weiter
 

Nordsee Lieder
Amsterdam 1885


Vorbild dieses ersten Gedichtbandes, "Nordsee Lieder" ist Heines Gedichtzyklus: "Die Nordsee" im zweiten Teil
seiner "Reisebilder" (entstanden 1826/27, Erstausgabe Hamburg 1827).
Die Kaiserin notiert hier in Form eines gedichteten Tagebuches ihre Erlebnisse und Phantasien vom Februar 1885
bis zur Neujahrsnacht 1887.
"Der Geliebte", "Der Herrlichste" mit "Schild und Speer" damit ist stets Elisabeths Lieblingsheld Achill gemeint,
mit dem sie glaubte, spiritistischen Kontakt zu haben.

 

Widmung

O hätt' ich so viel Lieder,
Als Wellen, du mein Meer,
Ich schrieb sie alle nieder,
Und brächte sie dir her.

Mein ganzes Fühlen, Denken,
Ja, all' mein inn'res Sein
In dich möcht' ich's versenken,
Du, mein kristall'ner Schrein.

Du meine Augenweide,
Du meines Hierseins Glück,
Früh meine erste Freude
Und nachts mein letzter Blick!

 

Die folgenden zwanzig Gedichte schrieb Elisabeth sie im Februar/März 1885 in Amsterdam, wo sie sich einer Massagekur unterzog, aber auch ausgiebige Besichtigungsfahrten und täglich stundenlange Wanderungen
an der Nordseeküste unternahm.
 

                        1.

Und auf der Nordsee wilden Wogen,
Geliebter, lagst du hingestreckt: —
Mit tausend Fasern eingesogen
Hab' ich dich, salz- und schaumbedeckt.*

*
Gemeint ist in den folgenden Strophen immer Achill.

                         2.

Es tobt das Meer, die Wellen dröhnen
Und brechen sich mit Macht, mit Macht
Am einsamen Strande, in finsterer Nacht. —

Entzückt horch' ich vom Lager empor,
Des Geliebten Stimme dringt an mein Ohr,
Des Herrlichsten, des Starken!

                     3.

Die Fischer geh'n am Strand herum
Im feschen Sonntagsschmuck,
Und kosen, Liebchen fest am Arm,
Mit Blick und Händedruck.

Heissa! Ich brauch' kein' Fischermann;
Mein Liebster liegt am Meer,
Der Göttliche, der Herrliche,
Mit seinem Schild und Speer!

                     4.

Die Flut, die Flut kommt gezogen;
Horch, wie sie rauscht und braust,
Wie sich die Wogen hoch bäumen
Und wie der Nordwind saust!

Du tobendstes aller Ständchen,
Du wildes "Gute Nacht"; —
Mein Herz weiß wohl, wer dich sendet,
Drum jauchzt es auf und lacht.

Antwort an den Baumeister

Ein Schloss soll ich mir bauen
Hier an der Nordsee Strand
Mit hohen güld'nen Kuppeln
Und manchem Flittertand?

Wohl lieb ich dich, du stolzes,
Du raues, barsches Meer
Mit deinen wilden Wogen,
Mit deinen Stürmen schwer!

Doch Liebe, die muss frei sein,
Darf kommen und darf geh'n:
Ein Schloss wär' wie ein Eh'ring,
Die Lieb' hätt' kein Besteh'n.

Frei will ich dich umkreisen,
Wie deine Möwen hier;
Ein bleibend' Nest zu bauen . . .
Für mich gibt's kein Revier!

                    5.

Hinaus, hinaus aufs weite Meer
Treibt mich ein mächtig Sehnen,
Doch weil ich keine Flügel hab',
Muss ich sie mir entlehnen.

Santa Cecilia,* nimm mich auf,
Auf deinen schwanken Rücken,
O breite deine Schwingen aus,
Dann wird der Flug mir glücken!

Siehst du wo Phöbus niedersteigt
Am fernen Meeresrande?
Dort trag' mich hin, ich flehe dich,
Du bist es ja imstande.

Du scheinst ein Vöglein zart, doch fest,
Drum will ich dir vertrauen,
Und treibt uns noch ein frischer Ost,
So woll'n wir Wunder schauen!

*ist der Name des kleinen Segelschiffes,
dass Elisabeth für ihre Nordsee Ausflüge benützte.


                    6.

Allabendlich treibt's mich hinaus,
Ich muss die Sonne seh'n
Die glückliche, beneidete,
Im Meere untergeh'n.

"Nicht ist's dein Gold, nicht ist's dein Schein,
Um den mein Sinn sich kränkt,
Wohl aber, dass die hehre See
Dich jede Nacht umfängt.

Und während du ihr Flutenherz
Erwärmst mit deiner Glut,
Steh' ich im Finstern hier und frier
Vor Eifersucht und Wut!"

                         7.

