Sommer Herbst
An die Augustsonne
Du hast kein Recht noch, zu erkalten,
Dich abzuwenden schon so rasch,
Du bist kontraktlich festgehalten,
Sieh, hier ist er in meiner Tasch'.
Auf den Kontrakt mich fest verlassend,
Kam ich hierher; ich halt' dran fest,
Wenn du, vorzeitig auch erblassend,
Dich dort verbirgst vor mir im West.
Ich steig' dir nach, ich bin zudringlich,
Ich such' dich auf der steilsten Höh',
Es schmerzt mich Kälte zu empfindlich,
Drum brauch' ich deine warme Näh'.
Gut, weißt du mir stets auszuweichen
Hier hinter jedem Berg und Wald,
Auf andre Art werd' ich erreichen,
Was mich hier flieht, und zwar recht bald.
Kaum dass du abends heimgegangen,
Setz' ich mich auf die Eisenbahn,
In einer Nacht das zu erlangen,
Was ich hier nicht erreichen kann.
Und wenn dann morgens schlafestrunken
Du dich erhebest aus dem Meer;
Wer hat dir freudig zugewunken?
Dies zu erraten, ist nicht schwer.
Sonnenaufgang
Ich lieb' es, wenn die weißen Nebel wallen,
Am früh'sten Morgen auf dem Berg zu steh'n;
Es tauchen auf, wie sie allmählich fallen,
Des Gletschers Spitzen silberweiß zu sehn.
Da nahen, ihn zu küssen, Sonnenstrahlen,
Sein Silber muss in Rosen übergeh'n.
Doch tiefer sinket nicht, ihr Nebelschleier,
Lasst mir bedeckt die Welt, dies Ungeheuer!
Sonnenuntergang
Die Sonne geht in Wolken unter
Und färbt nicht rot des Gletschers Eis;
Es leidet seine Schönheit drunter,
Gibt ihre Pracht sie ihm nicht preis.
Ich aber steig' beklommen nieder,
Als war' ein Unglück mir passiert;
Bis sich die zwei versöhnt nicht wieder,
Fühl' ich mich ernstlich alarmiert.
Doch dort des Mondes klare Scheibe
Wird wohl heut' Nacht Vermittler sein
Und treibt dem Horizont vom Leibe
Die Wolken all mit lichtem Schein.
Es wirft sich morgens dann die Sonne
Mit neuer Glut aufs Eisgefild,
Ich aber schau' mit stiller Wonne,
Entzückt auf der Versöhnung Bild.
Septemberlieder
Ischl
1886
I.
Gosaumühle
Göttlich ruht die Mondesnacht
Auf den hohen, stillen Bergen,
Starr in ihrer Felsenpracht
Scheinen sie gleich Riesensärgen.
Unten tief im dunkeln Tal
Liegt der Alpensee gebreitet,
Wo des Mondes Silberstrahl
Kaum noch auf den Wassern gleitet.
Regungslos ist die Natur,
Selbst der Nachtwind scheint entschlafen;
Aus dem Schweizerhäuschen nur
Klingt's wie Klirren von Karaffen.
Dorten überm stillen See
Auf der breiten Holzaltane
Schwärmen wir bei dem Kaffee
Und der besten süßen Sahne!
II.
Offensee
Ich trat hinaus in das Septemberdunkel
Und schritt den stillen See entlang;
Am fernen Ufer schien wie ein Karfunkel
Des Fährmanns Licht am Waldeshang.
Ich fühlte mich so einsam und verlassen,
In meiner Brust lag's schwer wie Blei;
Es war ein Ringen zwischen Lieb' und Hassen,
Ein bitt'rer stummer Herzensschrei.
Ich hab' geliebt, wie wenige nur lieben,
Mit jedem Puls- und Herzensschlag;
War's nicht schon Götzendienst, den ich getrieben,
Ein gold'nes Kalb, vor dem ich lag?
Und als ich fragend ließ den Blick, den nassen,
Hingleiten auf den tiefen See,
Da schnitten mir die Sterne d'rin Grimassen
Und höhnten mich samt meinem Weh.
Da sprach ein altes Sternbild jetzt von oben:
"Wer liebt, ist immerhin ein Tor;
Doch wer gar Gegenliebe will erproben,
Der kommt mir wahrlich närrisch vor.
Wollt' ich verliebt aus meiner Bahn entgleisen
(Und ich gesteh', es fiel' mir schwer),
"Der große Esel" würde ich geheißen,
Anstatt wie jetzt "Der große Bär".
III.
