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Quelle:
Der Fürst der Liebe
Eduard Duller
Dichtungen
Leipzig 1842
Verlag von Mayer und Wigand
Gedichte
Sendung
Traumbescherung
Offne Tafel
Richter
Das KindWaisenvater
Blumenstimme
Storch und König
Braut und Lilie
Das Kind im KornSeelenwanderung
Herbstmorgen
Speis' und Trank
Der Schreiner
Sendung
"Du weinst nicht eine einz'ge Träne,
O Mensch, die mir auf's Herz nicht fällt;
O wüßtest Du, wie ich mich sehne,
Mit Dir zu teilen Deine Welt!
Denn Deine Welt — sie ist Dein Leiden;
Weil Du es trägst, bist Du mein Sohn.
O wolle nicht den Gott beneiden,
Der einsam sitzt auf seinem Thron,
Der Ewigkeit mißt nach Sekunden,
Sekunden mißt als Ewigkeit,
Der stärker ist als Du gebunden,
Weil nicht ihn binden Raum und Zeit.
Ich mußte, gab ich Dir das Leben,
Dir auch den Willen zu der Kraft,
Ich mußte Dir die Freiheit geben,
Die Dich mir nah bringt und entrafft;
Ich mußte Dich aus meinem Wesen
Losreißen, wie vom Stamm den Ast,
Daß Dich, der Gottes Teil gewesen,
Zum Ganzen wirkt die Erdenlast.
Damit du kannst ein Sieger werden,
Muß ich Dich senden in den Streit,
Ich muß Dich fesseln an die Erden,
Bis Deine Tat Dich an mich reiht.
Und ich, indes Du strebst und ringest,
Indes Du mich nicht siehst noch kennst,
Nur blind Dein einzeln Ich umschlingest
Stets weiter Dich vom Ganzen trennst, —
Darf nicht die Hand Dir helfend reichen,
Der Vater nicht dem eig'nen Kind,
Muß grämen mich, daß meine Zeichen
Dir deutungslose Rätsel sind.
Ich muß es seh'n, wie Du nach Wahrheit
Durch tausend Labyrinthe strebst,
Und oft vor meiner schlichten Klarheit
Zurück, als wär' sie Irrtum, bebst.
Ich muß Dich menschlich leiden lassen,
Daß Du als göttlich ganz Dich fühlst,
Wenn einst Du aus zerstückten Massen
Empor, aus wüsten Trümmern wühlst.
Ich seh's und zähl' die Augenblicke
Vom Werden bis zur Wiederkehr; —
Wähnst Du: wenn ich Dir Leiden schicke,
Mir selber sei das Herz nicht schwer?
Ach, wie die Mutter nach dem Lieben
Wohl jahrlang hoffend schauen kann,
Der, als ein Kind von ihr getrieben, —
Einst wiederkehrt als reifer Mann,
So seh' ich hoffend auf Dich nieder,
Allein mit meinem Vaterschmerz,
Ob Du mich einst erkennest wieder,
Und — wann Du kehrst an's treue Herz?"
Auf einer Alpenkuppe stand er
Und schaute talwärts, tiefbewegt;
Der Menschheit ganzes Weh empfand er, —
Er, dessen Herz in Allen schlägt.
Er trug die Last der ew'gen Pläne,
Und Nacht umfing die Erde dicht;
Er weinte eine Liebesträne,
Und rings auf Erden ward es licht.
"O flieget aus, ihr treuen Boten,
Und hüllt die Erd' in Frühling ganz,
Daß in den Gräbern auch die Toten
Sich sonnen an der Liebe Glanz!
Ob ird'sche Augen euch nicht schauen,
Umschwebt ihr leise Hütt' und Haus,
So säet Hoffnung und Vertrauen
In allen Herzen reichlich aus!
O überseh't von meinen Kindern
Nicht irgend eines, was da lebt!
Ihr dürft nicht leiten, aber lindern;
Der Sünder selbst, der blinde, strebt!
Du aber, Du mein ernster Schnitter,
Dem ich die Macht zu weinen nahm,
Der mich verkündet durch Gewitter
Und durch der Hinterlass'nen Gram,
Du Zwillingsbruder meines "Werde,"
Du Herold der Unsterblichkeit,
Tod, wandle sanft auf meiner Erde,
Und meine Treue sei Dein Kleid!
Und wessen Schuld ist abgetragen,
Und wessen Kampf der Sieg bekrönt,
Den bring', in Flammen eingeschlagen,
An's Herz mir, wenn mein Ruf Dir tönt.
Von allen Engeln, die ich sende,
Die gleicher Liebe all' entstammt,
Vertrau' ich Dir die reichste Spende,
Bestell' ich Dir das schönste Amt.
Wen je die Blindheit hat getroffen,
Dem hilf, ein treuer Arzt, zum Licht;
Denn, wenn sie sterbend Leben hoffen,
So lieben sie und sterben nicht!"
Es schweigt der Herr; die Boten fliegen,
Treu zu vollstrecken sein Gebot;
Tränlosen Auges geht an Wiegen
Der Waisen still vorbei der Tod.
Und als sie fort, verweht wie Flamme, —
Ihr Fittich ist der Morgenstrahl, —
Da steigt der Herr vom Felsenkamme
Hernieder in das stille Tal.
Traumbescherung
Herz, warum so gramverdunkelt?
Aug', warum so tränenschwer?
Blicke auf! Ein Christbaum funkelt,
Tröstung strahlend, weit umher.
Wurzelnd in der Menschheit Herzen,
Streckt er seine Kron' hinan
In den Himmel, — und als Kerzen
Flammen Gottes Sterne d'ran.
D'runter aber, ungesehen,
Geht ein Kind von Haus zu Haus,
Teilet allen, die da flehen,
Holde Christbescherung aus.
Breite Marmorstufen steigt es
Leise aufwärts im Palast,
Und zum Ohr des Fürsten neigt es
Sich, ein ungeahnter Gast;
Flüstert ihm in seine Träume,
D'rin die Sorg' sein Herz noch drückt,
Was ihn mehr als Weihnachtsbäume,
Daß — beglücken ihn beglückt!
Freiheit träumt der Fürst, und Lasten
Fallen von der Brust ihm ab; —
Doch das Kind eilt ohne Rasten
In des Langgefang'nen Grab.
