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Nebel-Lieder
1887


                          
I.

Mir träumte, ich sei krank, und auf mir lasten
Der Alpen Nebelschichten schwer und kalt;
Die Kröten nahen, mein Gesicht betasten,
Mich zu erwehren fehlt mir die Gewalt.

Durchwässert stockt mein Hirn, doch kanns nicht rasten,
Mit grauen Visionen ist's bemalt;
Die Augen will ich öffnen, doch die Lider
Drückt bleiern schwer der nasse Nebel nieder.

In meinem Ohre rauscht's wie dumpfes Sausen,
Die feuchten Dünste sickern kalt hinein,
Ein Leichentuch umhüllt es mich von außen
Und füllt mein Innerstes mit stumpfer Pein.

Mir ist, als müsste ich aus diesem grausen
Scheintod, empor mich raffend, laut aufschrei'n.
Doch bleiern liegt im Gaumen meine Zunge;
Es ringt umsonst nach Luft die müde Lunge.

                II.

1.

Hintergrund eisengrau;
Stahlfarbner Vordergrund,
Berge mit Nebelwund,
Konturen ungenau,
Zeigt nur der Gletscher sich
Schneeweiß und schreckensnah',
Zackig und dräuend da,
Herrlich, doch fürchterlich!

2.

Im Westen glüht das Abendrot,
Doch finster ist es schon bedroht
Von schwarzer, schwerer Wolkenlast,
Der jeder Rosenschein verhasst.

3.

Schon streichen tief und tiefer
Die Fledermäus' herab,
Dies gräuliche Geziefer
Entfliegt dem Felsengrab.

"Sie sind der Hölle Schwalben
Und dürfen nur bei Nacht
Sich in den Lüften balgen." —
Hat jüngst jemand gesagt.

                    III.

Die Möwe auf dem Fichtenbaum*
Hoch auf des Berges Spitze,
Im grünen Wipfelsitze,
Die glättet ihres Flügels Saum,
Sie schüttelt ihn vom Nebel frei,
Durchnässt ist ihr Gefieder;
Die Federn liegen nieder
Und dünken ihr fast schwer wie Blei.
Zur Reise macht sie sich bereit:
"Mein Berg, wir müssen scheiden,
Dein Nebel tut verleiden
Mir jedes fernre Bleiben heut';
Er macht mich elend, macht mich krank,
Mir bangt nach Licht und Wärme,
Dass ich danach mich härme,
Währt ohnedies schon viel zu lang.
Du Nordsee, bist mir jetzt zu kühl,
Das könnte mich verletzen
Und nimmermehr ersetzen
Im Herz das eisige Gefühl.
Ich brauche Wärme, brauche Licht,
Mich dürstet nach dem Süden,
Nach Pomeranzenblüten;
Dies alles beut dein Herbst mir nicht.
Ein Zaubereiland,** fern im Meer,
Scheint duftig mich zu grüßen;
Es tanzt zu seinen Füßen
Die warme blaue Flut umher;
Zu lange bin ich schon allein,
Mein Kopf ist müd' vor Sinnen,
Ich will jetzt mit Delphinen
Ergötzen mich im Sonnenschein!"

*
Elisabeth selbst
**
Die griechische Insel Korfu, wo Elisabeth sich
    1887 vier Wochen aufhielt.


                  IV.

Die hämischen Zeitlosen
Die flüstern auf den Wiesen:
"Wir sind des Herbstes Rosen;
Tritt ihr uns auch mit Füßen,
Wir werden dennoch sprossen
Und scharenweise sprießen;
Sei's nur, euch zu erbosen,
Uns freut's, euch zu verdrießen."
So flüstern sie, die Losen,
Indem sie neckend grüßen.

                      V.

Der Winter naht; in weiße Laken
Schlägt sorglich er die Berge ein,
Er drückt in ihre steilen Zacken
Schneekäppchen tief und fest hinein.

Die letzten Blätter von den Bäumen
Streift er mit eisig kaltem Hauch;
Die Äste tut er drauf umsäumen
Mit weißem Froste, wie's sein Brauch.

Wenn mein Gefühl mich nicht betrogen,
Hat er auch mir voll Todeslust
Das Herz mit Eis heut' überzogen,
Es liegt so kalt mir in der Brust.

                    VI.

Im Lenz war ich ein albern Ding,
Zum Trotz dem dümmsten Schmetterling,
Von Lust berauscht, besessen.
Nun kommt des Herbstes kaltes Weh'n
Und gibt mir eisig zu verstehn,
Dass ich ein Tor gewesen.