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Zwischenspiel
 


Wenn es ein Wunder gibt, so ist es dieses:
daß Gott uns beides legte in die Brust,
die Seligkeit des reinen Paradieses
und seiner Erde menschenechte Lust.

Und was er einte, sollen wir nicht trennen,
dem Strahl nicht fluchen, weil wir Dunkel sind;
er gab uns beides, daß wir ihn erkennen,
und nur der Kämpfer ist sein liebstes Kind. —

I.

In dem finsteren, freudleeren Amtslokal,
wo mein buckliger Vetter Schreiber ist,
und zwischen Paketen, Papieren und Mist
immer noch glaubt an den Sonnenstrahl,
der irgendwo ferne, irgendwann
auf ihn freundlich wartet und der ihm dann
alles lächelnd vergelten soll — —
was hätte ich dort in der Öde verloren? —

Ich weiß es noch: Kaum sah ich dich
in der Gruppe der blassen Mädchen stehen,
die dort ihren farblosen Alltag gehen
und mit müder Neugier herschauten auf mich
— weil ich fremd war und andere Augen habe —
da fühlte ich dich auch schon in mir. —

Und nun gehst du mit mir und bist immer nah',
und ich weiß deinen Namen nicht —
doch die alte Weise ist wieder da,
die vom Glauben und Lieben spricht — —

Und mein armer Vetter mit der schiefen Brille
vor den welt-verzeihenden, grauen Augen,
die sich so gläubig an alles Lichte saugen,
ist der tiefe Freund meiner einsamen Stille
und ahnt nicht, warum ich ihm Gutes tu' —

— ich selber weiß nicht, wie es geschehen —
denn du
hast doch nur einmal —
nur einmal
ganz flüchtig nach mir gesehen. —

II.

Ich weiß deinen Weg — und brauche ihn gar nicht zu sehen;
denn früher einmal, vor vielen, langen
Jahren bin auch ich dort gegangen,
wo im Garten am Bach die farbigen Häuser stehen.
Im lichten Abend grüßt dich nun jedes Kind,
du lächelst und nickst nach ihnen zur Rechten und Linken
und freust dich, wie hell auf den Stangen die Glaskugeln blinken
und daß die Rasenstücke schon voller Knospen sind.

In deiner Kammer legst du den Hut mit dem roten Band
auf die Kommode; indes deine schmale Hand
wie im Sinnen verloren über die Haare streicht,
geht dein Blick in die Ferne, wo hinter den letzten Dächern leicht
eine zarte Wolke im Sonnenscheiden glüht.

Und da ist es plötzlich in dir voll Lust und Klage,
da ragst du frei und groß über deine Tage —
und bist in mir und bist in allem zugleich,
des Lebens voll — und wie eine Gottheit reich.

III.

Mit jedem Schritt vergingen
wir tiefer im wogenden Feld,
im Leben von tausend Dingen,
die sich in unserem Schweigen
im stummen Abendreigen
verliebter Falter fingen —
mit jedem Schritte gingen
wir weiter aus der Welt.

Und haben sie verloren;
auf Traumwegen Hand in Hand
nicht Lieb' und Treue geschworen,
nicht morgen noch gestern berufen — —
Die Schritte bauten uns Stufen,
entführten uns allen Toren —
Wir gingen der Welt verloren
und fanden eigenes Land. —


IV.

Ein großes Atmen ist in meinem Sein —
Alles Belebten gottvolles Regen,
alles Gewollten formender Segen —
So Bild, wie Seele — Meer, wie Uferstein.

Wo sich im Tanze die Lust geschwungen,
bin ich ihr jauchzend vorangesprungen,
stöhnte ein Sterben an düsterer Stätte,
stand ich als wissender Freund am Bette.
Liebesgarten und Treuetrug,
Abschiedsklage und Siegeszug —
Alles flutet in breiten Wellen,
alles grüßt mich, seinen Gesellen.

Und es wird mir, daß ich mich sehe,
wie ich mit offenen Armen stehe,
vom Selbst in dem Ganzen mich zu erlösen,
zu sterben um eines Windhauchs Wesen. —


V.

Mein Vetter las ein altes Buch
mit Gedichten vom Leben und Lieben
und hat, wo die innigsten Verse stehn,
deinen Namen dazugeschrieben.

Und, als er merkte, daß ich es gesehn,
da hat er mich bettelnd umschmeichelt
und suchte nach Worten — und fand sie nicht —
und hat meine Hand gestreichelt. —

VI.

