Lieder des Schmerzes
Winterbild
Nächtlicher Gang
Der MondAuf dem Turme
Im Garten
Winterbild
Der Mond mit trübem Scheine
Sieht nieder von der Höh'
Auf nackte Felsgesteine
Und blassen Winterschnee.
Verödet sind die Räume,
Wie eine stille Gruft,
Und nur zwei kahle Bäume
Bewegt die kühle Luft.
Nicht Bäume, nur Gerippe,
Behaucht mit weißem Reif,
Und durch die strenge Lippe
Des Frostes starr und steif.
Die nicken in's Geheime
Sich mit den Ästen zu:
Was lachen wohl für Träume
In ihre Winterruh'?
Sie träumen von den Lenzen,
Von naher, schöner Zeit,
Von reichen Blütenkränzen,
Vom grünen Frühlingskleid.
Und in derselben Gegend
Steht ein verliebtes Paar,
Die Hände leise regend
Und dann verschlingend gar.
Sie sehn mit stillem Bangen
In's Auge sich hinein:
Was mag wohl das Verlangen
Des trüben Paares sein?
Sie denken ihrer Leiden
Und Sehnsucht tiefgerührt,
Und ob der Tag der Freuden
Erscheinen endlich wird? —
O Lenz, laß deine Feier
Heimsuchen unsern Raum:
Weck' mit dem Blütenschleier
Die Bäume aus dem Traum;
Und wink' dem treuen Pärchen
Mit Myrten deinen Gruß:
So hat das Dichtermärchen
Den allerbesten Schluß!
Nächtlicher Gang
Das war ja wohl der alte Gram,
Der trieb mich aus dem Haus,
Und als ich zu dem Bache kam,
Da tönt's zu mir heraus:
Bist ja so blaß, so totenbleich,
Und schleichst so trüb und stier,
Jüngst kam ein Mädchen engelgleich,
Jetzt naht ein Schatten mir!
Und als ich kam zum grünen Wald,
Zur alten Eiche dort,
Da kreischten tausend Vögel bald
Von jedem Zweig das Wort:
Bist ja so stumm im tiefen Leid,
Als wärst du längst schon tot,
Jüngst sang hier eine schöne Maid,
Die war so jung und rot.
Und wie ich kam zum Gartenpark
So leichenstumm und stier,
Da sprach aus seinem Marmorsarg
Der Springquell hell zu mir:
Gehst ja so mutterseel allein,
Als gäb's kein Mädchen mehr:
Dein Lieb wohl mochte klüger sein,
Die kam allein nicht her.
Und als ich schlich zur Laube dann,
Saß drin ein zärtlich Paar,
Der Eine ein wildfremder Mann,
Mein Lieb — die Andre war.
Der Mond
Auf leichtem Zweig im Waldgeheg'
Süßnachtigall verweilt,
Bis auf dem lichten Sternensteg
Der Mond herübereilt.
Der spinnt so süß und mildiglich
Waldüber seinen Strahl,
Als zög' er gerne sie zu sich
In lichten Himmelssaal.
Die aber klagt und weint so weich
Um ihr gar falsches Lieb,
Und fühlte sich den Engeln gleich
Wenn das nur treu ihr blieb.
So trauert wohl das arme Blut,
Und sieht in's blasse Licht,
Der Mond ist, ach, so mild und gut,
Doch helfen kann er nicht!
Auf dem Turme
Da steh' ich auf dem alten Turm
Im Blitzesschein und Donnersturm,
Wo ich hinauf, hinab nur seh,
Dünkt Alles mir ein Feuersee.
Das ist so recht nach meinem Sinn,
Die Flammen zucken her und hin,
Bald erdenwärts, bald himmelwärts,
So wie die Liebe durch mein Herz.
Doch plötzlich wird es stumm und grau,
Der Mond tritt aus dem Wolkenbau,
Und Alles, was da unten lebt,
Das seh ich wohl mit Glanz umwebt.
Im Schatten steht des Liebchens Haus,
D'rin welch ein Jauchzen, welch Gebraus!
Und Kerzenstrahlen tausendfach
Zieh'n durch das weite Prunkgemach.
Das ist der grellste Höllenschrei,
Der bricht mir wohl das Herz entzwei;
Das ist der grellste Höllenschein,
Der schneidet mir in's Herz hinein.
Und nun wird's stiller allzumal,
Die Gäste schwinden all' im Saal,
Die Kerzen löschen nach und nach,
Nur eine noch im Brautgemach!
Zertrümm're Turm, zerstürze Welt,
Wirf dich hinab aufs Haus,
Zerbrich, du Herz, vom Schmerz zerschellt,
Jetzt lischt die letzte aus!!
Im Garten
In der blutfinstern Geisternacht
Hab' ich im Garten stumm gewacht,
Und wie ich zu den Blumen ging,
Schönrose an zu reden fing:
"Bin wonnevoll und freudenreich,
Die Königin im Blumenreich,
Hab' deine Liebste ja geseh'n,
Sie trug ein Kindlein jung und schön."
Das war der höchste Wahnsinnsfluch,
Der über mir zusammenschlug,
Und durch die Beete rannt' ich hin,
Da sprach zu mir der Rosmarin:
"Hast du dein süßes Lieb geseh'n
Zum Traualtar vor'm Jahre geh'n,
Da blühte wohl von mir ein Zweig
In ihren Locken mild und weich."
Fluch, Fluch dir, warum mahnst du mich
An jenen Abend fürchterlich!
Und kaum daß mir das Wort entfloh'n,
Da spricht zu mir die Linde schon:
"Ich aber habe sie geschaut,
Dein süßes Lieb als seine Braut,
Und sah wohl durchs Gezweig herab,
Wie sie den ersten Kuß ihm gab."
Da nahm Grünlaube schnell das Wort:
"Sie haben All' dein Herz durchbohrt;
Wollt' ich erzähl'n, was ich geseh'n,
Das brächte dir noch größ're Weh'n."