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Quelle:

Kunst und Literatur
Karl Egon Ebert

Stuttgart und Tübingen 1845
J.G.Cotta'scher Verlag


Das Gute, das Rechte wollen wir,
Und streben nach dem Echten,
Für Gutes aber sollen wir,
Wenn Not es tut, auch fechten.

Wir fechten meist mit Scherzen nur,
Nur selten mit ernsten Worten,
O ging' es doch zu Herzen nur,
Den Besten allerorten!
 

Kunst und Literatur
 

Künstlers Gebet
Die Meisterverächter
Frauen und Dichter
Gesinnung
Uhland
Dichters symbolische Jagd
Forderungen
An ***
Zwei Maler

Künstlers Gebet


Wurzel schlugen deine Keime,
Herr, in meines Busens Tiefen,
Und gedeutet sind die Träume,
Die in mir, ein Rätsel, schliefen.

Dich erkenn' ich, Geist der Milde,
Der in meinem Geiste waltet,
Der die dunklen Traumgebilde
In mir formet und gestaltet.

Dich erkenn' ich, Geist der Liebe,
Der den ird'schen Sinn mir läutert,
Und die Brust voll kleiner Triebe
Wunderbar zum All erweitert.

Dich erkenn' ich, Geist der Stärke,
Der mir durch die Adern glühet,
Der bei'm Schaffen neuer Werke
Mir aus Aug' und Wange sprühet.

Du bist's, der die Hand mir leitet,
Wenn mein Saitenspiel erklinget,
Wenn mein Lied der Kehl' entgleitet,
Bist es du, der aus mir singet.


Könnt' ich je, der Staubgeborne,
Unwert solcher Gnade werden,
Könnt' ich, der von dir Erkorne,
Mich als stolzes Selbst gebärden;

Könnt' ich je in dem Geflute
Schaler Eitelkeit versinken,
Mich in frechem Übermute,
Wie Prometheus, Schöpfer dünken:

Dann verwandle, Geist der Milde,
In des Zornes Geist dich wieder,
Und vernichte die Gebilde,
Und den Bildner schmettre nieder!

Denn verrucht, der Gaben liebte,
Und den Geber nicht erkennte,
Und ein Tor, der Großes übte,
Und sich selbst den Schöpfer nennte.


Die Meisterverächter

Freiheit will der echte Dichter,
Beugt sich nie zum Staube nieder,
Gern der Freiheit Kränze flicht er
In die Kränze seiner Lieder;
Freier Mund mißtönet nimmer,
Ganz verstummen sollen Knechte,
Schwert und Leier gingen immer
Für die Freiheit in's Gefechte.

Aber, was Ihr Freiheit nennet,
Frechheit nenn' ich's ohne Zagen,
Weil Ihr nur vor Ingrimm brennet,
Alles Hohe zu zerschlagen;
Glühen sieht man, lechzen, dürsten
Euren frevlen Bundesorden,
Unsre hehren Liederfürsten,
Sangeshelden uns zu morden.


Doch Ihr mordet nicht die Leiber,
Denn die liegen längst im Grabe,
Nein, Ihr seid nur Ehrenräuber,
Greift nur nach der geist'gen Habe,
Schmäht die Größen des Jahrhunderts,
Scheltet mit gemeinem Hohne,
Und gemeiner Sinn bewundert's,
Wie Ihr stürmet Thron' um Throne.

Aber stürzt Ihr sie? — mitnichten!
Eure Wut, sie will nicht frommen,
Unsre Könige zu richten
Müssen Kön'ge wieder kommen;
Doch, als ihrer Sendung Zeichen,
Werden sie sich fromm erniedern,
Und den Kranz der Ehrfurcht reichen
Ihren vorgegangnen Brüdern,


Denn das ist des Großen Freude,
Und der schönste Stolz des Freien,
Warmen Drangs, und fern vom Neide,
Großem seinen Zoll zu weihen;
Nur wer tief sich weiß zu beugen
Vor dem Herrlichsten auf Erden,
Kann empor zum Höchsten steigen,
Selbst ein Herrlicher zu werden.

