ein tiefer Zauber waltet
In dem, was sich vor dir entfaltet.

Die Säule Jetht' matali' —
Den Griechen ist Orakel sie —
Deckt einen großen Mann im Grabe
Mit Weisheit und Prohpetengabe.

Des großen Mannes Geist und Wort,
Sie wirken noch im Tode fort:
Wer auf die Säule sich geschwungen,
Der fühlt sich bald davon durchdrungen.

Der Schrift bedarf solch Denkmal nicht,
Weil es lebend'ge Worte spricht:
Dem Großen bleibt in allen Zeiten
Die Zauberkraft und das Bedeuten.

Unwiderstehlich faßt's den Geist,
Dem es in Herrlichkeit sich weis't,
Dem Toten muß was lebt auf Erden
Zum Dolmetsch der Bewund'rung werden.

Und wie das Große liegt in Kraft,
Prophetengeist und Wissenschaft
In Schätzen und im Seelenfrieden,
So sind die Säulen auch verschieden.

Verschied'ne Zungen reden sie,
Wie sie der Tote ihnen lieh,
Je wie das Große seines Lebens
Verschieden in der Art des Strebens.

Und also Wunscherfüllung auch
Nennt solchen Stein der Sprachgebrauch,
Weil dem Verzückten er kann geben,
Was dieser nie besitzt im Leben." —

Jetzt war die Säule wieder leer,
Der Knabe albern wie vorher,
Der weise Deuter hat geschwiegen,
Der König stand mit ernsten Zügen.

Wohl nannten ihn die Menschen groß,
Er aber schwieg und dachte bloß!
Ob seines Totenhügels Erde
Auch solche Säule schmücken werde?

Vom Garten

Einst durch einen schönen Garten
Ging ein Weiser hin im Mai,
Blumen wuchsen aller Arten
Unter Liedern vielerlei.

Rosenkelch tat ab den hellen
Gürtel wie das Morgenrot,
Und entgegen wollte schwellen
Tulpe ihrem nahen Tod.

Blumen standen farbenblühend,
Vieler Duft und vieler Schein,
Wie im Becher purpurglühend
Glänzt und duftet süßer Wein.

Abseit rankten Dorngewinde
Und verwundeten sich selbst,
Und zur Weide sprach die Linde:
Wie du malerisch dich wölbst!

Von dem Blütenhaupte taute
Der Viole Seidenhaar,
Und den eigenen Reiz beschaute
Die Narzisse immerdar.

Von der Rose Prachtgeschmeide
Hatte Tulpe sich geborgt,
Leben sie auch kurz nur beide,
Doch des Todes unbesorgt.

Und hinweg ging nun der Weise,
Aus dem Paradiese fort,
Doch nach einer langen Reise
War er Winters wieder dort.

Wo einst Rosenduft ihn grüßte,
Nachtigallenmelodei,
Grüßte jetzt ihn eine Wüste
Und der Raben heisrer Schrei.

Nicht die kleinste Spur von allem,
Was so schön sich einst verklärt,
Und das Blumenheer gefallen
Durch der Dornen scharfes Schwert.

Alle Liederkehlen ferne,
Alle Blüten ausgebrannt,
Ausgeglommen alle Sterne,
Und verödet rings das Land.

Und ein Siedlerhans erbaute
Tränenweinend sich der Mann,
Weil im Tod er Alles schaute,
Dem der Geist nur trotzen kann.

Dessen hat gar schöne Kunde
Mir Nizami's Lied gewährt,
Der mit vielberedtem Munde,
Alles sei vergänglich, lehrt.

Salomo's Ring

Als der weise König Salomo gestorben war,
Lebte noch der Zauber, der durch ihn erworben war,
Kräftig festgebannet an den heil'gen Siegelring,
Der an seinem Finger als ein Geisterzügel hing.

Aber die Gespenster, die ihm dienend untertan,
Da die Königssonne sinken sie bergunter sah'n,
Griffen, selbst zu herrschen, aus der ewig dunkeln Nacht
Kühn und frech vermessen nach des Rings Karfunkelpracht.