Noch
Noch sind die Buchen frisch und grün,
Und grün sind noch die Matten;
Noch seh' ich schlanke Schwalben zieh'n,
Wer spricht da schon von Schatten?
Noch immer wärmt der Sonne Strahl
Mein Blut, das sonst so kalte,
Auf meinem Berg fühl' ich zumal,
Als ob noch Sommer walte.
Doch kommt der Herbst in Wirklichkeit,
Und sammeln sich die Schwalben;
Dann hüll' ich mich ins Winterkleid
Und sag' "ade" den Alpen.
Allerseelen
Es ist die Allerseelennacht;
Der Friedhof liegt verlassen;
Wer würde auch um Mitternacht
Mit Toten sich befassen?
Doch wie der Mond durch Wolken bricht,
Bescheinen seine Strahlen
Ein bleiches Frauenangesicht,
Um das die Flore wallen.
Sie wandelt still und ernst daher
Im langen, schwarzen Kleide;
Mit Kränzen sind die Arm' ihr schwer
Behangen alle beide.
Tief sinnend tritt sie an ein Grab,
Auf dessen grüne Pforte
Legt sie den ersten Kranz herab
Und spricht dabei die Worte:
"Entschlafen bist du Guter längst,
Doch aus Erinnerungen,
An die selbst du vielleicht noch denkst,
Ist dieser Kranz geschlungen.
Die schönsten Disteln habe ich
Betaut mit einer Träne;
Am besten kennzeichnen sie dich,
Sind deines Geists Emblême."
Zum zweiten Hügel sieht man jetzt
Sie trauervoll sich beugen;
Sie hat den Kranz darauf gesetzt
Aus immergrünen Zweigen.
"Ja, immergrün ist dieser Kranz,
Den ich dir heute weihe;
Denn ehrlich, unverwelklich ganz
Wie er, war deine Treue."
Sie schaudert vor dem dritten Grab
Und wendet sich mit Grauen
Unschlüssig mehrmals wieder ab,
Als könnte sie's nicht schauen.
"Und dennoch", spricht sie, "soll's gescheh'n;
Was sein ist, soll er haben;
Bis in die Erde sollen weh'n
Ihm dieses Kranzes Gaben.
Die Wolfsmilch habe ich gesucht
Und in den Kranz gewunden,
Die Belladonna, schwer verrucht,
Hab' ich hinein gebunden.
Des Schierlings weißes Blütengift
Ist auch dazu verwendet;
Wenn sich des Kranzes Hauch vertieft
Zu ihm, sagt, wer ihn sendet."
Doch an dem vierten Grabe hell
Und laut muss sie auflachen,
Bis in den Mausoleen gell
Die Echo rings erwachen.
"Ich seh' dich noch, mein treuer Freund,
Und deine tollen Sprünge;
Ich habe auf den Kranz geweint
Vor lachen, den ich bringe.
Du grasest drüben sicherlich
Auf üppigen Gefilden,
Drum wand ich Hafer nur für dich
Und Klee, den duftend wilden."
Der letzte Kranz, das letzte Grab,
Die Wallfahrt wird beendet;
Es ist der schönste, den ich hab',
Und der sei dir gespendet.
Du warst das letzte helle Licht
An meinem Horizonte;
Drum bracht' ich dem Vergissmeinnicht,
Den meine Treu' nie schonte.
* * *
"O sage mir, wer ist sie wohl gewesen,
Die zwischen Gräbern schritt, die bleiche Frau?
In ihrem Antlitz konnte ich's nicht lesen;
Doch viele kannten sie wohl einst genau.
Die liegen nun vermodert und verwesen,
Und Gräber sind es nur, die rings ich schau'."
""Ich will dir flüsternd nennen ihren Namen:
Die tote Liebe ist's. Gott tröst' sie! Amen!""
Wieder
3.
September
I.
Toter Tage bleicher Schatten
Tauchst du immer wieder auf,
Willst du nimmermehr ermatten,
Ahnst du nicht der Zeiten Lauf?
Wirst du endlich nicht erfrieren
An dem Eis, das mich umgibt?
Musst du ewig rastlos irren,
Weil dies Herz dich einst geliebt?
II.
Wie, es ist ja nicht verflossen
Noch das obligate Jahr,
Und schon bringst du unverdrossen
Neue Huldigungen dar!
Wahrlich! mich beschämt die Treue,
Die dich immer wieder bringt;
Wär' ich selbst darin nicht Laie,
Rührte sie mich unbedingt.