Frauen und Dichter

Zehn der allerschönsten Frauen
Seh' ich hier im Kreis beisammen,
Fast erblind' ich schon vor Schauen,
Und mein Herz gerät in Flammen;
Alle seid ihr holde Wesen,
Ob ihr stolz tut, oder schüchtern,
Hochgebildet All', belesen
In den meist gerühmten Dichtern.
Gar zu gern nun würd' ich inne,
Welcher von den Dichtern allen
Jedem einzlen Frauensinne
Mag genehm sein und gefallen.
Nennt mir d'rum, Ihr holden Damen,
Eurer Lieblingsänger Namen,
Oder, wollt Ihr sie verschweigen,
Mögt mir nur ihr Wesen nennen,
Und aus all dem bunten Reigen
Hoff' ich Jeden zu erkennen.

                        Klotilde.

Der Eine, den vor Andern ich verehre,
Hat aus der Nordland-Sagenwelt gesungen,
Wie in dem Nebel kämpften Geisterheere,
Wie Recken auf dem Hünengrab gerungen,
Wie Wunder übten die gefeiten Speere,
Und wie dem blonden Jüngling es gelungen,
Die blonde Königstochter aus den Ketten
Des liebentbrannten Zaubrers zu erretten.

Nicht voll genüget meinem Sinn das Ganze,
Doch ist das Einzle herrlich zu genießen,
Aus jeder reinen glattgeformten Stanze
Scheint mir ein Strauß von Blumen zu ersprießen,
Die Verse schweben hin in leichtem Tanze,
Wie durch den Wies'grund Bacheswellen fließen;
O wie erlabt mich das! — ich spräch' als Richter:
"Die Form! die Form das Höchste für den Dichter!"


                        Julie.

Mein Sänger ist etwas formlos,
Der Vers oft schlimm verrenkt,
Doch ist er vom höchsten Geiste
Ganz durch und durch getränkt.

Oft trägt ihn glüh'nde Begeist'rung
Weit über die Erde hinaus,
Doch plötzlich — brechen die Schwingen —
Er fällt, und spottet sich aus.

Das wirkt so allgewaltig,
Ich kann nicht sagen wie,
Wie kaltes Wasser auf heißes;
Sie nennen's: Selbstironie.


                        Cölestine.

Ach, mein Dichter! seine Seele
Taugt nur höhern Regionen,
Solcher Geist ohn' alle Fehle
Wird nicht lang auf Erden wohnen.
Immer strebt er auszuschweben,
Schöner stets sich zu verklären,
Und von seinem Fittig heben
Lass' ich mich in höh're Sphären;
Aber leider immer wieder
Muß ich solcher Wonn' entsagen,
Und zur kalten Erde nieder,
Und das schale Leben tragen!

                        Christine.

Ei, Liebste, da hab' ich ein besseres Los,
Mein Liebling macht mir das Kleinste groß,
Und das Gemeinste ästhetisch,
Beschreibt mir Alles im Haus gar nett,
Den Vorhang, Spiegel, die Stühle, das Bett,
Die Toilette und den Nähtisch.
Das freut mich, daß ich nicht sagen kann,
Wie hoch ich's danke dem freundlichen Mann,
Was Alles er mir schon geleistet;
Er hat mir den Ofen mit Gold staffiert,
Er hat mir den Strickstrumpf poetisiert,
Das Küchengeschäft vergeistet.
 
                        Hedwig.

In echten deutschen Klängen erhebt mein biedrer Freund
Die Zeit der alten Treue, die nimmer uns, erscheint,
Der Männer Kraft und Ehre, die Zucht der edlen Frau'n
Läßt er, ein Feind des Prunkes, in schlichtem Bild uns schau'n.

Balladen und Romanzen besingen schöne Tat,
Dazwischen sprießen Lieder, wie holde Frühlingssaat,
Und ernste Worte tönen, dem freien Sinn geweiht,
Und Sprüche, goldne Körner, sind mittendurch gestreut.

Ich hab' ihn stets bewundert, bestaunt und tief verehrt,
Doch mehr und mehr wird Achtung in Liebe mir verkehrt,
Ich muß an jedem Tage ihn mehr und mehr erhöhn;
Das ist des Schönen Probe: es bleibt uns ewig schön.

