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Natur und Liebe 2
 

Der Rhonegletscher
Auf dem Vierwaldstätter See
Auf dem Gotthard
Liebesunglück
Gefühlswechsel
Adler und Lerche
Des Greises Trauerlied
Keim und Kind
Der Unheilbare
Vorbild
Wiegenlied
Frohsinn
Das erste Veilchen
Lerche und Seele
Wasser

Der Rhonegletscher


   Ich hatte längst dich liebgewonnen,
Geschäftig waltende Natur,
In deinen Blumen, Sternen, Sonnen,
In deinen Quellen, deiner Flur;
Und so mich schweres Leiden drückte,
Und arm ich war, dem Ärmsten gleich,
Wenn ich in deinen Reichtum blickte,
Da war ich gleich auch wieder reich.

   So bin ich denn hinaufgezogen
Bis an der Erde höchste Höh'n,
Dort oben in dem blauen Bogen
Dein Wirken, Herrliche, zu seh'n;
Ich ließ den Wassersturz zur Seite,
Ich flog vorbei am blüh'nden Hang,
Hinauf, und höher stets in's Weite
Trieb mich der Sehnsucht heißer Drang.

   Doch immer mehr begann zu zaudern
Der kurz vorher noch flinke Schritt,
Ich sah um mich, und sah mit Schaudern
Ein öd'res Land bei jedem Tritt;
Da war nur Steingeröll' und Klippe,
Was rings sich bot zu banger Schau,
Vergilbtes Gras am Felsgerippe,
Sonst Alles kahl und nackt und grau.

   Und trauernd klagt' ich: "Glühend Streben,
Wie täuschtest grausam du mein Herz,
Ich finde Tod, und suchte Leben,
Ich suchte Lust, und finde Schmerz!"
Ich rief's, und innerlich erbittert
Klomm ich zum Gipfel, der schon nah',
Und blickte auf, und wie erschüttert
Vom Schlag des Donners stand ich da.

   Denn unter mir in Stundentiefe
Lag Eis, getürmt zu mächt'gen Höh'n,
Als ob allhier der Winter schliefe,
So wahrlich war es anzuseh'n,
Und wundersam im Sonnenscheine
In Gelb und Blau und Grün und Weiß,
Wie Millionen Edelsteine,
So flammt' und flimmerte das Eis.

   Auch rief ich nun: "Ich Tor der Toren!
Die höchsten Kräfte klagt' ich an;
Sie, die so Herrliches geboren,
Hat dieses Wunder auch getan,
Und bildet sich, gewohnt zu wirken,
In diesem öden Felsverlies,
In diesen eisigen Bezirken
Aus Frost ein neues Paradies.

   Und wo kein Baum, erquickt vom Strahle,
Kein Strauch lebt, keine Stimme schallt,
Schafft sie aus Eis sich Berg' und Tale,
Und Kluft und Eb'ne, Busch und Wald,
Und läßt Paläste mitten innen
Und Türm' und Warten sich erbau'n,
Die mit den Gold- und Silberzinnen
Die selt'ne Schöpfung überschau'n.

   Und, daß sie auch der Drang erfülle,
Zu nützen all und überall,
So rieselt aus der schnee'gen Hülle
Die rege Flut in stetem Schwall,
Und stürzt hinunter in die Lande,
Und schwillt, und stärkt sich mehr und mehr,
Und schlingt, als Strom, die Segensbande
Um viel beglückte Fluren her."

Auf dem Vierwaldstätter See

"Ei, braust nicht so, ihr Wellen
In wild empörtem Drang,
Unbändige Gesellen,
Bezähmet den wüsten Hang.

Denn wißt, ein Dichter bin ich,
Der euch besingen will,
Und euch zu schmähen sinn' ich,
Seid ihr auf mein Wort nicht still."

Ich rief es, doch in den Fluten
Ward ärger das Gebraus,
Ich meine, die leichtgemuten
Lachten mich weidlich aus.

Und höher und höher wieder
Stieg jetzt der See hinan,
Wir schwankten auf und nieder
Im engen schaukelnden Kahn.