Daß wir uns heute — heute erst fanden — —
Wie nenne ich sie mit brennenden Namen,
die es verschuldet!
Wie treff' ich uns mit zorniger Klage,
die wir's geduldet!
Denn was in uns beiden heute nach Offenbarung drängt,
das hat sich vor Jahrmillionen in schaffenden Keimen vermengt.


Ich bin das erfüllte Umschlingen
und du das bereite Warten,
ich bin dir Sonne und Regen
und du die Erde im Garten —

Durch hundert blühende Tage
und tausend Nächte voll Leid
sind wir zu Menschen geworden
mit Grauen und Seligkeit —

und liefen aus fremden Weiten
in eine Spitze zusammen
und lodern aus feindlichen Polen
in einiger, jauchzender Flamme! —

VII.

Du betest: "Lieber Vater, gib,
daß ich den Weg behalte,
und laß nicht, was mich gläubig trieb,
als Blitz und Flamme walten.

Gib meine wachen Sinne nicht
dem heißen Traum zur Beute —
Ach, den ich liebe, fürchte ich,
und das herrische Du! und Heute!"


VIII.

Wenn auf den hohen Altären
die letzten Brände verrauchen
und die großen Seltenheiten
ins Taggewohnte tauchen,

dann ist noch ein heißes, langes,
aufbäumendes Händefassen
und zugleich ein wissendes, banges
Verstehen und Verlassen —

Da wird uns tiefes Erkennen,
daß wir selten und einsam stehn,
daß Dinge, die keiner zu nennen
vermöchte, mit uns geschehn,

und daß wir entbehren müssen
von des Tages breitlachendem Glück,
weil wir uns zu hoch erhoben
in einem einzigen Augenblick. —

IX.

Lang war ein Schweigen
überall —
wir sahen nicht Feld und Berg,
nicht Wolken —
nur weit — weit — drüber weg
— Himmel weiß, wohin —
wo wir uns selber suchten.

Denn du, mein armer Vetter, und ich
verstanden es beide,
daß es schwer in uns sein mußte.
Sollt' ich dir tragen helfen? —
Halfst du mir? —
— — — — — — —
Und dann hast du gesprochen —

Worte umgaben ein Drängen,
verhüllten Schmerzen,
trösteten Tränen;
dann und wann
standen sie schützend
vor einem Schrei —

O ja, mein Vetter, ich lebe
in dieser Worte brennendem Wesen —
Leergreifende Hände
jahrelang —
und das trutzige immer — wieder — Glauben
und das einmal — einmal — Finden — oh —
Willst du sie mir nennen,
die blitzenden, harten Juwelen
meiner unnahbaren Krone! —
— — — — — — —
Sieh, wie der Tag sich senkt —
es wird ein klarer Abend — —
Meine Wege führen weit.

Still, mein Vetter —
laß uns einander nahe weilen — —
und morgen —
morgen will ich
dein Freiwerber sein. —


X.

Oh, die ergebenen Frauen zu sehen,
wie sie müde mit ihren Gatten gehen —
und zu denken, daß sie vor kurzen Jahren
starke, hochfordernde Mädchen waren,
die nun alles vergaßen und alles verrieten
und nicht mehr wünschen und kaum noch bieten —

Und zu denken, daß du in nächster Frist
auch eine von den Gelebten bist — —

Und warst wie ein blühender Sang der Liebe —

Oh, daß doch e i n e das Flammenlied bliebe!


XI.

Ave Maria!
Gegrüßt seist du, Königin,
Mutter und Martyrin,
Liebevertraute!

Zu dir beten
ist außer sich stehen —
im Überweiten
willig vergehen —

Eigenleid bannen,
Weltsorge trinken —
ganz versinken
in deiner Hut —

nur eines flehen:
"Nimm dies Geschehen!
Wie du es wendest,
so ist es gut." —


XII.

Die Sonne zittert im jungen Laub,
durch wehende Lüfte schwimmen
im alten Dreiklang des Feiertags
verhaltene Glockenstimmen.

Nun richten sie dir die Hochzeit aus
und läuten's in alle Weiten
und führen dich mit Gepränge nach Haus
und wünschen dir glückliche Zeiten. —
— — — — — — — — — — — — — — — —
Ich steige langsam die Höhe hinan
und denke an unser Lieben —
wie es kam und lachte — und wieder verrann
und wie uns sein Bestes geblieben. —

Das Herz in dem weißen Birkenstamm —
das habe ich damals geschnitten — — —
Im Tal ist ein blauer Reitersmann
durch den goldenen Herbst geritten. —


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