 
                    Rosa.

Morgenröte, Abendfrische,
Regenbogen, Mondespracht,
Blaue Ströme, grüne Büsche,
Tageshelle, Waldesnacht,
Solches pflegt in kleinen Bildern
Lieblich uns mein Freund zu schildern.

Da ich gern im Freien gehe,
Mir erleichternd meine Brust,
Nichts mit solchen Freuden sehe
Als Natur in ihrer Lust,
Wen wohl wundert's, daß vor allen
Solche Bilder mir gefallen!

                     Gabriele.

Mein Auserwählter schwebt in Minneträumen,
Gefällt zumeist sich im Sonettenzwange,
Stets singt er von der Nachtigallen Sange,
Verbuhlten Rosen und verliebten Bäumen.

Erstaunlich ist's, wie keck er wagt zu reimen,
Da fehlt es nie an klappend richt'gem Klange,
Bricht mitten auch ein Vers, ihm wird nicht bange,
Er weiß geschickt ihn wieder fest zu leimen.

Und so gelingt's ihm, Zeilen zu verschränken,
Daß oft man zittern muß, und bange denken,
Wie er's zum Ziel wohl und zum Ausgang wende;

Doch plötzlich, wie ein stützig Roß ein Reiter,
Lenkt schnell herum der Hypogryphenleiter,
Und glücklich seht Ihr das Sonett am Ende.

                     Sabina.

Verschont mich doch mit jedem Dichter,
Der schwitzend Vers' und Silben mißt,
Mir widert dieses Reimgelichter,
Mein Liebling ist ein Prosaist,
Ein Prosaist von derbem Wesen,
Ein Novellist und Humorist,
Satiriker, ganz auserlesen,
Der Euch die Dichter alle frißt.
Gar Viele hat er schon im Leibe,
Er faßt sie vorn, und nicht mit List,
Er tut's, wie man zum Zeitvertreibe
Ein Dutzend frischer Austern ißt.
Wohl hat er wenig Treu' und Glauben,
Ist allbekannt als schlechter Christ,
Doch läßt er sich die Ruh' nicht rauben,
Und kräht und kräht auf seinem Mist,
Daß alle Hörer lautauf lachen,
Beim Wein, beim Tee, beim Robber Whist.
Wär' ich sein Weib, ich wollt' es machen,
Daß er verstummt' in kurzer Frist;
Doch leider kann ich ihn nicht quälen,
D'rum ist er Liebling meiner Seelen.

                     Helene.

Vor Allen wert ist mir der Mann,
Der raset und gewittert,
Der mir das Herz zerreißen kann,
Die Nerven mir erschüttert.

Sein Sinn ist ehern, wild und rauh,
Und grausam ohne Gleichen,
Er trägt nur Sünd' und Greuel zur Schau,
Und Blut und Mord und Leichen.

Allüb'rall ist des Satans Hand
Versteckt und frei im Spiele,
Und führt durch Gift und Dolch und Brand
Zum schaudervollen Ziele.

In meinem kleinen stillen Haus
Ist Langeweil' beständig,
Drum les' ich gerne solchen Graus,
Da wird's um mich lebendig.

                     Klara.

Am liebsten wahrlich schwieg' ich still,
Weil keine der Schwestern ich tadeln will,
Doch, muß ich dazu mich bequemen,
So sag' ich ohne Schämen:

Ich hatte Lieblingsdichter nie,
Ich liebe die ganze Poesie
Und freu' mich, gleich dem Kinde,
An Blumen, wo ich sie finde.

Die Einen pflück' ich am Bachesrand,
Die Andern hoch auf der Felsenwand,
Zu denen ich oft mir hole
Die träumende Nachtviole.

Auch Eichenblätter und Tannengrün
Stehn gut zu der lachenden Farben Glühn,
Auch Myrthen mag ich leiden,
Und Zweige von Tränenweiden.

So wind' ich mir den reichsten Kranz,
Und labe mich an dem bunten Glanz,
Am Duften und am Funkeln,
Am Lichten so wie am Dunkeln.

