zum Index
zurück
Quelle:
Gesammelte Schriften I.
Marie von Ebner-Eschenbach
Berlin 1893
Verlag von Gebrüder Paetel
Gedichte verschiedenster Art
Ein kleines Lied
Boule d'or
Der Halbpoet
Vanitas
Das SchiffGänsezug
Lebenszweck
Grabschrift
Liebeserklärung
So ist esEinschlafen
Sommermorgen
Sankt Peter und der Blaustrumpf
Spruchverse
Die Erdbeerfrau
Ein kleines Lied
Ein kleines Lied, wie geht's nur an,
Daß man so lieb es haben kann,
Was liegt darin? erzähle!
Es liegt darin ein wenig Klang,
Ein wenig Wohllaut und Gesang
Und eine ganze Seele.
Boule d'or
O du des himmlischen Reiches Kind,
Du Fremdling im nordischen Moose,
Von Düften umhüllet lieblich und lind,
Des Ostens holdeste Rose.
Dir gab der leuchtende Sonnenschein
Der Farbe Schimmern und Prunken,
Vom Urquell des Lichtes in dich hinein
Die Strahlen hast du getrunken.
Zunächst dem Kelch entfaltest du
Die Blätter wie goldene Schwingen,
In deines Herzens träumende Ruh'
Vermag kein Auge zu dringen.
Die würzigen Lüfte nur flüstern ringsum,
Daß hier ein Geheimnis sich hehle,
Doch hüllt sich in Schatten das Heiligtum
Der schüchternen Blumenseele.
Der Halbpoet
Es ist die allergrößte Pein,
Ein Halbpoet geboren sein,
Zu tragen in sich unerhellt
Das Chaos einer ganzen Welt,
Aus dessen Gähren, dessen Ringen
Kein ganzes Leben will entspringen.
Zu steh'n in heißen Durstesqualen
Am Zauberborn des Idealen,
Das Schöne liebend zu begreifen,
Heran zur höchsten Klarheit reifen,
Im Reinen wandeln und im Wahren —
Ohnmächtig es zu offenbaren.
In dir ein Schaffen unbewußt,
Ein lautes Schrei'n in deiner Brust,
Ein Wogen, Keimen, Knospensprengen,
Ein ruheloses Vorwärtsdrängen,
Und dennoch keiner Blüte Prangen,
Und dennoch kein Zumzielgelangen!
— Es ist die allergrößte Pein,
Ein Halbpoet geboren sein.
Vanitas
Bin ihr begegnet in allen Gestalten,
Sah sie gehüllt in jedwedes Gewand,
Heut in des Mantels purpurnen Falten,
Gestern in Lumpen wallend durchs Land.
Schwerer besiegt als Helden in Waffen,
Leichter verletzt als ein hilfloses Kind,
Rastlos in ihrem nichtigen Schaffen,
Töricht und klug, allsehend und blind.
Heimisch im Tempel, heimisch im frechen
Hause der Sünde, in Hütte und Schloß,
Weiß sie in jeder Zunge zu sprechen,
— Bist du ein Mensch, du bist ihr Genoß.
Rätselhafte Wesen, dem alle wir dienen,
Das uns beherrscht, ob wir groß oder klein,
Keiner ist noch auf Erden erschienen,
Der es gestand, dein Sklave zu sein.
Hälst du am engsten ein Opfer umsponnen,
Trägt dir's gewiß den bittersten Haß.
Und dich verleugnet, den du gewonnen,
Schimmernde Lügnerin: — Vanitas!
Das Schiff
Das eilende Schiff, es kommt durch die Wogen
Wie Sturmwind geflogen.
Voll Jubel ertönt's vom Mast und vom Kiele:
"Wir nahen dem Ziele."
Der Fährmann am Steuer spricht traurig und leise:
"Wir segeln im Kreise."
Gänsezug
Die erste Gans im Gänsezug,
Sie schnattert: "Seht, ich führe!"
Die letzte Gans im Gänsezug,
Sie schnattert: "Seht, ich leite!"
Und jede Gans im Gänsezug,
Sie denkt: — Daß ich mich breite
So selbstbewußt, das kommt daher,
Weil ich, ein unumschränkter Herr,
Denn Weg mir wähl' nach eignem Sinn,
All meiner Schritte Schreiter bin
Und meine Freiheit spüre!