Heller Lichter heil'ge Dreiheit
Zündet ihm's am dürren Baum;
Hoffnung, Glauben und die — Freiheit!
Morgen Wahrheit, heut noch — Traum! —
Jetzt, beflügelnd seine Schritte,
Eilt es zu dem Bettler hin;
Doch ein Tempel ist die Hütte,
Liebe wohnet ja darin;
Und "wo zwei in meinem Namen
Treu in Lieb' beisammen," spricht
Froh der Herr zum Bunde: "Amen!"
Liebe läßt die Liebe nicht!
"Die ihr hier so lang gedarbet,
Jenseits wahr' ich euren Hort,
Träumet, Arme, daß ihr starbet,
Seht: wie reich mach' ich euch dort!" —
Fort! zur bangen Mutter weiter,
Die beim kranken Kinde wacht!
Christkind baut 'ne Himmelsleiter
Von des Säuglings Jahren sacht';
Zeigt sie selbst ihr als Matrone,
Die ihr Kind als Jungfrau schaut,
Um die Stirn' die Myrthenkrone
Und den Bräut'gam bei der Braut. —
Jetzo an des Greises Lager
Tritt das Kind, das emsig schafft;
Und die Glieder, welk und hager,
Dehnt der Greis voll neuer Kraft.
Frisch zurück nach langer Wendung
Strebet — und nach langer Ruh —
Der Verjüngte der Vollendung
Eines neuen Lebens zu;
Seine ersten Jugendtage —
Lichter an des Alten Baum!
Ob ein Flügelpaar ihn trage,
Fragt er sich im frohen Traum.
Jedes Rätsels Grund durchdringen
Will er, wie ein mutig Kind; —
Sieh', da tragen ihn die Schwingen
Hin, wo keine Rätsel sind. —
Weiter eilt der Traumbescherer
In des Waldes dunkle Schlucht,
Und es wird das Herz ihm schwerer,
Da er dort Verlornes sucht!
In der Höhle Grund gebettet,
Schläft der Räuber, träumet bang,
Träumet, daß er angekettet,
Schlauer Häscher sichrer Fang.
Und er ist auch festgebunden,
Fester als durch Strick und Erz,
Denn der Fluch hat ihn umwunden,
Und Gewissen peint sein Herz.
Leise rührt des Kindes Finger
D'ran; da schmilzt des Räubers Band
Und es birst des Lasters Zwinger,
Den ihm schuf die eigne Hand.
Für die Wunden, die der alte
Räuber blind einst Andern schlug,
Ritzt das Kind 'ne kleine Spalte
In die Brust ihm, groß genug,
Daß des Himmels Licht sich schmiege
Durch, und tilge d'rin die Nacht,
Daß der alte Fluch erliege,
Und der alte Gott erwacht.
Daß die Träume nicht zerrinnen,
Drücket Freudentränen d'rauf
Jetzt das Kind, und dann von hinnen
Eilt es, schwingt sich lächelnd auf;
Fliegt hinauf bis zu der Krone
Seines großen Weihnachtsbaums;
Droben, wie auf weichem Throne
Sinnt es selber eines Traums.
Träumt von einem großen Reiche,
Dessen Bürger — Brüder sind,
D'raus die Liebe nie entweiche,
Milde herrschend als ein Kind, —
Wo der Traum zur Wahrheit werde,
Und die Wahrheit nie zum Traum,
Und die ganze weite Erde
Grund für Gottes Weihnachtsbaum!
Offne Tafel
Die Tafel ist so blank und rein,
Als wie mit frischen Linnen
Gedeckt. Ihr Gäste, groß und klein,
Wo bleibt ihr, das Mahl zu beginnen?
Die Tafel ist groß und breit; hat je
Ein König wohl eine gleiche?
Das Feld gedeckt mit dem feinsten Schnee!
Wann kommt der Wirt, der reiche?
Er selbst kommt nicht; doch sendet er
Vorsorglich seinen Treuen.
Da eilt der Gäste Schar daher,
Am Mahl sich zu erfreuen.
Geflogen kommen mit Gesang
Viel tausend Vöglein, munter,
Und setzen sich den Tisch entlang;
Die Schar wird immer bunter.
Ihr Singen ist ein Dankgebet,
Ihr Beten — Freud' am Leben;
Sie ernten, ob sie auch nicht gesä't,
Und keinen Zeh'nten geben.
Inmitten, den Vöglein wohlbekannt,
Steht plötzlich ein holder Knabe,
Und streuet aus seiner zarten Hand
Die Fülle guter Gabe.
Wie wählig sind die Gäste nun gar!
Seht welch ein Picken und Naschen!
Die Mutter lockt der Küchlein Schar
Und hilft geschwinder haschen.
Das Männchen ruft sein Weibchen herbei,
Und sucht ihm die feinsten Bissen,
Und schwätzt dazu: wo die Nahrung sei,
Muß ich doch am besten wissen.
Zur Tafelmusik rauscht der braune Wald
Mit den heimlichen Quellen darinnen.
So wird das Mahl geendigt gar bald;
Kein Krümlein bleibt auf den Linnen.
Und wie die Gäste gesättigt all,
So schlagen sie fröhlich die Schwingen,
Und umschweben den Knaben mit lautem Schall,
Von dem sie die Speise empfingen.
Und singen jauchzend, als fühlten sie schon
Lenzlüfte, die leichten Gäste,
Als trüg' jeder Baum seine grüne Kron'
Jedweder Familie zum Neste.
Sie singen: "O Vater, Du bist so gut
Und wir haben Dich alle so lieb!
Du vergissest keines und hältst uns in Hut,
Und suchst, wo's Verlorene blieb.
Du hast uns so lieb, gibst uns Speise und Trank,
Und gibst uns das Lied in die Brust!
O Vater, zwar brauchst Du nicht unsern Dank;
Doch wir danken Dir aus Herzenslust."
So singen die Vöglein und fliegen dahin,
Sie fliegen mit allen vier Winden;
Der Spender, der Engel, sieht freudig sie ziehn,
Hofft morgen sie wieder zu finden.
Der Spender, der Engel, er geht von dem Feld
Unsichtbar in Häuser und Hütten;
Ihr hört ihn wohl nicht, wenn er kommt und wählt,
Was an Krümlein vom Tische entglitten?
Auf liest er jed' Krümlein und sammelt sie ein,
Die Hoffenden alle zu speisen.
