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Bliebet Ihr in Eurem Kreise,
Lobten wir in rechter Weise
Euer kunstgewandtes Spiel;
Doch Ihr steckt zu hoch das Ziel —
All zu viel ist all zu viel.

Wahres wollen wir verehren,
Doch uns all vom Flitter kehren;
Würdig Denken, echt Gestein,
Schönes Fühlen, edler Wein
Sollen stets willkommen sein.
 

Virtuosen
 

1.
Dort steht der Virtuose,
Die Geig' in der linken Hand,
Wie paßt ihm straff die Hose,
Der Frack, wie elegant!

Die Locken ohne Fehle
Streicht er aus dem blassen Gesicht,
Ach, welche schöne Seele
Aus diesen Haaren spricht!

Sein Aug', das schmachtend matte,
Zeigt ein gebrochenes Herz,
Die hohe steife Krawatte
Des Erdenzwanges Schmerz.

Soll nicht sein Fuß gefallen,
Der Fuß so fein und schmal?
Fast ziemt es ihm nicht, zu wallen
Im rauhen Erdental.

Auch deutet ein kleiner Hügel
An jedem Schulterblatt,
Daß er zum Wuchs der Flügel
Schon einen Ansatz hat.

Er sieht hinab in's Gedränge,
Als achtet' und merkt' er's kaum,
Er träumt, inmitten der Menge,
Den Melodieentraum.

Doch horch, die Saiten dröhnen,
Erst tief und leise nur,
Dann weint er in Mitteltönen,
Lacht wild in der Applikatur.

Dann tobt er, als wollt' er zertrümmern
Die Erd' und den Himmel auch,
Dann zittert ein banges Wimmern,
Zuletzt ein Seufzerhauch.

Auf brüllen die Herrn und rasen,
Rings schallt es von "Oh" und "Ah",
Riechfläschchen unter den Nasen,
Lehnen die Damen da.

"O Mann, o Held der Geige,
Erbarme dich unser doch,
Dein Haupt noch einmal neige,
Und rühr' uns stärker noch!"

Er wählt nun, wohlerfahren,
Die Phantasie vom Schawl,
Er spielt sie seit vier Jahren
Erst zum vierhundertsten Mal;

Und doch so kühn und sicher,
Der Bogen so mutig froh!
Napoleon und Blücher
Führten den Degen so.

Zuletzt noch wirbelt er Tänze,
Da jauchzen die Hörer auf,
Und werfen Ehrenkränze
Dem Wundertäter hinauf.

Nun drängen sich um den Sieger
Der Stutzer und Enthusiast,
Wohl kennt er seine Krieger,
Er ladet die Herrn zu Gast.

Die Propfer, hochgesprungen,
Sind heute die Schlußmusik,
Von Ehrfurcht ganz durchdrungen,
Ziehn sich die Herrn zurück.

Nur er kann noch nicht rasten,
Er — zählt noch das Entrée,
Und legt es in den Kasten;
Wie ist ihm dabei so weh!

Zwar scheint sein Auge zu leuchten,
Doch ist es nur vom Wein,
Die Geister des Schlafs, die verscheuchten.
Wiegen ihn endlich ein.

Er liegt wie auf Wolkensäumen,
Und träumet ohne Ruh'
Von Gold und Lorbeerbäumen,
Champagner und Billets doux.

2.
Ach, meine Herrn und Damen,
Kommt alle, nur alle her,
Was wir für das Höchste nahmen,
Es ist kein Höchstes mehr.

Den Mann, so hoch und gewaltig,
Und wieder so zart gesinnt,
Besiegt ein wundergestaltig
Sechsjähriges Zauberkind.

Seht hin; in garnierten Höselein
Steht hold die Kleine hier,
Die Mutter putzt ihr das Näselein
So eben am Klavier.

Betrachtet die rosigen Fingerchen
An ihrer weichen Hand,
Die kleinsten liebsten Dingerchen,
Die je man irgend fand.

Wie ihr die Menge fatal ist!
Sie zieht ein albern Gesicht,
Das ist, weil sie so genial ist,
Sie achtet das Urteil nicht.

Jetzt droht die Mutter ihr Fasten an,
Wenn sie nicht Herzen gewinnt,
Da rührt sie gleich die Tasten an,
Das liebe gute Kind.

Und ha, was tönen für Klänge
Im Melodiendrang,
Das sind der Engel Gesänge,
Das ist der Sphären Klang.

Im Reich der ewigen Lieder
Schwebt jetzt die Künstlerin,
Jetzt senkt sie klagend wieder
Zur Erde ihren Sinn.

Jetzt malt sie der Liebe Schmachten,
Chromatisch wird geweint,
Jetzt denkt sie Völkerschlachten,
Greift an und besiegt den Feind.

Jetzt treibt sie kühn auf der See um,
Und eilt zu Kampf und Sieg,
Jetzt donnert sie ein Te Deum,
Geendet ist der Krieg.

"Steig' auf, Triumphespforte,
Denn Großes ward getan,
Heil dir, du Pianoforte:
Jungfrau von Orleans!