In dem dichten Buchengange
Wandelten wir bei zwei Stund',
Diskurierten wichtig lange,
Dass die Luft hier sehr gesund.
Doch du klagst, dass deine Leber
Heuer nicht in Ordnung sei,
Deine Stimmung ist funêbre
Auch die Milz fühlt sich nicht frei.
Lieber Freund, folg meinem Rate,
Geh nach Karlsbad unversäumt,
In dem weltberühmten Bade
Wird dein Körper neu geleimt.
Funktionieren Milz und Leber
Regelmäßig und normal,
Schwinden auch die Herzténèbres,
Deines Lebens dunkle Qual.
Cyclamen
I.
Sind's vielleicht die Herbstcyclamen,
Üppig blühen sie wie nie,
Die mir so den Kopf einnahmen?
Sinnbetäubend duften sie.
Längs dem ganzen steilen Pfade
Steigen sie am Fels hinan;
Und mit violettem "Staate"
Ist mein Berg heut' angetan.
Doch ihr Hauch, der tut mir wehe,
Glühend heiß ist meine Stirn;
Scheint's doch fast, als ob sich drehe
In dem Kopfe mir mein Hirn.
Lauschen muss auf jeder Stufe
Ich und ängstlich rückwärts schau'n.
Ist's mir doch, als ob mich rufe
Hinterm Felsen dort ein Faun.
Und jetzt klingt's wie Hohngelächter,
Böse Geister sind heut' los,
Unterird'sche Feuerwächter,
Die sonst tief im Erdenschoß.
Und die schrecklichen Grimassen,
Welche rings die Bäume zieh'n;
Wie aus jenen Wolkenmassen
Plötzlich sie der Mond beschien.
Hell ist's wie am lichten Tage
Und doch so gespensterhaft,
Dass ich vor dem Rückweg zage,
Trotz der großen Seelenkraft.
Meine Not vergrößern helfen
Will der Gletscher, starr und weiß;
Denn es dreh'n sich Silberelfen
Rastlos hin auf seinem Eis.
Aus den Fichtenbäumen lachen
Käuzchen hämisch, menschlich fast;
Und dort krächzt mit offnem Rachen
Eine Krähe von dem Ast.
O, ihr grässlichen Cyclamen!
Ihr habt heut' mein Hirn verhext;
Ich verfluche euern Samen,
Der dem Höllenpfuhl entwächst!
II.
"Es sei gelobt der Namen
Des Herren Jesu Christ,
— In Ewigkeiten, amen, —
Der du mein Schutz jetzt bist!"
Sie spricht's und stürzt hinunter
Den steilen Felsenpfad,
Den früh am Morgen munter
Sie noch erklommen hat.
Sie stürmet rastlos weiter,
Bald ist das Tal erreicht;
Die Berge zieh'n sich breiter,
Der Weg wird sanft und leicht.
Auf taubenetzten Matten
Da duftet's mild und süß,
Nicht wie im Felsenschatten,
Den jüngst sie erst verließ.
Die offnen Fenster winken
Aus wildem Weine dort;
Sie lässt das Haus zur Linken
Und eilet rastlos fort.
Sie eilt mit raschen Schritten
Die Straße jetzt entlang;
Als könnt' sie nie ermüden,
So fiebrisch ist ihr Gang.
Der Fluss ist ihr Begleiter
Und rauscht Vernunft ihr zu,
Sie aber schickt ihn weiter;
Zu dieser braucht man Ruh'.
Laut singend naht ein Bauer,
Unsicher scheint sein Ziel,
— Der tat beim Märzenbrauer
Des Guten wohl zu viel. —
"Wozu die große Hetze,
Die Nacht ist lang genug!"
Und schimpft dazu sie Metze
Mit einem groben Fluch.
"Es haben die Cyclamen
Vergiftet heut' mein Hirn!"
""In aller Teufels Namen
Fahr ab, verrückte Dirn'!""
Sie flüchtet rasch von dannen,
Wo über einen Steg
Ins Dunkel hoher Tannen
Sich abzweigt jetzt ein Weg.
Nicht lang ist sie gegangen,
Kommt pfeifend, o Malheur!
Das Ränzel umgehangen,
Ein Handwerksbursch daher:
"Du bist so fein gekleidet,
Gewiss hast Du auch Gold;
An Durst und Hunger leidet,
Wer so, wie ich, stets trollt.
Auch denk' ich, gäb's Geschmeide,
Armband und Fingerring,
Ich tu' Dir nichts zuleide,
Gibst Du mir solch ein Ding."
""In mein Gewand vertiefte
Ich nichts als dies Papier,
Samt einem Silberstifte,
Geweiht vom Meister mir.