Lebenszweck
Hilflos in die Welt gebannt,
Selbst ein Rätsel mir,
In dem schalen Unbestand,
Ach, was soll ich hier?
— Leiden, armes Menschenkind,
Jede Erdennot,
Ringen, armes Menschenkind,
Ringen um den Tod.
Grabschrift
Im Schatten dieser Weide ruht
Ein armer Mensch, nicht schlimm noch gut.
Er hat gefühlt mehr als gedacht,
Hat mehr geweint als er gelacht;
Er hat geliebt und viel gelitten,
Hat schwer gekämpft und — nichts erstritten.
Nun liegt er endlich sanft gestreckt,
Wünscht nicht zu werden auferweckt.
Wollt Gott an ihm das Wunder tun,
Er bäte: Herr, o laß mich ruhn!
Liebeserklärung
Du Vielgeliebte, Dich hab' ich geliebt
Von Deinem ersten Lebensstündlein an,
Als kaum entwunden Du dem Schoß der Mutter,
Dalagst auf ihrem Bette klein und rot,
Die Wangen voll von Fältchen und die Stirn,
Und auch die winz'gen, unbeholf'nen Hände.
O, welch' ein Glück, an Deiner Wiege stehn,
Bewundern still, wie schön Du schlafen kannst,
Und Dein Erwachen jubelnd zu begrüßen. —
Was immer meine Nichte tat uns ließ,
Ich fand es einzig, fand es genial;
So weint' und lachte niemals noch ein Kind,
So kroch noch keins dahin auf allen Vieren
Und sprach: "Tata" mit solchem Nachdruck aus.
Indessen leider! meine gute Meinung —
Weiß Gott, wie's kam — gar viele teilten sie
Und machten sich höchst ungeniert zu eigen,
Was ich entdeckt in angestammter Weisheit.
Allmählig wuchsen hundert Toggenburgen
Empor am Strande Deiner wilden Petsch,
Und in den Burgen wohnten hundert Schmachter
Und Schmachterinnen treu bis in den Tod;
Das war ein Werben um klein Stutzis Gunst,
Von Jung und Alt ein Loben, Lieben, Staunen,
Solch' ein Heerbaum überzeugter Schmeichler
Besaß nur noch die Königin von Saba.
Wie sie den ihren lenkte, weiß ich nicht,
Doch um so besser denn, wie kurz und stramm
Der Deine ward gehalten. — Keine Faxen!
Die Losung galt, Du gabst sie unbewußt,
Eh' sprechen Du, geschweige denken lerntest.
So trugen wir es heuchlerisch gelassen,
Als Du Dein Herz in feste Hände gabst . . .
Was sag' ich, Hände? Pfoten sind's gewesen,
Die langen gelben der verehrten Lady.
Doch hatt' auch sie Rivalen, vielgehaßte:
Kaninchen, Katzen, allerlei Getier,
In erster Reih' die Ponys. Weißt du noch,
Wie denen sie mißgönnte Deine Huld?
Und wie bestürzt, wenn ihnen Du geschmeichelt,
Die Alte floh, sich auf die Rampe setzte,
Den Kopf erhob und laut zum Himmel heulte.
Nur eines war mit ihrem Schmerz vergleichbar,
Und ihrem Grimm — der Deine, Kind, als Du
Zu Jahren schon gekommen (ihrer fünf)
Mémoires d'un âne", von Comtesse Ségur
Zur Kenntnis nahmst. Die Bonne las Dir vor,
Du stricktest stumm, mit ernstem Pflichtgefühl,
An Deinem ersten Strumpfe. Noch erreichten
Den Boden Deine Beinchen nicht, sie wiegten
Sich leise . . . Wie Du horchtest, atemlos,
Durchglüht von Freude, Mitleid oder Zorn
Vom Wirbel bis zur Sohle — je nachdem
Des braven Esels Schicksal sich gestaltet.
Und wenn es rührend wurde, flossen Tränen
In hellen Strömen auf die Stickerei,
Die soviel Nässe gar nicht schlucken konnte.
Es war ein Anblick — ich vergeß ihn nie!