Oft bind' ich einen kleineren Strauß,
Und wähle seltnere Blumen aus,
Oft wieder will's mir gefallen,
Zu greifen nach allen und allen.

Die Welt ist voll von Blüt' und Sang,
Da wird mir nie vor Mangel bang,
In jedem neuen Lenze
Gibt's schöne Blüten und Kränze.

Gesinnung

Vieles träumt' ich, Vieles lebt' ich,
Was in meinen Liedern tönt,
Nach dem Besten rang und strebt' ich,
Und so bin ich mir versöhnt.

Wird der Meister mir's nicht schelten,
Nenn' ich's köstlichen Gewinn,
Aber höher will mir's gelten,
Labt's den schlichten Menschensinn.

Denn der Perle reine Kläre
Freut des Kenners Blick mit Recht,
Doch das frische Mark der Ähre
Nähret ein gesund Geschlecht.

Uhland

Ein Mann mit einer schlichten Weise,
Mit einem still bescheid'nen Sinn,
Mit klarem Aug' und heller Stirne,
So tritt er freundlich vor dich hin;
Er heißt dich herzlich gern willkommen,
Schmerzt dich auch nicht der Druck der Hand,
Doch wenn der Abschied ward genommen,
Hat Manchen schon sein Kuß gebrannt.

Du suchst sogleich in seinen Zügen
Des Geistes aufgeregte Kraft,
Den innern Sturm, das ew'ge Sehnen,
Die Flut der Dichterleidenschaft,
Du suchst der Träume Glut und Fülle,
Die rastlos ziehn von Ort zu Ort,
Und dir begegnet — ernste Stille
In Blick und Haltung, Mien' und Wort.

Doch wenn du jetzt vom Seesturm redest,
Von Gletschereis und Alpenwand,
Von hohen Burgen, düst'ren Domen,
Von blauem Himmel, grünem Land,
Wenn du der Ehre, Treu' und Liebe,
Des ein'gen Brudersinns gedenkst,
Und deine Red' auf Heimattriebe,
Auf Wohl und Weh der Völker lenkst:

Dann siehst du seine Züge strahlen,
Vernimmst so edler Worte Klang,
Wie er dich oft aus seinen Liedern
Mit wundersamer Macht durchdrang;
Da hörst du Schlachtlärm, schreckenvollen,
Dazwischen Glocken und Schalmei'n,
Lawinen stürzen, Donner rollen,
Und Lerchenwirbel schallt darein.

Das ist des hohen Meisters Sitte,
Der schlicht ist, wie ein Sohn der Alp,
Er spricht nur halb, wenn Andre schwatzen,
Doch fühlt er ganz, was Viele halb;
Und ist so voll der Strom ergossen,
Daß er sein Becken übertritt,
Dann kommt er herrlich hergeflossen,
Und Gold und Perlen führt er mit.

Und wenn sich nun dein Mund erschließet
Zu seiner Sänge Preis und Lob,
Da senkt er still sein Auge wieder,
Das er so flammend erst erhob;
Und wollt'st du ihm den Eichkranz reichen,
Den Deutschland seinen Meistern beut,
Er nähme nur ein Blatt der Eichen,
Und legt' an's Herz es unterm Kleid.

Dichters symbolische Jagd

Im Walde wohnen mir, alle vereint,
Der offene Feind und der falsche Freund,
Versteckt in Federn und Bälgen;
Ich jage sie alle, ich jage sie heut,
Da kann ich doch einmal, vom Zwange befreit,
In Zornesergießungen schwelgen.

Zuerst muß bluten der böse Falk,
Nach Schwächen durchspäht mein Herz der Schalk,
Dort oben zieht er die Kreise;
Er blickt aus den Wolken erhaben herab,
Und schießt dann flugs wie ein Blitz hinab,
Und fängt — armselige Mäuse.

Der eitle Fasan, wie bläht er sich dreist,
Und meint, er hätte den rechten Geist,
Weil gar so modern sein Gefieder;
O schöner Fasan, o du herrlicher Mann,
Wie schmerzt es mich, daß ich nicht anders kann,
Du mußt, wie der Falk, hernieder.