D'rum, wollt ihr des Vaters Kinder sein,
So müßt ihr's den Armen erweisen.
Denn die Armen sind wie die Vöglein im Feld,
Und vertrauen dem Vater zusammt.
Ihr aber, ihr Reichen in dieser Welt,
Erleichtert dem Engel sein Amt!
Richter
Der Richter sitzt im Stuhl so breit
Voll Stolz und in Behaglichkeit;
Er schnappt nach Luft, vom Essen matt;
Sein Wanst ist rund, sein Kinn so glatt;
Er blinzelt klug, bald rechts, bald links;
Mit Ehrfurcht sieht's die Menge rings.
"Das ist gewiß ein weiser Mann!
Was der nicht weiß, was der nicht kann!
Krumm macht er g'rad, g'rad macht er krumm;
Dafür ist unser-eins zu dumm!"
Der Richter streicht sein fettes Kinn,
Befühlt im Säckel seinen Gewinn.
Unter des Amtsrocks weiten Falten
Spielt er mit den neuen, den alten,
Vollwicht'gen oder beschnitt'nen Dukaten.
Es meint das Volk: er tät sich beraten.
Er spitzt das Ohr recht mit Bedacht,
Als horcht' er auf die Advokaten,
Und gäb' auf jede Silbe Acht.
Er aber horcht beim schwier'gen Fall
Auf einen ganz besondern Hall,
Er unterscheidet genau, was recht;
Sein Ohr wägt ab, was falsch, was echt.
Ein leises Klimpern! Da weiß er gleich:
Der Mann hat Recht, denn der ist — reich.
Verklagter ist ein armer Mann. —
"Lern' Du, wie man verhungern kann!
Es hat der Mensch — wie's Sprüchwort nennt —
Nie ausgelernt bis an sein End'!
Wärst Du nicht dumm, wärst dann nicht arm.
Gib Lehrgeld d'rum mit Deinem Harm!
Keine Dummheit so dumm, keine Sünde so schlecht,
Als wenn ein Armer beteuert sein Recht."
"Herr Richter, ich hab' auch Weib und Kind;
Ihr seid ja — Gott sei Dank — nicht blind!
Herr Richter, mein Recht ist sonnenklar,
Es schreit so laut, wie mein Elend gar."
""Da steht der Kläger, lang schwieg er geduldig;
Zahlt endlich, was Ihr noch ihm schuldig,
Die Sporteln dazu, die Kosten dabei,
Das ist das End' der Litanei.""
"Längst zahlt' ich alles blank und bar!
Nun fordert der Mann auf's Neue gar,
Ich hab's bezahlt; der droben weiß,
Wie auf der Stirn mir stand der Schweiß,
Wie ich geplagt mich, wie geschunden,
Bei Tag und Nacht in bittern Stunden,
Bis ich's mit höllischen Zinsen bezahlt!
Nun aber bin ich krank und alt;
Hätte den Meinen was erspart,
Daß sie leben könnten — freilich! wie hart! —
Wenn ich auf's Todbett mich lege nieder; —
Da kommt der Mann und will es wieder!"
""Habt Ihr's bezahlt, so weist den Schein;
Ein Schein muß doch vorhanden sein.
Hier spricht der Schein nur; glaubt es mir:
Goldwert ist so ein Streifen Papier.""
"Gilt er auch mehr als Manneswort?
Mehr als mein ew'ger Zeuge dort?
Sind Eure Herzen denn von Stein?" — —
""Freund, vor Gericht gilt nur der Schein!""
"So mag denn Gott mir gnädig sein!
Der Tod ist barmherzig, und tief der Rhein.
Weib und Kind müssen am Leben bleiben,
Werden's schon noch ein Weilchen so treiben.
Mich, den unnützen Alten,
Sollen sie d'rum nicht länger erhalten;
Besser: ich geh! — Da ist das Geld!
Eure Gerechtigkeit treibt mich aus der Welt." —
Hin warf der arme Mann das Geld,
Der Reiche hob's auf mit frohem Sinn;
Ei, wie er so gewissenhaft zählt
Dem rechtschaffnen Richter den halben Gewinn! —
Draußen ein Fall! Dumpf braust der Rhein.
D'rinnen stehn Richter und Kläger — allein?
Ja doch! Wie's ihnen beiden graut!
Einer steht hinter ihnen und schaut,
Einer, den sie nicht hören noch seh'n,
Bleibt hinter dem Stuhl des Richters steh'n.
Der Eine hat ein Buch; auf schlägt er's jetzt,
Das ist ein Schuldbuch groß und schwer,
Viel Schulden steh'n d'rin gezeichnet ringsumher,
Und einen Mord schreibt er hinein zuletzt.
Das Buch ist voll, die Frist entwich;
Da schließt er die Rechnung, da zieht er den Strich.
Das Kind
In heller Tagespracht
Erglänzt des Königs Schloß um Mitternacht;
Durchduftet sind von Würz' und Spezerei'n
Die Säle; stumme Sklaven streu'n
Auf's Neue Weihrauch in die gold'nen Becken.
Musik ertost, hinschwebt im leichten Tanz
Die zierliche Mänade, Wollust ganz,
Und sinkt ermattend dann auf seid'ne Decken.
Ihr schwarz Gelocke fließt
Herab in üpp'gen Wellen und umschließt
Den schlanken Leib; aus feuchten Wimpern fliegt
Ein Blick, der glüh'nd in's Herz sich schmiegt
Dem Fürsten und durchrieselt seine Glieder.
Sie ist entschwebt. Ein Atlasvorhang rauscht;
Entgürtet stehet sie dahinter, lauscht,
Und von den Schultern sinkt die Hülle nieder.
Der wilde Lärm verhallt;
Nur leis einschläfernd noch ein Brautlied schallt.
Ein holder Dämmer webt um ihn und sie,
Und Kuß um Kuß wird Melodie.
Er schlummert endlich ein, betäubt, befangen
Vom Liebeszauber, liegt an ihrer Brust wie tot,
Rosenumkränzt, der mächtige Despot,
Sie bleibt noch wach vor fieberndem Verlangen.