Da erblickt ich Tell's Kapelle
Am schroffen Felsenstrand,
Und lauter rief ich, zur Welle
Gebieterisch hingewandt:

"Bei Teil dem edlen Helden,
Der einst bezwungen euch,
Bei ihm, den die Lieder melden,
Ihr Wogen, werdet gleich!"

Kaum war das Wort gesprochen,
Da sank des Wassers Wut,
Der Sturm, er war gebrochen
Und eben glänzte die Flut. —

Wird so von Wellen und Winden
Der Landesheld verehrt,
Wo wär' ein Herz zu finden,
Das gleiches Los nicht begehrt!

Auf dem Gotthard

                        Kennst du den Berg und seinen Wolkensteg?
                        Im Nebel sucht das Maultier seinen Weg,
                        In Höhlen wohnt der Drachen alte Brut,
                        Es stürzt der Fels, und über ihn die Flut.
                                                                           Goethe


Das ist der Berg mit seinem Wolkensteg,
Von dem so oft des Jünglings Sehnsucht träumte;
Hinan, mein müder Fuß, nun sei nicht träg',
Ein Frevel war's, wenn hier ich rastend säumte.
Ich steig' empor — schon atm' ich eine Luft,
Die erst die Brust beengt, und dann erweitet;
Welch Weh'n um mich, welch dichter feuchter Duft,
Der ringsumher den düst'ren Fittig breitet!
Ist's Tag, ist's Nacht, was hier ich zweifelnd schau'?
Ein trübes Hell, ein schimmernd Dämmergrau,

Das Maultier sucht' im Nebel einst den Weg
Durch's Labyrinth zerworf'ner Klippenmassen,
Bald sann der Geist des Menschen, immer reg',
Den toten Stein mit Lebenskraft zu fassen;
Der Hammer klang, des Pulvers Donnerknall
Scholl hundertfach in allen Felsengrüften,
Hier sank ein Berg, dort türmte sich ein Wall,
Und eine Straße führt nun ob den Klüften;
Das Saumroß trabt bequem vor mir dahin —
Könnt' ich mit ihm in's Land der Blüten zieh'n!

In Höhlen wohnte hier der Drachen Brut,
Die Sag' erzählt's, noch tönt sie schreckend wieder,
Der Lindwurm, lauernd auf des Wand'rers Blut,
Schoß feuerspei'nden Rachens auf ihn nieder;
Ein neu Geschlecht hat mit gewalt'ger Hand
Der Ungetüme Raubgezücht geschlagen,
Von banger Sorge frei ist nun das Land,
Ich weiß es wohl, doch faßt mich heimlich Zagen;
Mich treibt's vorbei mit abgewandtem Blick,
Ich eil' empor, und späh' dann scheu zurück.

Es stürzt der Fels, und über ihn die Flut,
Zu meinen Füßen hin unaufgehalten,
In unwillkommnen Becken schäumt sie Wut,
Nichts widersteht den schwellenden Gewalten;
Was sie begegnet, reißt im Flug sie mit,
Sie weiß durch alle Pforten sich zu drängen,
Doch wenn zuletzt in's Blumental sie tritt,
Jauchzt sie der Freiheit Lob in mächt'gen Klängen,
Und ringsum stimmen Lieder und Schalmei'n
Ins hohe Lied der freud'gen Wellen ein.

Liebesunglück

1.
Die Liebesrose

Mir blühet eine Liebesrose
Der Blum' im Zaubergarten gleich,
Doch ist es keine dornenlose,
An Dornen, ach, nur allzu reich.

Die steh'n wie Schwert und Dolch im Bunde,
Zu strafen frevlen Liebesmut,
Und jeder Kuß gilt eine Wunde,
Und jedes Fassen kostet Blut.

Viel andre Blumen seh' ich blühen,
Und sie zu pflücken hab' ich Wahl,
Doch immer treibt mich innres Glühen
Zur Rose, zur geliebten Qual.

Ich schlürf' aus ihres Kelches Bornen
Den Wonnetau, den süßen Schmerz,
Und drücke sie samt allen Dornen
Mit Wollust an mein leidend Herz.

2.
Wäre es nicht!

Wäre nur nicht das Sehnen
Hinaus in ferne Weiten,
Wäre nur nicht das Dehnen
Der Stunden zu Ewigkeiten!

