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Gedichte
Eduard Duller

Berlin 1845
Verlag von Carl Klemann

Buch 1
 

Der Wecker
Sternemahnung
Wenn ich ein Vöglein wär'
Kindestraum
Die Blüte in der Knospe
Tod im Lenz
Held Frühling
Rundgesang
Frühlingskunde
Frühlingsbuch
Vor'm Treibhaus
Der Elfen Liebe
Arabeske
Der Meister
Der Reiter und sein Geselle
Das Begynchen zu Gent
Die Schutzengel
Mit Gott!
Nadeln
Karnrevalsmasken
Johannissegen

Der Wecker

Sie ruhen vom harten Tagewerk aus,
Sie schlummern so süß im einsamen Haus.
Der Mühlbach rauschet mit aller Macht;
Doch weder Vater noch Mutter erwacht,
Sie schlafen bei ihren fünf Kindern.

"Bewahr' uns, o Gott, vor Gefahr, Not und Pein!"
Mit diesem Nachtgebet schliefen sie ein.
Der Sturm klopft an's Fenster, bis daß er's zerbricht;
Doch Vater und Mutter erwachen nicht,
Sie schlafen gar fest bei den Kindern.

Der Vater träumt von dem ältesten Sohn,
Er sieht ihn im Traume erwachsen schon;
Die Mutter träumt in voller Lust
Von dem zarten Säugling an ihrer Brust;
So schlafen sie bei ihren Kindern.

Der Säugling weint und die Mutter erwacht;
"Du dürstest, mein Kind, in der langen Nacht?
Komm, komm!" — Und sie stillt es. "Nun schlaf mir, mein Kind! —
Herr Jesus, wie heult doch so grimmig der Wind!
Behüte Gott uns und die Kinder!"

Einschlief sie und träumte; — doch war's nicht für lang',
Der Säugling weint wieder und gar so bang.
"Ach, frierst Du, mein Kind? Komm doch fest in den Arm,
Deiner Mutter Herz, das hält Dich schon warm!"
Der Vater schläft fort mit den Kindern.

Einschlief auch die Mutter auf's Neue, da schrie
Der Säugling und schmiegte sich fester an sie.
"Gott!" ruft sie, "was ist das? Sind Diebe am Haus?
O Vater, wach' auf und späh' eilig hinaus!"
Der Vater wacht auf mit den Kindern.


Der Vater steht auf, eilt, das Beil in der Hand,
In die Küche und ruft: "Unser Haus steht in Brand!
Kein Ausweg! Kommt, Kinder! Mit Gott!" Es gelingt;
Mit dem Säugling die Mutter, der Vater, er springt
Durch die Flammen mit seinen vier Kindern.

Die Hemden versengt, doch gerettet, so steh'n
Sie draußen und stürzen zu Boden und fleh'n:
"Habe Dank, Herr Gott, unser Vater! Wir sind
Zwar Bettler, doch hast du durchs weinende Kind
Uns gerettet mit unseren Kindern!"

Gemahnt hat der Sturm und gemahnt hat der Bach,
Doch das Kind nur machte die Mutter wach.
Und weil's noch kein Wort hat, so weint es; draus spricht
Der Herr, drum verschlafet die Mahnung nicht,
Ihr Eltern bei eueren Kindern!


Sternemahnung


Weißt, warum aus jedem Stern
Dir ein Lichtlein blinket? —
's kommt von einem milden Herrn,
Der Dir droben winket.

Der mit seinem Vaterblick
Treu herunterschauet,
Ob Du auch Dein Erdenglück
Fest auf ihn gebauet!

Oft beim hellen Sonnenschein
Blickst Du nicht nach oben;
Denkst nicht an die Sternelein
Und den Vater droben.

Und Dein Auge blendet schier
All das Sonnenfunkeln, —
Darum winkt er treulich Dir,
Väterlich im Dunkeln.

Wenn ich ein Vöglein wär'

Wenn ich ein Vöglein wär'
Flög' ich wohl weit umher,
Wo ich nur Menschen säh',
Sänge ein einzig Lied,
Würde vom Sang nicht müd,
Stillt' er ihr Weh.

Sänge den kurzen Sang
Tage und Nächte lang,
Bei jeder Wiederkehr
Immer mit lautem Schall:
"Liebt euch, o liebt euch all!
Ist's denn so schwer?"

Kindestraum

Es kommt ein Greis zu einem Kind,
Schenkt ihm ein lieblich Angebind,
Ein reiches buntes Bilderbuch,
Voll Bilder für 'ne Welt genug.
Es blättert drin und wird nicht müd
Der Wunder, die's aufgeschlagen sieht.
Viel tausend Blümlein mannigfalt
Erschaut es, in reicher Pracht gemalt;
Jetzt hebt sich jedes vom Blatt und breitet
Den Kelch, dem süßer Duft entgleitet,
Und bunter Schmetterlinge Heer
Flattert lustig die Kreuz und Quer.
"O flög' auch ich mit ihnen", ruft
Das Kind, "in warmer blauer Luft!"
Das klingt mit Flöte und Schalmei,
Wie Vogelsang im süßen Mai!
"O flög' ich hoch auf bis zum Himmelsblau!"
Dort oben sitzt eine schöne Frau,
Sie flicht Kornblumen zum Gewind,
Das hängt tief nieder von ihrem Schoß,
Nach dem End' des Gewindes hascht das Kind,
Erfaßt es und läßt es nicht wieder los,
Und klettert dran empor. Wie hoch
Schon schwebt es! Kaum erkennt es noch
Die Erd' tief, tief da unten, schon trägt
Und hebt es der Wind und lustig schlägt
Das Kind mit der einen freien Hand,
Als säß' es an eines Schiffleins Rand
Und streichelte rudernd die Wellen,
Die lind entgegenschwellen.
Je höher und höher es fliegt,
So leichter und wohler fühlt sich's und wiegt
Sich auf Wolken, wie auf schaukelnden Zweigen
Sich schlafende Vögelein neigen.
Und weiter fliegt's ohne Rast und Ruh'
Voll heller Lust der Sonne zu.
Je näher es kommt geflogen,
Je stärker fühlt sich's angezogen,
Und was ihm lauter Flammen schien,
Ist jetzt eine Rose wie von Rubin;
Ihr Kelch erglüht wie Wangen,
Und sieh: dran hangen
Tauperlen, blitzend wie tausend Sterne,
Und aus dem tiefsten Kerne
Des Kelches sieht ein Angesicht
In lauter Lieb' wie lauter Licht.
Der Kelch wird immer größer und immer
Süßer lächelt's aus seinem Schimmer.
Das Kind fliegt ihm zu und hinein. Da schließt
Der Kelch sich sacht, wie es drinnen ist.