Ihr wird so bang', als hielt
Am Herzen sie ein kaltes, ehernes Bild,
So hart dünkt ihr des Fürsten schwellend Bett
Wie eines Sarges rauhes Brett;
Der Duft des Rauchwerks liegt ihr auf dem Herzen,
Als wie geweihten Harzes ekler Duft
Beim Totenamt in lang verschloss'ner Gruft,
Und wie Geruch von Katafalkes-Kerzen.
Fortschläft er todesschwer,
Kein Laut, kein Säuseln hörbar rings umher.
Sie preßt vor Grau'n ihn, daß ihn Schmerz erweckt.
Vergebens! — Horch! Emporgeschreckt
Springt sie jetzt auf und läßt den Schläfer fahren.
Was wimmert durch die Nacht? So deutlich klang
Es, gleich als ob ein Kind in Schmerzen rang;
Sie bebt vor Frost, deckt sich mit ihren langen Haaren.
Ja, wie aus Kindes Mund,
Und dumpf, als schöll's herauf aus tiefem Grund!
"Wach' auf!" ruft sie; — "ein Mord, nah' am Gemach!"
Er regt sich, halb im Schlaf, halb wach,
Und stammelt bleich: ""Auf! faßt den Mörder, Schergen!""
D'rauf sie in ihn: "Hörst wimmern Du's?" — ""Ich hör's""—
"So hilf, eh's schon zu spät! Errett' es! Schwör's!
Wir suchen's . . . . nächste Nähe muß es bergen."
Zurück rauscht die Gardin';
Sie nimmt die Lampe, beide eilen hin
Durch Säl' und Prunkgelasse, eins umfaßt
Das andre bang, — so fort in Hast!
Hier war's! Nein dort! . . . Allüberall das Wimmern!
Sternlos die Nacht. Sie schleichen bebend fort; —
Nichts hörbar als der Wächter Losungswort,
Nichts sichtbar als der Partisanen Schimmern.
Schneebleich in's Schlafgemach
Zurücke kommen sie, und Grau'n folgt nach,
Und haucht sie an, zupft sie am Nachtgewand;
Los reißt sich von der Nymphe Hand
Der Fürst, verhüllt die Augen sich, die Stirne.
Ist's Grau'n? Ist's Scham? Sie faßt ihn schmeichelnd an;
"Hinweg die Hand!" ruft er, "Blut klebt daran,
Und Fluch und Abscheu! fort von mir, Du Dirne!"
Und vor die Schwelle stößt
Er sie, die heiße Lieb' ihm eingeflößt;
Wild tobt Gewissen durch die nächt'ge Ruh';
An seine Kissen tritt herzu
Ein bleiches Kind mit einer Wund' im Herzen.
Ein luft'ges Bild . . . . . . Er stürmt entsetzt hinaus,
Er weckt die Diener all' in seinem Haus:
"Licht! Licht! Anzündet Lampen, Fackeln, Kerzen!"
Und als der Morgen grau't,
Läßt er's verkünden durch den Herold laut:
"Ein Mord geschah in meinem Schloß heut' Nacht,
Ein Kind ward meuchlings umgebracht.
Wer mir den Täter bringt, den will ich fürstlich lohnen!"
Da schart das Volk sich, bangend ob dem Wort,
Als träfe all' ein einz'ger neuer Mord,
Wenn Frevel sich nicht scheut im Fürstenschloß zu wohnen.
Doch wie der Fürst auch schreckt,
Verheißt, — der Täter bleibet unentdeckt.
Die Kunde flieget durch des Reiches Gau'n
Und träuft in alle Herzen Grau'n; —
Da hört ein alter Mann, ein unbekannter,
Jenseits des Grenzsteins sie, und eilt herbei
Zur Hauptstadt; wer ihn stehet, senkt voll Scheu
Das Haupt; denn jener Greis ist ein Verbannter.
Der Alte aber tritt
Zum finstern König hin mit festem Schritt;
"Ich kann Dir's sagen, Fürst," so hebt er an,
"Wer diesen Frevel hat getan;
Du wirst mich töten, wenn Du es erfahren.
Weil ich die Wahrheit sprach ward ich verbannt;
Mit Wahrheit kehr' ich heim in's Vaterland,
Und Wahrheit will ich sterbend offenbaren.
Als ward der Grund gelegt
Zu diesem Schloß, das Tyrannei jetzt hegt,
Da hielt kein Stein, kein Mörtel band, bei Nacht
Zerfiel, was man bei Tag empor gebracht.
Da gab ein böser Mann den Rat, den argen:
""Wohl hält der Bau, wenn in den Grund ihr senkt
Ein reines Kind, das noch den Himmel denkt;
Das sollt im Grund lebendig ihr einsargen!""
Und wie er riet, geschah's;
Und ohne Scham und Reu' und Mitleid sah's
Dein Ahn', o Fürst, wie man das Kindlein hub
Hinab und in den Grund begrub,
Auf welchem wuchsen Mauern, Türme, Zinnen.
Nun steht das Schloß gefeit, kein Feind nimmt's ein.
Das Kindlein aber lebt noch unter'm Stein;
Denn Gottes Engel sind mit ihm darinnen.
Und ob Dein Schloß auch gleißt
Mit gold'nem Dach und unbezwinglich heißt, —
Das Kindlein lebt, Du hast's gehört bei Nacht,
Wie es in seinen Schmerzen wacht!
Es wächst so lang, als Tyrannei hier oben;
Doch Tyrannei, so trotzig sie auch steht,
Ein Odem Gottes ist's, der sie zerweht,
Und über Nacht ist sie in Asch' zerstoben.
Das Kind, o Fürst, das lebt
Im Grabe, wisse: daß es einst begräbt
All Deine Macht und Deine Herrlichkeit,
Weil Gott, sein Vater, es betreut.
Wann es im Wachstum hoch genug geschossen,
Wird es mit seinem heil'gen Scheitel dann
Durchbrechen Deine Dielen, o Tyrann,
Das Gotteskind, und Deinen Trotz durchstoßen.
Fragst Du: wie heißt das Kind? —
Antwort gibt Dir der nächste Frühlingswind,
Der Dich nicht fragt, ob Du ihn auch gebannt,
Ruft: "Freiheit" ist das Kind genannt,
Das Gotteskind, das schnöde Fäuste haben
Hinabgesenkt, lebendig, wie für tot,
Auf dessen Haupt Du wandelst jetzt, Despot!
Doch Freiheit ist nicht tot, wenn auch begraben!"