Eine Möwe bin ich von keinem Land,
Meine Heimat nenne ich keinen Strand,
Mich bindet nicht Ort und nicht Stelle;
Ich fliege von Welle zu Welle

Noch gestern sah ich den schönsten Saphir,*
Im tiefsten Blau lag er unter mir,
Bekränzt von Oliven und Myrten,
Die duftige Falter umschwirrten.

*gemeint ist Schloss Miramare in Triest 1880
siehe Bild unten.

 



Heut' streift meine Schwingen der Nordsee Schaum,
Ihre Wogen wiegen mich ein zum Traum ...
Aus nebliger Ferne dringt leise
Vom Neckarstrom her eine Weise;

Und ich sehe des Schlosses Ruinen,
Die mit silbernem Lichte umspinnen
Des Maimonds üppige Strahlen,
Wie sie gleiten durch Tor und Hallen.


Während drüben im Schatten der Bäume,
Versenkt in olympische Träume,
Halb bedecket mit seinem Schilde,
Ruht des Herrlichsten Marmorgebilde.*


*Elisabeth ließ vor dem Schloss Miramare
eine Kopie des "sterbenden Achill" aufstellen.

geschaffen von
Ernst Herter 1884
                   8.

Wer hat's dir wohl verraten,
Du liebe Nordsee mein,
Dass ich mit Leib und Seele,
So ganz und gar bin dein? . . .

— Ob's wohl die Möwen waren,
Die es dir hinterbracht? —
Denn oft am Strande wandelnd,
Hab's ihnen ich gesagt.

Seitdem läss't keine Ruhe
Du mir bei Tag und Nacht;
Rufst mich bald wild und drohend,
Dann wieder schmeichelnd sacht.

Du willst mich wiegen, schaukeln,
Dein Arm ist ja so weich,
Bis endlich du mich dennoch
Ziehst in dein nasses Reich.

                      9.

Gruß*

Du Adler, dort hoch auf den Bergen,
Dir schickt die Möwe der See
Einen Gruß von schäumenden Wogen
Hinauf zum ewigen Schnee.

Einst sind wir einander begegnet
Vor urgrauer Ewigkeit
Am Spiegel des lieblichsten Sees,
Zur blühenden Rosenzeit.

Stumm zogen wir nebeneinander
Versunken in tiefe Ruh' . . .
Ein Schwarzer nur sang seine Lieder
Im kleinen Kahne dazu.

*An König Ludwig II. von Bayern gerichtet, der häufig von
Elisabeth als "Adler" — im Gegensatz zu ihr selbst als
"Möwe" — gekennzeichnet ist.


               10.

Was ist das für ein Toben
Bald tief, bald in der Höh'?
Es kämpfen die zwei Riesen:
Boreas und die See.

Turmhoch bäumt sich die Woge,
Ihr wilder Odem braust;
Doch weit zurück sie schleudert
Des Sturmwinds Eisenfaust.

Wenn ihr euch so zerkrieget,
Und ich komm' zwischen euch,
Dann gnad' mir Gott der Große
Und öffne mir sein Reich!

               11.

Vom Abend bis zum Morgen,
Von Früh bis in die Nacht
Muss ich stets lauschen, horchen,
Ob du mir nichts gesagt.

Das Murmeln deiner Ebbe,
Das Rauschen deiner Flut
Das sind mir alles Worte,
Zu halten treu in Hut.

Mir dünkt, dass du diktiertest,
Zu schreiben nur bleibt mir;
Gedanken und Gefühle
Wehst du auf das Papier.*

*Gemeint ist Heinrich Heine. Sie fasste ihre Dichtungen
als Diktate Heines auf.


                         12.

Ich schrie deinen Namen hinaus in die Flut,
Doch die Fluten brachten ihn wieder.
Ich schrieb deinen Namen hinein in den Sand,
Da drückten die Muscheln ihn nieder.

Nun hab ich ihn endlich mit goldenem Stift
In den Horizont eingetragen;
Dort leuchtet und glänzt er, das schönste Gedicht
Aus Homers unsterblichen Sagen:
                    
Αχιλλεốç

                   13.

Und wenn ich einmal sterben muss,
Dann legt mich an den Strand,
Dass auch mein letzter Blick noch sei
Aufs teuere Meer gewandt.

Die Wogen rauschen mir dazu
Den letzten lieben Laut,
Als rief voll Sehnsucht schon zu sich
Der Bräutigam die Braut.

Und wo am tiefsten ist das Meer,
Dort senkt mich dann hinein;
Mag's oben stürmen noch so sehr —
Da unt' wird Ruhe sein.


                    14.

Alt-Heidelberg, Ehrbare, Feine,
Was bist du so sittsam und zahm;
Ich komm' von der Nordsee, der tollen,
Und find' dich ein bisschen zu lahm.