Die Blüte in der Knospe

Wie eng in mich geduckt,
Sitz' ich allein!
Warte in Nächten bang
Auf Sonnenschein!

Kann mich nicht rühren recht,
Nicht in die Höh',
Ach, und der Knospe Band
Tut mir so weh!

Sonnenschein, Sonnenschein,
Komm' und befrei'!
Weh', sonst versäum' ich
In Fesseln den Mai!

Tod im Lenz

In der Knospe saß die Minne,
Goldner Schein um Stirn und Haar,
Morgen war's und hell die Sinne,
Als das Wunder offenbar.

Recht vom Morgenglanz umflossen,
Sah sie wie ein Kind mich an,
Als inmitten grüner Sprossen
Rosenkelch sich aufgetan.

Ach, wohin das Bild? In Lüften
Fließt es hin als Morgenrot!
Jetzt zerschmilzt der Glanz in Düften,
Welch ein holder, heil'ger Tod!

Held Frühling

Der Frühling kommt gezogen
Als ein getreuer Held,
Er zieht mit Pfeil und Bogen
Wohl auf und ab die Welt.

Seine Fahne ist die Sonne,
Und die Freiheit ist seine Wehr,
Und sein Sieg ist Lieb' und Wonne
Und die Menschen alle sein Heer.

Rundgesang

Fort mit der Falte, fort
Aus freier Stirn!
Fort mit der Sorge, fort
Aus dem Gehirn!
Winter ist eingesargt,
Frühling ist frei.
Fort jetzt, zum Winter fort,
Philisteri!

Hat wer ein Herz im Leib,
Männlich und treu,
Schließ' es, ein Kelch, sich auf,
Lenz füllt ihn neu.
Wie der befreite Quell,
Sprudle die Lust! Klingt nun an lerchenhell!
Lüftet die Brust!

Duftenden Rebensaft,
Brüder, geleert! Leben in Lenzeskraft
Feurig bewährt!
Fliegen die Jahre doch,
Altert der Wein!
Uns laßt als Greise noch
Lenzjugend sein!

Frühlingskunde

Zu dem Finken die Schwalbe sprach:
"Lenz ist auf der Reise!" —
Finke sprach und sang es nach,
Froh, nach seiner Weise.

Knosp' im Busche neigte sich
Zu dem Finken herüber:
"Ei, was drängt und treibet Dich
So zum Singen, Lieber?!" —

Fink' vertraut's der Knospe an;
Knospe hält's nicht länger,
Zieht ihr Blätterkleidchen an
Nah am muntern Sänger.

Veilchen, scheu im Gras geduckt,
Sah die Knospe grünen,
Fährt empor und fragt und guckt
Zu den Nachbarinnen.

Nachbarinnen brachten schnell
Von dem Lenz die Kunde.
Veilchen schmückte sich zur Stell'
Recht von Herzensgrunde.

Ameis' in der Höhle drin
Saß im Winterhause;
Wie sie sah das Veilchen blüh'n,
Ging sie vor die Klause.

Alles regte, schmückte sich
Freundlich zum Willkommen.
Frühling lachte inniglich,
War schon längst gekommen!

Frühlingsbuch

Und fort mit dir, du finsteres Buch
Mit den schwarzen Zeilen und Zeichen;
Nun hab' ich des Staubs und Moders genug,
Und der Worte, der starren Leichen.

Du bist wie ein altes verfallenes Haus,
Die Läden fest zugeschlagen,
Die Menschen zogen schon längst hinaus
Oder wurden hinausgetragen;

Nun wandeln, wo einst der Geist gewohnt,
Die bleichen Blutsauger Gespenster,
Und wo das Licht einst einging, thront
Jetzt die Spinne im Winkel der Fenster.

Hinaus in den webenden Abendschein,
Dort unter der Linde Schatten,
Da liegt ein heiliges Buch am Rhein,
Die Blätter sind Wiesen und Matten,

Die Zeilen sind Bäche und Waldesgrün,
Die Blumen, die Reben sind Lettern!
Dank, Herr, daß ich selber geschrieben bin
Auf des heiligen Buches Blättern.

Vor'm Treibhaus

Gelt, Blumen und Bäume, das schmeckt euch heut,
Daß ihr wieder den Mauern entronnen,
Am heiligen Lichte der Sonnen,
In allen Pulsen durchglüht, euch freut?!
Wie hebt ihr die Glieder
In frischem Stolz und Pracht,
Und freut euch wieder,
Der Freiheit, die der Lenz gebracht!
O rauscht es dem Herrn des Gartens zu,
Wenn er sinnend in Abendruh'
Bewundert eure neue Kraft,
Den schwellenden, kreisenden Lebenssaft!
O rauscht es ihm zu, was die Geister erst wären,
Dürften sie auch aus dem Treibhaus kehren,
Luft und Sonne trinken
Und aller Welt mit reifen Früchten winken!

Der Elfen Liebe

Januar

Was doch der Elf so spät bei Nacht
Vor meiner Liebsten Fenster macht?
Er schafft gar emsig ohne Ruh',
Ich horche, harre, seh' ihm zu.

Sie träumt von Blumen bunterlei,
Träumt just den ganzen duft'gen Mai, —
Der sich in ihrem Blick berauscht,
Der Elf hat's ihrem Traum entlauscht.

Da nimmt der luft'ge Schelm gewandt
Palett' und Pinsel flink zur Hand
Und malt vom allerzartsten Weiß
Ihr tausend Blümlein hin — von Eis.

Februar

Als sie sich geschmückt zum Tanz,
Hat sich in den frischen Kranz,
Der ihr braun Gelocke deckt,
Flugs der Elf hinein versteckt.