Und niemals auch, wie Du vor jenem Kitzlein,
Das einst der Jäger aus dem Wald Dir brachte,
Auf Deine beiden Knie niedersankst,
Es anzufleh'n unendlich liebevoll:
"O fürcht Dich nicht — ich bin ja Deine Mutter!"
Und später dann, als Deine Herren Brüder
Erschienen waren und so redlich halfen
Des Hauses kleinen Abgott anzubeten,
Was für Geschichten gäb's da zu erzählen,
Von einer wilden Hummel stets voran
In jeder Fährlichkeit, und ihren blind
Ergebenen Satelliten. — Doch genug,
Sonst heißt es gleich: das Alter ist geschwätzig.
Nur eins noch höre. Als nach langer Trennung
Du heute kamst mit Deinem schwarzen Jungen
Und seiner blonden Schwester, die kaum zählt
Der Jahre zwei und just so ernsthaft schaut
Wie einstens Du — da fiel mir Alles, Alles
Urplötzlich ein, vom Größten zum Geringsten,
Was wir durchlebt in Treuen . . . Ich gedachte,
Wie mit der Zeit sich stets der Kreis erweitert,
In dem ich sucht' und fand mein reinstes Glück:
Wie manches neue, kleine Wesen kam,
Das einen Platz erstrebte zwischen uns
Und ihn erhielt und jedes obendrein
Bei seinem Eintritt auch mein ganzes Herz.
Das ganze Jedes — henkt die Mathematik!
Denn immer noch ein ganzes bleibt mir übrig,
Es zu verschenken, wenn es wieder gilt.
Nicht protzen möcht ich, aber solcher Reichtum
Ist unerhört in meinen hohen Jahren.
Ich dank' ihn Euch, so seid mir denn bedankt,
Ihr Großen und ihr Kleinen, Fernen, Nahen.
Durch meine Liebe, Eurer Liebe Kraft
Begibt an mir ein schönes Wunder sich:
"Die Kinderlose hat die meisten Kinder."
So ist es
Sie sagen mir: "Das Dichten reibt Dich auf.
Wir bitten, laß es! tu' das uns zuliebe."
— "Mir selbst zuliebe tät' ich's, wenn ich könnt'."
— "Du kannst, sobald Du willst. Doch daran fehlt's,
Am kräftigen Entschluß, sie zu besiegen
Die liebe Eitelkeit. Man lobt uns ja,
Und der an Lob gewöhnt, entbehrt es schwer."
"Das weiß ich nicht, doch eines weiß ich gut:
Ob tausendmal auch mehr, als sich gebührte,
Mir Schätzung wurde, dennoch, glaubt mir, dennoch
Mein armes Rühmchen wär mir feil, und mit
Entzücken gäb' ich's für die Freiheit hin.
Ich diene ja, seht Ihr, bin willenlos
In meines Dämons Macht . . . Wie nenn ich ihn?
Heißt er vielleicht, — daß Gott erbarm'! — Talent?
— Man sagt, die meisten, die von ihm besessen,
Sie wähnten ihn zu lenken, hielten ihn
Für ein Geschenk der gütigen Natur
Und pflegten sein mit stolzer, treuer Liebe.
Doch fass' ich's nicht. Ist's möglich denn, zu lieben
Was Dir das Höchste raubt, die Selbstbestimmung?
Was Dir mißgönnt die unbefang'ne Freude;
Entwertet Deinen edelsten Genuß
Durch seiner Flüsterstimme rastlos Mahnen:
— Besinne Dich! was machst Du wohl daraus?
Gäb's nicht ein Bild — ein Streiflicht — ein Detail?
Der Dämon nimmt Dein Herz, stiehlt Dir die Seele,
Er füllt allein Dein ganzes Denken aus.
Du hast nur ihn; ja Dein ureignes Leben,
Dein menschlich Irren, jegliches Empfinden,
Dein glühend Mitleid, Haß und Zorn und Schmerz,
Dein stillstes Sehnen, Dein geheimster Traum —
In seinem Dienst wird alles ausgemünzt.
— Und dann? was dann? . . . Ach Zweifelsqualen, denn,
Ob auf der Münze auch die Prägung echt,
Und angetan, zu dauern wie das Gute,
Wie nur das Gute dauert und besteht; —
Das bleibt Dir unbekannt und bleibt es Jedem,
Der mit Dir wandelt noch im Tagesschein."