Wohl uns, daß wir dich schauen,
Verkörperter Gottheitston,
Du, größer als alle Frauen
Im Künstlerlexikon!"

Da lispelt die Mutter dem Goldchen:
"Ei, freu dich doch deines Glücks,"
Und vor tritt gleich das Holdchen,
Und macht einen tiefen Knix.

Und unten um die Wette
Schwatzt eifernd das Publikum,
Ein Herr mit goldner Lorgnette
Macht Alle plötzlich stumm.

Er spricht im Salbungstone:
"Wohl staunet Jung und Alt,
Wie solch ein Geist schon wohne
In solcher kleinen Gestalt.

Doch wie sich's zugetragen,
Die Kunde vertrau' ich Euch,
Es ist aus alten Tagen
Ein schaurig drolliger Streich.

Vor tausend Jahren war es,
(Noch gab es den Hexenstand)
Da lebte ein mitleidbares
Feenweibchen im Frankenland.

Ein Zauberer, alt und häßlich,
Liebte die schöne Fee,
Der Freier war ihr zu gräßlich,
Sie tat ihm alles Weh.

Der Alte litt entsetzlich,
Nahm endlich die Sache krumm,
Und wandelt sein Liebchen plötzlich
In eine Puppe um.

Jahrhunderte stand im Laden
Das hölzerne Feenweib,
Längst war kein guter Faden
An ihrem dürren Leib.

Doch erbte sich der Plunder
Auf Ur-Urenkel fort,
Und blieb, ein halbes Wunder!
Nur stets am selben Ort.

Die Mutter unsrer Kleinen
Geht einst am Laden vorbei,
Und sinnt, wie das ewige Weinen
Des Kindes zu stillen sei.

Nicht Zucker, Rosinen und Suppe
Verschaffen daheim ihr Ruh',
So kauft sie denn eine Puppe,
Die schlechteste, um drei Sous.

Das Kind schreit auf vor Freuden,
Die Pupp' ist gar zu nett,
Es will von ihr nicht scheiden
Auch Nachts in seinem Bett.

Und wie im Arm gelegen
Der Kleinen das alte Holz,
Scheint's plötzlich sich zu regen,
Und mit den Augen rollt's.

Die Wärme, animalisch,
Belebt ihr Glied um Glied,
Gleich wird sie musikalisch,
Und singt ein schönes Lied;

Ein Lied ganz leise, leise,
Das sanft wie ein Bächlein rann,
Und das nach Geisterweise
Kein Dritter hören kann.

Die Kleine, voll Erstaunen,
Wirft fast die Puppe fort,
Da hört sie in's Ohr ihr raunen
Das kluge, süße Wort:

"Mein Mägdlein, preise die Götter,
Ich bin dir da zum Heil,
Ich werde dein Erretter
Vor Lernen und langer Weil'.

Du sollst von mir erfahren
In jeder Nacht gar leicht,
Was kaum in fünfzig Jahren
Sonst Geist und Müh' erreicht.

Du wirst ein Wunder werden
In eines Jahres Raum,
Und Geld und Gut der Erden
Kommt ein dir wie im Traum.

Doch, daß du das Heil erzielest,
So lerne vor Allem Klavier,
Und stelle, wenn du spielest,
Mich gegenüber dir."

Das Kind tut, wie geboten,
Übt vor dem Klavier die Pflicht,
Und sieht, nicht in die Noten,
Nein, nur der Pupp' in's Gesicht.

Da ist's, als zög' es dem Mädchen,
Was selbst ihm seltsam schien,
An unsichtbaren Fädchen
Die Fingerlein her und hin.

So reifte das Kind, so schafft es
Uns jetzt der Lust so viel,
Wohl klingt was Zauberhaftes,
Feenleichtes aus diesem Spiel.

Nur Ein's noch möcht' ich erkunden,
Wonach ich fruchtlos späh':
Ob noch an den Bann gebunden
Die edle hölzerne Fee.

Doch sicher auch noch find' ich's,
Die Spur, ich witt're sie schon,
Dann aller Welt verkünd' ich's
Sogleich im Feuilleton."

So endet die holde Fabel
Mit einer sanften Zähr'
Des Nachtblatts "Neues Babel"
Ehrwürdiger Redakteur.

Und neues Beifallrufen
Jauchzt brausend durch den Saal,
Das Kind tritt an die Stufen
Und knixet noch einmal.

3.
Ei, fort mit Klavier und Geigen,
Mit Künstlern groß und klein!
Kommt her; was wir Euch zeigen,
Wird größer, als Alles sein.

Hier seht im heißen Sande
Ein Nachtigallenei,
Bald sprengt das Genie die Bande,
Damit es bewundert sei.

Merkt auf! das Ei wird springen,
Heraus fliegt das Genie,
Und singt mit flatternden Schwingen:
"Di tanti palpiti."

Sag' Einer, daß auf Erden
Erhabneres kann geschehn,
Ihr sollt das Vöglein werden,
Und schon als Künstler sehn.