Sicher, ob der Kelch auch bebt,
Wenn sie hin im Reigen schwebt,
Aus der Rose Kelch heraus
Guckt der Schelm und lacht mich aus.

März

Als sie, erwacht, hinaus zum Fenster sah,
Lag weit und breit beschneit die Wiese da,
Das arme Bächlein ganz erstarrt vor Frost,
Gebunden hat es über Nacht der Ost.

Mitleidig hat das Köpfchen sie gesenkt,
Das nur des armen Bachs, nicht mein gedenkt;
Es merkt's der Elf, der ihr zu Willen ist,
Und jeden Wunsch im Aug' ihr liest.

Mit seinen Vettern allen kommt er schnell,
Sie lösen emsig den gebundnen Quell,
Und wie es frei und lustig springt und zieht,
Da jauchzt der Elf sein Liebeslied.

April

Neulich mit trübem Sinn
Über die Wiese hin
Schritt sie; kein Blümlein sprießt,
Das sie begrüßt.
Hinter ihr her geschwind
Huschte das Elfenkind,
Streute gar flink und klug
In jede Spur
Samen, der Wurzel schlug. —
Als sie den Weg zurück
Wandelte, fand ihr Blick
Blühend die Flur.

Mai

In der Liebsten kleinem Garten
Warten
Luft'ge Musikanten,
Der Elf mit seinen Verwandten.
In der Blüten lockern Flöcklein
Schaukeln sie sich, in Maienglöcklein,
Stimmen an, stimmen ein,
Bis die Süße wird eingeschlummert sein.

Juni

Als ich lag im grünen Hag,
Hört' ich's flüstern daneben;
Horchte bang, stundenlang.
Ei, was wird's da geben?

Die Elfen hielten großen Rat,
Berieten sich auf's Beste,
Mit welchem schönsten Angebind
Sie binden sollten mein süßes Kind
Zu seinem Wiegenfeste.

Juli

Es war eine stille laue Nacht,
Sie ließ das Fenster offen steh'n,
Da flog ein Johanniskäferlein
Herein,
Das hat ihr Botschaft gebracht.
Es sprach: ich bin zu dir gesandt,
Daß du es magst, o Liebe, seh'n:
Er war' wie ich, nur Flamme ganz
Und Glanz,
Seitdem er dich gekannt.

August

Wie die Cyanen sich grämen,
Daß deines Auges Bläue
Sie alle muß beschämen!
Es hört der Elf, der treue,

Das Flüstern der Neiderinnen.
Da birgt er sich im Korne
Und tilgt im Liebeszorne
Sie alle über Nacht von hinnen.

September

Die Schwalben zieh'n fort;
Ruft der Elf' ihnen nach:
"Undankbar verlaßt ihr den gastlichen Ort,
Und, das euch beschützte, das wirtliche Dach.
Ihr seid wie Sie;
Sie hat mein Dienen und Werben geseh'n
Und will's doch nimmer und nimmer versteh'n
Und wird's versteh'n auch nie."

Oktober

Als der Wein gekeltert ward,
Drückte sie mir die Hand;
Er sieht's der Elf, der arme Schelm,
Den sie nie verstand.
Alles jubelte, Groß und Klein,
Nur der Elf nicht mitjubeln wollt',
Legte sich hin in's tiefe, tiefe Gras;
Kein Aug' ihn sehen sollt'!

November

Als ich aus der Liebsten Hause ging,
Zupfte mich der Elf und hing
Fest sich mir am Kleide;
Und vor meines Hauses Tor
Raunt' er leise mir in's Ohr:
"Führ' sie heim zur Freude!

Segen stets und Überfluß,
Weil ich selbst doch darben muß,
Trag' ich in die Räume,
Und behüten will ich gern
Die Herrin und dich jetzt, meinen Herrn,
Selbst vor dem Spuk der Träume!"

Dezember

Als die Holde mir zum ew'gen Bunde
Vor'm Altar die Hand gereicht,
Brachten Elfen still zum tiefen Grunde
Hin ein Särglein federleicht;
Eine welke Rose war es,
Drin das arme Elflein lag,
Einst im Kranz des schönsten Haares,
Jetzt versenkt im Tannenhag.

Arabeske
Begrifferklärung

Ei, wie sie klettern,
Ei, wie sie gaukeln,
Auf Ranken und Blättern
Sich wiegen und schaukeln!
Das ist ein Necken
Von goldnen Psittichen;
Spielen verstecken
Hinter den Fittigen.
Colibri-Weibchen,
Wie so verschämt es tut!
Dem Turteltäubchen
Stünd' es nicht halb so gut!
Laß Dich nicht irren,
Männchen, sie will nicht fort;
Denn all ihr Girren heißt:
"Lieber, dort!"
Im süßen Wahne
Schaukelt die junge Frau,
Der Liebe Fahne
Schwingt der gekrönte Pfau,
Die Baniane
Wölbt sich zum Hochzeitshaus;
Fülle von Gästen
Wiegt sich auf Ästen
Schwätzend und singend,
Frühling umschlingend,
Schwelgt im Empfangen,
Danket durch Geben,
Mehr zu erlangen,
Freut sich am Leben,
Freut sich am Schmaus.
Und heimlich drunter
Rieselt die Ganga leis;
Selig hinunter
Zittert manch Blütenreis.
Und aus den Ranken
Und aus den Zweigen
Keimen und steigen
Liebesgedanken.
Und aus den Blüten
Brechen und schwellen
Düfte wie Quellen.
Süße Gewährung,
Fülle des Lebens,
Nirgends ein Brüten,
Nirgends Entbehrung,
Kein Puls vergebens,
Kein Kuß verloren!
Wiedergeboren
Grüße aus Grüßen,
Küsse aus Küssen,
Leben aus Leben,
Ewiges Werben,
Ewiges Sein!
In Liebe sterben,
Aus dem Tod keimen sie,
Von Leben träumen sie.
Süße Befriedigung
Zaubert der Augenblick,
Schaffet sie ewig jung,
Und jedes Gestern
Kehrt in den Schwestern
Des Morgens zurück.
Selige Gatten
Feiern ja Hochzeitnacht
Im Schoß des Traumes.
Unten im Schatten
Des Blütenbaumes
Ruhet der Gott
In stiller Nacht,
Freut sich des Lebens,
Denn sein: Werde
War nicht vergebens
Und sein seliger Traum
Ist vollbracht.