Dünkt Euch dies Schicksal so beneidenswert,
Ertrüg' es Einer, der es wenden könnte?
O Himmel! wenn ich's könnte, ginge mir
Im Alter noch ein neues Leben auf,
Ein Leben voller Ruhe, voller Frieden,
Und abgeschlossen ganz in meiner Liebe
Zu Euch, Ihr Menschenkinder, Brüder, Schwestern.
— So nah wie vor blieb Euer Leid das meine,
Und Euer Glück durchsonnte mir das Herz,
Doch Euch zu schildern hätt' ich aufgehört.
Einschlafen
Der Tag ist aus, und nun — wie himmlisch wohl wird's tun,
Vergessend seine Müh'n in sanftem Schlaf zu ruh'n.
— Es war ein harter Tag. — Vorüber und vorbei!
Gott gebe, daß, der kommt, ein minder harter sei;
Wenn nicht — nun denn, nun denn! — zu leiden und zu streben,
Ob mit, ob ohne Lohn, das nennen wir ja leben.
Die oft ersehnte Stund', sie bleibt nicht aus am Ende,
Da man zu ew'ger Rast darf kreuzen seine Hände.
Erlösungbringer Tod! wer hat nicht dein gedacht,
Als er sich hinstreckt zum Schlaf in stiller Nacht?
Der Schlaf ist kurzer Tod, wir können Probe halten
Vom dunkeln Schicksalsstück, darin als Held zu walten
Jedwedem einst bestimmt. — Wär's Jedem auch beschieden,
Mit sich und mit der Welt dahinzugehn in Frieden.
In sel'gen Frieden . . . Ach, braucht ich zu wünschen nur,
Die Menschen hätten ihn, ihn hätte die Natur,
Kein Wesen fühlte Qual, selbst nicht der kleinste Wurm,
Ich schafft auch Ruh dem Meer, der Wolke und dem Sturm . . . .
Ein sonderbares Wort hab' ich dereinst vernommen
Und konnt' darüber nie zu voller Klarheit kommen.
— Nirwana war das Wort. Das heißt . . . o Müdigkeit! —
Nicht denken jetzt, nicht mehr — es ist ja Schlafenszeit,
Willkommen, holde Zeit; sei gnädig mir, entrücke
Mich allem Leid.
Ich wollt', ich fänd' einmal die Brücke,
Die aus dem Wachen uns, dem voll bewußten Sein,
Ins halb bewußte Reich des Traumes führt hinein.
Ein zarter Wunderbau, ein rätselhafter Steg.
Nur das geschloß'ne Aug' entdeckt zu ihm den Weg. —
Ei horch, wie's summt und klingt: — die Spieluhr regt sich wieder
Und bringt ihr Liedchen vor vom muntren Seifensieder . . .
Der es so gerne hört, mein ferner Liebling, Du,
Wann endlich kehrst Du heim? wann jauchzt Dein Gruß mir zu?
Viel Zeit muß noch vergehn, und Sommer muß es sein,
Und linde Luft muß wehn durch unsern Fichtenhain . . .
Da steht er ja, er selbst — umhaucht von Harzesduft,
Die Wipfel ragen schlank und schimmernd in die Luft —
Ich seh' die Wiesen rings im Frühlingsglanz sich breiten
Und durch das junge Grün ein junges Kindlein schreiten.
So komm! — wo bist Du nun? . . . gar nirgends zu entdecken —
Beim ersten Wiedersehn spielt schon das Kind Verstecken — —
Mit ihm entschwand der Tag; schneeweiße Nebel wallen,
Die qualmend sich zerstreu'n, die sich zusammenballen —
Und jetzt — o Seligkeit — o Himmelsblumen: Sterne!
Ich schweb', im Wolkenraum . . . aus lichtverklärter Ferne
Erhebt sich's wie Gesang so mild und rein —
Ich schlafe nicht, noch lange nicht — o nein — — —
Sommermorgen
Auf Bergeshöhen schneebedeckt,
Auf grünen Hügeln weitgestreckt
Erglänzt die Morgensonne;
Die tauerfrischten Zweige hebt
Der junge Buchenwald und bebt
Und bebt in Daseinswonne.