Wäre nur nicht das Stürmen
Im hochaufwallenden Herzen,
Wäre nur nicht das Türmen
Wachsender Zweifelschmerzen;

Pocht' es nur nicht so heftig
Tief in des Busens Räumen,
Wirkte nur nicht so geschäftig
Die Wonn' in lieblichen Träumen;

Dann wäre der Streit geschlichtet,
Dann wär' ich still und ergeben,
Dann aber wär' auch vernichtet
Mein Lieben, mein Hoffen, mein Leben!

3.
Hartnäckiges Hoffen

Ich bin bis in den Tod betrübt,
Die Lust ist all von hinnen,
Denn was so heiß die Seele liebt,
Ich soll es nicht gewinnen;
Und ach, es ist so schön und hold,
Ein Herz so rein wie laut'res Gold,
Und Perlen ruh'n darinnen.

Ich bin bis in den Tod betrübt,
Wollt lieber gleich verblassen,
Denn was so heiß die Seele liebt,
Ich kann's, ich kann's nicht lassen;
Und rannen mir die Augen aus,
Und häufte rings sich Schreck und Graus,
Noch müßt' ich Hoffnung fassen.

Ich bin bis in den Tod betrübt,
Der Tag will mir sich nachten
O du, der alle Wesen liebt,
Du kennst mein einzig Trachten;
Laß lächeln mir dein Angesicht,
Gib mir mein Heil, und laß mich nicht
In Qual und Pein verschmachten!

4.
Heilung

O Liebe, wie mit Frührotschein
Hast du mich einst durchhellt,
Du tauchtest mir in Purpur ein
Die sonst so düst're Welt;
Weit aufgetan war dann mein Blick,
Befriedigt jeglich Sehnen,
Und Alles, Alles nannt' ich Glück,
Selbst Tränen.

O Liebe, wie mit Winterfrost
Behauchst du nun mein Herz,
Du gibst mir Gram zur Mittagskost,
Zum Abendmahle Schmerz;
Der Tag ist ohne Rast und Ruh',
Fort schreit ich, hin durchs Trübe —
Wann endest deine Marter du,
O Liebe!

Ich weiß, wann du es enden wirst,
Mein Sehnen und mein Leid:
Wenn mir das Herz im Leib zerbirst,
Und sinkt mein Staubeskleid;
Dann ist's mit allem Schmerz vorbei,
Mit unerstilltem Triebe,
Dann schwebt gen Himmel froh und frei
Die Liebe!

5.
Der vertriebene Lenz

Jüngst kam der Lenz vor meine Türe,
Wie er in jedem Jahr getan,
Er ließ ein Lerchenlied erschallen,
Mit einem Veilchen pocht' er an.

Da sprang die Tür fast aus den Angeln,
Es wehte laue Luft herein,
Und, schwebend auf den Blumenfüßen,
Trat Lenz der Freudenbote ein.

"Willkommen," sprach er, "sei willkommen,
Sieh', meinen Freund vergess' ich nicht,
Gabst du doch immer mir zum Gruße
Ein heit'res Lied, ein froh Gedicht.

Du hast gewiß schon eins gesungen,
Und sangst du's nicht, so ward's gedacht;
Gib denn dein Lied, ich gebe wieder
Dir meines Reiches vollste Pracht."

Als so er sprach, da fühlt' ich Tränen
Mir rinnen über's Angesicht —
"Du willst ein Lied, das dir gefalle?
O guter Lenz, das hab' ich nicht.

Die schönen Tage sind vorüber,
Da ich dir heit're Weisen sang'
Bestäubt, verwaist ist meine Laute,
Und unerfreulich tönt ihr Klang."

Wild stürmend fuhr ich in die Saiten,
Gell scholl es wie ein Jammerschrei,
Die Laute dröhnte dumpf und schütternd,
Die Saiten sprangen all entzwei.

Und plötzlich war der Lenz entschwunden,
Ich saß versunken, stumm, allein,
Und draußen sang und grünt' und blüht' es
Im hellsten gold'nen Sonnenschein.

6.
Ungelegene Teilnahme

Daß man üb'rall doch begegnet
Frohen, überfrohen Leuten!
Ich vergönn' euch's, seid gesegnet,
Aber laßt mich weiter schreiten.