Der Meister

                       I.

Der Meister sitzt im Kämmerlein, —
Mild blickt der Mond zum Fenster hinein
Der Meister eifrig sinnend wacht
In stiller, heil'ger Mitternacht;
Sieht auf die Risse unverwandt,
Richtmaß und Zirkel in der Hand.
Und sinnt und mißt und denkt und schafft
In regem Fleiß, mit rüstger Kraft,
Wie er zu best das Werk vollbringe,
Und bittet Gott, daß ihm's gelinge.

Da öffnet sich die Kammertür
Und tritt ein junger Gesell herfür,
Der grüßt den Meister ehrfurchtsvoll,
Wie Jugend Alter grüßen soll;
Langt aus dem Gürtel sein Wanderbuch;
Drin ward der Gesell empfohlen genug
Von manchem Meister in fernen Landen,
Die ihn geschickt und treu erfanden.
Der Meister, wie er jetzt vor sich
Sieht den Gesellen züchtiglich,
Die starke rüstige Gestalt,
Rein, hold dabei, als wie man malt
Edle Jungfrauen, blond das Haar,
Das Aug' wie lautrer Himmel gar, —
Da denkt er seiner Jugendzeit,
Sein altes Herz wird wieder weit,
Er fühlt in immer stärkern Schlägen
In Greisenbrust sich Jugend regen.
Je länger er in's Aug' ihm blickt,
Je mächt'ger fühlt er sich verzückt.
Und klar nun plötzlich vor ihm steht,
Wonach er lang' umsonst gespäht,
Der ganze Dom in voller Pracht,
Wie er den Menschen Freude macht,
Dem Herrn ein wohlgefällig Haus
Nimmt er vor seinem Geist sich aus.
Die Türme, die sich hoch erheben,
Wie Ird'sches soll gen Himmel streben,
Das Tor so ernst, als ging's hindurch
Wie durch das Grab zur ew'gen Burg
Des neuen Zions, über ihm
Apostel, Märt'rer, Cherubim.
Der Kunst tief innerst Symbolum
Sieht er in Klarheit jetzt ringsum,
Als ob er lang' im Dunkel lag,
Und plötzlich schaut' in hellen Tag. —
In seiner heil'gen Freude bringt
Dem Herrn zuerst er Dank und dingt
Sich den Gesellen dann zum Bau,
Bei dessen Anblick ihm genau
Das ganze Mysterium deutlich war,
Wie einem Kinde offenbar.

Er legt den Grund; bei jedem Schritt
Hilft der Geselle fleißig mit,
Als wüßt' er jeden Plan voraus,
Den sich der Meister lang' zu Haus
Ersonnen und auf Pergament
Gezeichnet, den sonst niemand kennt.
Das Werk gedeiht und wächst empor
Wie rasch im Mai der Blumen Flor,
Ist ohne Makel, keusch und rein,
Als wär' es ein Gebet von Stein; —
Und kaum drei Jahre sind verronnen,
So steht's vollbracht am Licht der Sonnen.

                       II.

Hoch auf dem Dache prangt der Kranz,
Des Domes Nacht hellt Kerzenglanz,
Rings um den Dom und drinnen schart
Sich zahllos Volk, das Kreuzesfahrt
Antritt zum fernen Grab des Herrn;
Bei solchem Anlaß rastet's gern. —
Horch Glockenklang und Chorgesang!
Die Mauer kommt der Zug entlang
Und schreitet durch des Städtleins Tor
Schon an den neuen Dom hervor, —
Die Fürsten, Ritter, mannigfalt,
Und Mann und Weib und Jung und Alt,
Das Volk aus Wien, und, das mit Lust
Das Kreuz des Herrn trägt auf der Brust,
Jedweder will zum Seelenheil
Des Weihesegens vollen Teil.
Dort, unter'm Baldachine geht,
Gleichwie ein Fürst in Majestät,
Der Knecht des Herrn, der Volkeshirt,
Der jetzt die Kirche weihen wird;
Chorknaben wandeln ihm zur Seit'
In jungfräulicher Reinigkeit;
Und Silberglöcklein läuten hell,
So oft er hält an einer Stell',
Und allen, die da gläubig kamen,
Den Segen gibt in Christi Namen.

Der Meister aber liegt allein
Daheim im stillen Kämmerlein,
Hört nur von fern der Glocken Klang,
Gedämpft der Gläub'gen Chorgesang;
Wehklagt, daß er das Haus nicht schaut,
Das er dem höchsten Herrn gebaut,
In dieses Tages Morgenrot!
Doch er ist siech bis auf den Tod;
Er fühlt, seit er den Kranz gesetzt,
Zu End' sein Lebenstagwerk jetzt.
Ihn trägt der müde Fuß nicht mehr,
Und dennoch sehnt er sich so sehr,
Noch einmal seinen Dom zu schauen;
Dann mag ihn ja der Tod umgrauen.

Da öffnet sich die Kammertür
Und sein Geselle tritt herfür,
So wie in jener Mondennacht,
Da er des Domes Plan vollbracht;
Noch zarter, reiner däucht er ihm,
Wie einer von den Seraphim,
Durchsichtig fast in hellem Glast,
Daß Grauen ihn bei Staunen faßt.
Jetzt tritt er vor den Meister hin
Und spricht: "Steh' auf! Dein gläub'ger Sinn
Hat Dir geholfen! Komm nur schnell;
Jung macht Dich Gottes Gnadenquell,
Wer immerdar auf Ihn vertraut,
Der hat sein Haus auf Fels gebaut!"

Und gläubig steht der Meister auf,
Sein schwanker Gang wird schnell zum Lauf,
Das Aug' wird hell, der Arm ist stark
Und in den Knochen frisches Mark.
Der Jüngling weist den Weg ihm vor,
Bald steh'n sie vor des Domes Tor.