Es stürzt in ungestümer Lust
Herab aus dunkler Felsenbrust
Der Gießbach mit Getose,
Und blühend Leben weckt sein Hauch
Im stolzen Baum, im nied'ren Strauch,
In jedem zarten Moose.
Und drüben wo die Wiese liegt
Im Blütenschmuck, da schwirrt und fliegt
Der Mücken Schwarm und Immen.
Wie sich's im hohen Grase regt
Und froh geschäftig sich bewegt,
Und summt mit feinen Stimmen!
Es steigt die junge Lerche frei
Empor gleich einem Jubelschrei
Im Wirbel ihrer Lieder.
Im nahen Holz der Kuckuck ruft,
Die Amsel segelt durch die Luft
Auf goldenem Gefieder.
O Welt voll Glanz und Sonnenschein,
O rastlos Werden, holdes Sein,
O höchsten Reichtums Fülle!
Und dennoch, ach — vergänglich nur
Und todgeweiht, und die Natur
Ist Schmerz in Schönheitshülle.
Sankt Peter und der Blaustrumpf
Ein Weiblein klopft ans Himmelstor,
Sankt Peter öffnet, guckt hervor:
— "Wer bist denn Du?" — "Ein Strumpf, o Herr" . .
Sie stockt, und milde mahnet er:
"Mein Kind, erkläre Dich genauer,
Was für ein Strumpf?" — "Vergib — ein blauer."
Er aber grollt: "Man trifft die Sorte
Nicht häufig hier an unsrer Pforte.
Seid samt und sonders freie Geister,
Der Teufel ist gar oft nicht dreister,
Geh hin! er dürfte von Dir wissen,
Der liebe Herrgott kann Dich missen."
— "Das glaub' ich wohl, — doch ich nicht Ihn,
O Heil'ger, wolle noch verziehn!"
Sie wagt es, sein Gewand zu fassen,
Hat auf die Knie sich sinken lassen.
"Du starker Hort, verstoß' mich nicht,
Laß blicken mich ins Angesicht
Des Ew'gen, den ich stets gesucht."
"In welcher Weise, ward gebucht.
Man strebt ihm nach wie's vorgeschrieben,
Du bist uns fern und fremd geblieben."
Das Weib blickt flehend zu ihm auf:
"Wär' Dir bekannt mein Lebenslauf,
Du wüßtest, daß in sel'gen Stunden
Ich meinen Herrn und Gott gefunden."
Der Pförtner stutzt: "Allwo? — Sprich klar!"
— "Daselbst, wo ich zu Hause war,
(Mein Handwerk brachte das mit sich)
Im Menschenherzen. Wunderlich
War dort der Höchste wohl umgeben;
Oft blieb von Seines Lichtes Weben
Ein glimmend Fünklein übrig nur,
Und führte doch auf Gottes Spur.
Ob er sich nun auf dem Altare
Den Frommen reicher offenbare —
Das zu entscheiden ist Dein Amt.
Bin ich erlöst? bin ich verdammt?"
Sankt Peter zu derselben Frist
Etwas verlegen worden ist,
Dacht' eine gute Weile nach,
Nahm endlich doch das Wort. Er sprach
Und rückt dabei den Heil'genschein:
"Besprich es drin — Ich lass' Dich ein."
Spruchverse
Was Gutes Du getan und nicht vergessen hast,
Allmählig wandelst sich's in Unrecht fast.
Begang'ne Schuld, denkst ihrer Du mit Schmerzen,
Verklärt zur Tugend sich in Deinem Herzen.
Die Großen säen,
Die Kleinen mähen,
Die Kleinsten heimsen ein
So war's — so wird es sein.
Ein Mensch — und stolz? O sieh, Dein Tun,
Dein Lassen, Deine Meinung,
Das Alles ist, Du selber bist
Des Scheins Reflexerscheinung.
Verständnis für jedwedes Leid,
Erbarmen mild mit jedem Fehle;
Daran in dieser Zeitlichkeit,
Erkennst Du die erwählte Seele.
Die Eintagsfliege, wie so manche Leute,
Vergönnt sich keine Freude an dem Heute,
Denn ruh- und rastlos immer muß sie sorgen,
Die arme Eintagsfliege — für das Morgen.