Ich trage nie Geschmeide,
Das wär' mir eitle Last,
Drum tu' mir was zuleide,
Wenn's Herz dazu du hast!""
"Nun gut, ich lass' Dich laufen,
Doch gib mir Deine Uhr,
Ich kann sie gut verkaufen
Und Dich beschwert sie nur."
""Unglücklicher! verlangen
Darfst Du dies nie von mir;
Siehst Du im Mondlicht prangen,
Am silbernen Scharnier,
Nicht mystisch lange Zeichen
In fremdverschlungner Schrift?
Ich darf dir nimmer reichen,
Was Tod dir wär' und Gift.
Sie sind des Bräut'gams Namen,
Viertausend Jahr' schon tot.
Vergiftet durch Cyclamen
Ward ich ums Abendrot.""
Dem Handwerksburschen graut es
Ins Mark hinein jetzt schon;
Unfähig jeden Lautes,
Geht eilends er davon.
Nun kann sie weiter wandern,
Nichts hemmt mehr ihren Lauf;
Ein Hügel nach dem andern
Führt abwärts bald, bald auf.
Doch in dem Buchenlaube
Was schimmert wohl so licht?
Bedeckt vom Silberstaube
Kommt jetzt der See in Sicht.
Ein weiter Silberspiegel,
Dehnt blendend er sich aus;
Den streift mit schwarzem Flügel
Die dunkle Fledermaus.
Die alten Berge schauen
So urwelternst hinein;
Ihr Haupt muss doch ergrauen
Trotz all dem Licht und Schein.
Am Uferrand zur Rechten
Hebt sich vom Ort empor
Die Kirche, Guten, Schlechten
Steht offen stets ihr Tor.
In frommem Glauben richten
Viel Wallfahrten sich hin,
Wo um Ex-voto-Schichten
Die Wundersagen blüh'n.
Sucht sie der Kirche Schatten?
O nein, sie schreitet fort
Jetzt über grüne Matten;
Entfernt liegt bald der Ort.
Auf einer kleinen Höhe,
Bedeckt mit Buchengrün,
Die bis zum Silbersee
Anmutig hin sich ziehn,
Bleibt sie nun endlich stehen
Vor eines Gartens Zaun;
Wird auf die Tür wohl gehen?
Sie bückt sich, um zu schau'n.
Nun tritt sie in den Garten;
Auch hier regt sich kein Laut,
Die bunten Rosenarten,
Die duften mondbetaut.
Sie duften in ein Fenster,
Das weit geöffnet steht
Trotz Eulen und Gespenster,
Trotzdem die Nachtluft weht.
"Wach' auf aus Deinem Schlummer,
Ans Fenster tritt geschwind;
Denn krank und voller Kummer
Mein Hirn, mein Haupt heut' sind.
Was zögerst Du so lange
O zeig dich endlich doch!
Mein Kopf ist wüst und bange,
Seit ihn das Gift umkroch."
Im lichten Mondenstrahle
Wer tritt ans Fenster jetzt,
Verhüllt mit einem Shawle,
Das Antlitz bleich, entsetzt?
Die großen Augen starren
Versteinert schier herab,
Die sie dort unt' gewahren,
Entstieg sie nicht dem Grab?
Und wieder ruft die Arme:
"O fürcht' Dich nicht vor mir,
Ich tu Dir nichts zum Harme
Nur helfen sollst Du mir!"
Die oben ringt die Hände:
"O Jesus und Marie!
Naht denn der Welt ihr Ende?
Solch' Schrecken hatt' ich nie!"
"Ich tu Dir nichts zuleide,
Nur komme schnell hierher;
Leg mir die Hände beide
Aufs Haupt, es brennt so sehr.
Das wird mir sicher kühlen
Da drin die wilde Glut;
Sind Dir auch gram die Vielen,
Ich bin Dir dennoch gut;
Denn geht, das Haupt voll Sorgen,
Zu Dir mein Eh'gemahl,
Zurück kehrt er am Morgen,
Erfrischt, verjüngt ins Tal.
Drum lege beide Hände
Nur schnell auch mir aufs Haupt,
Eh ich mich heimwärts wende;
Das hilft, was fest man glaubt."
""So sprich in Christi Namen,
Was ist denn Deine Not?""
"Vergiftet durch Cyclamen
Ward ich ums Abendrot."
Herbstklage
Es naht der Herbst, und klagend muss ertönen,
Der Äolsharfe gleich, die Seele mein,
Accorde sind's voll namenlosem Sehnen,
Die Saiten zittern wie in banger Pein.