Und wie der Meister sein Werk ersieht,
Grad' die Gemeinde niederkniet;
Er schaut geblendet, ruft hinan:
"O Herr, das hast Du selbst getan!
Heil mir, daß ich Dein Werkzeug war,
Nun ist das Symbolum mir klar!
Ich schau's vor mir; nun sterb' ich gern.
Der Bischof hebt den Leib des Herrn,
Die Glöcklein klingen silberrein,
Der Jüngling strahlt wie Sonnenschein,
Der Meister aber war verschieden;
Gott geb' der Seel' den ew'gen Frieden!

Der Reiter und sein Geselle

Es reitet ein Reiter über die Heid'
Und läßt seinen Rappen rennen.
"Der Himmel ist hoch, die Erde ist weit.
Ihr Toren, wer wird mich erkennen?" —
Ihm nach ein Gesell, immer hinterdrein.
""Laß rennen dein Roß! ich hol' dich doch ein!""

Es reitet der Reiter ohn' Unterlaß
Die Städte und Dörfer vorüber;
Es drängt ihn und treibt ihn, er weiß nicht was,
Hinüber die Ström' und herüber.
Er hat keine Rast, er hat keine Ruh',
Der treue Geselle, der setzt ihm zu.

Und er faßt seinen Reitermantel fest
Und wickelt sich fest in die Falten,
Er hat den Hut auf die Stirne gepreßt,
Läßt den Rappen schalten und walten;
Und sieht er um sich und sieht hinter sich,
Ihm folgt der Geselle, treufestiglich.

Er meint: sein Rapp' will nicht weitet geh'n,
Er ruft: "So greif' aus doch von dannen,
Bevor uns die leidigen Schergen seh'n,
Greif' aus, bis wir Vorsprung gewannen."
""Eine Galgenfrist!"" — Wer sprach das Wort?
Er weiß nicht, er spornt seinen Rappen fort.

Der Geselle immerdar hinterdrein;
So geht's über Stein und Graben.
""Laß rennen dein Roß! Ich hol' dich doch ein,
Ich muß dich und werde dich haben.
Eh' du ausritt'st, tatst du einen Mord!""
Der Geselle ruft's; der Reiter sprengt fort.

Der Geselle sprengt immerdar hinter ihm,
Als hätte sein Roß wohl Flügel;
Der Geselle voran im Ungestüm,
Sprengt rasch hinan einen Hügel.
""Steh'!"" ruft der Gesell, ""nun holt' ich dich ein.
Nun schwing' dich vom Bügel auf Ja und Nein.""

Auf dem Hügel stand das Hochgericht;
Den Reiter faßt ein Grausen.
"Fort, Rappe!" der Rappe rührt sich nicht,
Als müßte der Reiter hier hausen. —
Und als der Reiter gerichtet war,
Wußt' Niemand, wo der Geselle war.

Das Begynchen zu Gent
(Aus dem Flamändischen des Prudenz Van Duyse)

Es war einmal ein Begynchen,
Jung, gottesfürchtig und rein;
Das lebte zu Gent in der Veste
Wohl mutterseelenallein.

So hold wie der Mond, der einsam
In stiller Heiterkeit
Sich in den Wellen spiegelt,
So freundlich war die Maid.

Und als der Fastnachtabend
Mit seinen Freuden erschien,
Da ging manch junges Begynchen
Herzfroh und lachend hin.

Die Meisterin wohlehrwürdig,
Die hatte sie All' zum Besuch;
Da gab es für die Gelad'nen
Der Leckerbissen genug.

Da saßen sie alle lachend,
In Gott vergnügt, bei ihr,
Und nippten in Zucht und Ehren
Vom süßen Malvasier.

Da saßen sie an dem Festtisch
Vor all der Herrlichkeit,
Und aßen lockere Waffeln,
Mit Zucker überschneit.

Eine einzige war vergessen
Bei Süßwein, Waffeln und Scherz,
Das junge, feine Begynchen,
Das fromme, minnige Herz.

Es hallte bis in ihr Höfchen
Vom Freudengewühle ringsum;
Ihre junge Seele ward traurig
Bei all den Freuden ringsum.

Und weinend pflückte sie Blumen
Und wand sie zum Kranz und schritt
Demütig zur Kirche und schmückte
Das Kruzifix damit.

Sie seufzte: "O liebster Jesu,
Mein süßer Bräutigam!
Wie hab' ich am Fastnachtabend
Das Herz so voller Gram!

Ab wies ich alle Freier,
Begynchen wollt' ich nur sein,
Und verhoffte mir nichts als Wonne
Und habe nun solche Pein!

Meine junge Schwester verließ ich,
Und weinte sie noch so sehr;
Meine liebe Mutter verließ ich,
Du weißt's: Dich liebt' ich noch mehr.

Und die ganze Welt verließ ich
Für meinen Bräutigam.
Nun reiche der Braut die Arme,
Die seufzend zu Dir kam.

Sie schmausen und sie tanzen;
Ich hungere und ich wein'.
Sie klingen an und trinken;
Ich knie hier traurig allein." —

"Geh' nur zu der Meisterin eilends,
O Mattheken, geh' nur geschwind;
Und sag' ihr, daß sie in's Kränzchen
Dich aufnimmt, mein bräutliches Kind!" —

So sprach das Kreuzbild. Vertrauend
Ging das Begynchen fort,
Und brachte der Meisterin treulich
Des Herren eigenes Wort. —

"Der Herr hätte zu Dir geredet?
O Mattheken, sprichst Du im Traum?
Geh', komm' mir vernünftiger wieder,
Mein Kind, oder komme mir kaum!"

Und Mattheken ging zurücke,
Betrübter, als sie's war,
Und kniete vor'm Kruzifix hin,
Und betete an dem Altar.

Da hört sie: "Mein Bräutchen, geh' nochmals,
Und sage der Meisterin frei:
"Ihr Wollenhemd, das sie versteckte,
Daß unter dem Kissen es sei.

Sie sah, daß es aufgetrennt war.
Diese Nacht wird es wieder genäht.
Das hat mit purpurnen Fäden
Meine Mutter selber genäht." —

Und Mattheken ging von hinnen
Mit fröhlichem Angesicht,
Und wiederholte getreulich
Von Wort zu Wort den Bericht.