Der Keuler ist ein gar hämischer Wicht,
Er gönnt mir die Luft und das Leben nicht,
Grinst immer, und knirscht mit den Zähnen;
Nun grinse nur, knirsche! hier steh' ich bereit,
Nun weinst du wahrlich in bitterem Leid
Die erste, die letzte der Tränen.

Dort schleicht ein Fuchs aus dem sicheren Bau,
Es ist ein Verleger, ich kenn' ihn genau,
Der fort mir die Hühner getragen;
Ich ziele, ich treffe sein winziges Herz,
Nun sühnt mir sein Balg den Autorschmerz,
Und wärmt mich in frostigen Tagen.

Der Hase, das ist ein Rezensent,
Der kreuz und quer den Wald durchrennt,
Er rümpft zu Allem die Nase;
Er freut sich über des Nächsten Fall;
Nun fall' auch du — ein Druck, ein Knall
Da liegt er, und zappelt im Grase.

So werd' ich los jedweden Feind,
Der's bös mit mir auf Erden meint
In Mienen und Reden und Lettern;
Und wüchse sie stets, die verrät'rische Schar,
So jag' ich das ganze, das ganze Jahr,
Und will sie alle zerschmettern!

Forderungen

          Der Dichter.

Maler, weißt so schön zu fesseln
Manchen flücht'gen Augenblick,
Male mir des Liebchens Treue,
Einen Kuß mir nur zurück.

          Der Maler.

Dichter, weißt so viel zu sagen
Von des Jenseits gold'nem Schein,
Dichte wieder mir in's Leben
Meinen toten Freund herein.

          Der Dichter.

Kann ich auch nicht Tote wecken,
Ist doch Traum mein guter Bot',
Zu dem Freund will ich ihn senden
In das ew'ge Morgenrot.

Warm und treu will ich ihn schildern,
Wie er lebte, wie er war,
Und du hast ihn neu gewonnen
Aus der dunkeln Totenbahr!

          Der Maler.

Kann ich auch nicht Treue malen,
Und den Kuß, wie heiß er brennt,
Will ich doch die Holde bilden.
Wie sie wohl dein Herz noch kennt.

Blickst du dann nach ihren Lippen,
Die sich öffnen, wie zum Gruß,
Rückst du schnell die Zeit zurücke,
Und du fühlst den glüh'ndeu Kuß.

An ***

Manch Geschick erfährt ein Dichter,
Lob und Tadel muß ihm werden,
Denn er hat gar viele Richter,
Viele Sinne gibt's auf Erden.

Hier der Doktor vom Katheder
Preist und schmäht in einem Tone,
Dort ein Knäblein spitzt die Feder
Hoch am Rezensententhrone.

Gnädig stolzes Beifallnicken
Zollt der Autor in der Mode,
Und ein Stümper will ersticken
Schimpfend in Sonett und Ode.

Herrlich! schreit ein Aufgeregter,
Und ein Stutzer ruft: Wie fade!
Leise seufzt ein Überlegter:
Schlechte Reime, schade, schade!

Babylonische Verwirrung
Herrscht im weiten Reich des Schönen;
Läßt durch solche trübe Irrung
Noch sein Lied ein Sänger tönen?

Wahrlich, daß noch Viele singen,
Wie's die Welt auch möge treiben,
Ist, weil von drei schönen Dingen
Immer sie befeuert bleiben.

Eines ist der Drang, der hohe,
Nach dem Edlen, Schönen, Hehren,
Dessen heil'ge Wunderlohe
Dichterherzen treulich nähren.

Dann das Wort der seltnen Meister,
Die Gericht mit Wahrheit üben,
Die, als echt erhabne Geister,
Liebend tadeln, tadelnd lieben.

Dann der Anklang der Gedanken,
So in Lust, als Gram und Schmerzen,
Die, wie Epheu, fest sich ranken
Fest vom Herzen hin zum Herzen.

So auch Dir, der mir gesungen
Den ich nie geschaut auf Erden,
Ist mein Lied an's Herz gedrungen,
Und wir sollten Freunde werden;

Denn du hast erkannt mein Streben,
Dem zur Seit' auch du dich stellest,
Und dein inn'res bestes Leben
Meinem Leben zugesellest.