Da krachte das hohe Gebäude
Der fürstlichen Weisheit zusammen,
Die lustigen Strahlen der Freude
Beschienen den Jammer als Flammen;
Was ehmals der Gnade entblühte,
Jetzt muß es der Bosheit entstammen,
Und jegliche Stimme der Güte,
Sie wurde zum stillen Verdammen.
Tief seufzte das Volk und es blickte
Auf seines Beherrschers Paläste,
Der niemals die Seinigen drückte,
Der Weise, der Größte, der Beste:
Wie kommt es, daß er so entsetzlich
Jetzt quälen sie ließe und preßte;
Doch oben da klang es ergötzlich,
Als gab' es nur ewige Feste.

Und den toten König künstlich hat der Bösen Schar
Aufgerichtet, als ob er ein lebend Wesen war;
Auf dem Thron die Leiche haben fest sie unterstützt,
Daß der Zepter strahlend auf das Volk herunterblitzt.

Vierzig Tage floh'n, seit man das Volk geblendet hat,
Als indes der Holzwurm auch sein Werk vollendet hat,
Abgenagt den Stab hat, der die morschen Glieder hält,
Und des Königs Leiche nun auf einmal niederfällt.

Da stürmet in wütenden Wogen
Das Volk zum Palast aus den Gassen,
Die Frevler, die frech es betrogen,
Mit rächendem Arme zu fassen.

Sie dringen hinein und erbeben,
Die Mutigsten selber erblassen,
Die bösen Gespenster erheben
Zum Kampf sich in drohenden Massen.

Doch wurde das' Volk bald zum Riesen;
Der Leiden gedenkend in Schnelle,
Verdrängt es mit wildem Umschließen
Die feindlichen Geister zur Hölle.
Den Ring aber, welchen im Wüten
Verloren die Schar an der Schwelle,
Ein künftiges Leid zu verhüten,
Versenken sie rasch in die Welle.

"Sei gewiß, daß, wenn du gut und wahr und weise bist,
Sonnen mit dem Ring der Lieb' du aus dem Kreise ziehst.
Wehe, wenn der Zauber je zu Teil den Bösen war!"
Dies der Spruch, der auf des Ringes Stein zu lesen war.

Dieses Märchen kommt von Osten her den weiten Pfad;
Doch was der Gespenster Herrschen zu bedeuten hat.
Und wohin die Inschrift auf dem Königssiegel zielt:
Nimm es Welt, als Rätsel, besser noch als Spiegelbild.

Die Felsenhöhle

Es zog Suleiman in den Wald
Mit seinem Hofstaat zum Besuche,
Der einem Eremiten galt
Von strenger Sitt' und weisem Spruche.

In einer Felskluft wohnte der,
Wohin kein Blick der Sonne schaute:
Da fragt' der König staunend sehr,
Warum kein Hüttlein er sich baute?

O Herr! so sprach der Weise d'rauf,
Wohl lag das Bauen mir in Sinnen,
Ich raffte schon die Steine auf,
Und wollte frisch das Werk beginnen.

Die Steine aber riefen mir:
"O laß uns liegen auf den Wegen,
Wir haben schon als Gräberzier
Ob Leichen, so wie du, gelegen.

Nach andern Stoffen lange zu,
Wir dienten schon zu Gräberstellen!"
Da ließ die Steine ich in Ruh
Und eilte Bäume mir zu fällen.

Die Bäume sprachen ringsherum:
"Nicht möge uns dein Beil erreichen;
Wir sind des Todes Eigentum
Und wurzeln alle nur auf Leichen.

Nimm was da lebt, wir alle sind
Verstorbene Vergangenheiten."
Da ließ die Bäume ich dem Wind
Und wollte aus der Erde beuten.

Doch wie ich Erde nahm und Staub,
Da riefen sie mir laut entgegen:
"Wie wagest du mit frechem Raub
An deine Brüder Hand zu legen?

Wir sind, was du gewesen bist,
Und sind, was du wirst werden wieder."
Da gab ich auf mein Baugelüst,
Und ließ in Ruhe auch die Brüder.

Ich wandte trüb mich von der Flur
Und zog in diese Felsengrotte,
Bedenkend, daß die Erde nur
Dem Tode huldigt, ihrem Gotte.