Haltet mich nicht auf mit Fragen,
Was im schönen Lenz mich trübe,
Wollt mich nicht mit Anteil plagen,
Martern mich mit eurer Liebe.

Aber ihr auch, meine Brüder,
Schmerzgefährten, Unglücksöhne,
Späht mir nicht zum Herzgrund nieder,
Sucht den Quell nicht meiner Träne.

So geneigt ihr's eben meinet,
Und so tief ihr kennt die Schmerzen,
Anders doch mein Leid euch scheinet,
Als es steht in meinem Herzen.

Laßt mich — eure Wege gehet,
Und ich will den meinen wandern;
Denn, wie Lust nicht Leid verstehet,
So versteht kein Schmerz den andern.

7.
Kampf vor Ruhe

Zu ringen mit den Mächten,
Die Unheil uns bereiten,
Das ist dem Mann, dem echten,
Oft ein willkommnes Streiten;
Erlöst von bangem Krampfe,
Wie wird die Brust erweitert,
In freiem off'nem Kampfe
Die rechte Kraft geläutert.

Doch ruhig still zu liegen,
Vom Schicksal längst gerichtet,
In Stumpfheit uns zu wiegen,
Bis uns ein Schlag vernichtet,
Zu harren, Schmerz verhehlend,
Bis uns der Schmerz zerquäle,
Das ist das wahre Elend
Für eine Männerseele.

Das Schiff im Sturmgetose
Fährt hin in kühnem Streben,
Es würfelt um die Lose,
Es ringt um Heil und Leben
Mit Riffen und mit Klippen,
Mit Winden und mit Wellen,
Bis seine harten Rippen
Am härtern Fels zerschellen.

Doch wenn es nun entmastet
Fort treibt auf ruh'gem Meere
Ein Wrack, entmannt, entlastet,
Ein Leeres in der Leere:
Dann ist's dem Schiff am besten,
Der Flut sich voll zu trinken,
Und mit den armen Resten
Zum Grund hinab zu sinken.

8.
Spätes Erkennen

Mir träumt', ich läg' im Grabe
Recht tief und still und kühl,
Doch konnt' ich noch immer denken,
Und hatte noch Gefühl.

Und über mir am Hügel
Vernahm ich leisen Tritt,
Und eine liebliche Stimme,
Die aus zitternden Lippen glitt:

"Hier klag' ich an deinem Grabe,
Und möchte mit dir ruh'n,
Den Lebenden nicht verstand ich,
Den Toten versteh' ich nun.

O daß ich dich wecken könnte,
Und drücken an mein Herz,
Das sollte dann glüh'n und brechen
Vor Lust und Reueschmerz!"

Sie schluchzte laut und lauter —
Da war ich vom Traum erwacht;
Doch seufzt' ich und weinte bitter
Die ganze lange Nacht.

9.
Ehmals und Jetzt

Ehmals, wenn der Sonne Strahl
Aus dem Morgengrau erblühte,
Und entflammt mit einem Mal
Land und Flut und Himmel glühte,
O wie blickt' ich frisch und frei
Über all den Glanz der Erde,
Als ob mein das Alles sei,
Und es ewig bleiben werde.

Jetzt, wenn Morgenrot erscheint,
Will's mich wie mit Blindheit schlagen,
Denn das Aug', das Nachts geweint,
Kann den Schimmer nicht ertragen;
Und die bunte Erdenzier
Scheint mir nur dazu geschaffen,
Sich zu bergen unter ihr,
Um dem Tag sich zu entraffen.

Ehmals, wenn des Mondes Licht
Alles rings mit Silber stickte,
Und das klare Angesicht
Wie verheißend niederblickte,
O wie ward's in meiner Brust
Voll von Träumen, süßen, linden,
Engelsglück und Himmelslust
Konnt' ich ahnend vorempfinden.

Jetzt, wenn hoch der Mond erprangt,
Regt er alle tiefsten Schmerzen,
Jeder Strahl gehässig langt
Wie ein Schwert nach meinem Herzen;
Wie ein kalter Vampir tut,
Will der Mond mir Kraft entsaugen,
Aus den Adern heißes Blut,
Heiße Tränen aus den Augen.