Die Erdbeerfrau
"A loadi's Erdbeer-Jahr, natürli, gel'?
Am Benno-Tag, der Frost, der hat's dawischt!" —
Sprach sie mich an und lächelte dazu
Mit welkem Mund und wasserblauen Augen,
So harmlos wie ein Kind, die dürre Alte.
"Recht schlimm für uns, und schlimmer noch für Euch,"
Erwidert' ich, "Ihr kommt um den Verdienst,
Den besten wohl im Sommer."
"I? No wiss'ns,
Geit's ihrer weni, wern's halt besser zahlt
Die Erdbeer, gar die schöni, aus'm G'stoan,
Wie ebba selli da!"
Sie rückt hinweg
Den Deckel ihres Korbs, und drinnen lagen
Auf Tannenreislein und auf frischen Blättern
Erdbeeren, duftend und so purpurrot,
Daß schon ihr Anblick eine Labung war.
Der Alten bot er wahren Hochgenuß:
"Die wachs'n auf'n Stauf'n, in die Schlucht'n,"
Sagt sie und hebt voll Finderstolz ihr Körbchen.
Ich hätte seinen Inhalt gern erworben;
Er war verkauft. Vom Berge kam die Frau
Nach langem Tagewerk, war hungrig jetzt,
Ein wenig müd' und sehnte sich nach Hause.
"Es warten Eurer," meint' ich, "Eure Kinder
Und kleine Enkel dort."
"Auf mi' wart koa's,
I bin alloa," gab sie zerstreut zurück,
Und mit der Rechten ihre Augen deckend,
Blickt' in die Sonne sie, die goldig flutend
Soeben hinter Bergeshöh'n versank.
"Da schaug'ns hin, zum Zwisl schaug'ns hin,
Da bin i morg'n um die Zeit scho g'west.
Gon Ab'nd hoaßt's zur Alm no auffikrabin,
Im Heubüh drob'n schlaft ma woltern guat,
Und fruh um zwoa geht's ani scho' in d' Staud'n."
Und wieder lag auf ihrem greisen Antlitz
Das Kinderlächeln, das mich gleich bezwang,
Als sie nun sprach von ihren Wanderungen
Im Morgendämmer und beim Sonnenaufgang,
Durch Waldesdunkel, durch das Felsgeklüft,
Und drob so Müdigkeit vergaß wie Hunger.
Ein Jäger nur erzählt mit solcher Freude
Von seinen Abenteuern auf der Pirsch,
Wie von den ihren sie "beim Erber'-Brocken".
Mit stillem Neide horcht' ich. Aus der Not
Nicht eine Tugend nur, auch Glück zu machen,
Das ist die allerhöchste Lebenskunst.
Ihr freilich mag sie leicht geworden sein,
Der schlichten, alten Freundin der Natur,
In diesem Dasein, halb im Traum geführt,
Dem Kampf der Welt entrückt, von Leiden frei.
"G'sund bin i, Gott sei Dank!" schloß sie vergnügt
Und zwinkert' nach den glutumsäumten Bergen
Voll Liebe hin, "und hon aa' koani Sorg'n."
"Im Sommer, doch wie sieht's im Winter aus?"
"Mit Gottes Gnad', an diem, a bissel wiescht,
Ma hofft halt immer, daß bal' Frühling wird.
An Oaschicks bringt ihm scho' so kloanweis furt."
"Das ist der Trost der Einsamen," sagt ich,
"Wie Ihr es seid und wohl von jeher war't?"
Gutmütig, heit'ren Spotts zuckt sie die Achseln
Ob meines Irrtums. "Na, von jeher nit,
I hon amal a schön's A'wes'n g'heit,
An braven Mo', fünf Kinder – ja amal!"
"Fünf Kinder? Hab' und Gut? Und steht allein
Und arm jetzt in der Welt?... Wie ging das zu?"
"No, schiefri ebba. 's Unglück hat uns hoamg'sucht,
Verbrunnen san mer aa'," gab sie zur Antwort
Und schien zu denken: "Ei, was kümmert's dich?"
Doch mählich eines Bessern sich besinnend,
Hob, leise seufzend, sie von neuem an:
"Vor dreizehn Jahren, — warten's – na, vor achtzehn,
Ja wirkli, achtzehn — wie die Zeit vergeht!