Das Publikum stand erstarrend,
Mit offenem Munde da,
Ich weiß nicht, was es harrend
Noch weiter hört' und sah.

Mich faßte mit einem Male
Ein Grau'n vor dem Künstlertier,
Ich ging hinaus zum Saale,
Zwei Freunde gingen mit mir.

Es waren Dichter in Tönen
Von echtem Schrot und Korn,
Sie hatten geschöpft aus des Schönen
Urewigem klaren Born.

Sie hatten geforscht und gesonnen,
Empfunden tief und gedacht,
Und Wahrheit sich gewonnen
Aus reichem Wissensschacht.

Den Kuß der heiligen Weihe
Gab ihnen die hehre Kunst,
Sie hingen an ihr mit Treue,
Und haßten Flitter und Dunst.

Zur Seite gingen wir Beide,
Der Eine lachte sehr,
Dem Andern war vom Leide
Das Herz gedrückt und schwer.

Er rief: "Wozu die Jahre,
In Sinnen hingelebt,
Wozu erforscht das Wahre,
Nach Edlem nur gestrebt?

Wozu gewacht in Nächten
In glüh'nden Phantasie'n,
Wozu vom Echten und Rechten
So lang in den Wind geschrie'n!

Wozu auch Würdiges schaffen,
Ein Tonwerk reiner Art,
Wenn uns den Kranz entraffen
Die Knaben ohne Bart,

Wenn in den Kinderschuhen
Schon Ruhm und Ehre steckt,
Wenn aus den Spielzeugtruhen
Sich Künstlerschaft erweckt,

Wenn schon durch Vögel und Bären,
Durch Alles, was brummt und klingt,
Die Menschheit zu betören
Der Gaukelei gelingt,

Wenn nur, was schmeichelt und kitzelt,
Die Welt zur Bewunderung reißt,
Wenn sie sich Götzen schnitzelt
Aus Gliedern ohne Geist!

Was wir auch je geleistet,
Es hat ein erbärmlich Los,
Bis sich an uns erdreistet
Ein kecker Virtuos,

Bis er, was wir gestaltet,
Als Ganzes wohlbedacht,
Zerstückt, zerreißt, zerspaltet,
Verschnörkelt und verflacht.

Da liegt es nun in Fetzen,
Und nun ist's eben recht,
Nun kann es erst recht ergötzen
Das kluge Menschengeschlecht.

O weh uns, weh den Künsten!
Sie standen einst so hehr,
Nun sieht vor flimmernden Dünsten
Kein Auge die Sonne mehr.

Der echte Glanz und Schimmer
In wenige Herzen fällt;
Ich wollt', ich lebte nimmer
In dieser verkehrten Welt." —

Er schwieg — die Augen ihm sanken,
Wir Andern blieben stumm,
Wir trugen so unsre Gedanken
Jeder mit sich herum.

Nachschrift

Gern möcht' ein Ende wissen,
Wer einen Anfang gewußt,
So bin ich denn auch beflissen,
Zu stillen Eure Lust.

Was ward aus dem Geigenmeister?
Sein hoher herrlicher Geist
Erwarb ihm goldene Geister,
Was man so Reichtum heißt.

So ist er bequem geworden,
Und auch gemütlich fett,
Weiß nimmer von Doppelakkorden,
G-Saite und Flageolett.

Ihr fragt: was ward aus dem Kindchen?
Gar eine stattliche Frau,
Sie spielt mit ihrem Hündchen
Und treibt den Häuserbau.

Sie nahm einen Virtuosen
Vor Jahren schon zum Mann,
Sie hat noch immer die Hosen,
Und er die Röcke an.

Was ward mit der wunderklugen
Nachtigall aus dem Ei?
Als sie vom Konzert sie trugen,
Sprang ihr die Kehl' entzwei.

Und Keine kam wieder von allen,
Denn gleich von dieser Stund'
Ward gegen die Nachtigallen
Ein Virtuosenbund.

Sie zahlen für jedes Ei'chen
Hundert Dukaten bar,
Das bricht dann unter den Streichen
Der eifernden Künstlerschar.

Doch, daß ich genau berichte
Nach echtem Erzählerbrauch,
So hört die Trauergeschichte
Von meinen Freunden auch.

Der Eine erstickte vor Lachen,
Ersehend an einem Tag
Ein Kind Furore machen,
Das noch in den Windeln lag.

Der Andre starb in Klage
Über der Kunst Verderb,
Wohl ihm im neuen Tage,
Ihm war die Welt zu herb.

Die Witwen Beider darben,
Börsen und Kisten sind leer,
Doch seit die Männer starben,
Schätzt man und preist sie sehr.

Um wandern Beitragslisten,
Drauf Jeder den Namen nennt,
Es setzt den Komponisten
Die Stadt ein Monument.

Zuletzt wohl mögt Ihr fragen:
Was ward aus dem Redakteur,
Der seine Wundersagen
Der Welt sprach zu Gehör?

Was er gewesen, das blieb er,
Ein Mann voll Takt und List,
Er ist noch immer ein lieber
Artiger Feuilletonist.