— Der weise König sann gar viel
Ob dem gehörten ernsten Spruche:
Doch wie dem Hofstaat er gefiel,
Davon steht nichts in meinem Buche.

Allein

Allein — es ist ein furchtbar Wort: allein! —
Ich liege einsam still auf meiner Stube,
Und träum' und denke so in mich hinein
An Leben, Lust und Welt und an die Grube.

Sorgfältig abgeschlossen ist die Tür:
Ich sehe nun dem Schlaf der Nacht entgegen.
Wie? — kam der Tod mit einmal so zu mir,
Und legte auf die Stirn mir seinen Segen! —

Ich stürb' allein — es ahnte wohl kein Herz,
Daß eines hier so einsam hingebrochen;
Kein Aug erforschte seinen letzten Schmerz,
Und keine liebe Hand sein letztes Pochen.

Des Morgens kämen sie und klopften an,
Und gingen wieder, weil die Tür verschlossen; —
So schwände Tag um Tag, nur dann und wann
Früg' Einer nach dem säumenden Genossen.

Nur Eine, Eine würde stumm und trüb,
Die Ahnung würde ihre Brust durchschauern,
Und endlich suchte den sie, der ihr lieb,
Daheim in seinen einsam stillen Mauern.

Sie fände — fürchterlich! Ein Herz brach schon,
Nachfolgend brach' das andre auch in Klagen;
Doch ihres Jammers schauerhafter Ton,
Er würde rings die Todeskunde sagen.

Und fremde Menschen drängen dann herein,
Durchmusternd, was ich als Geheimnis hegte,
Und d'rein ich meine stillen Schwärmerei'n,
Mein Wünschen und mein Wollen niederlegte.

Abstreiften sie, was ihnen brauchbar deucht,
Mit frecher Hand entweihend ein Vermächtnis,
Das Herzen galt, verlören bald und leicht
Den Toten und sein Tun aus dem Gedächtnis.

Gelebt für nichts, und unbeweint gestorben,
Ein fürchterliches Los — vergessen sein:
Manch frohen Augenblick hat mir's verdorben,
O glaubt es mir! das böse Wort: Allein.

Genesung im Lenze

Jüngst war ich krank, der Winter ging zu Ende,
Er ging mit Regen und mit Schnee zu Grab;
Mir war's, als ob er durch die dichten Wände
Die fieberkalte Hand mir scheidend gab.

Denn wie ein Rieseln lief es durch die Glieder,
Aufbäumte sich der Krankheit gift'ger Wurm:
Und schritt das Wetter draußen auf und nieder,
So war in mir nicht minder Frost und Sturm.

Da kam der Mai mit seinem Frühlingssegen,
Und zog, wie sonst der Zaub'rer Mond nur tut,
Mich auf zu sich mit allgewalt'gem Regen,
Vom Lager auf in seine milde Glut.

O wer's empfand, im Winter hinzusiechen,
Und zu genesen, da der Lenz erschien,
Der hat, wie ich, dem Baume sich verglichen,
Von Schnee bedeckt und jetzt umblüht von Grün.

Drum, als sie mich in's Freie führten wieder,
Wo Gottes grüne Oriflammen weh'n,
Besah die Bäume ich wie meine Brüder,
Und schien ihr leises Flüstern zu versteh'n.

Sie säuselten im Laub der grünen Keime,
Und andre unter'm Blütenbaldachin
Geschichten und geheime Winterträume
In stillen Frühlingsliedern vor sich hin.

Sie sagten sich: es schmerze tief die Kälte,
— Ach, Kälte tut wohl auch den Herzen weh
Und wie dies Leid sich tausendfach vergelte,
Wenn Gottes Friedensodem niederweh'.

Und wie ich innig mich an Einen preßte,
Als wollt' ich ihn umfangen brüderlich,
Da schüttelt' er zum milden Gruß die Äste —
Ein Blütenregen übersäte mich.

Und jede Blüte, die mich da berührte,
Sie war ein Tropfen Trost und Lebenslust,
Den ich im tiefsten Herzen bald verspürte,
Des Mai's und der Genesung mir bewußt.