10.
Kraft im Leiden

Wer auf der Folter läg', und könnte singen,
Wer über'm Abgrund hing', und könnte lachen,
Wer scheiterte im Sturm, und unter'm Krachen
Der Maste fröhlich ließ' die Zither klingen,

Wer ruhig bliebe in der Boa Ringen,
Und unerschüttert in des Kaiman Rachen,
Wer schrecklos wär', erfaßt vom Zahn des Drachen,
Der — wär' ein Meister in Entsetzensdingen.

Wer aber das nicht kann, der soll nicht sagen,
Ich sei zu feig, mein Schicksal zu ertragen
Mit festem Sinn und ungebeugtem Mute;

Denn all' die Greuel, die ich einzeln künde,
Sind schwaches Bild, der Qual, die ich empfinde,
Und doch an ihr noch immer nicht verblute.

11.
Wunsch

Daß Brücken unter mir krachten,
Über mir splitterten Eichen!
Viel lieber, als auf der verflachten
Traurigen Heide zu schleichen.

Daß alle Glieder mir wären
Voll tiefer klaffender Wunden!
Besser, als Gram zu nähren,
Von welchem nie zu gesunden.

Träf' eine Kugel die Stirne,
Und bräche des Geistes Schranken!
Besser, das Blei im Gehirne,
Als hoffnungslose Gedanken.

12.
Schlimmster Zustand

Als mir versunken des Lebens Lust,
Da rang ich die Hände, zerschlug mir die Brust,
Ich fluchte mir selber, ich rief um den Tod,
Doch war meine Not nicht die härteste Not.

Dann seufzt' ich am Tage, und weint' in der Nacht,
Ich klagte sie an, die mich elend gemacht,
Ich jammerte, jammerte, immer erneut,
Doch war mein Leid nicht das schwerste Leid.

Ich seufze nicht mehr, ich klage nicht mehr,
Mein Aug' ist kühl und tränenleer,
Die Brust scheint ehern, das Herz ein Stein
Und nun ist die Pein die gräßlichste Pein.

13.
Rechtfertigung

Ich weiß, es gibt der Dichter viel,
Die Schmerz sich schaffen wie zum Spiel,
Die händeringen, seufzen, weinen,
Um Schicksalsmärtyrer zu scheinen,
Und deren Lied ertönt so bang
Wie dumpfer Grabesglockenklang.

O wer da kennt, was Leiden sind,
Spielt nicht mit ihnen wie ein Kind;
Der höchste Schmerz, der bitt're, scharfe,
Klingt unschön auch zur Laut' und Harfe,
Als sänge, sinneswirr und krank,
Ein Dulder auf der Folterbank.

So klingt mein Lied auch oft zu rauh,
Mir ist es klar, ich fühl's genau;
Doch ist's heraus, es ist gesungen,
Ist tief aus tiefster Brust gedrungen,
Ein laut geword'ner wilder Schmerz, —
Er geh' denn hin, und such' ein Herz;

Kein solches, das, von Gram durchwühlt,
Das eig'ne Leid im fremden fühlt,
Nein, ein's, das einst auch krank gewesen,
Und nun erkennt, es sei genesen,
Weil es, vom Frost der Ruh' gestreift,
So große Qual nicht mehr begreift.

Gefühlswechsel

Oft faßt mich allmächtig gewaltiges Sehnen,
In's All mich hinaus, in das Weite zu dehnen,
Die Wolken zu küssen, den Meergrund zu schau'n,
Der Erde unzählige herrliche Au'n,
Zu berühren den Mond, an die Sterne zu fühlen,
Und mitten im Kerne der Erde zu wühlen,
Zu starren im Fels, in der Blume zu blühn,
Und in der flutenden Welle zu ziehn,
In der Flamme zu prasseln, im Lichte zu leuchten,
Zu dörren im Strahl, und im Tau zu befeuchten,
Im Reh zu hüpfen, im Vogel zu singen,
In der Pflanze gärend empor zu dringen,
Zu durchwallen den Himmel, den Erdenball,
Das All in Jedem, und Jedes im All.