Da rief, des Wunders erschrocken,
Die Meisterin: "Ja, fürwahr,
Dich hat der Herr gesendet:
Tritt ein in unsre Schar!"

Und, ob dem Wunder verstummend
Bot Ehren ihr jede Begyn',
Und neben die Meisterin setzten
Sie Mattheken nun hin.

Die Freude wurde stiller
Und jeglich Auge sah
Auf Matcheken; wie vom Glanze
Umwoben saß es da. —

Die Sonne war gesunken,
In allen Straßen Ruh;
Es schritt dem Begynen-Kloster
Das Jesubräutchen zu.

Da klang auf den alten Türmen
Das Glockenspiel so laut,
Und begrüßte mit rastlosen Klängen
Des Herrn heimkommende Braut.

Kein Glöckner zog die Stränge;
Es klang von selber so hell,
Als rauschte rein und mächtig
Der Himmelsfreuden Quell.

Viel Volk kam in den Begynhof
Und eilte zur Kirche hinein;
Dort lag vor dem Altare
Jung Mattheken allein.

Sie kniete vorm Kruzifixe
Mit frommgefalteter Hand,
Sie schien schon nach oben entrücket,
In's schönere Heimatland.

Sie kniete vor'm Kruzifixe
Und endete ihr Gebet,
Und schwebte sanft entschlummernd
Zum ewigen Festbankett.

Eine frische Jasminblüte, —
So völlig Duft sie war;
Zwei frische Rosenknospen —
Ihr zartes Wangenpaar!

So hold wie der Mond, der einsam
In stiller Heiterkeit
Sich in den Wellen spiegelt,
So freundlich war die Maid.

Noch schwebt' um die süßen Lippen,
Von Blässe noch befreit,
Ein minnig jungfräuliches Lächeln,
Das Lächeln der Seligkeit.

Und vier Begynchen trugen,
Vier weiße Begynchen den Schrein,
Geschmückt mit Jungfernkränzen;
Jung Mattheken lag darein.

Und früh am andern Morgen
Wuchs duftend, schlank und weiß
Auf ihrem Grab eine Lilie
Auf ihres Bräut'gams Geheiß.

Die Schutzengel

Wie still ist's in der armen Leute Haus!
Nun bläst der Wind das einz'ge Lichtchen aus,
Das ohnehin trübselig g'nug gebrannt.
Wer hätt' dabei ein Weihnachtsfest gekannt?
Und doch ist's ein's, wenn auch am kahlen Herd
Nur Jammer hier sich selbst zu Christ beschert.
Der Hütte nackte Wände seh'n hinein
Auf Not und Lieb', und bergen, wie ein Schrein,
Wie ein getreuer Sarg vor'm Neugierblick
Der Außenwelt, der Eltern Mißgeschick.
Die Dunkelheit hat's redlich auch gemeint,
Indes der Vater krankt, die Mutter weint.
Die Kinder friert. Kein Köhlchen glimmt, kein Reis
Ist in der Kammer, — — an den Fenstern Eis!
Gott half schon Manchem über Nacht aus Not; —
Vielleicht beschert er über Nacht hier — Brot!
Die Gläub'ger nahmen grad' das Letzte heut,
Die Decken selbst; — nur Stroh liegt noch zerstreut.
Der Vater sucht's im Dunklen, legt's zu Hauf,
Und bettet sorglich dann die Kinder d'rauf: —
"Der heil'ge Christ behüte eure Ruh!
Schlaft, unsre Herzen decken warm euch zu." —
Die Mutter schlingt um Beide treu den Arm,
Des Vaters Odem hält die Schläfer warm;
So wird die lange, bange Nacht durchwacht,
Bis daß der Tag anklopft in heitrer Pracht.

* * *

Und als die Sonne mild durch's Fenster grüßt
Und freundlich beider Kinder Stirnen küßt,
Da spricht zu seinem Weib der arme Mann:
"Die Sonne macht's in Treu', so gut sie's kann;
Vertritt bei unsern Kleinen Mutterstell',
Und tränkt die Durstigen aus ihrem Quell,
Und speis't die Hungernden mit ihrem Licht,
Und wärmt im Schlafe sie und weckt sie nicht;
Drum, — denk' ich, — laß uns Beide suchen geh'n,
Ob wir das Mitleid auch bei Menschen seh'n.
Was meinst Du, daß wir's finden, wann und wo?
's ist heut ja Christtag; da ist Jeder froh!
So lang' wird ihnen Sonne — Mutter sein. —
Komm! hilf mir krankem Mann empor von Stein."
Und sorglich hebt das Weib ihn auf vom harten Bett';
Die Kinder schlummern fort auf ihrer Lagerstätt',
Dem bißchen Stroh, durchwärmt vom Elternleib.
Dann führt den kranken Mann hinaus das treue Weib.

* * *

Sie schritten auf dem Waldweg immer zu;
Sie hatten Beide keine Rast noch Ruh,
Bis endlich sie durch eine Lichtung sah'n
Die Stadt, ach noch so fern! — Zwei Fremde nah'n.
Jetzt an der Eltern Seite sind sie, Beid'
Mit Augen ohne Licht, doch feucht von Leid,
In falt'gen Kleidern, wie ein Priester trägt,
Da rings der Sturm blies, — Beide unbewegt,
Barhäuptig Beide, und gelockumwallt,
Wie Greise ernst, wie Jungfrau'n von Gestalt.
Die armen Eltern standen vor den Zwei'n,
Und blickten, staunend, wer die Fremden sei'n;
Und sprachen's, schamgepreßt, nur leise aus:
"Zwei Kinder frieren, hungern uns zu Haus." —
Darauf die Zwei: "Wir helfen wahrlich gern;
Doch zu gewähren steht nur bei dem Herrn!
Wollt ihr zu ihm, wir leiten, führen euch
Vor seinen Stuhl und an sein Herz zugleich."
Die Eltern nun besannen sich nicht lang'
Und traten gläubig an den harten Gang;
Ein jeder von den Fremden nahm bedacht
Je ein's zur Hand, bis sie zur Stell' gebracht.