Mein Liebster* sitzt dort auf den Wogen,
Er stützet das Haupt auf den Arm,
Ihn umkreisen in weitem Bogen
Der Möwen wehklagender Schwarm.

*gemeint ist wieder jener obgenannten "sterbender Achill!

Die Möwen, die sind meine Schwestern,
Die fühlen dasselbe wie ich,
Sie können nicht rasten, noch ruhen,
Er ziehet sie immer zu sich.

Den weißgrauen Fittig sie tauchen
Ins schäumende, zischende Nass;
Das spritzen sie ihm auf die Stirne,
Drum ist sie so marmorhaft blass.

              15.

In deinen Bann gezogen
Hast du mich, große See;
Nun habe ich keine Ruhe,
Wo immer hin ich geh'!

Wohl bringt der Mai mir Blüten,
Weiß wie dein Wellenschaum,
Des Neckars Schlossruinen,
Schön wie ein Jugendtraum.

Wohl führt er in den Schatten
Der Schwarzwaldtannen mich,
Trotzdem, ich weiß, kränkt dennoch
Mein Herz sich nur um dich.

Hoch auf der grünen Alpe,
In heißer Sommerglut,
Da werd' ich dürstend schmachten
Nach Deiner kühlen Flut.

Und wenn im Mondschein leuchtet
Und prangt der Gletscherschnee,
Dann überkommt mich immer
Das Heimweh nach der See.

Nach ihren Vollmondnächten
So überirdisch schön,
Dass man nur beten möchte
Und im Gebet vergeh'n.

Streif ich auf flücht'gem Renner
Im Pusztasand dahin,
Das Ross trägt meinen Körper,
Die Nordsee meinen Sinn.

Drum, mögen sie auch sagen:
"Das Meer liegt ja so fern." —
Des Geistes Schwingen reichen
Selbst bis zum weit'sten Stern!

                 16.

Allein, allein am weiten Strand,
Vor mir die hohen Wogen
Und hinter mir das Dünenland
In weichen, sanften Bogen.

Allein mit dem geliebten Meer
So geh' ich auf und nieder;
Es wirft mir seine Muscheln her,
Und ich zurück ihm Lieder.

Die Möwen, die geniert das nicht,
Und nicht die grauen Raben,
Die denken sich: "Solch' dumm' Gedicht
Möcht' ich schon eh' nicht haben!"

                17.

Seh' ich am fernen Horizont
Ein weißes Segel gleiten;
So möcht' ich mit!
Seh' ich auf schäumend' Wellenross
Die Möwe lustig reiten;
So möcht' ich mit!
Seh' ich den Fischer, seebereit
Den schweren Anker lichten;
So möcht' ich mit!
Doch meines eig'nen Wunsches Kiel
Schließlich wohin zu richten! —
Ich weiß es nicht!

                18.

Nur fort, nur fort von dir,
Ich kann's nicht mehr ertragen;
Das tolle Herz will schier
Den kranken Kopf erschlagen.

Die Augen drück' ich zu,
Ich will dich nicht mehr sehen,
Um jeden Preis nur Ruh',
Eh' alle Sinne gehen.

Denn heut', als ich dich sah,
Musst' ich schon an mich halten,
Um nicht, als wär' Gott nah',
Die Hände hoch zu falten,

Um nicht laut auf zu schrei'n,
Mich auf die Knie zu werfen. —
Und o, dazu die Pein,
Das Toben aller Nerven.

Ist dies wohl Nemesis,
Weil stets für irdisch' Lieben
Mein Herz so ungewiss
Und ungetreu geblieben?

                19.
Abschied von Zandvoort

Noch einen letzten, langen Blick
Auf dich geliebtes Meer!
Dann lebe wohl, so schwer's auch fällt,
Gott geb', auf Wiederkehr

Zum Abschiedsgruße wählt' ich mir
Die stille Mondesnacht —
Du liegst vor mir — ein schimmernd Bild —
In deiner Silberpracht.—

Wenn morgen übers Dünenland
Der Sonne Strahl dich streift,
Bin ich mit raschem Flügelschlag
Schon weit von hier geschweift.

Umkreisen wird dich, wie zuvor,
Der Möwen weiße Schar;
Dass unter ihnen eine fehlt,
Wirst du es wohl gewahr?

                20.
                  Finis

Die Feder, die ich vier Wochen
In deine Fluten getaucht,
Nun hab' ich sie zerbrochen,
Sie wird nicht mehr gebraucht.

Vier Wochen hat sie besungen
Dich ohne Unterlass;
Ob dies ihr wohl auch gelungen?
Ach, wir bezweifeln das!

Nun wird sie wieder vertauschet
Mit Schläger und Rappier;
Dieweil die Woge hier rauschet,
Trägt dort mich's edle Tier.

Die Poesie können holen,
(Die ich ins Meer versenkt,)
Die Kabeljau und die Soolen;
Stockfisch
Ihnen sei sie geschenkt.



nach oben