Doch plötzlich stirbt der mächtige Drang,
Mir wird so öde, mir wird so bang,
Es scheint mir Alles so riesig weit,
Die Stunde wird mir zur Ewigkeit;
Allüberall such' ich und find' ich Schranken
Für das Herz, für den Traum und für den Gedanken.
In einen Raum, mit Spannen zu messen,
Möcht' ich mich schmal zusammenpressen,
Ich möchte liegen im Totenschrein,
Schlafen, und glücklich im Schlafen sein.

Und wieder verschwindet auch diese Lust,
Nicht enge ist mir, nicht weit die Brust,
Ich sehne mich nimmer in's All hinaus,
Nicht nieder in's dumpfige Totenhaus,
Ich fühle kein fremdes Drängen und Streben,
Hell scheint mir die Sonne und helle das Leben;
Ich schlürfe die Lüfte in mächtigen Zügen,
Und fühl' ein innig behaglich Genügen;
Was ringsum ich sehe, kann mich erfreun,
Ich weiß nichts zu wünschen und nichts zu scheun;
Das rechte Maß hab' ich gefunden,
Genesen sind all' meine Sehnsuchtswunden,

Adler und Lerche

Adler, ich seh' von der Erde dich fliehn,
Adler, Adler, wo steigst du hin?
         "Ich steige zur Sonne
         Mit keckem Mut,
         Und sauge voll Wonne
         Die himmlische Glut,
         Und wiege mich droben
         Im goldenen Schein,
         Es winken nach oben
         Die Flächen so klein.
         Da schau ich hernieder
         Zum Erdenschoß,
         Und schaue wieder,
         Und fühle mich groß.
         Ach, währte doch immer
         Das stolze Glück,
         Ach, müßt ich doch nimmer
         Zur Erde zurück!"

Lerche, ich seh' von der Erde dich fliehn,
Lerche, Lerche, wo steigst du hin?
         "Ich steig' in die Lüfte,
         Von Lust durchglüht,
         Und atme die Düfte,
         Und singe mein Lied,
         Ich schaue die Felder
         Tief unter mir,
         Dort schattige Wälder,
         Und Wiesen hier,
         Und Flüsse, glühend
         Im Morgenglanz,
         So schön und so blühend
         Die Erde ganz!
         Da zieht es mich nieder
         Vom Himmelsgezelt,
         Da berg' ich mich wieder
         Im Saatenfeld."

Des Greises Trauerlied

Einst saß ich in silbernem Mondenglanz,
Mir wehten die Locken im Ringeltanz,
Ich dacht' an der Minne Qual und Lust,
Gleich klang es mir leise tief in der Brust,
Und wie ich die Klänge fügte und schied,
Ward d'raus ein Lied.

Ich sang das Lied dann jeglichen Tag,
Ich sang's in der Hütt' und beim Fürstengelag,
Und Allen perlten die Tränen mild,
Und Jeder umschloß sein Liebesbild,
Nur ich, ich weinte still und allein
In die Harfe hinein.

Nun sitz' ich wieder im Mondenstrahl,
Die Haare silbern, das Antlitz fahl,
Denk' wieder der Minne Qual und Lust,
Gleich wird mir so leer und so öde die Brust,
Und wild in die Saiten ruf' ich hinein:
Allein! allein!

Keim und Kind

Wenn ich den kleinen Keim betrachte,
Aus dem einst frisch die Pflanze dringt,
Aus dem, wenn Lenzesglut erwachte,
Die holde Blume sich entschwingt,
Aus dem ein Heilkraut sich entfaltet,
Aus dem ein Fruchtbaum sich erhebt,
Aus dem die Eiche sich gestaltet,
Die riesig gegen Himmel strebt:

Dann tief im innersten Gemüte
Bestaun' ich still die hohe Kraft,
Die Frucht erweckt aus Knosp' und Blüte,
Im Kleinsten wirkt, und Größtes schafft;
Und allen Keimen wünsch' ich Segen,
Und guten Grund in Feld und Au,
Und Sonnenschein und milden Regen,
Und warme Nächt' und kühlen Tau.