Da is bei uns das großi Feuer g'west.
In d' Tenna ei'gschlag'n hat der Blitz von Himmi —
Und voll mit Troad wie's war, so is verbrunnen,
Und aa der Mo', sex Küh', zwoa Kinder, all's
Verbrunna."
"Wie? Verbrannt?!"
"Ja, ja, verbrennt.
Mi selba hat der Nachbar no am Zopf,
Der damal armsdick war – wer möcht' dees glaub'n? —
Herauszerrt aus die licht'rloh'n Flammen.
Die Gloabiger hon si' den Grund biholten,
Und wiar i gang'n, wiar i g'stand'n bin,
So bin i von der Brandg'stätt weiterzog'n."
"Mit Euren Kindern?"
"Jo, mit denen drei,
Die übri blieb'n san, zwoa Diendln und
An kloan'n Bueb'n," entgegnet sie gelassen.
"Und dann? Wie habt Ihr dann Euch fortgeholfen?"
Sie hob den Kopf empor: "No, ehrli halt.
Viel g'arbeit, viel, und aa' a biß'l bet',
A biß'l nur, denn damaln, wissen's Frau,
Da war i bös mit unsern lieben Herrgott,
Und bin's aa' blieben no a lange Weil',
Denn oans vo meini Diendln is schlecht g'rat'n
Und leit da drauß'n v o r der Kirchhofmauer,
I mach en Umweg, mueß i dort vorbi."
"Die Zweite aber? — die?"
"Die hat an Bauern,
In Hammerau, an reich'n, is versorgt."
"Und sorgt für ihre Mutter, will ich hoffen."
"Für mi? Was denken's denn? Sie hat den Mo',
Hat ihm ins Haus koan roti Heller bracht
Und wird aa' koanen 'naustrag'n – dees hoff' i!"
"Und euer Sohn?"
"Seidat war'r, Schandarm...
I sag, er war, jetzunder is er tot,
Erschoss'n von die Pascher an der Grenz'.
In letzten Hirgscht hon i die Nachricht kriegt."
Sie sprach es langsam, leise, unbewegt,
Sann noch ein Weilchen; wie ein Lichtstrahl flog's
Erhellend freudig über ihr Gesicht.
"Der is mit mir gar oft in d' Erdbeer' ganga,
Wier a Bua no wa und später aa',
Der hat die Berg so guot gekennt, wiar i."
Sie blickte in die Weite, ganz verklärt
Vom sanften Glück des lieblichsten Erinnerns
Und wandt' zum Gehen sich mit kurzen Gruß.
Da plötzlich hielt sie an. Die lichten Augen
Erglänzten wild und stoben Zornesfunken.
An uns vorbeigeschritten kam ein Knabe,
Der in der Hand ein Schüß'lein voll mit Beeren,
Armsel'gen, halbgereiften, trug. — "Du Lump,"
Rief ihm die Alte zu, "kannst's nit derwart'n,
Daß d' Erber' rot wer'n, muaßt di greani rupf'n?"
Mit hocherhobner Faust bedroht sie ihn,
Und ein gewaltig Fluchwort flog ihm nach,
Als schleunig er und still die Flucht ergriff.
Dann aber ganz erregt vor Schmerz und Grimm
Sprach sie: "Dees is mei' allerirgster Kumma,
Wenn's d' Erber' brock'n u'reif und kloanleizi,
Ma mirkt's ja deutli, 's tuat der Pflanzen weh.
Sie wehrt sie drum, was sie nur ko', die Armi,
Just wier a Mutta um ihr liebis Kind,
Do' wenn die Frucht recht zeiti wor'n is,
Geits 's geduldi her; no jo, sie hat
Das ihre redli' to', und denkt ihm halt:
Jetz' werst der endli aa dein Frieden gunna."
Da stockte sie und sah mich fragend an,
Bestürzt beinah ob dieser Worte Sinn,
Der dämmernd nur ihr zu Bewußtsein kam.
"Wo wohnen's?" sprach sie hastig. "In Sankt Zeno."
"Da kimm i lei' an nächst'n Sunnta hin,
Und Erber' bring ich Ihna, solchi haben's
No niemal koana gsegn. Bfüt' Ihna Gott!"