Den Fürsten fasset Graus;
Er bebt, und mit ihm bebt und wankt sein Haus;
Es neiget sich der Zinnen gold'ne Pracht,
Es dröhnt der Pforten Erz; es kracht
Des Estrichs glatter, schöngefügter Spiegel,
Zu Staub stürzt jeder Säule gold'ner Knauf.
Horch! ein Triumphlied schallt vom Grund herauf!
Geborsten ist der Grund; es schmolz das Siegel.
Waisenvater
Den Vater gestern, die Mutter heut'
Trugen die Männer hinaus;
Das Kind sitzt ganz alleine
Im kahlen, öden Haus.
Die Vettern und Basen nahmen das Geld,
Den Hausrat noch dazu.
"Nehmt auch ein armes Waislein!"
""Ei, was kümmerst uns Du!""
Die Vettern gingen, das Kind blieb da,
Setzte sich nieder und weint':
"So hab' ich nun gar niemand,
Der's ehrlich mit mir meint."
Die Fenster offen, und offen die Tür,
D'raus sie trugen die Truh'!
Es weinte sich müd', in Tränen!
Fielen die Augen ihm zu.
Ein Wand'rer kam noch spät vor's Haus,
Mag weit gegangen sein.
"Ihr lieben Leute, laßt mich
Nachts eueren Gast hier sein."
Er ging hinein; und bänglich ward's
Ihm bei der Totenruh',
Er deckt mit seinem Mantel
Das Kind gar sorglich zu.
"Schlafe, schlafe ruhig, mein Kind,
Schliefst ja in Tränen ein,
Fragtest, wo Vater und Mutter sind,
Warum sie Dich lassen allein?
Da steht eine Trän' auf Deiner Wang'
Und Niemand küßt sie Dir auf?
Vater und Mutter sehen so bang
Mit schwerem Herzen d'rauf. —
Und wie träumst Du so schwer:
Sie lägen, von Allen vergessen,
Und hätten auch Deiner vergessen;
O, gräm' Dich nicht so sehr!
Könnte ein Vater vergessen?
Vergesse denn ich mein Kind?
Träume nicht so vermessen, —
Ich weiß, wie Väter sind.
Du träumst: sie lägen tief unten,
Ein jedes im engen Schrein,
Sie aber geh'n auf bunten
Lenzau'n im lichten Schein.
Laß Deine Vettern und Basen
Nicht denken an die unter'm Rasen,
Keinen denken an Dich!
Schlaf' süß bis zum hellen Morgen!
Laß fahren ihr Helfen, Dein Sorgen,
Siehe, Du hast ja mich!"
* * *
Das Kind erwacht; verwundert sieht's,
Wie bei ihm sitzt der Fremde;
Reibt sich das Aug' und schämt sich sehr
In seinem engen Hemde.
"Fürchte Dich nicht, Du liebes Kind,
Daß ich zu Dir gekommen.
Hast Du kein and'res Kleid?" — ""Ach nein,
Die Vettern haben's genommen.""
"Sind Deine Vettern gar so schlimm,
So helfen Dir die Paten!" —
""Herr, ich hab' Niemand auf der Welt,
Der liebe Gott wird raten.""
"Was bau'st Du auf den lieben Gott,
Und kannst ihn doch nicht schauen?" —
""Weiß nicht, warum? Doch habe ich
Zu ihm ein recht Vertrauen.""
"Nun wenn Du das Vertrauen hast,
So will ich Dich ankinden,
So laß uns gehen durch die Welt,
Ob wir ein Obdach finden:
So laß uns geh'n bei Jung und Alt,
Bei Reichen und bei Armen." — —
""Und nimmt mich auch kein Mensch in's Haus,
Gott wird sich doch erbarmen.""
* * *
Es ist ein armes Haus,
Worin der Storch sechs Kinder gebracht,
Beim sechsten hat der Vater gedacht:
'Wo soll denn das hinaus?'
Und wie das sechste kam,
Kam auch der Mann mit dem Waisenkind;
"Ach, liebe Leut', ich bin fast blind,
Erbarmt euch nicht mein Gram?
Das Kind ist brav und fromm;
Ich kann's nicht führen durch die Welt;
Bei euch — da wär's wohl gut bestellt,
D'rum sagt dem Kind Willkomm!"
Der arme Mann sieht's ein.
"Wo ihrer sechst kamen,
Da mag in Gottes Namen
Auch noch das siebente sein.
Großvaterstuhl ist dort;
Ihr seid wohl müd' vom Wandern, Freund?!
Nun nehmt vorlieb, 's ist gut gemeint . . . . "
""Dank' schön, muß heut' noch fort.""
"Ein Bischen Brot und Wein,
Das werdet Ihr doch nicht verschmäh'n?
Mein ält'ster Bub' soll mit Euch geh'n . . . "
""Schön Dank! ich geb' allein.""
* * *
Was aus dem Kind geworden ist?
Ein armer Mann, ein guter Christ.
Nie macht' im Lotto er Gewinnst,
Stets war der Pflug sein ganz Verdienst.
Es hat ihn keine blut'ge Schlacht
Berühmt, kein Mammon reich gemacht,
Er blieb sich treu, er blieb sich gleich; —
Er glaubt' an Gott, — war er nicht reich?
Und als er endlich sterben mußt',
Da pries er Gott aus voller Brust.
"Ich hab' als Kind ihm einst vertraut,
Ich hab' mein' Tag nicht schlecht gebaut!"
Blumenstimme
Der Abendwind, wie eine Amme, fächelt
Das Kind und lullt's in süßen Schlummer ein;
Es liegt so selig in der Wieg', und lächelt;
Zum Fenster sieht ein Rosenpaar hinein.
Die Mutter Rose will das Kind erblicken,
Das Rosentöchterlein schmiegt sich an sie;
Die Rose singt, die andern Blumen nicken
Andächtig bei der süßen Melodie,
Und stimmen dann, die Nelken und Reseden,
Die ganze Schar, ein in den Weihgesang;
Es webt die Nachtigall mit Silberfäden
Der Stimmen reizenden Zusammenklang.
"Schlaf süß auf Deinem sichren Eiland,
Das wie ein Ei im Weltmeer schwimmt,
Bewußtlos sel'ger kleiner Heiland,
Der nichts als Liebe gibt und nimmt.