Doch wenn ein holdes Kind ich sehe,
Gewiegt von treuer Mutterhand,
Halb ist's noch in des Himmels Nähe,
Noch Gast und Fremdling unserm Land;
Ein tief Geheimnis dieser Erden,
Das erst die Zukunft einst erklärt,
Ein Rätsel, eine Welt im Werden,
Die im Gestaltungskampfe gärt:

Wenn ich es seh', ein solches Wesen,
Da faßt ein Sturm mich von Gefühl,
In seinen Zügen möcht' ichs lesen,
Was einst sein Los im Weltgewühl;
Wird's glücklich sein, wird's Glück gewähren?
Das Aug', das jetzt so selig lacht,
Wird's nicht, erfüllt von bittren Zähren,
Durchwachen manche lange Nacht?

Das Kind, wenn Mann einst, wird es wirken
Für's Heil der Menschheit ernst und kühn,
Wird's, wenn es Weib, in den Bezirken
Des engern Hauses freudig blühn?
Wird's nicht vielleicht die Welt erschüttern,
Vielleicht vergessen untergehn,
Wird man es lieben, vor ihm zittern,
Wird auch ein Herz sein Herz verstehn?

O Weisheit, die du Knospenkeime
Bewahrst vor Frost und vor Gewürm,
Noch mehr als Pflanzen, Blumen, Bäume,
Bedarf das Kindlein deinen Schirm;
Ist es bedroht von Unglücksblitzen,
Dann nimm es lieber wieder heim,
Doch winkt ihm Heil, so woll' ihn schützen
Den kleinen großen Menschenkeim!

Der Unheilbare

Freunde, sagt, was ich beginne,
Daß mir Trost und Ruhe werde?
Seit gestorben mir die Minne,
Ward ich fremd auf dieser Erde.

"Stürze dich in's Weltgetümmel!"
Ach, das hilft nur eine Stunde;
Aus dem farbigen Gewimmel
Bring' ich heim die alte Wunde.

"Geh' nach andern muntern Dirnen!"
Nein! umsonst ist solches Zwingen,
Find' ich sie auf fremden Stirnen?
Kann die Täuschung mir gelingen?

"Können Freunde dir nicht frommen?
Kleiner, armer Trost des Armen!
Da die Sonne mir verglommen,
Soll an Sternen ich erwarmen?

"Magst du nicht die Leier üben?"
Weh! ich muß die Saiten missen,
Von den Fingern meiner Lieben
Sind sie grausam all' zerrissen.

"Wandre fort aus deinem Hause!"
Kann ich denn aus ihren Nähens
Tagelang aus meiner Klause
Muß ich nach der Falschen spähen.

"Nun, so bleibe deinen Schmerzen,
Da du feind bist den Arzneien,
Solchen liebesiechen Herzen
Kann auch nimmer was gedeihen.

Bis die Qualen matt dich quälen,
Und die Kräfte dich verlassen,
Wirst du, ohne nur zu wählen,
Schnell das erste Mittel fassen."

Vorbild
Geschrieben am Hallstädter See

Du stiller See mit deinem weiten Bogen,
Sag', wie beginnst du's, immer grün zu bleiben,
Ob, wühlend auch in deinen glatten Scheiben,
Manch schwarzer Bergstrom rasend kommt geflogen?

Manch scharfer Kiel zerschneidet deine Wellen,
Vom Hochgebirge schwere Felsenschollen
Herunter in dein weiches Bette rollen,
Daß ächzend rings empor die Fluten schnellen.

Und dennoch wandelt nie sich deine Farbe,
Du trägst die Hoffnung stolz auf deinem Rücken,
Und ob der Fels herniederbräch' in Stücken,
Dir bleibt von seinem Sturz doch keine Narbe. —

Ihr Kranken, deren Stirnen Falten tragen,
Und deren Wunden immer frisch erbluten,
Rafft euch, hinaus, und seht die stillen Fluten,
Und hört dann auf zu jammern und zu klagen.

Wiegenlied

In der Wiege
Liege, liege,
In der Wiege ruht sich süß,
Alles mußte drinnen liegen,
Alles Große ist gestiegen
Aus dem Wiegenparadies.

Eine Wiege,
D'rin er liege,
Ist dem Freund des Freundes Brust,
Sind dem Mann der Gattin Arme,
D'rin er schlummert, frei vom Harme,
In der höchsten Liebeslust.