* * *

Und als sie kamen in des Herren Haus,
Da streckte Er die Arme liebend aus.
Und als sie sanken vor des Ew'gen Thron,
Sprach er: "Ich weiß, um was ihr bittet, schon.
Wenn Liebe bittet, gibt ja Liebe gern,
Ihr kamt wahrhaftig an den — rechten Herrn!
So seid willkommen hier und reich bedacht,
Die ihr das Herz zum warmen Pfühl gemacht."
Nun hob er auf sie, schloß sie an sein Herz;
Göttlich durchrann sie jetzt ihr Erdenschmerz;
Der Kinder dachten sie und sah'n sie jetzt
Fortschlummernd Beide, warm und unverletzt;
Sie sahen in der Schläfer Träum' hinein,
Sah'n von sich selber d'rin den Widerschein,
Sah'n ob den Kindern schützend jene Zwei,
Die sie hierhergeführt in Gottes Mai;
Und bebend blickten sie zum Herrn hinan,
Der aber sprach: "Hab' ich's zu Dank getan?
Fällt doch vom Haupt kein Haar, so ich nicht zähle!
Zuckt doch kein Schmerz in eines Menschen Seele,
Den ich nicht fühle! Seht, sie schlafen süß,
Und haben, d'rin ihr seid, — — das Paradies!
Ja, euren Augen, treue Eltern, traut!
Denn jene Engel, die ihr jetzo schaut, —
Die Todesengel, die hierher euch brachten,—
Schutzengel sind's für sie, getreue Wachten,
Unsichtbar werden sie bei euren Kindern steh'n,
So lang' sie pilgernd auf der Erde geh'n. —
Und, sind sie müde einst, und ruhten gerne aus, —
Schutzengel bringen sie, — wie euch — in's Vaterhaus!"

Mit Gott!

Der Fischer sitzt am Ufer spät
Und trocknet die Netze und spricht sein Gebet,
Da hört er den Ruf: "Hol' über!"

Er spricht sein Amen; er bindet den Kahn
Vom Ufer los. "Mit Gott, wohlan!"
So sagt er und rudert hinüber.

Da steht ein großer schwarzer Gesell,
Der spricht zum Fischer: "Mach flink und schnell
Und fahre mich rüstig hinüber!"

So steigt er ein, und der Fischer denkt:
"Mit Gott!" und stößt ab, und eifrig lenkt
Mit Gott den Kahn er hinüber.

Wo der Schwarze sitzt, — was seltne Last! —
Da versinkt der Kahn im Wasser fast,
Doch der Fischer rudert hinüber.

Er rudert an's Land, schon legt er an,
"Mit Gott," so ruft er, "nun wär's getan;
Das war ein hartes Holüber."

Der Schwarze spricht: "Da liegt dein Geld!"
Der Fischer d'rauf: "Wie's Gott gefällt!
Mit Gott führ't ich Euch herüber!"

Der Schwarze: "Ehr', dem Ehr' gebührt!
Und weißt du, Fischer, wenn du geführt,
Und wer dir gerufen: Holüber?

Du hast herüber den Tod gebracht;
Dein ganzes Dorf muß sterben heut Nacht;
Du aber mit Gott bleibst über!"

Nadeln

                                   1.

Der oft mit Nadeln statt mit Lanzen ficht, der Held,
Der kleine, bringt Euch heut Nadeln statt — Nadelgeld.
Ihr kennt den Handelsmann, geflügelt, schalkig — blind!
Blind, — drum verzeiht ihm auch, wenn — stumpfe drunter sind.

                     2.

Töte mich auf jede Weis',
Nur nicht durch ein Herz von Eis; —
Jede Waffe mag dir taugen,
Töt' mich nur nicht mit den Augen!

                    3.

Ein Bienchen!
Ein Bienchen!
Jetzt will ich es haschen.
Wie, böse, vom Kelch meiner
Seele zu naschen?
Schon hat's mich verwundet,
Nun lieg' ich in Schmerzen,
Du stachst in die Hand mir,
Ich blut' aus dem Herzen!

                           4.

Mein Feind ist dein Finger, er scheut mich
Trotz seinem Schwertchen und silbernen Hut!
Gefangen von ihm — tät mir so gut!
Er aber, — ach, — befreit mich. —
Wie weh die Freiheit tut!

                  5.

Ich weiß, warum so ohne Rast
Du stickst, so scharf und fein. —
Du denkst wohl: du hättest mein Herz gefaßt
Und stächest mit Lust hinein!

                     6.

Zwei Augen für ein einzig Herz! —
Wie könnt' ich das nur hoffen!!
Trifft auch dein Blick ganz anderwärts,
Mein Herz ist doch getroffen.

                  7.

Du bist gar oft so hart,
Machst mir so manchen Schmerz; —
Denk' doch: Es ist so fein und zart, —
Drum bricht's gar leicht, — das Herz!

                     8.

Gesegnet sei vieltausendmal
Jedwede Wund' und Herzensqual, —
Weil du mir jetzt die Liebeshand
Drauf legst statt Balsam und Verband.

                     9.

Kann ich zürnen deinem Schmollen,
Lippe, die so oft mich küßt!
Soll ich denn der Sonne grollen,
Die ihr Licht als Pfeil ergießt?

                     10.

Willst du schelten, schilt doch nur.
Lieb' ist einzig meine Uhr,
Denn ich zähl's an tausend Küssen,
Daß wir stets uns lieben müssen.

                       11.

Ein Vöglein fliegt von mir zu dir,
Geht, kommt zu jeder Stunde,
Wie's dir ergeht, und wieder mir,
Bringt's Kunde, macht die Runde.
An meinem Herzen tränk' ich es
Vor'm Abschied jedesmal,
Und ließest du's verschmachten je,
Stürb' ich vor Durstesqual.

                  12.

                  Sie.

Das Vöglein ist gestorben,
Was fang' ich an, allein?

                  Er.

Laß fortan unsre Lippen
Der Herzen Boten sein.

                  13.

Der Finger, der mich oft gescheut,
Ein goldnes Ringlein trägt er heut.

Gib mir die Nadel, die mich oft gestochen;
Der Dorn ist von der Rose abgebrochen.

                  14.

                  Sie.

Du lieber Mann, was hab' ich dir
Denn durch die Lieb' gegeben?