Mehr als Kränze muß es lohnen,
Wenn, befreundet und verbunden,
Hier und dort uns Edle wohnen,
Die sich treu zu uns gefunden.

Und so sei der Druck der Hände
Herzlich, innig dir erwidert,
Wie ich warme Grüße sende
Allen, uns im Sinn verbrüdert.

Zwei Maler

1.
Bei Nacht, wenn alle Lichter starben,
Wenn Alles ruht vom Tageslauf,
Da gehn mir erst die schönsten Farben,
Die herrlichsten Gestalten auf.

Im Bette sitz' ich da noch munter,
Und stiere schwärmend vor mich hin,
Und Bilder seh' ich bunt und bunter
An meinem Geist vorüberziehn.

Da seh' ich Farbenströme fließen
Durch mein erdämmerndes Gemach,
Und wie sie weitumher sich gießen,
Strömt's immer voller, lichter nach.

Und aus dem reichen Lichtstrom wirren
Sich ros'ge Engelein hervor,
Die flatternd hin und wieder irren
An allen Wänden rings empor.

Und mitten in dem Engelsschwarme,
Den kaum mein trunknes Aug' erst sah
Steht jetzt, das Gotteskind im Arme,
Die süße Himmelsjungfrau da.

Rings um sie her welch bunt Gewimmel,
Welch wunderprächt'ger Bilderkranz!
Die Heil'gen all, der ganze Himmel
In seinem reichsten Farbenglanz!

Hellgoldne Sonnenwolken füllen
Die Halle jetzt mit ihrem Schein,
Und quellen ringsumher, und hüllen
Die himmlischen Gestalten ein.

Und leise ziehn mit schwankem Wiegen
Die goldnen Wolken nun empor,
Und ziehen rascher dann, und fliegen
Von dannen mit dem Himmelschor.

Und um mich her wird's dunkel wieder,
In Nacht liegt Alles eingehüllt,
Und still und freudig blick' ich nieder,
Noch voll von dem entschwundnen Bild.

Mit einem Male seh' ich's tagen,
Ein Talgefilde tut sich auf,
Und Troja's Zinnen seh' ich ragen
Weit in die trübe Luft hinauf.

Und um die Mauern ein Gedränge
Von Griechenvolk in blankem Stahl,
Ein Meer von Menschen, deckt die Menge
Unübersehbar weit das Tal.

Und droben auf der mächt'gen Mauer
Steht Troja's Volk in weitem Rund,
Und blickt in's Tal, halb Grimm, halb Trauer,
Und ringet sich die Hände wund.

Denn dort an jenen schroffen Wänden
Wo sich der Menge Andrang häuft,
Wird von Achill's gewalt'gen Händen
Der Leichnam Hektors hergeschleift.

Und von des Himmels Zinnen schauen
Die Göttinnen und Götter all,
Und freu'n sich ob der Troer Grauen,
Und ob des Helden schnödem Fall.

Und Venus schwebt, von Glanz umlichtet,
Durch leichtes Nebelgrau herein,
Sie sieht den Greuel, und flieht und flüchtet
In's dunkelste Gewölk hinein. —

Die bunten Bilder all' zerrinnen
In ein gestaltlos wüstes Grau,
Verschwunden sind die hohen Zinnen,
Und Himmel, Mauer, Tal und Au.

Und meiner Kammer Wände rücken
Nach jeder Seite weit hinaus,
Und dehnen sich vor meinen Blicken
Zu ungeheuren Bogen aus.

Und schlanke mächt'ge Säulen heben
An beiden Seiten sich hinan,
Und tragen das Gewölb', und streben
Bis an die Riesenkuppel an.

Nur düster ist von Lampenflimmer
Der ferne Hochaltar erhellt,
Indes des Mondes blasser Schimmer
Gefärbt durch bunte Fenster fällt.

Doch plötzlich durch die öden Hallen
Flammt zuckend roter Fackelschein,
Und schwarze Frau'n und Ritter wallen
Mit einem Sarge still herein.