Du gibst sie reich den Elternherzen,
Du nimmst sie aus der Mutterbrust;
Daß Liebe wachse, weckst Du Schmerzen,
Schmerz macht die Lieb' erst recht zur Lust.
In jedem Kind wird neu geboren
Der Heiland, der die Menschheit sühnt
Durch Lieb', — wenn Haß der alten Toren
Zwingherr zu werden sich erkühnt.
So schlafe süß, und immer finde
Die Liebe Dich, wie Kinder sind!
Und wirst Du einst zum greisen Kinde,
Sei jung in Lieb' — wie jetzt als Kind!"
Storch und König
Der König sieht zum Fenster trüb hinaus,
Sieht gegenübersteh'n das finst're Haus,
Den alten Turm, dort an des Schlosses Enden;
Er kann davon die Blicke heut' nicht wenden.
Wie Mancher liegt darin seit langer Zeit!
Wie schwer drückt Fürsten die Gerechtigkeit!
Der Himmel ist so klar, die Luft so blau,
Und steh'n muß bleiben d'rin der schwarze Bau.
"Warum, ihr Männer, die ihr d'rinnen liegt,
Habt ihr die Hand der Gnade mir besiegt?
Nicht euch, mir selbst legtet ihr Fesseln an,
Daß ich aus Fesseln euch nicht lösen kann.
Vergab auch ich versuchten Hochverrat,
Kann denn vergeben auch der ganze Staat?
Und muß ich — höb' ich gern zur Gnad' die Hand,
Nicht das Gesetz erhalten, und das Land?"
Er blickt hinweg, blickt immer wieder d'rauf;
"Sieh da, — wer kommt zu euch im raschen Lauf?
Das ist mein Storch, des Schlosses treuer Gast;
Was willst du dort, du alter Nimmer-rast?
Du freier Vogel, ei, was suchst du doch
Dort an des Turm's vergittertem Mauerloch?"
Er wetzt den Schnabel, — ach, fruchtlos Bestreben! —
Als feilt' er emsig an den Gitterstäben.
Er dreht den Kopf, — der Storch ist recht betrübt,
Daß es für die da d'rin nicht Rettung gibt.
Am Turme schlingt sich Epheu hoch hinan,
Der Storch fliegt auf, rupft mit dem Schnabel d'ran,
Und schwingt sich dann, treuherzig, nimmer matt,
An Königs Fenster mit dem Epheublatt,
Legt es ihm hin und lüftet dann die Brust,
Schlägt mit den Schwingen, wie aus Herzenslust,
Als käm' ihn grad' die Lust zum Wandern an,
Wie er's alljährlich froh getan.
Der König sieht dem Spiele sinnend zu;
"Ja," ruft er, "Vogel, wandern frei kannst du
In ferne Länder, wo die Sonne mild
Scheint auf ein ewig - maienhaft Gefild.
Es kennt dich niemand dort; — doch bist du froh
Wie in der Heimat, d'raus dein Fittich floh.
Was denk' ich d'ran? — Halt, jetzt versteh' ich dich,
Du treuer Storch; worauf doch lenkst du mich!
Du gabst mir wahrlich einen bessern Rat,
Als je ein Weiser mir gegeben hat!"
Zum Turme geht der König; staunend schaut's
Daselbst der Schließer; "weh! was soll's? mir graut's!
Ihr armen Gäst' in meinem dunklen Haus,
Führt man euch wohl zum Tode bald heraus?"
Der König aber tritt zu ihnen mild
Und spricht sie an: "Ihr strebtet einst gar wild
Nach Kron' und Leben mir, — nicht ich, der Staat
Verlangt den Kerker für Versuch und Tat.
Meint ihr: mir wäre leicht, wenn Herzblut fließt?
Doch seid getrost! Blickt her: die Hoffnung sprießt
Dicht an der Mau'r, die euch umfangen hält.
Und Hoffnung grünt allorten in der Welt.
Ein stummer Anwalt sprach für euch beredt,
Seid frei wie der, der mild für euch gefleht!
Jenseits des Weltmeers ist der Freiheit Reich,
Dort ziehet hin, ein Schiff empfängt euch gleich.
Mit allen Gütern, welche euer sind,
Befrachtet's voll, mit Eltern, Weib und Kind,
Und, schwelgt ihr in der Freiheit vollem Licht,
Dann, die ihr Freiheit liebt, — flucht einem König nicht!"
Braut und Lilie
Die Braut geht still und sinnend durch den Garten,
Vor einer schlanken Lilie bleibt sie steh'n,
Und nimmt das Myrthenkränzlein aus den Locken.
Wehmütig dreht sie's in der Hand und schlingt
Es um die Lilie dann, die schwesterlich
Mit bleichem Haupt ihr zunickt: "Nimm' es Du!
Was wein' ich denn, seit ich die Myrthe trage?
Ich wein' und bin doch freudig, doch beklommen." —
Die Lilie spricht: "Du weinst vor Freuden, Schwester,
Und, weil vor Freuden, weinst Du auch aus Schmerz.
Die Freudenträne ist doch — Träne stets,
So jedes Glück — ein Schmerz! — Du fühlst die Freude
Am selben Pulsestocken, wie den Schmerz;
Und, wie die Trän' des Schmerzes Lind'rung ist,
So wird zum Glück Dir auch ein jeder Schmerz.
Darin fühlst Du den Gott. Er gibt Dich selbst
Dir selbst, durch Glück und Leid — in Einer Träne.
Und bist Du leidvoll, — Nachts, wenn Wirkliches
Verdämmert, tut sich auf das Mögliche,
So möglich, — weil notwendig; und es füllt
Den Abgrund zwischen Dir und Dir dann aus.
Bist, Schwester, Du im Glück, — unglücklicher
Wärst Du, als durch das Leid, wenn Du das Glück
In Dir nur suchst, im Andern nicht; d'rum nimmt
Dir's Gott im Schlaf, und läßt Dich träumend leiden,
Daß beim Erwachen Du als fremd Geschenk
Das Glück zurück erhältst, und, froh empfangend,
Dich nach des Gebens rein'rer Freude sehn'st.
Du hast nicht Glück und Leid, — bist Beides selbst.
Wie Leib und Seele. Und, wie Du die Seele
Verschenken kannst, und doch sie stets noch hast,
So spende Glück; und daß, je mehr Du schenkst,
So mehr Du hast, erkenn' in Freudentränen:
Je mehr Du weinst, so mehr drängt Dich's zu weinen."