                  Er.

Zuerst den Tod und durch den Tod
Das heil'ge ew'ge Leben.

                  15.

Schöner grüner Tannenbaum
Mit den hellen Kerzen!
Schöner ew'ger Jugendtraum
Einst in alten Herzen!

Dürre Nadeln ab vom Baum
Werden sich einst zerstreuen,
Doch der Liebes-Weihnachts-Traum
In Kindern sich erneuen.

Karnevalsmasken

               Amor
(als Diplomat)

Mit Stern und Kreuz komm' ich heute einmal
Und mit einem großen Band,
Und, wollt ihr's wissen, vom Himmel stahl
Ich den schönsten Stern mir gewandt;
Mein Ordensband ist so alt wie die Welt
Und umschlingt sie, als wär' es noch neu,
Den ewigen Frieden — wie lang' er hält? —
Diktier' ich und ewige Treu.

       Hymen
(als Großmeister)

Wer will den Orden tragen
Bei meiner Legion?
Beliebt es nur zu sagen,
Ihr tragt ein stattlich Kreuz davon;
Es lohnt nicht bloß für Siege,
Zumeist verdient's der Mann,
Der sich im kleinen Kriege
Der Eh' besiegen lassen kann.

               Bacchus
(als Doktor)

Kranke herbei! Kranke herbei!
Hier ist die Universalarzenei!
Blinden verschafft sie ein doppelt Gesicht,
Hinkende bringt sie in's Gleichgewicht.

Mein Apotheker ist der Komet,
Der hat sie gebrau't, wie's kein Andrer versteht,
Doch messet die Dosis nur ja nicht zu klein,
Und nehmt, soll sie wirken, — in Schoppen sie ein.

                Jäger

Fleißig späh' ich im Revier
Liebchen zu entdecken;
Große Kinder, spielen wir
Heut einmal Verstecken.

Find' ich dich, so wird gewiß
Kein Pardon gegeben,
Und es geht, ich schwöre dies,
Liebchen, dir an's Leben.

Schöss' ich heute wieder fehl,
Schämt' ich mich zu Tode.
Darum hilf, o Samiel,
Dem Schützen nach der Mode.

      Komus
(als Leichenbitter)

Ihr fragt, um wen wir klagen?
Die Torheit starb, o Grau'n!
Eine Aktie lag ihr im Magen,
Die konnte sie nicht verdau'n.
Nun wollen wir sie begraben
Auf einer Eisenbahn,
Ein Monument soll sie haben
Vom feinsten Marzipan.

                Pantalon

Was ich hier so emsig treibe?
Ei, die Zeit schraub' ich zurück;
Ob mich toll die Jugend schreibe,
Meinen Fleiß krönt doch das Glück.
Lacht nur immer! Ihr erlebet
Den Erfolg doch, — weit und breit,
Eh' ihr's glaubet, lebt und webet
Bald die gute alte Zeit.

          Arlequin
(als Einsiedler)

Dem beschaulichen Leben
Will ich mich jetzt mit Eifer ergeben;
Das heißt: nichts anders fortan beschauen,
Als hübsche Mädchen und Frauen.

        Amor auf der Sphinx

Wundert's euch von einem Kinde,
Daß die Sphinx es willig trägt,
Daß die Trotz'ge, wenn der Blinde
Ihr's gebeut, auf's Knie sich legt? —
Liebe löst die Rätselfragen,
Die der Haß, der Grübler, schreibt,
Wie sie seit den Schöpfungstagen
Selbst — ein ewig Rätsel bleibt.

                 Fenella

Staunet ihr, daß ich sogar
Heute rede, wie sonst nimmer?
Eine Stumme bin ich zwar,
Dennoch bleib' ich — Frauenzimmer-

               Amor — Musterreiter

Herzen von allen Sorten und Farben,
Ganze, zerriss'ne und welche mit Narben,
Durch allerlei Hände gegang'ne und frische,
Mit warmem Blut und mit kaltem, wie Fische;
O kauft den Vorrat ohne zu säumen,
Ich lasse sie billig — um aufzuräumen.

         Bramardas

Daß doch stets der kleine
Luft'ge Springin'sfeld
Allerorten seine
Feinen Netze stellt!
Auf Pistol und Säbel
Fodr' ich ihn bestimmt,
Daß mir das Geschnäbel
Bald ein Ende nimmt!

                    Lenz

O laß ihn, strenger Sittenrichter,
Gewähren, wie er's treiben mag,
Er schafft ja doch, ein ew'ger Dichter,
Die Erde neu von Tag zu Tag.

               Amor — König

Auch kümmert die Kritik mich wenig,
Ich bin ein absoluter König;
Und dennoch ist's die freie Wahl,
Wenn Weise folgen, froh wie Toren,
Im flücht'gen Wechseltanz der Horen
Mir durch des Lebens Karneval.

                  Hymen

Mir aber, mächt'ger Herr der Erde,
Mir überweisest du sie all',
Ich führe dann die Steckenpferde,
Die wilden, ruhig in den Stall.

Johannissegen

Steht ein lustiger Geselle
Vor der Schenke blanker Schwelle,
Wanderstab in müder Hand;
Spricht der frohe Zecher:
"Einen Abschiedsbecher
Trink' ich meinem Heimatland."

Und es füllt der Wirt die Kannen;
"Werter Gast! Ihr zieht von dannen
Einen wüsten Weg hinaus!
Drum Johannissegen
Wahr' Euch allerwegen
Vor der Wand'rung Sturm und Graus.

Darum in den letzten Becher
Laßt mich mischen, alter Zecher,
Was Euch je das Herz bezwang,
Schmerz- und Freudetränen,
Hoffen, Glauben, Sehnen,
Und als Stärkung den Gesang."

Also an der Schenke Pforte
Spricht der Wirt die leisen Worte,
Und er weist ihn sternenwärts,
Und den Becher reicht er,
Und das Aug' wird feuchter,
Und er drückt den Gast an's Herz.

Der Geselle hat getrunken.
An der Schwelle hingesunken,
Hört er noch des Wirtes Wort:
"Abschied ist gegeben;
Dein Wirt war das Leben.
Weine nicht und wandre fort!"