Und stumm und langsam zum Altare
Die bleichen Grabgeleiter ziehn,
Und setzen die geschmückte Bahre
Dort auf die Marmorstufen hin. —

Voll Staunens blick' ich bei dem Flammen
Des Fackellichtes rings herum,
Da stürzt der ganze Bau zusammen,
Und Morgenlicht ist um und um!

Es öffnet sich vor meinen Blicken
Ein weites, offnes, schönes Land,
Fern ragt ein mächt'ger Bergesrücken,
Und eine dräu'nde Felsenwand.

Doch näher her durchkreuzen Haine
Das flache, üppig grüne Feld,
Und Baum und Strauch sind von dem Scheine
Des ersten Morgenstrahls durchhellt.

Ganz nahe dehnt in breiter Fläche
Ein glatter blauer See sich aus,
D'rein stürzen muntre Silberbäche
Mit freudig jauchzendem Gebraus.

Auf blum'ger Wiese grast die Herde,
Auf plattem Steine sitzt der Hirt,
Und schaut mit lächelnder Gebärde
Den Tag, der immer goldner wird.

Die Sonne steigt, die Wellen schwingen
Wie tausend Flammen sich im See,
Und tausend lange Strahlen dringen
In's Tal hernieder aus der Höh'.

Die Ebne glüht, die Berge glänzen,
Die Luft ist eine Strahlenflut,
Bis zu den fernsten Wälderkränzen
Ist Alles, Alles Glanz und Glut. —

Noch starr' ich, voll der höchsten Wonne,
In all' die Herrlichkeit hinein —
Da flieht das Bild — die Morgensonne
Schielt rosig in mein Kämmerlein.

Ich sitze, Fassung mir gewinnend,
Dann spring' ich hurtig auf vom Bett,
Dann steh' ich eine Weile sinnend,
Dann fass' ich Pinsel und Palett.

Und was ich Nachts so groß erblickte,
Das mal' ich nun auf kleinem Raum;
Ein jedes Bild, das euch entzückte,
Der Himmel sandt' es mir im Traum.

2.
Wenn ich spät erwach' am Morgen,
Weil ich schwärmt' im Nachtgelage,
Bin ich nimmer doch in Sorgen,
Was ich mal' am heut'gen Tage.

Denn ich bin nicht von den Tollen,
Die an Träumen sich entzünden,
Nicht von jenen Dünkelvollen,
Die da wähnen zu erfinden.

Nicht in's neblig Wunderbare
Mag ich schwärmend mich verlieren,
Nein, Natur, die ewig wahre,
Will ich treulich nur kopieren.

Und Natur zu suchen geh' ich
Ganz behaglich aus dem Hause,
Vor den Marktplatzbuden steh' ich,
Dränge mich durch's Volksgebrause.

Horch, da lockt in eine Schenke
Mich das Lärmen und das Johlen,
Bunte Meng' ist da — ich denke
Hier ein gutes Bild zu holen.

Welch ein Wirt mit grüner Mütze,
Mit dem echten Prellerzuge!
Wie die rote Nasenspitze
Feucht er heimbringt aus dem Kruge!

Neben ihm ein ries'ger Bauer,
Scharf ist seines Auges Schimmer,
Wilder, struppiger und rauher
Sah ich Bart und Haar noch nimmer.

Weiter dann ein finst'rer Junge,
Mit dem Taschenmesser spielend,
Und mit ihm in raschem Schwunge
Nach der Flieg' am Tische zielend.

Ha, ich hab's! die guten Leute
Sollen mir als Räuber glänzen,
Und für Anteil an der Beute
Muß der Wirt den Wein kredenzen.

Dort der Kärrner in der Ecke
Mit den pfiffig schlauen Mienen
Wird als Führer zum Verstecke,
Und als Hehler trefflich dienen. —

Im Portefeuille mit raschen Strichen
Steht der Grund zu meinem Werke,
Leis dann bin ich fortgeschlichen,
Daß den Streich das Volk nicht merke.

Aber auf der Straße plötzlich
Bleib' ich stehn mit starrem Blicke;
O wie malerisch ergötzlich
Lehnt ein Bettler auf der Krücke!

Dienend ihm zum zweiten Stabe,
Und ihn nötend sich zu setzen,
Steht ein kranker blasser Knabe,
In gar köstlich alten Fetzen.