Das Kind im Korn
Der Mittag glüht; es kühlt kein Wind
Der Schnitter sonngebräunte Stirnen,
Die, rastend, in dem Kreis der Dirnen
Um Garbenreih'n gelagert sind.
Nur wenig fern den Schnittern steh
Ein Kind und blickt nach einer Stelle
Im Kornfeld hin, wo Well' an Welle
Des gold'nen Gottessegens weht,
Ob auch kein Lüftchen rings sich regt, —
Was weiß das Kind? — Die Schnitter liegen
Und achten's nicht. Zwei Lerchen fliegen
Darüber hin. Das Korn bewegt
Und teilet sich; schnell folgt der Spur
Das Kind; hoch schmettert dort im Blauen
Das Lerchenpaar. Was gibt's zu schauen?
Ein hold Geheimnis der Natur?
Neugierig drang das Kind hinein
In's dicht'ste Korn; da sieht's in Fülle
Cyanen unter gold'ner Hülle
Der hohen Halm', — und zart und rein
Ein and'res Kind, von Angesicht
So wunderhold; es schläft und reget
Die Hand, daß sich das Korn beweget.
Das Bauernkind ersieht's und spricht:
"Lieb Schwesterlein, was machst Du hier?
O wach' doch auf geschwind; sonst mähen
Sie hier. Sie können Dich nicht sehen,
Wie leicht zu Leid' geschähe Dir!"
Das fremde Kind erwacht und streicht
Die gold'nen Locken von den Wangen
Zurück und lächelt unbefangen,
Greift nach Cyanen, pflückt sie, reicht
Dem Bauernkind sie freundlich dar
Und sagt zu ihm: "Nicht wahr? die glänzen
Wie dort das Himmelblau? Zu Kränzen
Laß sie uns flechten, wenn die Schar
Das Erntefest begeht. Ich weiß
Nicht allzuweit von hier 'ne Stelle,
Wo noch viel schön're blüh'n! Komm'! Schnelle
Zeig' ich sie Dir; auch steh'n im Kreis
Viel andre bunte Blumen dort.
Da können wir so recht uns schmücken,
Denn was wir seh'n, wir dürfen's pflücken.
O komm'!" — Und mächtig hat dies Wort,
Es klang so hold, — das Bauernkind
Gleichwie mit weichem Arm umwunden;
Hinfolgt's dem fremden, wo die bunten,
Die schönen andren Blumen sind.
So dringen sie durch's Korn voran;
Da wachsen immer höher, mächt'ger
Die Halm', daß laut'res Gold nicht prächt'ger
Im Sonnenscheine glänzen kann.
Schon wölben, schlanken Bäumen gleich,
Die Halme sich; darunter wallen
Die Kinder, wie in luft'gen Hallen,
Und kommen in ein Blumenreich.
Da leuchtet wie ein reiner Stern
Der Kelch jedweder Wunderblüte;
Doch hehrer strahlt das Aug' voll Güte
Des ew'gen Gärtners d'rin, des Herrn.
"Willkommen!" spricht er, "blühe jetzt,
O Kind, bei Blumen aller Arten,
Die hier verpflanzt in meinen Garten,
In neuen Boden sind versetzt."
Und wie die Schnitter an den Ort
Hinkommen, wo der Halme Wehen
Das Kind geschaut, und weiter mähen,
So finden sie es schlummernd dort;
Das Haupt bekränzt, die Wangen rot,
Und um die Lippen sel'ges Lächeln,
Und laue, linde Lüft' umfächeln
Des Kindes Schlummer. Ist es tot?
O weinet nicht! Es ging nur heim!
Dies ist das rechte Wort für Sterben!
Daß er ihn rette vor Verderben,
Verpflanzt der Gärtner früh den Keim.
In Blumen ward, und mit Gewind
Von buntem Band, hold anzuschauen,
Am Erntefest beim Abendgrauen
Hinabgesenkt das Bauernkind.
Seelenwanderung
Im Paradiese blühtest Du,
Gottes geliebteste Rose,
Von seiner Lieb' erglühtest Du,
Allen Wesen, die mit süßem Gekose
Dich umschmeichelten, ein jungfräulich Morgenrot,
Bis Du im holden Tod
Ganz Duft nur wardst. Da wandelte all
Den Duft Deiner Seele der Herr in Schall,
Daß die Wesen, die liebenden, treuen,
Sich sollten freuen,
Ihr Jauchzen in Chören
Als einzig Lied zu hören;
Und Er befiederte Dir der Seele Schwingen,
Mit Liebesjubelsingen
Allüberall hinzudringen;
Da wardst Du Nachtigall,
Da flogst Du zu Rosen so gern,
Gedenkend des Herrn,
Der Dich zuerst als Rose schuf.
Mit Sehnsuchtsruf
Suchtest Du ihn, bis vor Sehnsucht allgemach
Das Herz Dir brach.
Und in neuem Leib
Schuf Er Dich wieder,
Der Nachtigall Töne,
Die ganze Welt der Lieder
Mit der Rose ursprünglicher Schöne
Bereinigend, — als Weib.
Und gab Dir's: Edens zu vergessen,
Daß Du mit Deinem ganzen Sein
Könnest den Mann an Dich pressen,
Und nur im Traum
Unter'm Blütenbaum,
Wenn Waldvögelein
Den Flug um Dich lenken,
Des Einst zu gedenken;
Gab Dir's in seiner Liebe: nicht allein
Selbst glücklich zu sein,
Beim Erwachen
Auch glücklich zu machen!
Ach, wenn einst doch
Dich Sehnsucht nach der Heimat faßt,
Der Erde liebsten Gast, —
Wenn Sehnsucht Dir das ird'sche Joch
Zerbricht, — die Nachtigall
Frei wird, — der Liederschall
Als Duft aus einer neuen Rose weht, —
Und, der Dich auf Erden geliebt,
Wie's nur noch eine, Deine Liebe gibt,
Vor Deiner ew'gen Schönheit Majestät
Vergeht?!
Herbstmorgen
Der Mönch erwacht; des neuen Tages Licht,
So freundlich es ihn grüßt, erquickt ihn nicht;
Nachsinnt er einem wunderbaren Traum.