Den Klängen einet sich des Nordwinds Stöhnen,
Der pfeift die Totenmelodien drein;
Den Toten aber gelbe Blätter decken,
Den toten Sommer, nichts mehr wird ihn wecken.
Herbstnachmittag
Der Himmel ist wie ein Turkoise blau,
Kaum dass sich hier und dort ein Wölkchen ballt
Aus Süden weht der Wind und ist doch rau,
Die Sonne glänzt und lässt mich dennoch kalt.
Des Gartens Bäume sind wohl noch belaubt,
Doch haben kalte, lange Nächte schon
Des frischen grünen Schmuckes sie beraubt,
Und streuten drauf des Herbstes gelben Ton.
Die Blumen sind am Waldeshang erblasst
Und neigen sich wie Leichen farblos hin,
Tief purpurn glänzt die Vogelbeer' am Ast,
Und Berberitzen glühen wie Karmin.
Die Schwalben eilten längst ins ferne fort;
Die frischen Amsellieder sind verstummt;
Der ernste Wald ist jetzt der Raben Hort,
Des dunkeln Heers, im Fittig schwarz vermummt.
Ich wandle einsam in dem Buchengang,
Des Tales Glocken läuten dumpf dazu
Und künden an mit ihrem schweren Klang,
Dass unten wieder einer ging zur Ruh'.
Und ich — ich weine, bin ich doch allein,
Wohl nicht um jenen fremden Toten dort;
Ich klage um des Lenzes holden Schein,
Ich weine um die Rosen, die verdorrt.
Spätherbst
Ischl, 3. October 1887
Wunsch
An meinen Haaren möcht' ich sterben,
Des Lebens ganze, volle Kraft,
Des Blutes reinsten, besten Saft
Den Flechten möcht ich dies vererben.
O ginge doch mein Dasein über,
In lockig seidnes Wellengold,
Das immer reicher, tiefer rollt,
Bis ich entkräftet schlaf hinüber!
Spätherbstabend
Herbstlich ist es, kalt und düster;
Durch den Wald zieht ein Geflüster,
Wie aus Orkus Schattenreich.
Rastlos fallen gelbe Blätter,
Schwere, graue Nebelwetter
Sinken dunkel, bahrtuchgleich.
Und die Schatten sinken tiefer,
Schwärzer werden Tann' und Kiefer,
Feuchte, frühe Nacht fällt ein.
Einsam wandle ich im Dunkeln,
Statt der Sterne hellem Funkeln,
Führt mich meiner Lampe Schein.
Jetzt erfasst mich innres Grauen,
Meinem Aug' will ich nicht trauen,
Und doch seh' ich zweifellos
Einen Umriss mich begleiten;
Mehr zu schweben, als zu schreiten
Scheint dies Bild, aus Nebel bloß.
Bebend hauche ich die Frage
Der Gestalt zu: "O so sage
Endlich, wer und was Du bist?"
Meine Knie schlottern, wanken.
"Deine Seele, Dein Gedanken
Bin ich, was du jetzo siehst!"
Also sprach die wunderbare
Form, die so durchsichtig klare.
Demutsvoll erwidre ich:
"Meine Seele, mein Gedanke,
Du allein bist es seit lange,
Meister! nun erkenn' ich Dich!"
Der Sommer starb
Der Sommer starb dahin, die Bäume streuen
Auf seine Leiche trauernd Blatt auf Blatt;
Die letzten bleichen Sonnenstrahlen weihen
Ihm schwindend einen Kuss noch, kalt und matt;
Es krächzt der Rabe Totenlitaneien
Vom Ast herab im schwarzen "Trauerstaat";
Die Blumen aber sinken hin und bleichen,
Wie umgeweht durch unheilschwangre Seuchen.
O toter Sommer! könnte ich mich legen
Zu dir, mit gelbem Laube überdeckt,
Und schlafen, bis mit seinem Blütensegen
Ein junger Lenz mich wieder liebend weckt,
Statt dessen muss dem Winter ich entgegen,
Und trag' im Herzen doch den Lenz versteckt.
So trage ich ihn durch des Winters Wehen,
Und endlich wird er dennoch auferstehen.
Grau
Die Welt ist grau und grämlich,
Schaut grämlich grau auch aus;
Mir speziell ist nämlich
Das Gräuliche ein Graus.
Ich brauche frische Farben,
Der Sonne helles Licht;
Mir ist, als müsst ich darben,
Gewahr' ich derlei nicht.
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