Und vor Beiden halb verhungert
Liegt ein alter dürrer Bracke,
Der mit matten Augen lungert
Nach dem Brot im Bettelsacke.

"Alter Mann, ich muß dich malen!
Bleibe stehn, so wie du stehest;
Knab', hab' Acht, gut will ich zahlen,
Wenn du dich nicht neigst noch drehest."

Und der Alt' und Junge raunen
Staunend sich was zu, und nicken,
Und ich eile, dieses Staunen
Gleich im Bild auch auszudrücken.

Ganz genau, bis in das Feinste,
Zeichn' ich Zug für Zug mir Beide,
Ja, das unbedeutend Kleinste
Auf dem Stiefel, Hut und Kleide;

Nicht die Räud' am Hund vergess' ich,
Und den Schlund, den zähnelosen,
Selbst den Riß, den langen, mess' ich
An des Knaben Hinterhosen.

"Hier das Geld! die Skizz' ist fertig,"
Auf dem Stein die Münzen klingen,
Und ich geh', des Lobs gewärtig,
Das mir dieses Bild muß bringen

Aber schon nach hundert Gängen
In dem nahen Seitengäßchen
Bleibt mein schweifend Auge hängen
An dem feinsten aller Späßchen.

Aus dem Fenster einer Hütte
Hängen alte bunte, Kleider,
Drinnen in der Lumpen Mitte
Näht ein abgelebter Schneider.

Draußen steht sein junges Weibchen
Auf der Hausbank auf den Zehen,
Streckt und dehnt ihr schlankes Leibchen,
In's Gemach hinein zu sehen.

Und sie spitzt die holden Lippen
Ihrem Ehgespons entgegen,
Der sich eilt, hinwegzunippen
Den gebotnen Liebessegen.

Aber leise zu dem Bänkchen
Ist ein Stutzerlein geschlichen,
Hat, bedenkend g'rad ein Schwänkchen,
Schmunzelnd sich den Bart gestrichen,

Hat an diesen zarten Füßchen
Schon verloren seine Ruhe,
Und ein heimlich stilles Küßchen
Drückt er auf die grünen Schuhe.

Seitwärts schielt das Weibchen nieder,
Droht nur leise mit dem Finger,
Und beherzter koset wieder
Ihr galanter Herzbezwinger. —

Ha, ein Schauspiel für die Götter!
Welch ein Bildchen wird das geben!
Welche Wahrheit! Blitz und Wetter!
Ganz modernes, frisches Leben!

Heimwärts eil' ich mit den Stoffen,
Mal' in frischen Farben zierlich,
Und das Weibchen, ganz getroffen,
Steht vor mir schon recht possierlich.

Und die Räuber, reizend gräulich,
Sieht man schon im Kreis sich heben,
Und der Bettler, schön abscheulich,
Scheint fürwahr im Bild zu leben.

Eh' der Wochen drei vergehen,
Wird an Ecken und in Blättern,
"Daß drei Bilder sind zu sehen,"
Annonciert mit großen Lettern.

Und die Kenner kommen alle,
Und die kunstverständ'gen Basen,
Und die Stutzer auch im Schwalle,
Brillen vor und auf den Nasen.

"O charmant!" ertönt das Rufen
Ganz begeistert und verwundert,
"Stieg die Kunst um fünfzig Stufen
Nicht im neunzehnten Jahrhundert?

Ehmals Dunkel, Kält' und Steife,
Alles Wärme jetzt und Klarheit,
Alles jetzt, als ob man's greife,
In dem Genre, welche Wahrheit!"

Nach der Szen' am Kleiderkrame
Greift ein Herr von sechzig Jahren,
Eine nervenschwache Dame
Will für sich die Räuber wahren.

Für den Bettler mit dem Sacke
Hat ein Junker sich gefunden,
Weil so treu gemalt der Bracke,
Und ein Freund er sei von Hunden.

Gut Geschäft! ein tausend Taler
Streich' ich ein, und leb' als Prasser;
Wär' ich ein Historienmaler,
Äß' ich Brot und tränke Wasser.