Er sah der Menschheit tausendäst'gen Baum,
Getränkt die Wurzeln von der Ewigkeit,
Die Zweige schwer von Früchten, schattigbreit,
Die Krone hoch und stattlich, stark gefügt
Zum Nest, worin ein Königsadler liegt.
Von dessen Flügelschlag bebt jeder Ast,
Daß, Flocken gleich, ringsum der Früchte Last
Hernieder stäubt; ja, wenn ein Flaum sich regt
Dem Königsaar, wenn er den Blick bewegt,
So welkt ein Blatt, ein junger Keim zerfällt.
Wer ist der Aar? — Der Tod, der Herr der Welt!
Wie freundlich streckt durch's off'ne Fensterlein
Der Zell' ein Apfelbaum den Ast herein,
Und beut, gepflanzt an eines Heil'gen Grabe,
Ein alter Freund, dem Mönch die saft'ge Labe.
Die Traube draußen, kaum gefärbt, bezeugt
Des Herbstes Zeit, wann sich das Herz, gebeugt
Von Sommerglut, das endlos weiter strebt,
Erfreut, wie die Natur Vollendung webt.
Ein Finkenweibchen fliegt von Ast zu Ast
Des Apfelbaums, ein stets willkomm'ner Gast;
Nun birgt's im Weinlaub sich. Schon hat sich's jetzt
Zutraulich auf's Gesimse hingesetzt,
Und hüpft heran und tut so keck und klug,
Als wüßt' es wohl, daß es mit gutem Fug, —
Betritt kein weiblich Wesen sonst die Schwelle —
Doch ungescheut besuchen darf die Zelle.
"O holdes Leben!" spricht der Mönch und streut
Dem Vöglein Futter hin, und, was er beut,
Wird flink genascht; dann hebt's voll Lust die Schwingen
Und flattert aus und ein mit hellem Singen.
"Harmlos glücksel'ge Gotteskreatur,
Du lebst! Und währet auch Dein Leben nur
So kurz, — Du lebst es ganz in Freude, wie's
Der Schöpfer will, daß hier das Paradies,
Daß wir's uns schaffen, ohne der Erkenntnis
Unsel'gen Baum, nur durch der Lieb' Verständnis.
Ich seh's, wie sich die Blätter wieder färben,
Ich lebt' ein achtzig Jahre langes Sterben!"
Er geht hinaus in's Gärtchen, faßt den Spaten,
Und gräbt die Erde um, — für künft'ge Saaten;
Wann reifen sie? Er murmelt leis: "Ich habe
Hier nicht gelebt," und gräbt an seinem Grabe.
Speis' und Trank
Auf verschied'nen Wegen kommen —
Sind wohl nahe am Ermatten —
Zwei gar finstre Greise, lagern
Beide sich im selben Schatten.
Keiner spricht ein Wort zum Andern,
Keiner beut die Hand zum Gruße,
Aber dürstend schöpfen Beide
Labung aus demselben Flusse.
Von dem Baume fällt hernieder
Eine Frucht, sie greifen Beide
Rasch darnach, ein Jeder ziehet
Rasch das Messer aus der Scheide.
Jetzt erseh'n sich erst die Beiden,
Kennen bald sich immer besser,
Und ein Jeder tritt voll Hasses
Gen den Andern mit dem Messer.
Denn Todfeinde sind sich Beide,
Sind sich's seit den Kinderjahren;
Jeder ward in seinem Hasse
Mann, und blieb's mit grauen Haaren.
Jeder will des Baumes Spende
Ganz, für sich allein behalten;
Wut im Herzen, steh'n ge'nüber
Drohend sich die beiden Alten.
Sieh', da fällt vom reichen Baume
Eine zweite Frucht hernieder;
Keiner regt sich, sie zu greifen,
Sinnend blickten Beide nieder.
Endlich spricht der Eine: "Wahrlich,
Diese Frucht ward uns gespendet,
Daß von uns, dem Tod gleich Nahen,
Keiner durch den Andern endet."
D'rauf der And're: "Waren Beide
Wir gleich nah' doch am Ermatten, —
Und beherbergt hat uns Beide
Gastlich hier derselbe Schatten.
Und der Strom, der vor uns rinnet,
Hat dem Einen nicht entzogen,
Was dem Andern er gestattet,
Tranken Beid' von seinen Wogen.
Und gewiß fiel für uns Beide
Eine Frucht zur Labung nieder. — —
Die wir, uns zu töten, lebten,
Laßt uns sterben denn — als Brüder!"
Der Schreiner
"Bunt geht's in meiner Werkstatt zu.
Ich säge, leime immerzu;
Was ringsherum da liegt und steht, —
Umwandl' ich's, altes Hausgerät.
Das junge Holz sich oftmals spellt,
Nehm' lieber alt's, das besser hält;
Es ist kein Leutbetrug dabei,
Der Vorteil gilt mir einerlei.
Der Herrgott macht's auch anders nicht,
Macht jungen Tag aus altem Licht,
's ist so ein guter Handwerksbrauch,
Und — tut's der Herrgott, darf ich's auch.
Hier ist ein altes Ehebett,
D'raus schneid' ich manch ein eichnes Brett,
Der jungen Braut im Nachbarhaus
Mach' ich 'nen starken Sarg daraus.
Und wenn ich hab' den Sarg gemacht,
Ist auch an's Weit're schon gedacht;
Dann mußt du, braune Wiege, d'ran;
Der d'rin lag, spürt längst keinen Zahn.
Ich schnitz' ein saubres Kreuz daraus,
Soll Morgen Abends schon hinaus,
Auf frischen Rasen; d'runter liegt
Ein Kind, das Gott in Schlaf gewiegt.
Ich hab' schon manches Kreuz gemacht,
Getragen manches Tag und Nacht; —
Wer macht mir meins? Mein Totenhaus?
Nun, meine Zunft stirbt ja nicht aus.
Wenn einst, — just kommt's in 'n Sinn mir schwer,
Der letzte Mensch gestorben wär'?
Wer macht ihm's Bett? Hilft ihm hinab?
Wer setzt ihm treu ein Kreuz auf's Grab?
Je nun, — wenn's denn kein andrer ist,
So wird's schon tun Herr Jesus Christ,
Der wird ihm machen eine Truh',
Setzt ihm — sein eignes Kreuz dazu."