Eine Wiege,
D'rin er liege,
Sucht der Greis nach langem Leid,
Eine Wiege, von den Lasten
Schwerer Tage auszurasten,
Zu vergessen Kampf und Streit.

Sind's nicht Wiegen,
D'rin sie liegen,
Die der Erde Qual besiegt?
Ja, sie sind nach Lust und Schmerzen
Mit dem ausgestürmten Herzen
In die Ruhe eingewiegt.

In der Wiege
Liege, liege,
In der Wiege schlummre gern,
Finde künftig immer Wiegen,
D'rin in Fried' und Ruh' zu liegen,
Und die letzte sei dir fern!

Frohsinn

Vor meinem Fenster stehn zwei Apfelbäume,
D'ran weid' ich mich so gern im jungen Lenze,
Wie strahlen da die zarten Blütenkränze,
Wie würzt ihr Duft ringsum die blauen Räume.

Im Sommer winken mir mit frohem Neigen
Rotwangig her die glutgereiften Früchte,
Wie spielet da in ros'gem Abendlichte
Der laue Westwind mit den schweren Zweigen.

Und wenn der Herbst hereinbricht, der Verwüster,
Dann mag ich eben gern die Blätter sehen,
Die, bunt gefärbt, vom Wipfel niederwehen,
Und heiter werd' ich eh', als trüb' und düster.

Und wenn der Winter dann mit eis'gen Flocken
Die kahlen Äste silbern überstreuet,
Da träum' ich sie von Blüten überschneiet —
So spinn' ich Frohsinn mir aus jedem Rocken.

Das erste Veilchen

Als ich das erste Veilchen erblickt,
Wie war ich von Farben und Duft entzückt!
Die Botin des Lenzes drückt' ich voll Lust
An meine schwellende, hoffende Brust.

Der Lenz ist vorüber, das Veilchen ist tot;
Rings steh'n viel Blumen blau und rot,
Ich stehe inmitten, und sehe sie kaum,
Das Veilchen erscheint mir im Frühlingstraum.

Lerche und Seele

Noch im Schlummer liegt die Welt,
Kaum erst graut der Morgen,
Schon entschwingt sich Lerche dem Feld,
D'rin sie war geborgen.

Wie du früh am Tagwerk bist!
Arbeit ohne Beschwerde,
Die ein ewiges Schweben ist
Zwischen Himmel und Erde.

Trillernd, jubelnd steigst du auf,
Sachte sinkst du nieder,
Und du endest den kühnen Lauf
Immer am Boden wieder.

Oben bist du doch nur ein Gast,
Bist an den Grund gekettet,
Wo du ein grünes Plätzchen hast,
D'rin du dich weich gebettet

Meine Seele, wie gleichest du
Dieser Lerch' im Leben,
Denn auch du mußt ohne Ruh'
Auf- und niederschweben.

Wenn auch sonnenwärts in Luft
Oft du dich schwingest munter,
Immer geschieht es, daß du mußt
Wieder bald herunter.

Lassen kannst du das Fliegen nicht
Hin, wo die Sterne winken,
Reinere Luft und helleres Licht
Mußt du zuweilen trinken;

Doch bis an das höchste Ziel
Nicht vermagst du zu dringen,
Denn es hängt dir all zu viel
Irdischer Staub an den Schwingen.

Zwischen Himmel und Erde so
Bleibst du in stetem Wandern,
Bist des Einen selig froh,
Und erfreust dich der andern.

Einst fällt aller Ballast von dir,
Himmelan wirst du schweben,
Aber hier genüge dir
Dieses Lerchenleben.

Wasser

Wasser trägt im Ozeane
Tröstend fernhin den Betrübten,
Spült im Fluß auf leichtem Kahne
Den Geliebten zur Geliebten.

Wasser rauscht aus Felsgeklüften
Als Gesang herab zum Tale,
Perlt als Tau aus Morgenlüften
In der Blumen Duftpokale.

Wasser träuft als milder Regen
Kühlend in die trockne Erde,
Wasser labt als Quell an Wegen
Wand'rer, Hirten, Wild und Herde.

Ohne daß es Wasser sauge,
Stürb' auf Erden alles Schöne,
Ach, und nur im Menschenauge
Ist das Wasser — eine Träne!